Entscheidungsdatum
17.03.2020Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
I419 2229517-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX alias XXXX, StA. ALGERIEN alias Libyen, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 09.03.2020, Zl. XXXX:
A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte 2016 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz, den das BFA im selben Jahr samt Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung nach Algerien abwies, was mangels Beschwerde rechtskräftig wurde.
2. Dennoch verblieb der Beschwerdeführer in Österreich und wurde am 28.02.2020 im Anschluss an eine Strafhaft (zum wiederholten Mal) in Schubhaft genommen, wo er nach drei Tagen einen Folgeantrag stellte.
3. Mit dem nun angefochtenen Bescheid hob das BFA gegenüber dem Beschwerdeführer den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete das sinngemäß damit, dass der Beschwerdeführer keinen neuen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, der eine Asylrelevanz mit sich bringe. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht und würde keinen Eingriff in die durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte bedeuten.
Da sich auch die Lage im Herkunftsstaat nicht wesentlich geändert habe, sei der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen.
4. Beschwerdehalber wird vorgebracht, dass eine zeitnahe Außerlandesbringung nicht sichergestellt erscheine, weil nicht absehbar sei, ob und wann ein Heimreisezertifikat ausgestellt werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
1.1.1 Der Beschwerdeführer algerischer Staatsangehörigkeit ist Berber, spricht Arabisch als Muttersprache und Französisch, ist Sunnit, gesund, ledig und volljährig. Er hat im Herkunftsstaat sieben Jahre die Schule besucht und als Bauarbeiter gearbeitet. Dort wohnen nach wie vor sein Vater, drei Brüder und eine Schwester. Ein weiterer Bruder lebt in Frankreich und einer in Tunesien.
Der Beschwerdeführer hielt sich nach der Entscheidung über seinen ersten Antrag durchwegs im Inland auf. Das BFA hat noch eine weitere Rückkehrentscheidung, verbunden mit einem Einreiseverbot wider ihn erlassen, was beides am 14.10.2018 rechtskräftig wurde.
1.1.2 Der Beschwerdeführer wurde am 30.01.2016 bei einer fremdenpolizeilichen Kontrolle festgenommen und ins PAZ eingeliefert. Dabei gab er den genannten Aliasnamen und das unrichtige Geburtsdatum an. Er gab also vor, minderjährig und Staatsangehöriger von Libyen zu sein.
Tags darauf gab er dann die nunmehr erstgenannten Personendaten an und stellte seinen Erstantrag auf internationalen Schutz. Der abweisende Bescheid des BFA wurde durch Hinterlegung im Akt zugestellt, da der Beschwerdeführer untergetaucht war. Nachdem er im Mai 2016 aufgegriffen wurde, kam er in Schubhaft, deren Rechtmäßigkeit dieses Gericht in der Verhandlung am 11.05.2018 (in Abwesenheit des Beschwerdeführers) feststellte (W140 2126792-1/11Z).
Während dieser Schubhaft hat ihn das BFA einvernommen, um die Formblätter für ein Heimreisezertifikat auszufüllen. Dabei verhielt sich der Beschwerdeführer unkooperativ, weshalb die Vernehmung erst später fortgesetzt werden konnte.
Danach wurde der Beschwerdeführer am 24.05.2016 zur Identitätsfeststellung einer Delegation der algerischen Vertretungsbehörde vorgeführt. Diese identifizierte ihn als algerischen Staatsangehörigen und teilte mit, dass die nähere Identitätsprüfung durch die Behörden in Algerien ein bis drei Monate in Anspruch nehmen könne. Darauf wurde die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Schubhaft wegen Unverhältnismäßigkeit ihrer Fortsetzung angeordnet.
1.2 Zum weiteren Sachverhalt:
1.2.1 Ein Heimreisezertifikat wurde dem Beschwerdeführer bisher nicht ausgestellt. Aus dem vorgelegten Akt ist nicht ersichtlich, warum nicht. Dem Zentralen Fremdenregister sind unter anderem folgende, den Beschwerdeführer betreffenden Einträge zu entnehmen:
"HRZ - Heimreisezertifikat 02.03.2017 ad acta neg. ID - Jahresliste
XXXX"
"HRZ - Heimreisezertifikat 26.09.2017 ad acta neg. Verbalnote 22.09.2017"
"HRZ - Heimreisezertifikat 16.01.2020 Laufend"
Letztgenannter Vermerk bezieht sich nach vom Gericht eingeholter Auskunft des BFA auf die Staaten Marokko und Algerien.
1.2.2 Der Beschwerdeführer befand sich wegen mehrerer Vergehen nach dem SMG von 26.07. bis 07.09.2018 sowie ab 04.09.2019 in Justizhaft, aus der er am 28.02.2020 entlassen wurde. Es kann nicht festgestellt werden, was das BFA in den Jahren 2018 und 2019 unternommen hätte, um an ein Heimreisezertifikat für den Beschwerdeführer zu gelangen.
