Entscheidungsdatum
28.11.2019Norm
AsylG 2005 §34Spruch
W105 2211182-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BENDA nach Beschwerdevorentscheidung der Österreichischen Botschaft in Ankara/Türkei vom 20.11.2018, Zl.:Ankara-OB/KONS/1454/2018, aufgrund des Vorlageantrags des mj. XXXX , geb. XXXX , StA von Syrien, über seine Beschwerde gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft in Ankara vom 10.09.2018, Zl. Ankara-ÖB/KONS/0951/2018, zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid wird
gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF (VwGVG) aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger aus Syrien, stellte am 22.02.2018 bei der österreichischen Botschaft in Ankara (im Folgenden: ÖB Ankara) einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gem. § 35 Abs. 1 AsylG.
Begründend führte der BF aus, dass er der minderjährige Sohn des XXXX , XXXX geb., sei, dem mit Bescheid des BFA vom 03.05.2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei.
Mit Schreiben des BFA vom 25.07.2018 erteilte das BFA dem BF einen Verbesserungsauftrag und wurde dieser aufgefordert, binnen einer Frist von 3 Wochen nach Erhalt des Schreibens folgende Dokumente nachzureichen:
* Vorlage eines Nachweises über die Verfügung einer adäquaten Unterkunft iSd § 60 Abs. 2 Z. 1 AsylG
* eine alle Risiken abdeckende in Österreich leistungspflichtige Krankenversicherung iSd § 60 Abs. 2 Z. 2 AsylG
* Nachweise von regelmäßigen Einkünften iSd § 60 Abs. 2 Z. 3 AsylG
* Sterbeurkunde der Mutter
Der BF übermittelte in der Folge am 09.08.2018 die geforderten Dokumente.
In der Folge übermittelte die ÖB Ankara den Antrag und Sachverhalt an das BFA zur Erstattung einer Stellungnahme gemäß § 35 Abs. 4 AsylG und einer diesbezüglichen Wahrscheinlichkeitsprognose, ob die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten an den BF im Familienverfahren wahrscheinlich erscheine.
Mit Schreiben vom 20.08.2018 erstattete das BFA eine solche Stellungnahme und führte darin im Wesentlichen aus, dass die Zuerkennung des Status nicht wahrscheinlich sei. Begründend wurde ausgeführt, dass im Verbesserungsauftrag der ÖB Ankara der Antragsteller einerseits zur Vorlage des Nachweises der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 - 3 AsylG und andererseits zur Vorlage der Sterbeurkunde des im Herkunftsland verbleibenden Elternteils (in diesem Fall die Mutter des Antragstellers) aufgefordert worden sei. Diesem Verbesserungsauftrag sei der Antragsteller innerhalb der gesetzten Frist von 3 Wochen nachgekommen. Die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG hätten erfüllt werden können, jedoch habe die vorgelegten Sterbeurkunde der Mutter des Antragstellers als Totalfälschung eingestuft werden können. Aufgrund dieser Fakten habe sich die Vermutung erhärtet, dass es sich im vorliegenden Fall um eine unrechtmäßige Kindesentziehung handeln könnte.
Mit Schreiben vom 22.08.2018, zugestellt am 27.08.2018, wurde der BF seitens der ÖB Ankara aufgefordert, zur Gleichzeitig vorgehaltenen Stellungnahme des BFA Stellung zu nehmen.
Eine solche Stellungnahme langte innerhalb der gesetzten Frist von 1 Woche ab Zustellung nicht ein.
