Entscheidungsdatum
29.11.2019Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22Spruch
W254 2207909-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , syrische Staatsangehörige, vertreten durch Rechtsanwalt Edward W. DAIGNEAULT, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.09.2018, Zl. XXXX betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens auf Gewährung internationalen Schutzes zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige und Zugehörige der Volksgruppe der Araber, stellte am XXXX .12.2014 bei der österreichischen Botschaft in Damaskus einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG. Dazu brachte sie vor, dass ihrem Ehemann mit Bescheid vom XXXX .09.2014 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Sie wolle ihm mit ihrem Sohn folgen und bei ihm leben. Ihr Haus sei zerstört worden, ihr Leben und das ihres Sohnes sei in Gefahr. Sie wolle ihrem Sohn ein gutes Leben bieten.
2. Am 22.10.2015 wurde der Beschwerdeführerin von der österreichischen Botschaft in Beirut ein Visum zur Einreise in das österreichische Bundesgebiet mit der Gültigkeitsdauer XXXX .10.2015 bis XXXX .02.2016 erteilt.
3. Die Beschwerdeführerin reiste daraufhin mit ihrem Sohn am XXXX .10.2015 per Flugzeug legal von Beirut über den Flughafen Wien-Schwechat in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX .10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt nach ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben, sie beantrage den gleichen Schutz wie ihr Ehemann.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) vom 23.11.2015 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG stattgegeben und ihr der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5. AsylG wurde festgestellt, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
5. Am 23.02.2018 wurde die Bezugsperson (der Ex-Ehemann) der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde im Rahmen eines Verfahrens auf Erteilung von internationalem Schutz hinsichtlich seiner nunmehrigen Ehefrau, XXXX , als Zeuge niederschriftlich einvernommen. Im Zuge seiner Befragung gab er an, mit der Beschwerdeführerin und seinem Sohn in Österreich nie in einem gemeinsamen Haushalt gelebt zu haben. Zu seinem Sohn habe er unregelmäßigen Kontakt über WhatsApp, seine letzte Information von vor 10 Tagen sei, dass er sich mit seiner Mutter in Syrien befinde. Seine Ex-Frau (die Beschwerdeführerin) habe bereits im Jahr 2014 die Scheidung beantragt. Im Zeitpunkt der Antragstellung der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz habe keine aufrechte Ehe mehr zwischen ihnen bestanden. Im Zuge der Einvernahme legte die Bezugsperson auch eine syrische Scheidungsurkunde in Kopie inkl. beglaubigter Übersetzung vor.
6. Aus Anlass der Einvernahme der Bezugsperson wurde die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 30.04.2018 zur Einvernahme vor der belangten Behörde zwecks Prüfung eines Aberkennungsverfahrens am 15.05.2018 geladen.
7. Am 15.05.2018 wurde der Ex-Ehemann der Beschwerdeführerin als Zeuge befragt. Er gab unter anderem an, dass seine nunmehrige Ex-Frau und sein Sohn nach positivem Abschluss seines Asylverfahrens im Zuge der Familienzusammenführung im Jahr 2016 nach Österreich gekommen seien. Kurz danach habe er entdeckt, dass die Beschwerdeführerin in Syrien schon die Scheidung beantragt habe. In Österreich habe sie nicht mit ihm zusammenleben wollen, sie habe zu ihrer Schwester gehen wollen. Mittlerweile habe sie wieder geheiratet und lebe mit ihrem neuen Mann und einem weiteren Kind in Jordanien.
Die Beschwerdeführerin selbst erschien nicht zur Einvernahme vor der belangten Behörde, übermittle jedoch am 16.05.2018 per Fax einen Schriftsatz an die belangte Behörde, in welchem sie ausführte, dass sie derzeit in XXXX , Jordanien aufhältig sei und deshalb nicht zur Einvernahme habe erscheinen können. Sie habe Anfang XXXX das Kind ihres neuen Lebenspartners zur Welt gebracht und warte auf die Ausstellung des jordanischen Reisepasses und der Geburtsurkunde für das Kind. Sie versichere an Eides statt, sich zu keinem Zeitpunkt seit ihrer Asylantragstellung in Syrien aufgehalten zu haben.
