RS Vfgh 2020/2/25 G146/2019

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Veröffentlicht am 25.02.2020
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Index

60/01 Arbeitsvertragsrecht

Norm

B-VG Art18
B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
EMRK Art6 Abs1
EU-Grundrechte-Charta Art49
Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG §29
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Kein Verstoß einer Regelung des Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG betreffend die Ermittlung des Mindestlohnes gegen das Bestimmtheitsgebot; keine verfassungswidrige dynamische Verweisung auf Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zur Ermittlung des im Einzelfall zu leistenden Mindestentgelts

Rechtssatz

Abweisung des - zulässigen - Gerichtsantrags auf Aufhebung von § 29 Lohn- und Sozialdumping-BekämpfungsG (LSD-BG) idF BGBl I 44/2016 soweit die Verfassungswidrigkeit iSd Art18 B-VG behauptet wird.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) hegt gegen §29 LSD-BG Bedenken im Hinblick auf Art6 EMRK und auf Art49 GRC, die sich ausschließlich darauf gründen, dass die Verwirklichung der Verwaltungsübertretung gemäß §29 Abs1 LSD-BG letztlich zu einer unverhältnismäßigen (Ersatz-)Freiheitsstrafe führen kann: Die angefochtene Bestimmung sieht nur die Verhängung einer Geldstrafe und nicht auch einer Ersatzfreiheitsstrafe vor.

Vor dem Hintergrund des "Denksporterkenntnisses" VfSlg 12420/1990 (Verordnung hat Mindestmaß an Verständlichkeit aufzuweisen; kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot durch Anknüpfung an das allgemeine Erfahrungswissen und die Verhaltensregeln eines Berufsstandes) hat der Gerichtshof keine Bedenken gegen §29 LSD-BG. Die angefochtene Bestimmung richtet sich an eine bestimmte Personengruppe, nämlich Unternehmer, denen es (ggfs unter Heranziehung von Expertinnen und Experten) zumutbar ist, das im Einzelfall zu leistende Mindestentgelt zu ermitteln. Die Inhalte der Gesetze, Verordnungen und Kollektivverträge sind (kostenlos) öffentlich zugänglich und können von Unternehmern abgerufen werden. Soweit das antragstellende Gericht unterstellt, dass der rechtsanwendenden Behörde bzw dem Gericht möglicherweise selbst die Kenntnisse fehlten, um die Erfüllung des Straftatbestandes beurteilen zu können, deutet dies nicht auf die Unbestimmtheit der Norm hin. Unter Heranziehung der einschlägigen Bestimmungen - insb der Kollektivverträge - ist sohin ermittelbar, welches Entgelt im Einzelfall an die beschäftigten Arbeitnehmer zu leisten ist. Die Bedenken treffen daher nicht zu.

Kein dynamischer Verweis von §29 LSD-BG auf "Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag":

Der Gesetzgeber knüpft in §29 Abs1 LSD-BG hinsichtlich der Ermittlung des im Einzelfall zu leistenden Mindestentgeltes an das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt an und macht dieses damit zum Tatbestandsmerkmal seiner Regelung. Dabei handelt es sich jedoch um keine Verweisung iSd Judikatur des VfGH. Es ist keinem Gesetzgeber verfassungsrechtlich verwehrt, an die von einer anderen Rechtssetzungsautorität geschaffene Rechtslage anknüpfend, diese Rechtslage oder die darauf gestützten Vollzugsakte zum Tatbestandselement seiner eigenen Entscheidung zu machen. Entscheidend ist dabei, dass die fremde Norm nicht vollzogen, sondern lediglich ihre inhaltliche Beurteilung dem Vollzug der eigenen Norm zugrunde gelegt wird.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rechtsstaatsprinzip, Legalitätsprinzip, Determinierungsgebot, Verweisung dynamische, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:G146.2019

Zuletzt aktualisiert am

08.06.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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