Mit Bescheid vom 10.09.2018, zugestellt am selben Tag, verweigerte die ÖB Ankara das Visum mit der Begründung, dass das BFA an der negativen Wahrscheinlichkeitsprognose festgehalten habe. Begründend wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 - 3 AsylG erfüllt werden hätten können, jedoch die vorgelegte Sterbeurkunde der Mutter des Antragstellers als Totalfälschung eingestuft worden sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seinen bevollmächtigten Vertreter mit Schriftsatz vom 08.10.2018 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend führte der BF im Wesentlichen aus, dass die belangte Behörde ihrer Begründungspflicht im angefochtenen Bescheid nicht nachgekommen wäre. So werde mit keinem einzigen Wort begründet, warum die vorgelegte Sterbeurkunde eine Totalfälschung wäre. Der Verstoß gegen die Begründungspflicht seitens der belangten Behörde führe dazu, dass der BF nicht einmal Argumente vorbringen könne, die die Begründung widerlegen würde. Auch sei der Sachverhalt keineswegs einem ordentlich durchgeführten Ermittlungsverfahren zugeführt worden. Zur Beurteilung der Sterbeurkunde sei kein Sachverständiger beigezogen worden, welcher mit den Urkunden in Syrien vertraut sei. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Eigenschaft der Qualität der Sterbeurkunde hätte jedenfalls dazu geführt, dass es sich keinesfalls um eine Fälschung handle und hätte die Einholung dieses Beweismittels daher jedenfalls zu einem positiven Antrag des BF geführt. Die Mutter des BF sei am 10.09.2017 bei einem Bombenangriff der syrischen Armee umgekommen. Der Cousin des Vaters des BF habe die zerfetzte Leiche der Mutter des BF auffinden können und habe dieser dann auch ein Grab für die Mutter erbauen lassen, welches auf den (unter einem vorgelegten) Fotos zu erkennen sei. So lasse sich anhand der Fotos eindeutig erkennen, dass es sich um das Grab der Mutter des BF handle, da deren Name sowie das Sterbedatum auf dem Grabstein stehen würden. Es sei richtigerweise zweifelsfrei erwiesen, dass die Mutter des BF verstorben sei und es sich um keinen Fall von Kindesentziehung handle. Es sei auch darauf hingewiesen, dass die Mutter des BF in Idlib, einer der Hochburgen der syrischen Rebellen ums Leben gekommen sei. Es stelle ein beträchtliches Sicherheitsrisiko dar, Unterlagen in der zuständigen Verwaltungsstadt für Idlib zu beschaffen. Die gegenständliche Sterbeurkunde sei von dem durch den Vater des BF beauftragten Rechtsanwalt beschafft worden und handle es sich hierbei um einen vertrauenswürdigen Anwalt. Die vorgelegte Urkunde sei gültig und keineswegs gefälscht. Da es sich beim BF um einen unbegleiteten Minderjährigen handle, der derzeit lediglich bei der Schwester des Vaters des BF in Antakya aufhältig sei und dies eine enorme Belastung sowohl für den BF als auch dessen Tante darstelle, werde darum ersucht, die Beschwerde bevorzugt zu behandeln und ihm einen Einreisetitel gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG zu erteilen.
In der Folge erlies die ÖB Ankara mit Bescheid vom 20.11.2018, zugestellt am selben Tag, eine Beschwerdevorentscheidung gem. § 14 Abs. 1 VwGVG, mit welcher die Beschwerde abgewiesen wurde.
Begründend führte die Botschaft im Wesentlichen Folgendes aus:
"... teilt die belangte Behörde die Beurteilung des BFA, dass die Voraussetzungen des § 26 in Verbindung mit § 35 Abs. 4 AsylG 2005 nicht vorliegen. Wenn das BFA im Zusammenhang mit der Familienzusammenführung für den Fall, dass das Kind lediglich einem Elternteil nachziehen soll, die Zustimmung des anderen, im Heimatland verbliebenen Obsorgeberechtigten einfordert und die Ansicht vertritt, dass davon lediglich abgesehen werden könne, wenn ein entsprechender Nachweis des Todes dieser Person vorgelegt bzw. das alleinige Obsorgerecht der Bezugsperson anders nachgewiesen wird, so scheint dieses Vorgehen zur Vermeidung von unzulässigen Eingriffen in Obsorgerechte gerechtfertigt. Es kann nämlich nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, allfällige Sorgerechtsstreitigkeiten unter dem Deckmantel der Familienzusammenführung ohne Befassung der für derartige Angelegenheiten zuständigen Behörden zugunsten eines Elternteils zu entscheiden. Eine gerichtliche Obsorgeentscheidung wurde im gegenständlichen Fall nicht vorgelegt, sondern wird behauptet, dass die Mutter des BF gestorben und somit deren Zustimmung zur Ausreise ihres Kindes nicht mehr möglich sei. Als Nachweis wurde die in Rede stehende Sterbeurkunde vorgelegt, die nach Ansicht der belangten Behörde zu Recht als Totalfälschung qualifiziert wurde. Dazu ist auszuführen, dass die Sachbearbeiter für Asyl- und Aufenthaltswesen an der belangten Behörde eingehend in Erkennung von ge- und verfälschten Dokumenten vertraut sind. Es ist aus Sicht der belangten Behörde daher nicht zu beanstanden, wenn der zuständige Sachbearbeiter aufgrund seiner Ausbildung und der Würdigung der Merkmale der gegenständlichen Sterbeurkunde diese als Totalfälschung qualifiziert hat. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass auch der Dokumentenprüfer der deutschen Botschaft zur Beurteilung der Sterbeurkunde hinzugezogen wurde und dieser das in Rede stehende Dokument ebenfalls als Fälschung qualifiziert hat. Es kann somit keine Rede davon sein, dass zur Beurteilung der Urkunden keine sachkundige Person herangezogen worden sei. Da dem BF der Umstand, dass es ich bei der vorgelegten Sterbeurkunde um eine Totalfälschung handelt, nachweislich zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt wurde, geht auch die Behauptung des mangelnden Parteiengehörs ins Leere. Die Verfahrensrüge, die Behörde habe sich nicht im erforderlichen Ausmaß mit den Argumenten der Beschwerdeführer befasst und es liege somit Willkür vor, entbehrt im Hinblick darauf, dass das BFA nach umfangreicher Würdigung des gesamten Vorbringens zu dem berechtigten Schluss gekommen ist, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Einreisetitels nicht vorliegen, jeglicher Grundlage. [...]"
