TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/13 W274 2212000-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.02.2020
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Entscheidungsdatum

13.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W274 2212000-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. Lughofer als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. 21.11.1966, XXXX , vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich - Außenstelle St. Pölten, vom 30.11.2018, Zahl 1169554307-171102771/BMI-BFA_NOE_SP nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

Der allein gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides gerichteten Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer (BF) beantragte am 27.09.2017 vor der Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug der Landespolizeidirektion Wien internationalen Schutz und brachte zusammengefasst als Fluchtgrund vor, er sei als Zahnarzt vom IS in seiner Klinik aufgesucht und mit dem Tod bedroht worden, sollte er je wieder als Zahnarzt arbeiten. Er gehöre zur christlichen Minderheit der Armenier. Er habe sein Haus durch die Bombardierungen verloren. Seine Familie lebe derzeit in den Trümmern einer armenischen Kirche. Er habe kein Geld mehr gehabt, um mit seiner Familie zu kommen. Er habe im März 2016 Syrien illegal in die Türkei verlassen, wo er sich 9 Monate aufgehalten habe. Nach weiteren 10 Monaten in Griechenland sei er am 24.09.2017 mit gefälschtem brasilianischem Reisepass mit einem Flugzeug nach Österreich gekommen.

Am 24.04.2018 wurde der BF vor dem BFA vernommen und er gab zusammengefasst an, er habe in Syrien zuletzt in Aleppo, im Stadtteil Al-Midan, im Viertel Suq Al-Arman, bis März 2016 gewohnt. Das Haus sei am Karfreitag 2015 durch Kriegshandlungen zerstört worden. Die letzten 10 bis 11 Monate habe er mit seiner Frau und seiner Tochter bei einer Nachbarin im selben Haus im 2. Stock gewohnt. Im März 2016 seien zwei maskierte Männer zu ihm in die Ordination gekommen, die eine Kalaschnikow und eine Machete dabei gehabt hätten. Seine muslimische Krankenschwester habe den Männern gesagt, sie sollten den Propheten preisen. Die Männer hätten daraufhin gesagt, sie würden den BF wegen dieser muslimischen reinen Frau heute nicht abschlachten. Genau könne er nicht sagen, zu welcher Gruppe die beiden Männer gehört hätten. Er sei in ein Taxi eingestiegen und in die Kirche zu seiner Ehefrau gefahren. Der Priester habe vorgeschlagen, dass der BF als erster Ausreise und seine Familie später nachfolge. Seine Frau sei bis März 2018 in der Kirche geblieben. Diese und ihre Tochter warteten nunmehr im Libanon auf eine Familienzusammenführung. Er habe seinen Militärdienst von Oktober 1996 bis Mai 1999 abgeleistet. Im Falle einer Rückkehr fürchte er um sein Leben. Früher habe es Islamistengruppen gegeben, jetzt seien die Türken in der Nähe. Es gäbe großes Misstrauen zwischen Türken und Armeniern. Im Falle einer Rückkehr würde er vom Regime eingezogen werden, weil diese seine Dienste benötigten. Er gehöre einer religiösen Minderheit an. Der BF legte hierzu zahlreiche Urkunden vor, die samt vom BFA veranlasster Übersetzung im Akt erliegen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt III.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung zunächst bis zum 30.11.2019 erteilt, (Spruchpunkt III.). Begründend wurde ausgeführt, der BF habe nicht glaubhaft machen können, im Herkunftsstaat einer hinreichend intensiven GFK-relevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Er habe Syrien wegen des Bürgerkriegs und der allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation verlassen. Der Vorfall hinsichtlich einer Bedrohung durch zwei maskierte bewaffnete Männer in seiner Zahnarztordination sei glaubhaft. Zum Ausreisezeitpunkt sei keine Rekrutierungsabsicht seitens des syrischen Militärs gegenüber dem BF vorgelegen. Eine Gefährdung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit als Christ habe nicht festgestellt werden können. Dem festgestellten Vorfall komme keine Asylrelevanz zu, weil es sich um eine einmalige, zufällige Bedrohung gehandelt habe.

Lediglich gegen Spruchpunkt I. des Bescheides richtet sich die Beschwerde des BF wegen "Verletzung von Verfahrensvorschriften, Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung" mit dem Antrag, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Am 04.03.2019 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF als Partei vernommen wurde.

