Entscheidungsdatum
10.03.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W108 2209285-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Syrien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2018, Zl. 1205577508-180851030/BMI-BFA_WIEN_AST_04, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang, Sachverhalt und Vorbringen:
1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige und Zugehörige der Volksgruppe der Araber, stellte am 07.09.2018 den Antrag, ihr internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 (AsylG) zu gewähren (in der Folge auch Asylantrag).
Die Beschwerdeführerin gab im Zuge der Erstbefragung an, im August 2018 illegal aus Syrien ausgereist zu sein. Ihre Familie habe den Ort XXXX in Ostsyrien (in der Folge Ort A.) vor ca. 4 Monaten verlassen, weil sie dort vom IS bedroht worden sei. Zunächst sei sie mit ihrer Familie nach XXXX in Nordsyrien (in der Folge Ort B.) gegangen, dort hätten unbekannte Milizen gewollt, dass die Familie die Beschwerdeführerin aushändigt, ansonsten hätten sie die Beschwerdeführerin entführen wollen. Ihr Vater sei sogar mit dem Umbringen bedroht worden.
Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) schilderte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes:
Sie sei syrische Staatsangehörige, Zugehörige der Volksgruppe der Araber, muslimisch-sunnitischen Glaubens und stamme aus dem Ort A.. Den derzeitigen Aufenthaltsort ihrer Eltern kenne sie nicht. Sie sei ledig, habe keine Kinder und lebe mit ihrem Cousin XXXX , geb. XXXX , der in Österreich als Flüchtling anerkannt worden sei, in einer Partnerschaft. Sie habe zwei Schwestern und einen Bruder, wobei eine Schwester noch in Syrien in der Stadt XXXX lebe. Die anderen beiden Geschwister seien mit den Eltern aus Syrien ausgereist und befänden sich auf der Flucht. Befragt nach den Fluchtgründen brachte die Beschwerdeführerin vor, dass in A. Krieg zwischen dem IS und der Regierung herrsche. Jede Gruppe wolle sich die Frauen nehmen und ihre Familie sei infolgedessen von A. in den Ort B. gereist. Dort seien jedoch auch Milizen gewesen, welche die Beschwerdeführerin hätten mitnehmen wollen. Sie hätten ihrem Vater gedroht. Sie hätte mit ihren Eltern und ihrer Schwester von B. in die Türkei flüchten wollen, aber an der Grenze habe die syrische Armee auf sie geschossen und ihre Schwester dabei getroffen. Die Beschwerdeführerin habe zurückgehen wollen, aber ihr Vater hätte ihr gesagt, sie solle weiter in Richtung Türkei gehen. Der IS und die Milizen würden die Mädchen vergewaltigen und das hätte für sie den Tod bedeutet. Weder sie noch ihre Familienangehörigen seien in Syrien persönlich bedroht worden oder politisch bzw. religiös tätig gewesen.
2. Mit dem nunmehr vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) ab, erkannte der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 13.10.2019 (Spruchpunkt III.).
Die belangte Behörde führte begründend aus, die Beschwerdeführerin habe mit ihrem Vorbringen, Syrien wegen des Krieges verlassen zu haben, keine Fluchtgründe gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) geltend gemacht. Sie habe nicht glaubhaft machen können, dass sie in Syrien asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. sie eine solche Verfolgung zukünftig zu befürchten hätte. Konkret dazu befragt, ob jemals eine persönliche Bedrohung stattgefunden hätte, habe die Beschwerdeführerin dies ausdrücklich verneint. Sie sei auch keiner staatlichen Verfolgung gegenübergestanden und auch nie in Haft gewesen. Daraus sei zu schließen, dass es sich um bloße Rückkehrbefürchtungen, jedoch um keine konkrete Verfolgung handle.
3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides (Versagung des Asylstatus) richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG.
Die Beschwerdeführerin sei syrische Staatsangehörige und habe ihre Heimat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch den IS und unbekannte bewaffnete Gruppen, sowie mangels der Fähigkeit des syrischen Regimes, sie vor Übergriffen - sowohl von privater als auch von staatlicher Seite - zu schützen, verlassen, weshalb sie Flüchtling im Sinne der GFK sei. Die Gründe für das Verlassen Syriens habe sie ausführlich dargelegt, die belangte Behörde habe ihr jedoch die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Die Art und Weise, in welcher die Behörde das getan habe, entspreche nicht den Anforderungen der amtswegigen Ermittlungspflicht. Die Beschwerdeführerin habe mit ihrer Familie A. Richtung B. verlassen, weil sie vom IS mit Entführung und Vergewaltigung bedroht worden sei. Der IS habe durch Bekannte den Vater der Beschwerdeführerin aufgefordert, ihm seine Töchter zur Verfügung zu stellen, und habe ihm im Falle der Verweigerung auch mit dem Tod bedroht. Die Familie sei noch am selben Tag der Bedrohung ohne Hab und Gut von A. in Richtung B. geflüchtet, weil die Angst zu groß gewesen sei, dass die Töchter wie die drei Freundinnen der Beschwerdeführerin jederzeit vom IS entführt und vergewaltigt werden könnten. Die belangte Behörde habe in ihrer Entscheidung die persönliche Verfolgung der Beschwerdeführerin als Frau durch den IS in A. sowie durch die bewaffnete Gruppierung in B. nicht gewürdigt. Die Beschwerdeführerin habe sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme angegeben, Syrien aufgrund der direkten und persönlichen Bedrohung ihrer Person als auch ihrer Familie durch den IS und andere bewaffnete Gruppierung verlassen zu haben. In der Einvernahme habe die Beschwerdeführerin die ihr gestellte Frage, ob sie in Syrien persönlich verfolgt und bedroht worden sei, verneint. Dazu wolle die Beschwerdeführerin anmerken, dass der Dolmetscher die Frage anders formuliert und gefragt habe, ob die Beschwerdeführerin jemals persönlich vom Regime verfolgt und bedroht worden sei. Auf die Frage, was sie im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien befürchten würde, habe sie auch angegeben, dass sie Angst vor Entführung und Vergewaltigung habe, sowohl durch den IS als auch durch die bewaffnete Gruppierung, sowie durch das Regime. Die Beschwerdeführerin habe in der Einvernahme auch angegeben, dass die Familie keine Möglichkeit gehabt habe, innerhalb Syriens zum Beispiel nach Damaskus oder in andere Regimegebiete zu flüchten, da das Regime die Kontrolle habe und die Familie unter einem pauschalen Verdacht stehen würde, Anhänger des IS zu sein, weil sie aus dem Gebiet XXXX , Dorf A., stammen würden. Diese Angaben seien nicht protokolliert worden. Weiters brachte die Beschwerdeführerin vor, dass Frauen in Syrien ständiger Gewalt, Diskriminierung und starken Einschränkungen ihrer Rechte ausgesetzt seien. Vergewaltigungen seien weit verbreitet und würden sowohl von der Regierung und deren Verbündeten als Bestrafung oder Terrorisierung gegen Oppositionelle als auch vom IS eingesetzt werden. Sowohl an Checkpoints, die durch verschiedene bewaffnete Gruppierungen kontrolliert würden, als auch bei Hausdurchsuchungen durch Sicherheitskräfte komme es zu Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen. Frauen seien somit in Syrien schweren geschlechterspezifischen Verfolgungs- und Unterdrückungsmaßnahmen ausgesetzt, die der Verfolgung einer sozialen Gruppe gleichkomme.
4. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
5. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache der Beschwerdeführerin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher sich die Beschwerdeführerin und Vertreter der belangten Behörde beteiligten.
Die Beschwerdeführerin sagte in der Beschwerdeverhandlung u.a. aus, dass ihre Familie nach der Flucht aus A. die syrisch-türkische Grenze zu Fuß habe überqueren wollen. Sie seien zu Fuß unterwegs gewesen, als auf sie geschossen worden sei, wobei die Schwester der Beschwerdeführerin getroffen worden sei. Die Eltern der Beschwerdeführerin seien ihr zu Hilfe geeilt, die Beschwerdeführerin sei jedoch weitergegangen. Seitdem habe sie nichts mehr von ihrer Familie gehört. Ob sich dieser Vorfall bereits auf türkischem Staatsgebiet ereignet habe, wisse sie nicht. Sie sei in Syrien einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt, weil ihre Familie während der Revolution an Demonstrationen gegen die syrische Regierung teilgenommen habe. Deshalb habe die syrische Regierung auch ihre Namen. Außerdem habe die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie in A. gelebt, wo sich der IS befunden habe und daher hätte die syrische Regierung behauptet, sie seien Angehörige des IS. Die Beschwerdeführerin könne sich nicht ganz genau erinnern, wann sie an Demonstrationen teilgenommen hätte, die Demonstrationsteilnahmen hätten aber jedenfalls zu einem Zeitpunkt stattgefunden, zu dem die syrische Regierung noch dort gewesen sei. Die ganze Familie, außer die ältere Schwester der Beschwerdeführerin, habe mitgemacht. Die Beschwerdeführerin habe bei der Behörde nicht angegeben, dass sie an Demonstrationen gegen die syrische Regierung teilgenommen habe, weil ihr niemand die Frage gestellt habe. Bei der Einvernahme vor der belangten Behörde habe sie angegeben, dass sie verfolgt sei. Allerdings hätte sie verstanden, die Frage würde sich auf Umstände vor der Revolution und auf den Militärdienst beziehen. Zudem hätte sie damals das Wort "politisch" nicht verstanden und daher angegeben, dass sie bzw. die Familie sich in Syrien nicht politisch oder religiös betätigt habe. Sie habe viele Male, etwa fünf bis sechs Mal jede Woche, bei den Demonstrationen gegen die Regierung teilgenommen. Sie sei damals ca. 12 oder 13 Jahre alt gewesen, aber an das genaue Alter könne sie sich nicht erinnern. Sie sei sich sicher, dass die syrische Regierung ihre Namen habe und deshalb sei ihre Familie nicht zu den Orten gegangen, wo die syrische Regierung gewesen sei. Ihr Bruder XXXX hätte den Ort A. bereits vor der Flucht der Beschwerdeführerin verlassen, das sei zu jenem Zeitpunkt gewesen, als der IS in den Ort A. gekommen sei.
6. Am 25.09.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Schreiben der Beschwerdeführerin ein, dem der Bescheid der belangten Behörde vom 24.09.2019, Zl. 1205577508-180851030/BMI-BFA_WIEN_AST_01, mit dem Inhalt, dass die befristete Aufenthaltsberechtigung der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 13.10.2021 erteilt wurde, beigefügt war.
7. Mit dem Schreiben vom 07.01.2020 gab die Beschwerdeführerin bekannt, dass sie nun mit XXXX verheiratet und ihr gemeinsames Kind am XXXX in XXXX zur Welt gekommen sei. Zum Beweis dafür legte sie dem Schreiben ihre Heiratsurkunde und die Geburtsurkunde ihrer Tochter XXXX bei.
8. Mit dem Schreiben vom 17.01.2020 wiederum wurde bekannt gegeben, dass der Tochter der Beschwerdeführerin mit Bescheid der belangten Behörde vom 02.01.2020, Zl. 1256253309-191309818/BMI-BFA_WIEN_AST_01, der Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG zuerkannt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Hinsichtlich der Lage in Syrien:
1.1.1. Sicherheitslage
Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden. Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt.
Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers.
Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours.
Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert. Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas.
Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghuz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen "Syrian Democratic Forces" erobert. Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten. Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv. Gegenwärtig sollen im Untergrund mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten.
US-Präsident Donald Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen. Nachdem Trump Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wird ein Wiedererstarken des IS befürchtet.
Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen, für die einzelnen Monate des Jahres 2018 finden sich deren Daten in der unten befindlichen Grafik. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von "Massakern", bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind.
Versöhnungsabkommen
Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Der Abschluss der sogenannten "Reconciliation Agreements" folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen. Zivilisten bzw. Kämpfer können in den Gebieten bleiben oder jene, die sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, können mit ihren Familien nach Idlib oder in andere von der Opposition kontrollierte Gebiete evakuiert werden. Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten. Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden, oder dass sich Personen verpflichten müssen, der Regierung z.B. für Spionage zur Verfügung zu stehen.
Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung, gegenüber Individuen oder Gemeinschaften, werden jedoch nicht eingehalten. Glaubhafte Berichte von Organisationen aus zuletzt zurückeroberten Gebieten wie Dara'a im südlichen Syrien und Ost-Ghouta nahe Damaskus sprechen von Verhaftungen sowie Zwangsrekrutierungen ehemaliger Oppositionskämpfer binnen kurzer Zeit. Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten.
Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien
Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten.
Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. Der Norden sieht sich gleichwohl mit einem gelegentlichen "Spillover" von Idlib aus konfrontiert. So gibt es aktuell im ländlichen Lattakia Auseinandersetzungen zwischen syrischer Armee und Rebellen. In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus und Homs stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen zumeist auf regierungsnahe Personen kommt.
Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist.
In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges. Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt. Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen. Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert. Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten. Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist.
Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen, bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen. Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen. Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien. Laut dem pensionierten Generalstabsschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen. Syrischen Staatsmedien zufolge wurden Anfang Juli 2019, bei israelischen Luftangriffen nahe der Hauptstadt Damaskus und in der Provinz Homs, vier Zivilisten getötet und 21 Personen verletzt.
Provinz Deir ez-Zour / Syrisch-Irakisches Grenzgebiet
Zuletzt hielt der sogenannte Islamische Staat (IS) eine letzte Enklave entlang des Euphrat nahe der syrisch-irakischen Grenze. Die Kämpfer haben sich in die Wüstengebiete im südlichen (Provinz Suweida) und östlichen Syrien zurückgezogen. Es operieren weiterhin Schläferzellen auf syrischem Staatsgebiet. Ende September wurde z.B. in Raqqa eine dieser Zellen entdeckt, die eine Reihe von größeren Anschlägen in der Stadt plante.
Im September starteten die Syrian Democratic Forces (SDF) in der nahe an der syrisch-irakischen Grenze gelegenen Ortschaft Hajin eine Offensive gegen den IS. Mitte Oktober 2018 nutzte der IS schlechte Witterungsverhältnisse für einen Gegenangriff. Er konnte dabei größere Gebiete im Osten Syriens zwischenzeitlich wieder zurückerobern. Dies galt als schwerster Angriff der Islamisten seit Monaten. Auch Ende November 2018 führte der IS im Osten Syriens größere Angriffe durch. Einheiten der SDF unter kurdischer Führung begannen Anfang März des Jahres 2019 erneut den Angriff auf den Ort Baghuz, die letzte Bastion des IS. Sie hatten zuletzt die Angriffe auf den Ort eingestellt, damit Zivilisten diesen verlassen konnten.
Nach wochenlangen Kämpfen erklärten die SDF die Stadt Baghuz als vom IS befreit. Mit Baghuz ist die letzte Bastion der Terrormiliz gefallen. In den Wochen davor hatten bereits Tausende IS-Kämpfer aufgegeben und sich den SDF-Truppen gestellt. Gleichzeitig sind mehr als 70.000 Flüchtlinge aus dem IS-Gebiet in dem von Kurden kontrollierten Lager Al-Hol untergekommen, wo Hilfsorganisationen von einer dramatischen humanitären Lage berichten.
Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten und von denen nach wie vor eine Gefahr ausgeht.
Opposition/Zuschreibung einer oppositionellen Gesinnung
Bestimmte Personen werden aufgrund ihrer politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen oder ihnen wird auf andere Weise Schaden zugefügt. Aber die Konfliktparteien wenden Berichten zufolge breitere Auslegungen an, wen sie als der gegnerischen Seite zugehörig betrachten. Diese basieren z.B. auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in einem bestimmten Gebiet, das als "regierungsfreundlich" oder "regierungsfeindlich" gilt.
Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts in Syrien ist der Umstand, dass - auch - die syrische Regierung als Konfliktpartei oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellt. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit.
a. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich regierungsfeindliche Ansichten haben
Personen, die tatsächlich oder vermeintlich regierungsfeindliche Ansichten haben
Einwohner Syriens, die tatsächlich oder vermeintlich regierungskritische politische Ansichten im weitesten Sinne haben, sind als Personen anzusehen, die gefährdet sind durch die Regierung verfolgt zu werden. Es liegen schon seit längerem Berichte darüber vor, dass die syrische Regierung politischen Dissens durch Einschüchterung, Überwachung und Inhaftierung von politischen Aktivisten, Journalisten, Schriftstellern und Intellektuellen unterdrückt. Auf die im März 2011 aufkommenden Protestbewegungen und die sich anschließenden bewaffneten Aufstände, reagierten die Regierung und regierungsfreundliche Kräfte, wie aus Berichten hervorgeht, mit massiver Unterdrückung und Gewalt. Die Regierung wendet, wie berichtet wird, bei der Beurteilung von politischem Dissens sehr breite Kriterien an: jegliche Kritik, Opposition oder sogar unzureichende Loyalität der Regierung gegenüber, wie auch immer ausgedrückt - friedlich oder gewalttätig, organisiert oder spontan, im Rahmen einer politischen