Dagegen brachte der BF mit Schriftsatz vom 28.11.2018 und somit fristgerecht einen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht ein und verwies in inhaltlicher Hinsicht auf die bereits erstatteten Schriftsätze.
Mit Schreiben des Bundesministeriums für Inneres vom 03.12.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht der Vorlageantrag samt dem Verwaltungsakt übermittelt.
Mit Erkenntnis vom 07.03.2019, Zl. W105 2211182-1/2E, wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 und 5 AsylG idgF als unbegründet ab und bestätigte die Beschwerdevorentscheidung. Begründend wurde ausgeführt, dass unstrittig sei, dass sich der Vater des BF, sohin die Bezugsperson, in Österreich befinde und hier asylberechtigt sei. Es schließe sich jedoch der ÖB Ankara an, dass es sich bei der Sterbeurkunde um eine Totalfälschung handle und daher eine unrechtmäßige Kindesentziehung nicht auszuschließen sei. Auffällig sei, dass laut Antragsformular des BF vom 22. Februar 2018 dessen Mutter "vor 9 Monaten" in Idlib bei einem Bombenanschlag getötet worden sei; aus dem Beschwerdeschriftsatz gehe jedoch hervor, die Mutter sei am 10. September 2017 umgekommen. Unstimmig sei ferner, dass im Antragsformular nur ein vager Zeitraum, in der Beschwerde jedoch ein exakter Zeitpunkt genannt worden sei. Auf der Sterbeurkunde sei das Formularfeld für das Todesdatum nicht ausgefüllt worden; dies sei insbesondere im Hinblick darauf nicht nachvollziehbar, dass in weiterer Folge das exakte Datum erst später bekannt geworden sei. Insofern dränge sich der Eindruck geradezu zwingend auf, dass die Sterbeurkunde gefälscht worden sei. Zudem sei dem Antragsformular eine Heiratsurkunde beigefügt worden, die am 28. November 2017 und damit zu einem Zeitpunkt ausgestellt worden sei, als die Mutter des Beschwerdeführers bereits verstorben gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund würden auch die Fotos des Grabsteins als Nachweis des Todes der Mutter des BF nicht tauglich erscheinen. In der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass die Familieneigenschaft iSd § 35 AsylG nicht glaubhaft gemacht worden sei.