Die Beschwerde ist nicht berechtigt:

Aufgrund des Akteninhaltes im Zusammenhalt mit den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung steht folgender Sachverhalt fest:

Zur hier relevanten Situation in Syrien:

Politische Lage:

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten. Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt. Es gibt weiterhin Landesteile, in denen die syrische Regierung effektiv keine Kontrolle ausübt. Diese werden entweder durch Teile der Opposition, kurdische Einheiten, ausländische Staaten oder auch durch terroristische Gruppierungen kontrolliert.

Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit 1970, als Hafez al-Assad sich durch einen Staatsstreich zum Herrscher Syriens machte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad, diese Position. Seit der Machtergreifung Assads haben weder Vater noch Sohn politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt. 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten, wodurch dieser für weitere 7 Jahre im Amt bestätigt wurde. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten. Sie wurde von der EU und den USA als undemokratisch kritisiert, die syrische Opposition sprach von einer "Farce". Am 13. April 2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden.

Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Op-position bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrol-lierten Gebieten stattfand, als "Farce". Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht an-zuerkennen. Mitte September 2018 wurden in den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten zum ersten Mal seit 2011 wieder Kommunalwahlen abgehalten. Der Sieg von Assads Baath Partei galt als wenig überraschend. Geflohene und IDPs waren von der Wahl ausgeschlossen.

Mit russischer und iranischer Unterstützung hat die syrische Regierung mittlerweile wieder große Landesteile von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen zurückerobert. Trotz der großen Gebietsgewinne durch das Regime besteht die Fragmentierung des Landes in Gebiete, in denen die territoriale Kontrolle von unterschiedlichen Gruppierungen ausgeübt wird, weiter fort. Die Provinz Idlib im Norden Syriens an der Grenze zur Türkei wird derzeit noch von diversen Rebellengruppierungen kontrolliert. Im Norden bzw. Nordosten Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen.

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden. Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt .

Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers.

Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours. Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert (AA 13.11.2018). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas.

Die Partei der Demokratischen Union (PYD) ist die politisch und militärisch stärkste Kraft der syrischen Kurden. Sie gilt als syrischer Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiter-partei Kurdistans (PKK). Im März 2016 wurde in dem Gebiet, das zuvor unter dem Namen "Rojava" bekannt war, die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin im Nordwesten Syriens ist territorial nicht mit den beiden anderen Kantonen Jazira und Kobane verbunden und steht seit März 2018 unter türkischer Besatzung.

Nordwestsyrien

Die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz.

Anfang Januar 2019 drängte die Jihadistenallianz Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) die protürkische National Liberation Front (NLF) zurück (DZO 8.3.2019) und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen (DP 10.1.2019).

Im Mai 2017 wurde durch eine Vereinbarung zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, eine Deeskalationszone eingerichtet, die ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch, und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte dieser Deeskalationszone zurück (CRS 2.1.2019). Anfang September 2018 erfolgte eine neue Welle von Luftangriffen auf die Provinz Idlib. Russland und Iran bekräftigten ihre Absicht, gemeinsam mit der syrischen Regierung in Idlib anzugreifen. Die Türkei stellte sich dagegen (Presse 9.9.2018). Mitte September einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib (Reuters 26.10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019). Es wurde verhandelt, dass diese 15 bis 20 Kilometer breit sein soll, schwere Waffen abgezogen werden und Kämpfer der radikal-islamistischen HTS die Zone verlassen sollen. Die Schaffung der Zone sollte bis Mitte Oktober abgeschlossen sein (ORF 18.9.2018). Die Türkei war mit der Sicherstellung des Abzugs der Rebellen und schwerer Waffen betraut (DW 9.10.2018; vgl. HRW 9.10.2018). So konnte die Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei die befürchtete Regimeoffensive auf Idlib vorerst abwenden (IFK 10.2018; vgl. UNHRC 31.1.2019). Trotz anfänglicher Zurückhaltung konnte die Türkei bis Oktober 2018 den schrittweisen Abzug schwerer Waffen in die Wege leiten und erklärte die entmilitarisierte Zone für errichtet. Im November flammten jedoch die Konflikte zwischen regierungstreuen Einheiten und HTS wieder auf.