8. Am 12.07.2018 wurde der Ex-Ehemann der Beschwerdeführerin erneut vor der belangten Behörde einvernommen. Er gab an, mit der Beschwerdeführerin schon lange keinen Kontakt mehr zu haben, er habe sie seit zwei Jahren nicht gesehen, sie sei seit langem nicht mehr in Österreich. Sie habe in Syrien die Scheidung beantragt, er habe nichts davon gewusst. In Österreich hätten sie keinen einzigen Tag zusammengelebt.
9. Mit Ladung vom 18.07.2018 wurde die Beschwerdeführerin zur Einvernahme vor der belangten Behörde am 06.08.2018 geladen. Mit Schreiben vom 16.08.2018 gab die Beschwerdeführerin bekannt, sich weiter in Jordanien zu befinden, da sie auf den Aufenthaltstitel für ihr Kind warte.
10. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13.09.2018 sprach die belangte Behörde aus, dass das zur Zahl XXXX geführte Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes gemäß § 69 Abs. 4 iVm Abs. 3 iVm Abs. 1 Z 1 AVG wiederaufgenommen wird.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass im Zuge der Erhebungen durch Vorlage der Scheidungspapiere aus Syrien festgestellt worden sei, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr mit ihrer Bezugsperson verheiratet gewesen sei. Es würden daher die Voraussetzungen des § 69 Abs 1 AVG vorliegen, weshalb die Wiederaufnahme von Amts wegen verfügt werden könne.
11. Am 01.10.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor der Österreichischen Botschaft in Amman , Jordanien im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch niederschriftlich einvernommen. Sie gab an, Zugehörige der arabischen Volksgruppe und muslimisch-sunnitischen Glaubens zu sein. Sie habe im XXXX vor dem Sharia-Gericht in XXXX mit XXXX , geb. am XXXX die Ehe geschlossen. Ihr Gatte befinde sich derzeit in Österreich. Sie habe zwei Söhne, einen aus erster Ehe, welcher sich aktuell in Österreich befinde, und einen aus zweiter Ehe. Ihre Mutter würde in Hamburg leben, ihr Vater in Syrien und ihre Schwester in Österreich. Zu ihrem Vater oder anderen Verwandten in Syrien habe sie seit 5 Jahren keinen Kontakt. Ihr Studium habe sie wegen der Eheschließung beendet, nach 5 Jahren sei die Ehe geschieden worden. Sie sei am XXXX .08.2015 legal aus Syrien ausgereist, da es dort keine Sicherheit, keine Arbeit und kein Geld mehr gebe und ihr Sohn traumatisiert gewesen sei. Sie habe nichts, wofür sie zurückkehren könne, es gebe keine Sicherheit für sie als alleinstehende Frau in Syrien.
12. Die Beschwerdeführerin erhob fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid gemäß Art. 130 Abs 1 Z 1 B-VG und führte aus, dass sie erst
XXXX von ihrem Ehemann geschieden worden sei. Außerdem hätte im Falle einer Scheidung vor Antragstellung ihr trotzdem der Status der Asylberechtigten zuerkannt werden müssen. Diesbezüglich wurde von der Beschwerdeführerin auf die Länderberichte und UNHCR Erwägungen verwiesen. Sie falle schon deshalb in eine Risikogruppe, weil sie in Österreich einen Asylantrag gestellt habe. Die Verfahrenswiederaufnahme sei sohin auch aus dem Grunde, dass ihr ohnehin Asyl zuzuerkennen (gewesen) sei unzulässig.
13. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird den Feststellungen zu Grunde gelegt.