Mit Schriftsatz vom 23.04.2019 brachte der BF vor, dass die angefochtene Entscheidung willkürlich ergangen sei, da kein Sachverständiger beigezogen worden wäre, der die Echtheit der Urkunde prüfen hätte können. Auf Grund der Kriegswirren in Syrien, insbesondere der Provinz Idlib, gebe es kein Personenstandsregister, das mit dem österreichischen vergleichbar wäre. Es komme regelmäßig zu Bombenangriffen; die vielen Toten würden häufig in Massengräbern begraben. Zudem stelle es ein beträchtliches Sicherheitsrisiko dar, solche Unterlagen zu beschaffen. Es sei daher nachvollziehbar, dass eine Sterbeurkunde kein Sterbedatum enthalte. Es seien alle Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG erfüllt; bei dem BF handle es sich unstrittig um den Sohn der in Österreich asylberechtigten Bezugsperson. Dies sei sowohl von der ÖB Ankara als auch vom Bundesverwaltungsgericht so festgestellt worden. Das Bundesverwaltungsgericht setze sich des weiteren nicht ausreichend mit dem Kindeswohl auseinander; der BF lebe mittlerweile seit Jahren bei der Schwester des Vaters in prekären Verhältnissen. Es führe zu einer Beeinträchtigung seiner Entwicklung, wenn er ohne seine Eltern aufwachsen müsse. Das Bundesverwaltungsgericht begründe schließlich in keiner Weise, weshalb überhaupt eine Sterbeurkunde vorzulegen sei. Es stütze sich in diesem Punkt - wie auch die ÖB Ankara - auf einen Generalerlass des BFA zum Familienverfahren. Dort werde ausgeführt, dass bei Familienzusammenführungen, bei denen lediglich das Kind und nicht auch der andere Elternteil nachgeholt werden soll, die Zustimmung der anderen obsorgeberechtigten Person bzw. ein Nachweis über deren Tod vorzulegen sei. Die Ausführungen des Erlassen würden sich in keiner Weise mit dem Gesetz decken. Insofern verletze die angefochtene Entscheidung Art. 8 EMRK, da die Annahme, dass eine Sterbeurkunde überhaupt vorgelegt werden müsse, nicht von § 35 AsylG gedeckt sei. Die Entscheidung sei daher gesetzlos ergangen. Überdies werde der BF durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt: So schreibe § 11a Abs. 2 erster Satz FPG vor, dass Beschwerdeverfahren in Visaangelegenheiten ohne mündliche Verhandlung durchzuführen seien. Dies verstoße gegen Art. 6 EMRK. Die Unstimmigkeiten in Bezug auf das Datum hätten in einer mündlichen Verhandlung bereinigt werden können.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift unter Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses abgesehen.
Die ÖB Ankara hat eine Gegenschrift erstattet, in der den Beschwerdebehauptungen im Wesentlichen wie folgt entgegengetreten wurde:
Zur Qualifizierung der Sterbeurkunde als Fälschung sei festzuhalten, dass dies zum einen von einem fähigen Mitarbeiter der ÖB Ankara und zum anderen von einem Dokumenten- und Visumsberater der Deutschen Botschaft festgestellt worden sei. Der Untergrunddruck sei im tintenbasierenden Verfahren durch einen Tintenstrahldrucker aufgebracht worden, sohin durch einen herkömmlichen Drucker, wie man ihn im privaten Bereich benutze. Bei echten syrischen Sterbeurkunden werde der Untergrunddruck hingegen im Offset-Druckverfahren erstellt, einer viel hochwertigeren Druckvariante. Der Unterschied zwischen beiden Druckvarianten sei bereits für Laien erkennbar. Es sei keineswegs willkürlich, dass das Bundesverwaltungsgericht kein Sachverständigengutachten eingeholt, sondern sich auf die Beurteilung der beiden geschulten Botschaftsmitarbeiter gestützt habe. Im Hinblick auf die Totalfälschung sei angesichts der Anwendbarkeit der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes der Grundsatz des Verbots von Betrug einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstelle, der von den Rechtsunterworfenen zu beachten sei. Zwar erschwere die derzeit "mangelnde bzw. gänzlich fehlende Verwaltung in Syrien das Einholen von Auszügen etwa aus Personenstands- oder Heiratsregister". Das erkläre jedoch nicht, weshalb das Sterbedatum bei der Neuausstellung der im Visumsverfahren erforderlichen Unterlagen - etwa der Heiratsurkunde - nicht nachgetragen worden sei.
Im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung von Art. 8 EMRK sei auf die Familienzusammenführungs-RL zu verweisen, wonach bei minderjährigen Kindern des Zusammenführenden die Einreise und der Aufenthalt gewährt wird, wenn der Zusammenführende das Sorgerecht besitzt und für den Unterhalt aufkommt. Bei geteilten Sorgenrecht können die Mitgliedstaaten die Zusammenführung gestatten, sofern der andere Elternteil seine Zustimmung erteilt. Folglich besitze ein Elternteil nur dann das Sorgerecht, wenn er "allein" sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte - und pflichten zustehen, etwa in Bezug auf den Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Eine richtlinienkonforme Interpretation gebiete dementsprechend die Zustimmung des anderen oder allenfalls nur "allein" obsorgeberechtigten Elternteils zur Zusammenführung. Eine solche "alleinige" Sorgeberechtigung fordere aber eine Sterbeurkunde des anderen Obsorgeberechtigten/Elternteils. Davon, dass zum Beleg für eine "alleinige" Sorgeberechtigung eine Sterbeurkunde des anderen Obsorgeberechtigten/Elternteils vorliegen müsse, sei das Bundesverwaltungsgericht ausgegangen.