Partei, bewaffneten Gruppe oder individuell, virtuell im Internet oder im bewaffneten Konflikt - führte Berichten zufolge zu schweren Vergeltungsmaßnahmen für die betreffenden Personen. Es wurde berichtet, dass zahlreiche Protestteilnehmer, Aktivisten, Wehrdienstentzieher, Deserteure, Laienjournalisten, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Ärzte und andere Personen, denen regierungsfeindliche Haltungen zugeschrieben wurden, willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert oder anderen Misshandlungen ausgesetzt, oder Opfer von extralegalen oder Massenhinrichtungen wurden. Gegen zahlreiche Personen wurden Berichten zufolge Strafverfahren gemäß dem Terrorbekämpfungsgesetz (Gesetz Nr. 19 vom 2. Juli 2012) durchgeführt. Das Gesetz sieht schwere Strafen - von langjährigen Haftstrafen bis hin zur Todesstrafe - für Personen vor, bei denen festgestellt wird, dass sie "terroristische" Handlungen begangen haben. "Terrorismus" ist vage und mit sehr weiten Begriffen in den Gesetzen definiert, die viel Raum für Strafverfolgung wegen zahlreicher unterschiedlicher Aktivitäten bieten, einschließlich Teilnahme an Protesten, Äußerungen in sozialen Medien, Bereitstellung humanitärer Hilfsdienste, Schmuggeln von Arzneimitteln und Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen. Berichten ist zu entnehmen, dass die meisten Häftlinge nie förmlich angeklagt werden. Gegen tausende Zivilisten wurden Berichten zufolge von Strafgerichten, dem Antiterrorismus-Gericht in Damaskus und militärischen Feldgerichten Strafverfahren durchgeführt, die gegen die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren verstoßen. In der Regel gingen den Verfahren monatelange Untersuchungshaft in Einrichtungen der Sicherheitsdienste und erzwungene Geständnisse voraus. Es wird berichtet, dass die Strafen für jene Personen, die vor Gericht gestellt und verurteilt wurden, auch dann hart sind, wenn die fraglichen Aktivitäten selbst friedlich waren. Wie aus Berichten hervorgeht, überwacht die Regierung Korrespondenz, Online-Aktivitäten und politische Zusammenkünfte. Die Regierung hört Berichten zufolge mit Hilfe von entsprechender Ausrüstung Gespräche ab, installiert Spysoftware auf den Computern von Aktivisten, blockiert Textnachrichten und ortet Mobil- und Satellitentelefone. Aus Berichten geht hervor, dass die Online-Überwachung zu willkürlichen Verhaftungen, incommunicado Haft, Folter und Tötungen von zahlreichen politischen Dissidenten, Aktivisten, Laienjournalisten und anderen Personen geführt hat. Zahllose Personen wurden Berichten zufolge inhaftiert, nachdem sie über soziale Medien Fotos oder Videos, die regierungskritische Proteste oder Aufstände unterstützen, weitergeleitet, positiv bewertet oder kommentiert hatten. Wie berichtet wird, hackt die seit April 2011 bestehende so genannte Syrische Elektronische Armee mit stillschweigender Zustimmung der Regierung Websites und Seiten sozialer Medien von oppositionellen Gruppen, von bestimmten westlichen Medien und Menschenrechtsorganisationen und blockiert sie oder überflutet sie mit regierungsfreundlichen Inhalten. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden nach Ausbruch der regierungskritischen Proteste im März 2011 Syrer, die im Ausland an solchen Protesten teilnahmen, durch Mitarbeiter syrischer Botschaften und durch andere Personen, die mutmaßlich im Auftrag der syrischen Regierung handelten, kontrolliert, eingeschüchtert und teilweise körperlich angegriffen. Berichten zufolge wurden die in Syrien gebliebenen Angehörigen von syrischen Staatsangehörigen, die sich an Protesten oder damit verbundenen Aktivitäten im Ausland beteiligt hatten, Befragungen unterzogen, durch telefonische Anrufe, E-Mails und Facebook-Nachrichten bedroht, sie wurden verhaftet, misshandelt oder sogar getötet. In Deutschland wurden vier Mitarbeiter der syrischen Botschaft, die mutmaßlich Aktivitäten syrischer Oppositionsmitglieder überwachten, ausgewiesen. Wie berichtet wird, befürchten im Exil lebende Syrer von Landsleuten, die aus eigener Initiative oder als Informanten im Auftrag der syrischen Regierung handeln, überwacht, bedroht oder in sozialen Medien als "regierungsfeindlich" dargestellt zu werden.
b. (Arabische) Sunniten
(Arabische) Sunniten werden im Allgemeinen und insbesondere, wenn sie aus Gebieten stammen, die bekanntermaßen mit der Opposition sympathisieren oder unter der de facto Kontrolle bewaffneter oppositioneller Gruppen stehen, als regierungsfeindlich wahrgenommen. Aus diesem Grund waren ihre Wohngebiete von Beschießungen, Artilleriefeuer und Militärangriffen betroffen und von der Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Grundbedarfsgütern abgeschnitten. Darüber hinaus wurden Sunniten von Streitkräften der Regierung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit sunnitischen Islamisten oder Salafisten bzw. ganz allgemein bewaffneten oppositionellen Gruppen willkürlich verhaftet, in Isolationshaft genommen, gefoltert und auf andere Weisen misshandelt sowie extralegal und standrechtlich hingerichtet. Der unabhängigen UN-Untersuchungskommission zufolge besteht "in von der Regierung kontrollierten Gebieten für sunnitische Männer aus Unruhegebieten das größte Risiko, an Kontrollstellen oder bei Hausdurchsuchungen inhaftiert zu werden, da sie als wahrscheinliche Sympathisanten oder Unterstützer von oppositionellen bewaffneten Gruppen gelten. Diese Gemeinschaft ist insbesondere in Hinblick auf Zwangsverschleppung, Folter und andere Menschenrechtsverletzungen während Inhaftierungen gefährdet.