Die Beschwerdeführerin ist syrische Staatsangehörige, Zugehörige der arabischen Volksgruppe und muslimisch-sunnitischen Glaubens.
Sie trägt den im Spruchkopf angeführten Namen und hat das im Spruch genannte Geburtsdatum.
Die Beschwerdeführerin stellte am XXXX .10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 23.11.2015 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin stattgegeben und festgestellt, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründet wurde die Zuerkennung mit der Eigenschaft als Familienangehörige ihres Ehemannes, XXXX , geb. am XXXX .
Die Beschwerdeführerin war von XXXX bis XXXX mit XXXX , verheiratet und hat mit diesem einen gemeinsamen Sohn. Die Beschwerdeführerin beantragte im Jahr XXXX ohne Wissen des Ehemannes in Syrien die Ehescheidung und wurde die Ehe am XXXX geschieden. Die Scheidung wurde am XXXX im Register des zentralen Sekretariats der Provinz Damaskus eingetragen.
Als maßgeblich festgestellt wird daher, dass die Ehe der Beschwerdeführerin mit ihrer Bezugsperson im Zeitpunkt der Antragstellung der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz und damit auch im Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag nicht mehr bestanden hat.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen basieren auf den von der Beschwerdeführerin sowie ihrem Ex-Ehemann vorgelegten Unterlagen, ihren Angaben bei der Österreichischen Botschaft in Amman, Jordanien bzw. bei der belangten Behörde.
Das Datum der Antragstellungen sowie der bisherige Verfahrensgang ergeben sich darüber hinaus aus den Verwaltungsakten.
Die Feststellungen zur Ehe der Beschwerdeführerin mit der Bezugsperson ergeben sich aus der - jeweils in beglaubigter deutscher Übersetzung - vorgelegten Heirats- und Scheidungsurkunde. Dass die Beschwerdeführerin die Scheidung ohne das Wissen des Ehemannes beantragt hat, ergibt sich aus dessen glaubwürdiger Aussage vor der belangten Behörde und wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht substantiiert bestritten.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt A) Abweisung der Beschwerde
3.1.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-VG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.1.2. § 34 AsylG 2005 lautet:
"(1) Stellt ein Familienangehöriger von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist und
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).
(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn
1. dieser nicht straffällig geworden ist;
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. 3 Z 13, BGBl. I Nr. 84/2017)
3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und
4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.
(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.
(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:
1. auf Familienangehörige, die EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind;
2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;
3. im Fall einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 NAG)."
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits vor der Einreise bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise bestanden hat.
Gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.
Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.
Nach der stRsp des VwGH liegt das "Erschleichen" eines Bescheides dann vor, wenn dieser in der Art zustande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht wurden und diese Angaben dann dem Bescheid zugrunde gelegt worden sind, wobei das Verschweigen wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Dabei muss die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen sein und eine solche Lage bestehen, dass ihr nicht zugemutet werden kann, von Amts wegen noch weitere, der Feststellung der Richtigkeit der Angaben dienliche Erhebungen zu pflegen. Wenn es die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen, schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG zu werten (VwGH 6. 3. 1953, 1034/52; 8. 6. 2006, 2004/01/0470; vgl auch VwGH 10. 9. 2003, 2003/18/0062; 13. 12. 2005, 2003/01/0184; 22.03.2012, 2011/07/0228; 20.09.2011, 2008/01/0777).
Zusammengefasst müssen nach Ansicht des Gerichtshofes drei Voraussetzungen gegeben sein (VwGH 25. 4. 1995, 94/20/0779; 29. 1. 2004, 2001/20/0346; 8. 6. 2006, 2004/01/0470):
-
Erstens müssen objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung gemacht worden sein.
-
Zweitens muss ein Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde bestehen.
-
Drittens muss Irreführungsabsicht der Partei vorliegen, nämlich eine Behauptung wider besseres Wissen in der Absicht, daraus einen Vorteil zu erlangen.