In Bezug auf die vorgebrachte Verfassungswidrigkeit von § 11a Abs. 2 erster Satz FPG berufe sich die ÖB Ankara im Wesentlichen auf die Materialien zu dieser Bestimmung und führe zusammengefasst aus, die gesetzliche Untersagung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei erforderlich, da andernfalls der Sinn und Zweck der Visaversagung konterkariert würde. Die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung würde nämlich gerade einen Einreisetitel voraussetzen, um dessen Erteilung es im Verfahren gehe. Da § 11a Abs. 2 erster Satz FPG den "Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen" bzw. den "Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten" anderer entspreche, sei diese Bestimmung auch im Lichte des Art. 47 GRC gerechtfertigt. Parteiengehör würde im Verfahren durch Stellungnahmerechte gewahrt werden.
Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. September 2019, Zl. E1478/2019-11, behob dieser das angefochtene Erkenntnis des Bundeverwaltungsgerichts vom 07.03.2019. Begründend wurde im Wesentlichen wörtlich wie folgt:
"§ 35 Abs. 1 AsylG regelt das Verfahren betreffend Anträge auf Einreise von Angehörigen von in Österreich Asylberechtigten bei den Vertretungsbehörden zum Zweck der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Österreich. Anders als im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG befindet sich der Familienangehörige noch nicht in Österreich; vielmehr geht es um die Zusammenführung von nicht gemeinsam in Österreich aufhältigen Angehörigen. Familienangehörige im Sinne des § 35 Abs. 5 AsylG sind unter anderem minderjährige ledige Kinder. Stellen Familienangehörige einen solchen Antrag bei der entsprechenden Vertretungsbehörde, hat diese ein Visum zu erteilen, sofern das BFA mitteilt, dass die Zuerkennung von Asyl wahrscheinlich ist (§35 Abs. 4 AsylG). Wird der Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels - wie im vorliegenden Fall - nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt gestellt, an dem der Bezugsperson rechtskräftig der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG zu erfüllen (§ 35 Abs. 1 iVm Abs. 4 Z. 3 AsylG); es müssen also eine ortsübliche Unterkunft und Krankenversicherungsschutz vorliegen, zudem darf der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Sowohl die ÖB Ankara als auch das BFA und das Bundesverwaltungsgericht stellen fest, dass alle Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG erfüllt worden seien. Allerdings handle es sich bei der nach Aufforderung vorgelegten Sterbeurkunde der Mutter des Beschwerdeführers um eine Totalfälschung, daher sei der Antrag bzw. die Beschwerde abzuweisen. Antrag und Beschwerde werden damit als zulässig erachtet; die ÖB Ankara wie auch das Bundesverwaltungsgericht gehen sohin davon aus, dass der Beschwerdeführer rechtmäßig vertreten ist. Das Erfordernis der Zustimmung der im Herkunftsland verbleibenden obsorgeberechtigten Person bzw. der Nachweis über deren Ableben wird folglich nicht als Zulässigkeitsvoraussetzung, sondern als materielle Erteilungsvoraussetzung für einen Einreisetitel gemäß § 35 AsylG geprüft. Weder aus dem Bescheid bzw. der Beschwerdevorentscheidung der ÖB Ankara noch aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts geht hervor, auf Grund welcher Rechtsvorschrift der Nachweis der Zustimmung der im Herkunftsstaat verbleibenden obsorgeberechtigten Person bzw. deren Ableben verlangt wird. Vielmehr bleibt offen, woraus sich diese Voraussetzung für die Erteilung eines Visums ergeben soll. Aus der bekämpften Entscheidung ergibt sich lediglich, dass das BFA im Rahmen der gemäß § 35 Abs. 4 AsylG zu erstellenden Wahrscheinlichkeitsprognose mangels Vorlage der Sterbeurkunde die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als "nicht wahrscheinlich" qualifizierte, weshalb der Antrag in weiterer Folge abgewiesen wurde. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern § 35 AsylG eine derartige materielle Erteilungsvoraussetzung aufstellt. Auch führt das Bundesverwaltungsgericht keine Rechtsgrundlage für seine rechtliche Beurteilung an. Die angefochtene Entscheidung entbehrt daher einer gesetzlichen Grundlage und ist sohin gesetzlos ergangen."
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.) Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der oben wiedergegebene Verfahrensgang.
2.) Beweiswürdigung:
Die Festgestellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem Akt der ÖB Ankara.