Im Februar 2019 kam es zu erneuten Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib (ISW 7.3.2019) und im März 2019 erstmals seit September 2018 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz Idlib (DS 14.3.2019). Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus (DS 8.5.2019). Seit Beginn der Kämpfe bis Juni 2019 wurden laut Vereinten Nationen geschätzte 330.000 Personen vertrieben und etwa 2.000 Personen, darunter 532 Zivilisten, wurden auf beiden Seiten des Konfliktes getötet. Mehrere Gesundheitseinrichtungen wurden zum Ziel von Angriffen.

Auf Grund der erwähnten militärischen Auseinandersetzungen in und um Idlib ist die Sicherheitssituation im Nordwesten laut Auskunft der ÖB Damaskus sehr schwierig. In der Stadt Aleppo selbst hat sich die Sicherheitslage auf Grund des Spillover des Konfliktes in Idlib wieder verschlechtert; es kommt vermehrt zu Artilleriebeschuss, der den westlichen Teil der Stadt tangiert. Neben politisch motivierten Verhaftungen durch die HTS kommt es in den Regionen Idlib und Aleppo auch zu Entführungen mit Lösegeldforderungen durch bewaffnete Gruppen. Auch in der türkisch kontrollierten Grenzregion kommt es zu Anschlägen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) auf türkische Streitkräfte bzw. mit ihnen alliierte Milizen.

Türkische Militäroperationen in Nordsyrien

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation "Euphrates Shield" in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit.

Am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin (DS 20.1.2018; vgl. DZO 23.1.2018, HRW 17.1.2019). Die Operation "Olivenzweig" begann mit Artillerie- und Luftangriffen auf Stellungen der YPG in der Region Afrin, denen eine Bodenoffensive folgte (Presse 24.1.2018). Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) Afrin ein (Bellingcat 1.3.2019). Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin (HRW 17.1.2019). Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind (Bellingcat 1.3.2019). Von der Unabhängigen Untersuchungskommission für Syrien des UN-Menschenrechtsrates wird die Sicherheitslage in der Gegend von Afrin als prekär bezeichnet.

Nachdem US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits will die Türkei mit Hilfe der Offensive die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits ist das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund 2 der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen (CNN 11.10.2019). Nach etwa einer Woche waren die US-Streitkräfte aus Nordsyrien abgezogen (DS 17.10.2019). Den Vereinten Nationen zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen Todesfällen (UN News 14.10.2019). Aufgrund der Offensive gibt es Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) kommt (TWP 15.10.2019). Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager Ain Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen (DS 13.10.2019). Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht.

Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14. Oktober in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der "türkischen Aggression" entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten (DS 15.10.2019). Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein.

Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien

Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten (DIS/DRC 2.2019).

Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. Der Norden sieht sich gleichwohl mit einem gelegentlichen "Spillover" von Idlib aus konfrontiert. So gibt es aktuell im ländlichen Lattakia Auseinandersetzungen zwischen syrischer Armee und Rebellen. In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus und Homs stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen zumeist auf regierungsnahe Personen kommt (ÖB 7.2019).

Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist (DIS/DRC 2.2019).

In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (Presse 1.4.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt (DS 15.4.2018; vgl. SD 12.4.2018). Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen (DSO 21.5.2018; vgl. ISW 1.6.2018). Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert (DIS/DRC 2.2019). Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten (DIS/DRC 2.2019; vgl. TN 20.1.2019). Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist (DIS/DRC 2.2019).

Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen (CRS 2.1.2019), bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen (AJ 5.2.2019). Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen (Jane's 14.1.2019). Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien (DS 21.1.2019). Laut dem pensionierten Generalstabsschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen (TNYT 11.1.2019). Syrischen Staatsmedien zufolge wurden Anfang Juli 2019, bei israelischen Luftangriffen nahe der Hauptstadt Damaskus und in der Provinz Homs, vier Zivilisten getötet und 21 Personen verletzt (DS 1.7.2019).

Folter und unmenschliche Behandlung

Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet. Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzte Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche De-monstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künst-lich für Feindschaft und Konkurrenz zwischen ihnen.

Um die Loyalität zu sichern wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen, was für diese eine enorme Geldquelle darstellt. NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden. Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungs-feindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren. Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik.

Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Mi-litärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte De-monstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Ein-richtungen festgehalten werden. Die Regierung hält weiterhin tausende Personen ohne An-klage und ohne Kontakt zur Außenwelt fest. Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken. In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines "Freilassungsabkommens" auszutauschen.

Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt - wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher To-desursachen (Herzinfarkt, etc.).

Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häu-figste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung. Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien. Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon um-gekommen. Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt. Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Perso-nen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen.

Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen

Die syrische Regierung hat schon vor dem Ausbruch des aktuellen Konflikts abweichende po-litische Meinungen nicht bzw. nur in sehr begrenztem Umfang geduldet. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen der Opposition und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände reagierte die Regierung Berichten zufolge mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Bei der Frage, wo die politische Opposition beginnt, wendet die Regierung laut Berichten sehr weite Kriterien an: Kritik, Widerstand oder schon unzureichende Loyalität gegenüber der Regierung in jeglicher Form - so auch friedliche Proteste, die organisiert oder spontan im Rahmen einer politischen Partei oder auf individueller Ebene virtuell im Internet oder auf der Straße kundgetan wurden - führten Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Mitglieder oppositioneller Parteien, Teilnehmer von Protesten gegen die Regierung, Aktivisten, Wehrdienstentzieher und Deserteure, bestimmte Berufsgruppen (z.B. Journalisten und Bürgerjournalisten, Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen, Ärzte, Hochschuldozenten) und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, durch Vergeltungsmaßnahmen in Form von Reiseverboten, Enteignungen, Zerstörung ihres Privateigentums, Zwangsvertreibungen, willkürlichen Verhaftungen, Isolationshaft, Folter und sonstigen Formen der Misshandlung sowie summarischen und extra-legalen Hinrichtungen bestraft wurden. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden Berichten zufolge häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Seit 2011 wird in zahlreichen Berichten von weitverbreiteten und systematischen willkürlichen Festnahmen und dem Verschwindenlassen von Männern und männlichen Jugendlichen berichtet, wovon insbesondere, jedoch nicht ausschließlich, sunnitische Araber aus Gebieten betroffen sind, die derzeit oder früher von oppositionellen bewaffneten Gruppen kontrolliert werden bzw. wurden. Berichten zufolge werden sie aufgrund ihrer vermeintlichen Teilnahme an Kämpfen gegen die Regierung, ihrer vermeintlichen Unterstützung bewaffneter Gruppen oder ganz allgemein wegen ihrer vermeintlich oppositionellen Ansichten ins Visier genommen. Die Festnahmen beruhen laut Meldungen oft allein darauf, dass ein Mann oder Junge aus einem Gebiet stammt, das mit der Opposition in Verbindung gebracht wird. Die weitverbreiteten Festnahmen finden Berichten zufolge vor allem an Kontrollstellen, bei Razzien in wiedereroberten Gebieten und bei Evakuierungen statt, jedoch auch an öffentlichen Orten (einschließlich Krankenhäusern, Behörden, Flughäfen und Grenzübergängen). Bei Männern, die sich dem Wehrdienst entzogen haben oder desertiert sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Oppositionelle wahrgenommen und verhaftet, zwangsrekrutiert und schwer misshandelt werden. Wie aus Berichten hervorgeht, meiden deshalb syrische Männer im wehrfähigen Alter - so auch männliche Jugendliche - Kontrollstellen der Regierung, da sie befürchten, misshandelt und getötet zu werden oder unter Zwang zu verschwinden.

Berichten ist zu entnehmen, dass die Regierung im Allgemeinen weiterhin Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zu-mindest zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, mit der bewaffneten Opposition in Ver-bindung bringt. Dies ist Berichten zufolge Teil einer umfassenden Politik, die Zivilpersonen aufgrund ihrer Verbindungen ins Visier nimmt, wenn sich die Betroffenen in einem Gebiet aufhalten oder aus einem Gebiet stammen, das als regierungsfeindlich angesehen wird und/o-der dem Lager der bewaffneten Opposition zugerechnet wird. Es wurde gemeldet, dass Zivilpersonen in diesen Gebieten zahlreichen Bestrafungen unterzogen wurden. Dies beinhaltet Massenverhaftungen, Folter, sexuelle Gewalt insbesondere der Einsatz von Vergewaltigungen als Kriegswaffe, extra-legale Hinrichtungen durch die Streitkräfte der Regierung und regierungsnahe Gruppen im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen sowie umfassenden Artilleriebeschuss und Luftangriffe.