Um den Wiederaufnahmetatbestand des § 69 Abs 1 Z 1 AVG zu erfüllen, muss demnach die Partei im Verfahren vor der Behörde das Zustandekommen der Entscheidungsgrundlagen absichtlich, dh vorsätzlich (und nicht bloß fahrlässig [VwGH 28. 9. 2000, 99/09/0063; 7. 9. 2005, 2003/08/0171]) entweder durch objektiv unrichtige Angaben oder durch Verschweigen entscheidungswesentlicher Umstände oder Tatsachen (VwGH 22. 4. 1977, 87/77; 23. 3. 2004, 2003/01/059; 7. 9. 2005, 2003/08/0171) beeinflusst haben (vgl VwGH 30. 4. 1986, 85/09/0103; 7. 7. 1992, 90/08/0164; 8. 11. 1995, 93/12/0178), um daraus einen Nutzen, eine vorteilhafte Entscheidung der Behörde, die ansonsten nicht zu erwarten wäre, zu lukrieren (vgl VwGH 23. 3. 2004, 2003/01/0594; VfGH 27. 6. 2007, B 3563/05). Das Verschweigen wesentlicher Umstände ist dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen (VwGH 22. 4. 1977, 87/77; 23. 3. 2004, 2003/01/059; 8. 6. 2006, 2004/01/0470), wobei von einem Verschweigen von Tatsachen nur dann gesprochen werden kann, wenn die Partei zu deren Bekanntgabe verpflichtet war, sie aber absichtlich geheim hält (VwSlg 5812 A/1962; VwGH 10. 4. 1985, 83/09/0159). Das den Tatbestand des Erschleichens erfüllende Verhalten muss denknotwendig der Erlassung des Bescheides vorangegangen sein (VwSlg 5812 A/1962; VwGH 16. 2. 1999, 96/08/0270; 18. 10. 2000, 98/09/0098), da es sich nur dann um entscheidungswesentliche Umstände oder Unterlassungen (vgl. VwGH 30. 9. 2004, 2001/20/0157) handeln kann, wenn die unrichtigen (unvollständigen) Angaben der Partei dem Bescheid auch zugrunde gelegt worden sind (VwGH 1. 3. 1972, 1995/71; 22. 4. 1977, 87/77; 13. 12. 2005, 2003/01/0184). Zwischen den unrichtigen oder lückenhaften Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde muss also ein Kausalzusammenhang gegeben sein (VwGH 25. 4. 1995, 94/20/0779; 29. 1. 2004, 2001/20/0346; 13. 12. 2005, 2003/01/0184) (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 13 (Stand 1.4.2009, rdb.at).
Mit Irreführungsabsicht hat die Partei dann gehandelt, wenn sie vorsätzlich, also wider besseres Wissen, falsche Angaben gemacht oder entscheidungswesentliche Umstände verschwiegen hat (vgl VwGH 25. 4. 1995, 94/20/0779) und damit das Ziel verfolgte, daraus einen (vielleicht) sonst nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen (VwGH 10. 9. 2003, 2003/18/062; 29. 1. 2004, 2001/20/0346; 8. 6. 2006, 2004/01/0470). Ob die Partei ihr Handeln darauf abgestellt hat, entzieht sich als innerer Willensvorgang der unmittelbaren menschlichen Erkenntnis (VwGH 9. 3. 1983, 83/01/0002; 26. 5. 2003, 2001/12/0115). Die Behörde hat aus den das rechtswidrige Verhalten der Partei begleitenden Umständen in freier Beweiswürdigung auf das eventuelle Vorliegen einer solchen Absicht zu schließen. Als Beurteilungsgrundlage dient das Gesamtverhalten jener Person, der die Erschleichung vorgehalten wird (VwGH 16. 2. 1999, 96/08/0270; 18. 10. 2000, 98/09/0098; 17.05.2011, 2007/01/1144 mwN). Es müssen aber schon im wiederaufzunehmenden Verfahren (nicht also etwa nur im Wiederaufnahmeverfahren selbst) Handlungen oder Unterlassungen feststellbar gewesen sein, die eine Erschleichungsabsicht erkennen lassen (VwGH 25. 4. 1995, 94/20/0779; 16. 2. 1999, 96/08/0270).