3.) Rechtliche Beurteilung:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG) idgF lauten wie folgt:
"§ 2 Soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch den Senat vorsehen, entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter (Rechtspfleger).
Beschwerdevorentscheidung
§ 14 (1) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.
(2) Will die Behörde von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absehen, hat sie dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.
(3) Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 4 B-VG hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen.
Vorlageantrag
§ 15 (1) Jede Partei kann binnen zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag). Wird der Vorlageantrag von einer anderen Partei als dem Beschwerdeführer gestellt, hat er die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt (§ 9 Abs. 1 Z 3), und ein Begehren (§ 9 Abs. 1 Z 4) zu enthalten.
(2) Ein rechtzeitig eingebrachter und zulässiger Vorlageantrag hat aufschiebende Wirkung, wenn die Beschwerde
1.
von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung hatte und die Behörde diese nicht ausgeschlossen hat;
2.
von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung hatte, die Behörde diese jedoch zuerkannt hat.
Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Vorlageantrag und die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen und den sonstigen Parteien die Vorlage des Antrags mitzuteilen.
(3) Verspätete und unzulässige Vorlageanträge sind von der Behörde mit Bescheid zurückzuweisen. Wird gegen einen solchen Bescheid Beschwerde erhoben, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht unverzüglich die Akten des Verfahrens vorzulegen.
§16 [ ... ]
Verfahren vor dem Verwaltungsgericht
Anzuwendendes Recht
§ 17 Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte."
Erkenntnisse
"§ 28 (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4... )"
§§ 11, 11a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lauten:
"Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11 (1) In Verfahren vor österreichischen Vertretungsbehörden haben Antragsteller unter Anleitung der Behörde die für die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel selbst vorzulegen; in Verfahren zur Erteilung eines Visums D ist Art. 19 Visakodex sinngemäß anzuwenden. Der Antragssteller hat über Verlangen der Vertretungsbehörde vor dieser persönlich zu erscheinen, erforderlichenfalls in Begleitung eines Dolmetschers (§ 39a AVG). § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG gilt nur für in Österreich zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Personen. Die Vertretungsbehörde hat nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Eine Entscheidung, die dem Standpunkt des Antragstellers nicht vollinhaltlich Rechnung trägt, darf erst ergehen, wenn die Partei Gelegenheit zur Behebung von Formgebrechen und zu einer abschließenden Stellungnahme hatte.
(2) Partei in Verfahren vor der Vertretungsbehörde ist ausschließlich der Antragssteller.
(3) Die Ausfertigung bedarf der Bezeichnung der Behörde, des Datums der Entscheidung und der Unterschrift des Genehmigenden; an die Stelle der Unterschrift kann das Siegel der Republik Österreich gesetzt werden, sofern die Identität des Genehmigenden im Akt nachvollziehbar ist. Die Zustellung hat durch Übergabe in der Vertretungsbehörde oder, soweit die internationale Übung dies zulässt, auf postalischem oder elektronischem Wege zu erfolgen; ist dies nicht möglich, so ist die Zustellung durch Kundmachung an der Amtstafel der Vertretungsbehörde vorzunehmen.
(4) Vollinhaltlich ablehnende Entscheidungen gemäß Abs. 1 betreffend Visa D sind schriftlich in einer Weise auszufertigen, dass der Betroffene deren Inhalt und Wirkung nachvollziehen kann. Dem Betroffenen sind die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die der ihn betreffenden Entscheidung zugrunde liegen, genau und umfassend mitzuteilen, es sei denn, dass Gründe der Sicherheit der Republik Österreich dieser Mitteilung entgegenstehen. In der schriftlichen Ausfertigung der Begründung ist auch die Rechtsmittelinstanz anzugeben.
(5) Für die Berechnung von Beginn, Lauf und Ende von Fristen (§ 33 AVG) gelten die Wochenend- und Feiertagsregelungen im Empfangsstaat.
(6) Kann dem Antrag auf Erteilung eines Visums D auf Grund zwingender außenpolitischer Rücksichten oder aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht stattgegeben werden, so ist die Vertretungsbehörde ermächtigt, sich auf den Hinweis des Vorliegens zwingender Versagungsgründe zu beschränken. Der maßgebliche Sachverhalt muss auch in diesen Fällen im Akt nachvollziehbar sein.