c. "regierungsfeindliche Gebiete"
Berichten ist zu entnehmen, dass die Regierung davon ausgeht, dass Zivilpersonen, die aus Gebieten stammen oder in Gebieten wohnen, in denen es zu Protesten der Bevölkerung kam und/oder in denen bewaffnete oppositionelle Gruppen in Erscheinung treten oder (zeitweise) die Kontrolle übernommen haben, generell Verbindungen zur bewaffneten Opposition haben. Diese Zivilpersonen werden daher von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen. Dies gehört Berichten zufolge zu einer umfassenden Politik, Zivilisten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, ihrer Anwesenheit in einem Gebiet oder ihrer Herkunft aus einem Gebiet anzugreifen, das als regierungsfeindlich betrachtet wird und/oder von dem vermutet wird, dass es oppositionelle bewaffnete Gruppen unterstützt. Es wird berichtet, dass die Regierung versucht, die breite Unterstützung von oppositionellen bewaffneten Gruppen auszuhöhlen, indem sie Zivilisten für die tatsächliche oder vermeintliche Opposition zur Regierung bestraft und das Leben in Gebieten unter deren Kontrolle für Zivilisten unerträglich macht. Zivilisten in diesen Gebieten sind Berichten zufolge im Rahmen von Bodenoffensiven, Hausdurchsuchungen und an Kontrollstellen von unterschiedlichen Strafmaßnahmen durch Regierungskräfte und regierungsnahe Kräfte betroffen, darunter Inhaftierung, Folter, sexuelle Gewalt und extralegale Hinrichtungen. Darüber hinaus wurden, wie berichtet wird, Häuser und Geschäfte von Personen, die als gegnerisch gelten, bei militärischen Überfällen durch Regierungskräfte und regierungsnahe Kräfte geplündert und zerstört. Nachdem die Regierung über einige Teile des Landes die Kontrolle verloren hat, ist sie Berichten zufolge nun dazu übergegangen, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten unter ausgedehnten Artilleriebeschuss zu nehmen und mit Bombardierung aus der Luft zu überziehen. Diese gezielten Angriffe, darunter auf Krankenhäuser, Beerdigungsprozessionen, öffentliche Märkte, Brottransporte und Bäckereien, wurden als eine Taktik beschrieben, mit der die in Gebieten unter der Kontrolle regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen oder ISIS lebende Zivilbevölkerung bestraft und terrorisiert werden soll und ihre Lebensbedingungen unerträglich gemacht werden sollen. Es wurde berichtet, dass die Regierung zahlreiche Gebiete, die unter der Kontrolle der Opposition stehen, belagert hat und auf diese Weise systematisch Zivilpersonen von der Grundversorgung - z. B. mit Lebensmitteln und medizinischer Versorgung - abgeschnitten hat. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden Personen, die versuchten belagerte Gebiete zu verlassen um medizinische Hilfe aufzusuchen, verhaftet, von Heckenschützen ins Visier genommen oder am Verlassen gehindert. Personen, die Nahrungsmittel oder andere Grundversorgungsgüter in belagerte Gebiete transportierten oder versuchten, aus einem belagerten Gebiet zu fliehen, wurden Berichten zufolge drangsaliert, festgenommen, inhaftiert, gefoltert und getötet. Die gegen Gebiete unter der Kontrolle von regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen gerichtete Belagerungstaktik der Regierung zielt Berichten zufolge darauf ab, die Zivilbevölkerung in diesen Gebieten zu bestrafen, die Unterstützung der bewaffneten Regierungsgegner in der Bevölkerung zu unterbinden und Zivilisten und Kämpfer zum Aufgeben zu zwingen.
Es wird berichtet, dass Regierungskräfte im Rahmen von lokalen Waffenstillständen zunehmend auf die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Gebieten zurückgreift, die zuvor unter der Kontrolle regierungsfeindlicher bewaffneter Gruppen gestanden haben, häufig nach langen Phasen der Belagerung und Bombardierungen der betroffenen Gemeinschaften. Die Vereinten Nationen und unabhängige Beobachter haben ihre Besorgnis darüber ausgedrückt, dass diese Maßnahmen Zwangsvertreibung von Zivilisten darstellen. Außerdem weisen regierungskritische Quellen und unabhängige Beobachter auf die konfessionelle Dimension derartiger erzwungener Umsiedlungen von (sunnitischen) Bevölkerungsteilen aus ehemals von der Opposition kontrollierten Gebieten hin, da es Berichten zufolge in mehreren Fällen Mitgliedern religiöser Minderheiten, die als loyal der Regierung gegenüber galten, gestattet wurde, sich in den frei gewordenen Gebieten niederzulassen. Die Regierung wies dies zurück. In den Gebieten, in denen die Regierung die Kontrolle wiedererlangt hat, nimmt sie Berichten zufolge zahlreiche Personen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Unterstützung oder Sympathie für regierungsfeindliche bewaffnete Gruppen fest, insbesondere Männer sowie Jungen, die älter als zwölf Jahre alt sind.
d. Angehörige
Die tatsächlich oder vermeintlich oppositionellen Ansichten einer Person werden häufig auch Personen in ihrem Umfeld, wie Familienmitgliedern, Nachbarn und Kollegen zugeschrieben. Die Familienangehörigen (beispielsweise Ehegatten, Kinder, Geschwister, Eltern und auch entferntere Verwandt) von (tatsächlichen oder vermeintlichen) Protestteilnehmern, Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien oder bewaffneten oppositionellen Gruppen, Überläufern und Wehrdienstentziehern und anderen Personen wurden Berichten zufolge willkürlich verhaftet, in incommunicado Haft genommen, gefoltert und in sonstiger Weise - einschließlich unter Anwendung sexueller Gewalt - misshandelt sowie auch willkürlich hingerichtet. Verläuft die Fahndung nach einem Regierungsgegner bzw. einer Person, die für einen Regierungsgegner gehalten wird, erfolglos, gehen die Sicherheitskräfte Berichten zufolge dazu über, die Familienangehörigen der betreffenden Person festzunehmen oder zu misshandeln. Dies geschieht entweder, um Vergeltung zu üben für die Aktivitäten bzw. den Loyalitätsbruch der gesuchten Person oder um Informationen über ihren Aufenthaltsort zu gewinnen und/oder mit der Absicht, die betreffende Person dazu zu bewegen, sich zu stellen bzw. die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu gestehen. Wie aus Berichten hervorgeht, wurden weibliche Verwandte verhaftet und als "Tauschobjekte" für Gefangenenaustausch mit regierungsfeindlichen bewaffneten Gruppen verwendet. Darüber hinaus liegen Berichte vor, dass sogar Nachbarn, Kollegen und Freunde verfolgt wurden.
Aus Angst, selbst inhaftiert und misshandelt zu werden, sehen Familienmitglieder, wie Berichten zu entnehmen ist, häufig davon ab, nach dem Aufenthaltsort von verhafteten Familienmitgliedern zu forschen oder sich über die Verhaftung zu beklagen. Wie aus Berichten hervorgeht, sehen sie sich stattdessen gezwungen, korrupten Staatsbediensteten Schmiergelder zu bezahlen, um Informationen über den Aufenthaltsort eines inhaftierten Angehörigen zu erhalten, seine Verlagerung von einer Haftanstalt des Sicherheitsdienstes in die zentrale Haftanstalt zu veranlassen oder für seine Freilassung zu sorgen - dabei besteht für sie keine Erfolgsgarantie. Amnestien durch den Präsidenten haben, wie berichtet wird, auch Richtern die Möglichkeit eröffnet, Bestechungsgelder von Familien entgegen zu nehmen, die die Freilassung eines inhaftierten Familienmitglieds erreichen möchten. In besonders schwerwiegenden Fällen wurden Berichten zufolge ganze Familien von Oppositionsmitgliedern oder Überläufern verhaftet oder extralegal hingerichtet, beispielsweise bei Hausdurchsuchungen.