Eine Erschleichung liegt schließlich nach zutreffender Rsp des VwGH (Thienel 4 311) nur vor, wenn die Behörde auf die Angaben der Partei angewiesen ist und eine Situation besteht, in der ihr nicht zugemutet werden kann, über die Richtigkeit und daher auch Vollständigkeit der Angaben noch Erhebungen von Amts wegen zu pflegen (VwSlg 10.670 A/1982; VwGH 19. 12. 2005, 2000/12/0051; 8. 6. 2006, 2004/01/0470). Hat es aber die Behörde verabsäumt, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offen stehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen und blieb die Erschleichungshandlung auf Grund einer Sorgfaltswidrigkeit der Behörde unentdeckt (Janko, bbl 1999, 52; vgl auch VwGH 19. 2. 1992, 91/12/0296), schließt dieser Mangel es aus, auch objektiv unrichtige Parteiangaben von wesentlicher Bedeutung (bzw. ein Verschweigen) als ein Erschleichen des Bescheides iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG zu werten (VwGH 29. 1. 2004, 2001/20/0346; 13. 12. 2005, 2003/01/0184; 8. 6. 2006, 2004/01/0470; vgl. auch Hengstschläger 3 Rz 580; Walter/Mayer Rz 586; Werner, JBl 1954, 324; aA Hellbling 454 f). Nur wenn die erforderlichen Ermittlungen mit einem übermäßigen, außer Verhältnis stehenden Aufwand verbunden wären und es in den Angaben der Partei keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie falsch oder lückenhaft sind, kann - auch wenn die Behörde die ihr nicht zumutbaren Erhebungen unterlassen hat - davon ausgegangen werden, dass der Tatbestand des Erschleichens iSd § 69 Abs 1 Z 1 AVG erfüllt ist (VwGH 29. 1. 2004, 2001/20/0346; ferner VwGH 8. 6. 2006, 2004/01/0470) (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 14 (Stand 1.4.2009, rdb.at).
3.1.3. Umgelegt auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:
Die Beschwerdeführerin hat am XXXX .12.2014 bei der österreichischen Botschaft in Damaskus einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG gestellt. Dazu hat sie vorgebracht, dass ihrem Ehemann mit Bescheid vom XXXX .09.2014 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist und dem Antrag u.a. eine Heiratsurkunde und einen Auszug aus dem syrischen Personenstandsregister in beglaubigter deutscher Übersetzung ausgestellt am 10.11.2014 vorgelegt. Am XXXX .10.2015 wiederholte die Beschwerdeführerin bei ihrer Erstbefragung ihre Angaben, dass sie mit ihrer Bezugsperson verheiratet sei und denselben Schutz wie ihr Ehemann beantrage. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.11.2015 wurde der Beschwerdeführerin daraufhin im Rahmen des Familienverfahrens mit ihrem Ehemann der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Aus der vom (Ex-) Ehemann der Beschwerdeführerin vorlegten Scheidungsurkunde geht jedoch hervor, dass die Ehe der Beschwerdeführerin mit ihrer Bezugsperson bereits am XXXX , also vor Antragstellung der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz und vor Entscheidung über diesen Antrag, geschieden wurde und die Scheidung auch vor Antragstellung und Entscheidung, nämlich am XXXX , im Personenstandsregister registriert wurde. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde, die Ehe sei erst im Jahr XXXX geschieden worden, steht in unauflösbarem Widerspruch zu der vorliegenden Scheidungsurkunde sowie zu den Angaben der Beschwerdeführerin in ihrer Einvernahme vor der Österreichischen Botschaft in Amman am 01.10.2018, in welcher die Beschwerdeführerin angab, im XXXX vor dem Sharia-Gericht in XXXX ihre zweite Ehe mit einem anderen Mann geschlossen zu haben. Es war daher festzustellen, dass die Ehe der Beschwerdeführerin mit der Bezugsperson zum Zeitpunkt der Antragstellung der Beschwerdeführerin und auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag durch die belangte Behörde nicht mehr aufrecht war.