(7) Der Fremde hat im Antrag auf Erteilung eines Visums D den jeweiligen Zweck und die beabsichtigte Dauer der Reise und des Aufenthaltes bekannt zu geben. Der Antrag ist zurückzuweisen, sofern der Antragsteller, ausgenommen die Fälle des § 22 Abs. 3 FPG, trotz Aufforderung und Setzung einer Nachfrist kein gültiges Reisedokument oder gegebenenfalls kein Gesundheitszeugnis vorlegt oder wenn der Antragsteller trotz entsprechenden Verlangens nicht persönlich vor der Behörde erschienen ist, obwohl in der Ladung auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde.
(8) Minderjährige Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können bei Zustimmung des gesetzlichen Vertreters die Erteilung eines Visums selbst beantragen.
(9) Für Entscheidungen über die Erteilung eines Visums für Saisoniers (§2 Abs. 4 Z 13) ist Art. 23 Abs. 1 bis 3 Visakodex sinngemäß anzuwenden.
Beschwerden gegen Bescheide österreichischer Vertretungsbehörden in Visaangelegenheiten
§ 11a (1) Der Beschwerdeführer hat der Beschwerde gegen einen Bescheid einer österreichischen Vertretungsbehörde sämtliche von ihm im Verfahren vor der belangten Vertretungsbehörde vorgelegten Unterlagen samt Übersetzung in die deutsche Sprache anzuschließen.
(2) Beschwerdeverfahren sind ohne mündliche Verhandlung durchzuführen. Es dürfen dabei keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden.
(3) Sämtliche Auslagen der belangten Vertretungsbehörde und des Bundesverwaltungsgerichtes für Dolmetscher und Übersetzer sowie für die Überprüfung von Verdolmetschungen und Übersetzungen sind Barauslagen im Sinn des § 76 AVG.
(4) Die Zustellung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat über die Vertretungsbehörde zu erfolgen. § 11 Abs. 3 gilt."
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 idgF (AsylG) lauten wie folgt:
Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden
§ 35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.
(2) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 frühestens drei Jahre nach rechtskräftiger Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei der Vertretungsbehörde stellen, sofern die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind. Diesfalls ist die Einreise zu gewähren, es sei denn, es wäre auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen oder in drei Monaten nicht mehr vorliegen werden. Darüber hinaus gilt Abs. 4.
(2a) Handelt es sich beim Antragsteller um den Elternteil eines unbegleiteten Minderjährigen, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, gelten die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 als erfüllt.
(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 oder Abs. 2 gestellt, hat die Vertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Befragungsformular ausfüllt; Gestaltung und Text dieses Formulars hat der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres und nach Anhörung des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (§ 63) so festzulegen, dass das Ausfüllen des Formulars der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dient. Außerdem hat die Vertretungsbehörde auf die Vollständigkeit des Antrages im Hinblick auf den Nachweis der Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 hinzuwirken und den Inhalt der ihr vorgelegten Dokumente aktenkundig zu machen. Der Antrag auf Einreise ist unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.
(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn
1.
gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),
2.
das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und
3.
im Falle eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.
Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren.
(5) Nach dieser Bestimmung ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen
§ 60. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn
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1.-gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder
2.-gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.
(2) Aufenthaltstitel gemäß § 56 dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn
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1.-der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,
2.-der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,
3.-der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte, und
4.-durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.
(3) Aufenthaltstitel dürfen einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn
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1.-dieser ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass dieser durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt oder
2.-im Falle der §§ 56 und 57 dessen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 an die Mitteilung des Bundesasylamtes (nunmehr: des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl) über die Prognose einer Asylgewährung bzw. Gewährung subsidiären Schutzes gebunden, und zwar auch an eine negative Mitteilung. Diesbezüglich kommt ihr keine eigene Prüfungskompetenz zu (vgl. das im Beschwerdefall im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis VwGH 16.12.2014, Ro 2014/22/0034 unter Hinweis auf VwGH 17.10.2013, 2013/21/0152; VwGH 19.06.2008, 2007/21/0423).