Aufgrund verfügbarer Herkunftslandinformationen reicht allein der Verdacht, dass eine Person regierungskritische Ansichten hat oder mit einer Person in Verbindung steht, die solche Ansichten hat, für die Verfolgung aus.
e. Personen, die im Ausland auf bestimmte Weise aktiv sind
Wie aus Berichten hervorgeht, betrachtet die Regierung bestimmte Aktivitäten von im Ausland lebenden Syrern als Ausdruck einer oppositionellen Einstellung, darunter Anträge auf Asyl, Teilnahme an regierungskritischen Protesten, Kontakte zu Oppositionsgruppen oder andere Ausdrucksformen der Kritik an der Regierung, einschließlich über soziale Medien.
Frauen
Die Situation von Frauen verschlechterte sich durch den andauernden Konflikt dramatisch. Da Frauen immer wieder Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden, zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt. Vor dem Konflikt nahmen 13% der Frauen am Arbeitsmarkt teil, verglichen mit 73% der Männer. Die Teilhabe sowohl von Männern als auch Frauen am Arbeitsmarkt hat durch Gewalt und Unsicherheit abgenommen. Zuletzt ist in einigen Gebieten, wie in Damaskus, Raqqa und Dara'a, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt gezwungenermaßen wieder gestiegen, da viele Männer ihre Familien derzeit nicht unterstützen können.
Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Sie reichen von sexueller Versklavung und erdrückenden Kleidungsvorschriften in Gebieten unter Kontrolle von Extremisten einerseits, bis hin zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter Kontrolle der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind. In jenen oppositionellen Gebieten, welche von radikal-islamistischen Gruppen kontrolliert werden, sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Die Situation hängt jedoch von der Region ab.
Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt. Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikal-islamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet.
Alleinstehende Frauen
Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten.
Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können. Die Wahrnehmung von alleinstehenden Frauen durch die Gesellschaft unterscheidet sich von Gebiet zu Gebiet. Damaskus-Stadt ist weniger konservativ als andere Gebiete und es wird von Frauen berichtet, die dort in der Vergangenheit alleine lebten. In konservativen Gegenden bekommen allein lebende Frauen jedoch "einen gewissen Ruf".
Der Wegfall des Ernährers im Zuge des Konflikts stellt viele Frauen vor das Problem ihre Familien versorgen zu müssen. So stieg die Anzahl der Haushalte mit weiblichen Vorständen im Zuge des Konflikts. Im Dezember 2017 hat das von Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Scharia-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für "jeden, der sich nicht nach dieser Regelung richtet", es ist jedoch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wurde.
Frauen in kurdisch kontrollierten Gebieten
Die Situation von kurdischen Frauen in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens ist in Bezug auf Unabhängigkeit, Bewegungsfreiheit und die Vormundschaftsgesetze der selbsternannten Autonomieregierung besser. Frauen und Männer sind in der Regierung zu gleichen Teilen repräsentiert. Per Gesetz werden alle Regierungseinrichtugen von einem Mann und einer Frau gleichzeitig geleitet und die meisten staatlichen Behörden und Gremien müssen zwischen Männern und Frauen gleich besetzt sein, abgesehen von Einrichtungen, die nur für Frauen sind.
Frauen sind im politischen Leben der kurdischen Gebiete gut repräsentiert. Außerhalb der PYD geführten Strukturen haben sie allerdings nur eingeschränkte Autonomie.
Im November 2014 beschloss die Autonomieregierung ein Dekret, das die "Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Sphären des öffentlichen und privaten Lebens" vorsieht. Demnach haben Frauen in den Augen des Gesetzes den gleichen Status wie Männer, auch zum Beispiel bezüglich Scheidung und Erbrecht. Polygamie, Ehrenmorde, Zwangsehen, Ehen von Minderjährigen und andere Formen von Gewalt gegen Frauen wurden verboten. Frauenkomitees, Frauenhäuser und Frauenzentren wurden eingerichtet, um Frauen zu schützen und zu vertreten, in den Themen Politik, Wirtschaft, Kultur und Recht weiterzubilden, und ihnen die Möglichkeit zu geben über familiäre und soziale Probleme zu sprechen und Lösungen zu finden. Auch arabische und christliche Frauen nutzen die Zentren.
Die Emanzipation der Frauen in Nordsyrien ist ein laufender Prozess. Patriarchale Traditionen sind dort tief eingebettet und mit Religion verbunden. In Gebieten mit arabischer Mehrheitsbevölkerung, die konservativer sind und in denen tribale Strukturen noch stark verwurzelt sind, ist es schwerer für die kurdischen Behörden Gleichberechtigungsmaßnahmen ohne Widerstand durchzusetzen. So wurde beispielsweise in Kobane Polygamie verboten, von der lokalen Bevölkerung in Manbij gab es jedoch Widerstand durch lokale Stammesführer, was zu einer Ausnahme für Manbij von dieser Regelung führte.
Die zivile Verwaltung der kurdisch kontrollierten Provinzen im Norden des Landes, der sogenannten "Demokratischen Föderation Nordsyrien" (kurdisch Rojava) hat die Institution der Zivilehe eingeführt, die unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit der Nupturienten vor den zuständigen Behörden geschlossen werden kann. Ob eine in den kurdischen Gebieten geschlossene zivile Ehe vom syrischen Staat anerkannt wird, ist jedoch schwer zu beurteilen. Das syrische Familienrecht erkennt eine solche Ehe insbesondere dann nicht an, wenn sie einen Verstoß gegen das Ehehindernis aufgrund von unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten der Ehepartner darstellt.