Es wurde gemeldet, dass die Regierung zahlreiche Gebiete, die unter der Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, belagert hat und auf diese Weise Zivilpersonen von der Grundversorgung - z. B. von Lebensmitteln und medizinischer Versorgung - abgeschnitten hat. Personen, die Nahrungsmittel oder andere Grundversorgungsgüter in belagerte Gebiete transportierten oder versuchten, aus einem belagerten Gebiet zu fliehen, wurden Berichten zufolge schikaniert, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die Belagerungstaktik der Regierung in Gebieten, die von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrolliert werden, zielt Berichten zufolge darauf ab, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten zu bestrafen, die Unterstützung der bewaffneten Regierungsgegner in der Bevölkerung zu unterminieren und Zivilisten und Kämpfer zum Aufgeben zu zwingen.

Laut Berichten sind die Regierungstruppen im Rahmen lokaler Waffenstillstandsvereinbarun-gen zunehmend dazu übergegangen, die Zivilbevölkerung aus belagerten, von bewaffneten oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten zu evakuieren, nachdem sie diese Gebiete zuvor über lange Zeiträume belagert und bombardiert haben. Im Rahmen von lokalen Waf-fenstillstandsvereinbarungen in Barza, Tishreen, Qabun und den "Vier Städten" (Madaya und Zabadani in der Provinz Damaskus-Umgebung und Fu'ah und Kefraya in der Provinz Idlib) hat die unabhängige internationale Untersuchungskommission dokumentiert, wie regierungs-nahe Truppen von einzelnen Personen, die sich ergeben hatten, verlangt haben, sich einem Versöhnungsverfahren zu unterziehen und der Regierung Treue zu geloben, damit sie in den betreffenden Gebieten bleiben können, während oppositionelle Einzelpersonen und Kämpfer von diesem Verfahren ausgeschlossen wurden und im Rahmen von organisierten Evakuierun-gen aus den Gebieten deportiert wurden.

Laut der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission werden solche Evakuie-rungen von der Regierung strategisch eingesetzt, um Bevölkerungstransfers auf der Grundlage politischer Loyalitäten zu erzwingen und die (vermeintlichen) Anhänger der Opposition in ein Gebiet im Nordosten des Landes zu verbannen. Die Untersuchungskommission stellt fest, dass die Evakuierungen in einigen Fällen mit Zwangsvertreibungen von Zivilpersonen gleichzusetzen sind. In Gebieten, die die Regierung von bewaffneten oppositionellen Gruppen zurückerobert hat, hat sie Berichten zufolge zahlreiche Personen verhaftet, insbesondere Männer und Jungen über zwölf Jahren, von denen sie vermutete, dass sie die oppositionellen Gruppen unterstützen oder mit ihnen sympathisieren.

(UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 5. aktualisierte Fassung, Stand:

November 2017, Punkt III. A. 1.)

Ethnische und religiöse Minderheiten:

In Syrien gibt es keine offizielle Staatsreligion, wobei die Verfassung jedoch vorsieht, dass der syrische Präsident Muslim sein muss. Die anhaltende Vertreibung der syrischen Bevölkerung führt zu einem gewissen Grad an Unsicherheit, was demographische Daten betrifft. Schätzungen der US-Regierung zufolge dürften die Sunniten 74% der Bevölkerung stellen, wobei diese sich unter anderem aus arabischen, kurdischen, tscherkessischen, tschetschenischen und turkmenischen Bevölkerungsanteilen zusammensetzen. Andere muslimische Gruppen, einschließlich Alawiten, Ismailiten und Zwölfer Schiiten machen zusammen 13% aus, die Drusen 3%. Verschiedene christliche Gruppen bilden die verblei-benden 10%. ...

Religiöse bzw. interkonfessionelle Faktoren spielen auf allen Seiten des Konfliktes eine Rolle, doch fließen auch andere Faktoren im Kampf um die politische Vormachtstellung mit ein. Die Gewalt von Seiten der Regierung gegen Oppositionsgruppen aber auch Zivilisten weist sowohl interkonfessionelle Elemente als auch Elemente ohne interkonfessionellen Bezug auf. Beobachtern zufolge ist die Vorgehensweise der Regierung gegen Oppositionellengruppen, welche die Vormachtstellung der Regierung bedrohen, nicht in erster Linie konfessionell motiviert, doch zeige sie interkonfessionelle Auswirkungen.