1.2.3 Das BFA führt im bekämpften Bescheid im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aus: "Die Erlangung der faktischen Notwendigkeiten für eine Abschiebung, zB die Ausstellung eines Heimreisezertifikates, sind bereits gegeben." (S 18, AS 144) Dem vorgelegten Akt kann nicht entnommen werden, dass ein Heimreisezertifikat vorläge oder die Ausstellung unmittelbar oder binnen der kommenden Wochen bevorstünde.
1.2.4 Der Folgeantrag wird voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen waren auf Grundlage des vorgelegten Verwaltungsakts sowie der Niederschrift der Verhandlung dieses Gerichts am 11.05.2018 (W140 2126792-1/11Z), der Beschwerdeergänzung vom 13.03.2020 und den Registerabfragen von ZMR, IFR, Register der Grundversorgung und Strafregister zu treffen.
Die Negativfeststellungen ergeben sich aus dem Fehlen entsprechender Hinweise in den eben genannten Beweismitteln, wobei auch eine telefonische Rückfrage erfolglos blieb (da sie über die in 1.2.1 aE getroffene Feststellung hinaus nur ergab, dass Tunesien den Antrag auf ein Heimreisezertifikat negativ beantwortet habe), sowie der geringen gesetzlich vorgesehenen Ermittlungszeit im Hinblick auf die Frist von drei Werktagen für das Zuwarten nach § 22 Abs. 2 BFA-VG.
Die Feststellung, dass der Folgeantrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird, ergibt sich daraus, dass der vorgebrachte angebliche Sachverhalt bereits vor Abschluss des ersten Asylverfahrens vorgelegen hätte und dem Beschwerdeführer bekannt gewesen wäre.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Aufhebung des bekämpften Bescheids
3.1 Nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA unter anderem dann den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden aufheben, der einen Folgeantrag gestellt hat, wenn dieser voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z. 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z. 3).
Weiter ist vorausgesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht (Z. 1).
3.2 Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Das vom Gesetz angestrebte Ziel ist, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen. (VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010)
3.3 Bereits nach der Judikatur des AsylGH (z. B. "Mangels einer im Akt erkennbaren zeitlichen Abschiebungsnähe ...", 11.06.2013, C2 430751-1/2012), aber auch nach jener dieses Gerichts ist die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 außerdem nur zulässig, wenn die faktische Durchführung der Abschiebung alsbald nach Aberkennung möglich erscheint. (So auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht [2016], K12 zu § 12a AsylG 2005). Dies deshalb, weil aus dem Sinn der Bestimmung erhellt, dass die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes der Durchsetzung einer Abschiebung dient. (AsylGH 08.05.2012, D3 261636-2/2012/6E)
3.4 Der VwGH weist im Zusammenhang mit der verwaltungsgerichtlichen Behandlung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes darauf hin (12.12.2018, Ra 2018/19/0010), dass die Ergänzung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht "im Rahmen der bei der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vorzunehmenden Grobprüfung" (in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags) "die Ausnahme bleiben soll".
Das folge daraus, dass (u. a.) mit Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 eine aufrechte Rückkehrentscheidung oder eine Ausweisung mit der Erlassung der Entscheidung durchsetzbar sind. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung ist (lediglich) bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Verwaltungsgerichtes zuzuwarten (§ 22 Abs. 2 BFA-VG).
Aus den Vorschriften ergibt sich (wieder VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010) somit insgesamt das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel, dass die beschleunigte Abwicklung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht in erster Linie anhand des Ergebnisses der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bis dahin vorgenommenen Ermittlungen zu erfolgen hat. Lässt dieses Ermittlungsergebnis aber die einwandfreie Beurteilung im Rahmen der Grobprüfung nicht zu, sondern bedarf es dafür erheblicher ergänzender Ermittlungen, kann diese von der Behörde zu vertretende Mangelhaftigkeit nicht zum Nachteil des Fremden ausschlagen.
3.5. Nach den Feststellungen wurde dem Beschwerdeführer oder für ihn bisher kein Heimreisezertifikat ausgestellt. Es wurde auch weder behauptet, noch gibt es sonst Hinweise darauf, dass sich dies zeitnah ändern oder auch nur wahrscheinlich sein würde. Daher kann das Gericht nicht erkennen, dass die Abschiebung nicht mehr durch von der Behörde nicht beeinflussbare Umstände verzögert oder sogar verhindert werden könne. Die vom BFA getroffene Annahme, dass die faktischen Notwendigkeiten für die Abschiebung vorliegen, ist deswegen nicht nachvollziehbar.
Das Gericht kann nach all dem im Rahmen der geforderten Grobprüfung nicht erkennen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung des gegenständlichen Bescheids erfüllt sind. Deshalb waren die bekämpfte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtswidrig zu erklären und der Bescheid aufzuheben. Damit hatte das Gericht wie im Spruch zu entscheiden.
3.6 Die Entscheidung war mit Beschluss zu treffen, da § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dies so vorsieht. Nach § 22 Abs. 1 BFA-VG hatte auch keine Verhandlung stattzufinden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
aufrechte Rückkehrentscheidung, beschleunigtes Verfahren, faktischerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2229517.1.00Zuletzt aktualisiert am
04.06.2020