Nach dieser Rechtsprechung ist zur Frage des Prüfungsumfangs der österreichischen Vertretungsbehörde bei der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels im Sinne des § 35 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 auf die Gesetzesmaterialien zur Stammfassung der Vorgängerbestimmung (§ 16 AsylG 1997) zurückzugreifen. Danach sollten die bei den österreichischen Berufsvertretungsbehörden im Ausland gestellten Asylanträge an die Durchführung eines Vorverfahrens gebunden sein. Bei diesem speziellen Sichtvermerksantrag sollte nämlich ein relativ formalisiertes Ermittlungsverfahren betreffend eine mögliche Asylgewährung stattfinden, in welches das Bundesasylamt einzubinden sei. Treffe das Bundesasylamt die Prognose, dass eine Asylgewährung wahrscheinlich sei, habe die Berufsvertretungsbehörde ohne Weiteres einen entsprechend befristeten Sichtvermerk zur Einreise zu erteilen, worauf das eigentliche Asylverfahren stattzufinden habe. Dieser Mechanismus solle auf der Ebene eines Sichtvermerksverfahrens dazu dienen, die im Hinblick auf eine potentielle Schutzbedürftigkeit heiklen Fälle aus der Vielzahl der Asylanträge im Ausland herauszufiltern, ohne zugleich - im Hinblick auf das relativ formalisierte Verfahren vor der österreichischen Vertretungsbehörde - durch eine negative Asylentscheidung res iudicata zu bewirken und den Asylwerber für immer von einem ordentlichen Asylverfahren auszuschließen. Werde ein Sichtvermerk nicht erteilt, sei der betreffende Asylantrag als gegenstandslos abzulegen (RV 686 BlgNR 20.GP 23).
Schon diese Ausführungen lassen erkennen, dass die österreichische Vertretungsbehörde im Ausland in Bezug auf die Visumserteilung an die Mitteilung des (nunmehr) Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über die Prognose einer Schutzgewährung gebunden ist. Das Gesetz stellt nur klar, dass es bei einer positiven Mitteilung über die voraussichtliche Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten keiner weiteren Voraussetzungen für die Visumserteilung bedarf, somit die Erteilungsvoraussetzungen und Versagungsgründe des FPG diesfalls unbeachtet zu bleiben haben. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass die Vertretungsbehörde im Falle einer negativen Mitteilung des Bundesamtes noch einmal eine eigene Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Asylgewährung vorzunehmen hätte und zu einem gegenteiligen Ergebnis als die zur Entscheidung über Asylanträge sachlich zuständige Behörde kommen könnte. Für diese Auffassung gibt das Gesetz keine ausreichenden Anhaltspunkte. Es würde auch dem Zweck der Erteilung dieses Einreisetitels zuwiderlaufen, dem Familienangehörigen einer schutzberechtigten Ankerperson im Hinblick auf die voraussichtliche Gewährung von Asyl bzw. subsidiären Schutz die Einreise zu ermöglichen, wenn das zur Beurteilung des Schutzantrages zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Stattgebung unter diesem Titel nicht für wahrscheinlich erachtet (siehe zu dem ganzen BVwG 12.01.2016, W184 2112510-1ua).
Soweit es innerhalb des mit dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz - FNG, BGBl. I Nr. 87/2012 geschaffenen geschlossenen Rechtsschutzsystems allerdings dem Bundesverwaltungsgericht nunmehr offen steht, auch die Einschätzung des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl über die Wahrscheinlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes an den Antragsteller auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (VwGH 01.03.2016, Ro 2015/18/0002), so führt diese Überprüfung im Beschwerdefall zu keinem anderen Ergebnis, weil die Prognose des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes zutreffend ist:
Im vorliegenden Fall wurde ein Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt und als Bezugsperson der in Österreich asylberechtigte XXXX , XXXX geb., als Vater des BF genannt.
Die Argumentation der ÖB Ankara und des Bundesamtes, wonach eine Zustimmung der im Herkunftsland verbleibenden obsorgeberechtigten Person bzw. der Nachweis über deren Ableben (in casu die vorgelegte Sterbeurkunde der Mutter des BF) als materielle Erteilungsvoraussetzung für einen Einreisetitel gemäß § 35 AsylG notwendig ist, erweist sich insofern als verfehlt, als eine solche Voraussetzung nicht gesetzlich vorgesehen ist.
Der Beschwerde ist somit stattzugeben und wäre dem BF unter Voraussetzung, dass die sonstigen Erteilungsvoraussetzungen aktuell gegeben wären, allenfalls das weiterhin begehrte Visum auszustellen. Hierbei wird im Besonderen auf die Berücksichtigung des Kindeswohls Bedacht zu nehmen sein.
Eine mündliche Verhandlung war gemäß § 11a Abs. 2 FPG nicht durchzuführen.
Barauslagen iSd § 11a Abs. 3 leg.cit. sind im Beschwerdeverfahren nicht entstanden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im den vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidungen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei obigen Erwägungen wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Beschwerdevorentscheidung, Einreisetitel,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W105.2211182.1.01Zuletzt aktualisiert am
04.06.2020