So versucht die syrische Regierung konfessionell motivierte Unterstützung zu gewinnen, in-dem sie sich als Beschützerin der religiösen Minderheiten vor sunnitisch-extremistischen Gruppen darstellt, während sie aber gleichzeitig auch radikale sunnitische Gruppen unter-stützt und Religionsgemeinschaften kontrolliert. Manche Rebellengruppen bezeichnen sich in Statements und Veröffentlichungen explizit als sunnitische Araber oder sunnitische Islamisten und haben eine fast ausschließlich sunnitische Unterstützerbasis. Dies gibt dem Vorgehen der Regierung gegen oppositionelle Gruppen auch ein konfessionelles Element. Der Einsatz von schiitischen Kämpfern, z.B. aus Afghanistan, um gegen die mehrheitlich sunnitische Opposition vorzugehen, verstärkt zusätzlich die konfessionellen Spannungen. Laut Experten stellt die Regierung die bewaffnete Opposition auch als religiös motiviert dar, indem sie diese mit extremistischen islamistischen Gruppen und Terroristen in Zusammenhang setzt, welche die religiösen Minderheiten sowie die säkulare Regierung eliminieren wollen.

Dies führte dazu, dass manche Führer religiöser Minderheitengruppen der Regierung Präsi-dent Assads ihre Unterstützung aussprechen, da sie diese als ihren Beschützer gegen gewalt-tätige sunnitisch-arabische Extremisten sehen. Die Minderheiten sind in ihrer Einstellung der syrischen Regierung gegenüber allerdings gespalten. Auch die Alawiten sind in ihrer Unter-stützung bzw. Ablehnung der syrischen Regierung nicht geeint.

Manche Mitglieder der Minderheiten sehen die Regierung als Beschützer, andere sehen einen Versuch der Regierung, die Minderheiten auszunutzen, um die eigene Legitimität zu stärken, indem zum Beispiel konfessionell motivierte Propaganda verbreitet, und so die Ängste der Minderheiten geschürt werden und deren empfundene Vulnerabilität vertieft wird. So werden Berichten zufolge auch alawitische oppositionelle Aktivisten Opfer von willkürlichen Verhaftungen, Folter und Mord durch die Regierung. Alawitische Gemeinden und schiitische Minderheiten werden aufgrund ihrer wahrgenommenen Unterstützung des Regimes außerdem zu Opfern von Angriffen durch aufständische extremistische Gruppen. Sunnitische Araber sehen viele der syrischen Christen, Alawiten und schiitischen Muslime aufgrund ihrer fehlenden Unterstützung oder Neutralität gegenüber der syrischen Revolution als mit der syrischen Regierung verbündet an.

In den unter Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates (IS) oder der Gruppierung Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) stehenden Gebieten wurden Schiiten, Alawiten, Christen und andere Minderheiten sowie auch Sunniten, die gegen deren strikte Auslegung des Islam verstießen, Zielscheibe von Tötung, Entführung, Verhaftung oder Misshandlung.

Christen wurden gezwungen eine Schutzsteuer zu zahlen, zu konvertieren oder liefen Gefahr getötet zu werden.

Wehrdienst:

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert.

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Been-digung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Be-rufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den ak-tiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden.

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Mi-litärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen.

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen. Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienst-pflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Den Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht. Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen.

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren inner-halb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen.

Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausge-setzt waren. Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder ein Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert, den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden.

Zusatzinformationen zum Reservedienst:

Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen. Wehrdienst-verweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft. Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab.

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine straf-rechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen "terroristische" Bedrohungen zu schützen.

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt. Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte "externe Desertion"), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt. Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armee-angehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen. In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden. Berichten zufolge wurden sol-he Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen. Auch in den "versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt.