Menschenrechtsverletzungen
Die syrische Regierung, ihre Streitkräfte und regierungsfreundliche Kräfte begehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, wie Mord, Vernichtung, Folter, Vergewaltigung, Zwangsverschleppungen, Angriffe auf die Zivilbevölkerung und andere unmenschliche Akte. Im Zuge mehrerer großer Militäroperationen von Regierungs- und regierungsfreundlichen Truppen verübten diese Massenmorde, auch an Frauen und Kindern. Der fortgesetzte Konflikt führte zu einigen der abscheulichsten Bedingungen für Menschenrechte und humanitäre Lage weltweit, darunter Ermordungen, Folter, willkürliche Haft, Verschwindenlassen, Verweigerung des Zugangs zu Justiz, schwere Einschränkungen der Meinungsfreiheit und die Verfolgung von Frauen und Minderheiten. Kinder wurden ermordet, gefoltert und der Gewalt durch alle Parteien ausgesetzt. Es kommt auch zu frühen Zwangsheiraten von Mädchen. Die meisten Menschenrechtsverletzungen und Brüche des humanitären Gesetzes wurden systematisch von syrischen Regierungskräften und ihren verbündeten Gruppen begangen.
Der bewaffnete Konflikt in Syrien ist Berichten zufolge weiterhin von weit verbreiteten und systematischen Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts gekennzeichnet, die in einem Klima der Straflosigkeit stattfinden. Die Unabhängige UN-Untersuchungskommission zu Syrien und Menschenrechtsorganisationen haben syrische Regierungskräfte der Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt. Willkürliche und direkte Angriffe auf Zivilisten, Belagerungen und Verwehrung des Zugangs von humanitärer Hilfe sowie Angriffe auf medizinische Einrichtungen und Mitarbeiter haben sich Berichten zufolge als typisches Schema von Menschenrechtsverletzungen auf Seiten der syrischen Regierungskräfte erwiesen. Wie aus Berichten hervorgeht, haben syrische Regierungskräfte Waffen auf willkürliche Weise eingesetzt, darunter Artillerie, Luftangriffe, Fassbomben, Brandwaffen, Streumunition und chemische Waffen.
Aus den Berichten der unabhängigen UN-Untersuchungskommission und von Menschenrechtsorganisationen geht hervor, dass bewaffnete oppositionelle Gruppen Kriegsverbrechen in Form von Mord, Hinrichtung ohne Gerichtsverfahren, Folter, Geiselnahme, Rekrutierung von Kindern und deren Einsatz für Kampfhandlungen und für andere Zwecke sowie Angriffe auf Mitarbeiter medizinischer und religiöser Einrichtungen, Journalisten und geschützte Objekte begehen. Von der Regierung kontrollierte Ortschaften, einschließlich solcher Gebiete, die von religiösen Minderheiten bewohnt werden, sind Berichten zufolge häufig Ziel willkürlicher Mörser-, Raketen- und USBV-Angriffe durch bewaffnete oppositionelle Gruppen. Diese bewaffneten oppositionellen Gruppen haben Berichten zufolge Zivilgebiete, die als regierungsnah angesehen werden, belagert oder zeitweise von der Wasser- und/oder Stromversorgung abgeschnitten.
Behandlung bei Rückkehr nach Syrien aus dem Ausland
Es liegen kaum konkrete Informationen über die Behandlung von Rückkehrern nach Syrien vor. Quellen zufolge werden Personen an der Grenzübergangsstelle (Landgrenze, Flughafen) bei ihrer Einreise untersucht, um festzustellen, ob sie im Zusammenhang mit sicherheitsbezogenen Vorfällen (wie Straftaten, tatsächliche oder vermeintliche regierungsfeindliche Aktivitäten oder Ansichten, Kontakte zu politischen Oppositionellen im Ausland, Einberufung etc.) gesucht werden. Personen, deren Profil irgendeinen Verdacht erregt, insbesondere aus den unter den Risikoprofilen unten beschriebenen Gründen, sind Berichten zufolge dem Risiko einer längeren incommunicado Haft und Folter ausgesetzt. Es wird berichtet, dass für Rückkehrer außerdem das Risiko besteht, inhaftiert zu werden, weil Familienmitglieder von den Behörden gesucht werden, weil sie ihren Militärdienst nicht geleistet haben, weil sie aus einem Gebiet stammen, das sich unter der Kontrolle der Opposition befindet, oder weil sie aufgrund ihrer konservativen Kleidung als religiös wahrgenommen werden. Andere werden, wie berichtet wird, ohne bestimmten Grund entsprechend der weit verbreiteten Willkür und des Machtmissbrauchs durch Sicherheitsbeamte inhaftiert und misshandelt.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch (HRW) haben mehrere Fälle dokumentiert, in denen Syrer am Flughafen Damaskus oder an Landgrenzübergängen bei Ein- oder Ausreisen durch Sicherheitsdienste verhaftet und später gefoltert wurden und/oder gewaltsam verschwanden. Auch nach der ersten Einreise nach Syrien kann das Inhaftierungsrisiko weiterhin bestehen. Berichten der Unabhängigen UN-Untersuchungskommission zu Syrien zufolge wurde ein Syrer, der zwangsweise aus Jordanien nach Syrien zurückgewiesen wurde, an einer Kontrollstelle in einem ländlichen Gebiet des Gouvernements Homs verhaftet.
Länger zurückliegende Gesetzesverletzungen im Heimatland (z.B. illegale Ausreise) können von den syrischen Behörden bei einer Rückkehr verfolgt werden. In diesem Zusammenhang kommt es immer wieder zu Verhaftungen. Quellen des kanadischen IRB gaben an, dass Personen bei der Einreise nach Syrien über den internationalen Flughafen Damaskus oder andere Einreiseorte kontrolliert werden. Bei männlichen Personen im wehrfähigen Alter wird auch kontrolliert, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben. Männer im wehrfähigen Alter sind bei der Einreise besonders gefährdet, Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal zu werden. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn eine Person verdächtigt und deswegen misshandelt wird. Es kann passieren, dass die Person sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter wird. Oder der Person wird die Einreise nach Syrien erlaubt, sie muss sich jedoch zu einem anderen Zeitpunkt erneut melden und verschwindet dann. Eine Person kann auch Opfer von Misshandlungen werden, ohne dass es dafür einen bestimmten Grund gibt. Das System ist sehr unberechenbar. Bereits im Jahr 2012 hat ein britisches Gericht festgestellt, dass für einen nach Syrien zurückkehrenden, abgelehnten Asylwerber im Allgemeinen bei der Ankunft die reale Gefahr besteht, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Seit dieser Feststellung hat sich die Situation weiter verschlimmert. Bei Rückkehr nach einem abgelehnten Asylantrag würde eine Person inhaftiert und im Zuge von Befragungen gefoltert werden. Die Person könnte für die Verbreitung falscher Informationen über Syrien im Ausland verurteilt werden, oder die Behörden würden versuchen durch Folter Informationen über andere Asylwerber oder die Opposition zu bekommen. Es kann jedoch auch sein, dass eine Person, trotz eines abgelehnten Asylantrages, auch nach der Rückkehr nach Syrien noch als Unterstützer des Asad-Regimes angesehen wird. Das Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Zuflucht zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden.