Den oben ausgeführten Gesetzesbestimmungen zufolge, kann die belangte Behörde von Amts wegen eine Wiederaufnahme des Verfahrens verfügen, wenn der Bescheid erschlichen worden ist.
Die Beschwerdeführerin hat bei Antragstellung wissentlich wahrheitswidrig angegeben, dass sie mit ihrer Bezugsperson nach wie vor verheiratet ist. Diese Angabe war für die Entscheidung der belangten Behörde wesentlich, da aufgrund dieser Angabe eine positive Entscheidung im Rahmen des Familienverfahrens für die Beschwerdeführerin getroffen wurde. Es besteht damit auch ein Kausalzusammenhang zwischen den unrichtigen Angaben der Partei und dem Entscheidungswillen der Behörde. Die Beschwerdeführerin hat durch die Behauptung einer aufrechten Ehe eine Abhandlung ihres Antrages im Familienverfahren herbeigeführt und dadurch einen Vorteil, der ansonsten nicht zu erwarten wäre, da die Beschwerdeführerin gemäß § 34 AsylG als geschiedene Ehefrau keine Familienangehörige der Bezugsperson mehr ist und ihr Antrag daher auch nicht im Familienverfahren abzuhandeln ist, erlangt, nämlich ihre Flüchtlingseigenschaft von ihrer Bezugsperson ableiten zu können, ohne eigene Fluchtgründe vorbringen zu müssen. Die Beschwerdeführerin wäre nach der oben zitierten Rechtsprechung des VwGH verpflichtet gewesen, den Umstand der Scheidung der belangten Behörde bekanntzugeben. Dass die belangte Behörde aufgrund dieses rechtswidrigen Verhaltens der Beschwerdeführerin in freier Beweiswürdigung auf das Vorliegen einer Irreführungsabsicht durch die Beschwerdeführerin geschlossen hat, wird vom Bundesverwaltungsgericht angesichts der oben zitierten Rechtsprechung des VwGH nicht beanstandet.
Festzuhalten ist, dass die belangte Behörde im Asylverfahren auf die Angaben der Partei angewiesen ist, da es auch angesichts der Vielzahl der Fälle in den letzten Jahren mit einem unzumutbaren Arbeitsaufwand und auch unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden wäre, bei jeder Ehe durch Anfragen an Behörden in Syrien zu überprüfen, ob diese Ehe noch aufrecht ist.
Im vorliegenden Fall hatte die belangte Behörde im Zeitpunkt der Entscheidung der Gewährung von Asyl im Familienverfahren keine Anhaltspunkte dahingehend, dass die Ehe der Beschwerdeführerin mit der Bezugsperson nicht mehr aufrecht sein könnte und war sie daher auch nicht zu Nachforschungen verpflichtet.
Im Ergebnis erfolgte die Wiederaufnahme des Verfahrens daher rechtmäßig und war die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.
Ob die Beschwerdeführerin eigene Fluchtgründe hat, die eine Zuerkennung des Status der Asylberechtigten unabhängig von einem Familienverfahren rechtfertigen, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens und wird die belangten Behörde im wiederaufgenommenen Verfahren zu prüfen haben.
3.1.4 Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, zumal der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt war.
3.2. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
3.2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Eine Revision gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung (vgl. die oben unter Punkt 3.1. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes); schließlich ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.
3.2.2. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Aberkennungsverfahren, amtswegige Wiederaufnahme, Antragstellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W254.2207909.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.06.2020