Befreiung und Aufschub:

Der einzige Sohn einer Familie, Studenten oder Regierungsangestellte können vom Wehr-dienst befreit werden oder diesen aufschieben. Auch medizinische Gründe können Befreiung oder Aufschub bedingen. Diese Ausnahmen sind theoretisch immer noch als solche definiert, in der Praxis gibt es jedoch mittlerweile mehr Beschränkungen und es ist unklar, wie die ent-sprechenden Gesetze derzeit umgesetzt werden. Es scheint, dass es schwieriger wird, einen Aufschub zu erlangen, je länger der Konflikt andauert. Das Risiko der Willkür ist immer gege-ben. Seit einer Änderung des Gesetzes über den verpflichtenden Wehrdienst im Juli 2019 ist die Aufschiebung des Militärdienstes jedenfalls nur bis zum Alter von 37 Jahren möglich, zu-dem kann die Aufschiebung durch Befehl des Oberbefehlshabers beendet werden. Unbestä-tigte Berichte legen nahe, dass der Geheimdienst innerhalb kurzer Zeit über den Wegfall von Aufschubgründen informiert ist, und diese auch digital überprüft werden. Zuvor mussten Studenten den Status ihres Studiums selbst dem Militär melden, mittlerweile wird der Status der Studenten jedoch aktiv überprüft. Generell werden Universitäten nun strenger überwacht und von diesen wird nun verlangt, dass sie das Militär über die Anwesenheit bzw. Abwesenheiten der Studenten informieren. Einem Bericht zufolge gibt es nun in Bezug auf ein Studium als Befreiungsgrund auch Altersgrenzen für den Abschluss des Studiums. Ein weiterer Bericht gibt an, dass gelegentlich Studenten trotz einer Befreiung bei Checkpoints rekrutiert wurden.

Syrische Männer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis im Ausland können sich gegen Zah-lung eines "Wehrersatzgeldes" vom Wehrdienst befreien lassen. Laut Wehrpflichtgesetz Art. 46 von 2012 beträgt diese Zahlung je nach Wohnort zwischen 4.000 und 5.000 USD. Gemäß Gesetz Nr. 33 vom August 2014 müssen bei einem Auslandsaufenthalt von über vier Jahren 8.000 USD bezahlt werden. Für im Ausland geborene und weiterhin wohnhafte Syrer im wehrpflichtigen Alter beträgt diese Zahlung 2.500 USD. Es ist jedoch nicht bekannt, ob dies auch für syrische Männer gilt, die seit Beginn des Bürgerkriegs ins Ausland geflüchtet sind.

Es gibt Beispiele, wo Männer sich durch die Bezahlung von Bestechungsgeldern vom Wehrdienst freigekauft haben, was jedoch keineswegs als einheitliche Praxis betrachtet werden kann. So war es vor dem Konflikt gängige Praxis sich vom Wehrdienst freizukaufen, was einen aber nicht davor schützt, im Zuge des aktuellen Konfliktes - manchmal sogar Jahre danach - trotzdem eingezogen zu werden. Christliche und muslimische religiöse Führer können weiterhin vom Militärdienst befreit werden, wobei muslimische Führer dafür eine Abgabe bezahlen müssen. Es gibt Berichte, dass in einigen ländlichen Gebieten Mitgliedern der religiösen Minderheiten die Möglichkeit geboten wurde, sich lokalen regierungsnahen Milizen anzuschließen anstatt ihren Wehrdienst abzuleisten. In den Städten gab es diese Möglichkeit im Allgemeinen jedoch nicht und die Mitglieder der Minderheiten wurden unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund zum Militärdienst eingezogen. Von Staatsangestellten wird erwartet, dass sie dem Staat zur Verfügung stehen. Laut Legislativdekret Nr. 33 von 2014 wird das Dienstverhältnis von Staatsangestellten beendet, wenn sie sich der Einberufung zum Wehr- oder Reservedienst entziehen. Hierzu gab es Ende 2016 ein Dekret, welches jedoch nicht umfassend durchgesetzt wurde. Im November 2017 gab es eine erneute Direktive des Premierministers, der bereits eine nicht bekannte Anzahl von Entlassungen folgte.