Den Berichten des UK Home Office ist zu entnehmen, dass die Asylantragstellung im Ausland als illoyaler Akt und als Zeichen oppositioneller Gesinnung gilt und dass bei (nach negativem Asylverfahren) nach Syrien zurückgeführten Personen die Gefahr der Inhaftierung/Misshandlung aufgrund einer ihnen unterstellten missliebigen politischen Gesinnung droht, sofern sie nicht (nach wie vor) als Unterstützer des Assad-Regimes betrachtet werden.
Quellen zufolge beinhaltet die Sicherheitsprüfung durch die Grenzbehörden am Flughafen Damaskus und an anderen Grenzübergangsstellen die Prüfung, ob ein Rückkehrer Syrien gesetzeswidrig verlassen hat.
Das syrische Gesetz bestraft auch Personen, welche versuchen in einem anderen Land Asyl zu suchen, um eine Strafe in Syrien zu vermeiden.
Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland, auch deshalb, um oppositionelle Alternativen zum gegenwärtigen Regime zu unterbinden. Die Regierung überwacht Aktivitäten dieser Art im Ausland, auch in Österreich. Dass die syrische Regierung Kenntnis von solchen Aktivitäten hat, ist wahrscheinlich, und sie hat die Möglichkeit, ihr diesbezügliches Wissen zu nützen, wenn sich dazu die Gelegenheit ergibt. Eine Überwachung von exilpolitischen Aktivitäten passiert hauptsächlich an Orten mit einer größeren syrischen Gemeinde, weil sich dort eher Informanten der Regierung befinden können. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen.
Die nach Syrien einreisenden Personen werden vom syrischen Militärgeheimdienst überprüft.
Neben dem Flughafen Damaskus gibt es auch einen internationalen Flughafen in Lattakiah.
Derzeit sind die syrischen Grenzübergänge zum Libanon offen, wobei laut Schweizer Flüchtlingshilfe der Libanon mit mutmaßlichem Auftrag von Syrien nur bestimmte syrische BürgerInnen und palästinensische Flüchtlinge über den Internationalen Flughafen Beirut in den Libanon für ihre Weiterreise nach Syrien einreisen lässt. Die libanesische Botschaft in Berlin erwähnt, dass syrische StaatsbürgerInnen bei Vorweisen eines gültigen Reisepasses kein Visum benötigen, verweist aber auf die Notwendigkeit je nach Reisezweck Unterlagen vorzulegen:
Es gibt eine Liste mit detaillierten Einreisebedingungen für den Libanon, welche die Frage offen lässt, ob/wie durchreisende Rückkehrer nach Syrien vom libanesischen Staat in dem Kategoriensystem eingeordnet würden - insbesondere in den Fällen, wo diese nie über den Libanon aus Syrien ausgereist waren, bzw. wo es keine legale Ausreise aus Syrien gab [Anm.: Das müsste im Einzelfall im Rahmen der Heimreisezertifikate geklärt werden.].
Der Grenzübergang Kessab an der türkischen Grenze wird nur fallweise von der Türkei geöffnet.
Alle anderen Grenzübergänge befinden sich nicht unter Regierungskontrolle.
Prinzipiell muss davon ausgegangen werden, dass jede Person, die nach Syrien zurückkehrt, verhaftet und misshandelt werden kann. In Istanbul kontaktierte syrische Aktivisten wiesen darauf hin, dass alles möglich ist. Die Willkür zeige sich auch darin, dass sich einzelne mit Bestechung freikaufen können. Ein syrischer Direktor einer NGO in Istanbul weist zudem darauf hin, dass abgewiesene Asylsuchende bei einer Einreise nach Syrien verhaftet und misshandelt werden. Seiner Meinung nach sind Aktivisten, Oppositionelle, Familienangehörige von Aktivisten und Männer, die aus der syrischen Armee desertiert sind, besonders gefährdet, bei ihrer Rückkehr verhaftet und misshandelt zu werden. Ein syrischer Journalist geht davon aus, dass syrische Männer unter 45, Sunniten und Personen, die aus Regionen kommen, die von der Opposition besetzt sind, am meisten gefährdet sind, verhaftet, erpresst oder getötet zu werden.
Das kanadische COI-Büro IRB hat eine ausführliche Beschreibung erstellt, wie die Einreise nach Syrien über den Flughafen von Damaskus erfolgt, und wie freiwillige und unfreiwillige Rückkehrer behandelt werden. In der Beschreibung des Prozederes befindet sich auch der Hinweis auf die Entscheidungsfreiheiten der dortigen Kontrolleure, wen sie aus welchen Gründen verhaften. Das Maß an Willkür sei groß und gleichzeitig gäbe es seit 2011 wenige Informationen über das Schicksal von Gefangenen.
Im Fall der Verhaftung und Folter eines von Australien unter Druck gesetzten Mannes, nach Syrien zurückzukehren, wird sein Herkunftsort sowie die Rückkehrhilfe als Hintergrund angesehen.
Neben Risikofaktoren wie beispielsweise eine Asylantragstellung (oder deren Vermutung durch die syrischen Behörden), Verwandtschaftsverbindungen oder Wehr- und Reservedienst kann auch die Herkunft eine Rolle spielen. Je mehr eine Gegend für aufständische Aktivitäten bekannt ist, desto größer sei das Risiko.
Das öffentliche australische Fernsehen berichtete im Oktober 2015 über den Fall eines Syrers aus einem besonders umkämpften Ort in Deraa, der unter australischer Begleitung bis zum Flughafen Amman nach Syrien zurückkehrte. Nach Ankunft in Damaskus sei er wegen seines Herkunftsortes und des Rückkehrgeldes gefoltert und 20 Tage lang festgeh