Amnestien:

Seit 2011 hat der syrische Präsident für Mitglieder bewaffneter oppositioneller Gruppen, Wehrdienstverweigerern und Deserteuren eine Reihe von Amnestien erlassen, die Straffrei-heit vorsahen, wenn sie sich innerhalb einer bestimmten Frist zum Militärdienst melden. So erließ die syrische Regierung im Oktober 2018 das Präsidialdekret Nr. 18/2018, welches De-serteuren und Wehrdienstverweigerern im In- und Ausland Straffreiheit gewähren soll, aus-genommen "Kriminelle", sowie Personen, die auf Seite der bewaffneten Opposition gekämpft haben. Deserteure und Wehrdienstverweigerer in Syrien hatten laut Dekret vier Monate Zeit, sich bei den Behörden zu melden, jene im Ausland sechs Monate. Die Wehrpflicht ist jedoch laut Gesetz auch nach Inanspruchnahme der Amnestie noch abzuleisten. Diese Amnestie ist inzwischen ausgelaufen. Eine Verlängerung der Amnestie wurde immer wieder kolportiert, ist aber bisher nicht erfolgt. Zur Amnestie vom 17. Februar 2016 für Deserteure, Wehrdienstverweigerern und Reservisten gibt es keine Informationen darüber, wie viele Personen diese genutzt haben. In manchen Fällen wurden Personen aus der Haft entlassen, wobei die Regierung danach eine erneute Welle von Verhaftungen durchführte. Menschenrechtsorganisationen und Beobachter haben diese Amnestien wiederholt als intransparent und unzureichend kritisiert, sowie als bisher wirkungslos. Die Behörden haben viele Personen, die im Rahmen von früheren Amnestien freigelassen wurden oder Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterzeichnet hatten, später erneut inhaftiert.

Personen, die sich einem Schießbefehl widersetzten, desertierten oder einer geplanten De-sertion verdächtigt wurden, werden in der Regel nicht formell angeklagt. Stattdessen wurden sie entweder zum Zeitpunkt der Desertion umgehend hingerichtet oder willkürlich inhaftiert, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und extralegal hingerichtet. Andere wurden nach einer Untersuchung zurück in ihre Einheit geschickt. Regierungskräfte griffen bei Verhaftungskampagnen in Gebieten, in denen ihrer Wahrnehmung nach die Opposition unterstützt wurde, gezielt Angehörige von Deserteuren heraus. Das Eigentum von Deserteuren wurde durch Plünderung und Brandstiftung zerstört. Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben.

Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandte) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln.

Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/o-der mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungs-feindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.

(UNHCR-Bericht: Relevante Herkunftslandinformationen zur Unterstützung der Anwendung des UNHCR-Länderleitfadens für Syrien; Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Syrien - "illegale Ausreise" aus Syrien und verwandte Themen, Stand:

Februar 2017, S. 12f. und S. 22ff.)

Rückkehr:

Im Juli 2018 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,5 Millionen Menschen. Die Zahl der Binnenvertriebenen belief sich im September 2018 auf insgesamt 6,2 Millionen Menschen. 2018 sind insgesamt etwa 1,2 bis 1,4 Millionen IDPs in Syrien zurückgekehrt. Mit März 2019 waren 5.681.093 Personen in den Nachbarländern Syriens und Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert. 2018 sind laut UNHCR insgesamt etwa 56.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt. Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind.

Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des Rückkehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar und es herrschen weiterhin Zugangsbeschränkungen und Beschränkungen bei der Datenerhebung für UNHCR. Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig, und über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse.

Das Fehlen von vorhersehbarer und nachhaltiger physischer Sicherheit in Syrien ist der Hauptfaktor, der die Rückkehrvorhaben von Flüchtlingen negativ beeinflusst. Weiters werden das Fehlen einer adäquaten Unterkunft oder Wohnung oder fehlende Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu sichern als wesentliche Hindernisse für die Rückkehr genannt. Als wichtiger Grund für eine Rückkehr wird der Wunsch nach Familienzusammenführung genannt. Rückkehrüber-legungen von syrischen Männern werden auch von ihrem Wehrdienststatus beeinflusst. Es ist schwierig Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer, oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern. Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt sind. Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namens-gleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren.

Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person diese Tätigkeit in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet ausgeführt hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien wie Angriffe der Regierung verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt. Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen, kann den Verdacht des Kontrollpersonals wecken. Es wird regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird. Diese Berichte erscheinen laut deutschem Auswärtigen Amt glaubwürdig, können im Einzelfall aber nicht verifiziert werden.

Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, exilpolitische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten. Es gibt Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in Deutschland lebende Verwandte ausüben. Die syrische Regierung hat Inte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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