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24/01 StrafgesetzbuchNorm
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des S M in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts
vom 21. November 2019, W182 2214897-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. November 2004 wurde dem Revisionswerber, einem der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörigen russischen Staatsangehörigen, auf Grund seiner Eigenschaft als Familienangehöriger gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 durch Erstreckung Asyl zuerkannt und gemäß § 12 AsylG 1997 festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2 Mit Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 13. Juli 2012 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB zu einem Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe zu einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
3 Mit Urteil vom 4. Oktober 2012 verurteilte das Landesgericht St. Pölten den Revisionswerber wegen des Verbrechens des Einbruchsdiebstahls nach §§ 127 und 129 Z 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren.
4 Am 13. Juli 2017 erfolgte eine Verurteilung des Revisionswerbers durch das Landesgericht St. Pölten wegen der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 erster Fall, § 27 Abs. 1 zweiter Fall und § 27 Abs. 1 achter Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren sowie einer Geldstrafe.
5 Mit Aktenvermerk vom 9. Oktober 2018 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in Folge einer weiteren Anklageerhebung gegen den Revisionswerber ein Aberkennungsverfahren ein.
6 Mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 22. November 2018 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 24 Monaten, davon 18 Monate bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert und eine Bewährungshilfe angeordnet.
7 In weiterer Folge wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten mit Bescheid des BFA vom 10. Jänner 2019 gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Dem Revisionswerber wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt. Das BFA erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in die Russische Föderation zulässig sei. Gleichzeitig wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Unter einem erließ das BFA ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot.
8 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe, dass das Einreiseverbot auf fünf Jahre herabgesetzt wurde, als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für nicht zulässig.
9 In der Begründung führte das BVwG aus, dass der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden sei, wobei ein Strafteil von 18 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei. Dabei könne es sich grundsätzlich um ein besonders schweres Verbrechen handeln. Die Gemeingefährlichkeit des Revisionswerbers drücke sich zunächst in dieser Verurteilung aus, die nicht nur auf einzelne Tathandlungen, sondern auf einer Vielzahl von Tathandlungen beruhe, die der Revisionswerber in einem zumindest zweimonatigen Zeitraum ausgeübt habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe gerade in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstelle, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben sei. Darüber hinaus könne aus den in der Vergangenheit gegen den Revisionswerber ergangenen Verurteilungen auf eine Neigung zu gesetzwidrigem Verhalten geschlossen werden. Auch dass der Revisionswerber die Termine der angeordneten Bewährungshilfe wahrnehme, sei für sich genommen nicht geeignet, die durch die wiederholte Begehung von Delikten gegen die körperliche Integrität und gegen fremdes Vermögen indizierte Gemeingefahr auszuschließen. Bei der Verurteilung wegen Suchtgifthandels handle es sich um die zweite einschlägige Verurteilung, weshalb davon auszugehen sei, dass beim Revisionswerber ein hohes Rückfallrisiko bestehe. Die vom Revisionswerber während seines Aufenthalts im Bundesgebiet gesetzten Handlungen seien daher jedenfalls geeignet, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit ausgeführt, das BVwG gehe zu Unrecht davon aus, dass die letzte verübte Straftat sowie sämtliche andere Straftaten in der Gesamtschau ein besonders schweres Verbrechen nach § 6 Abs. 2 Z 4 AsylG 2005 darstellen würden. Das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber sich zum ersten Mal in Strafhaft befinde und auf Grund der anderen verübten Delikte keine beträchtlichen sowie überwiegend bedingte Freiheitstrafen verhängt worden seien. Ferner habe das BVwG auch nicht beachtet, dass drei der vier Verurteilungen unter Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) erfolgt seien. Demnach habe dem Revisionswerber die nötige Reife gefehlt, um von einem besonders schweren Verbrechen ausgehen zu können. In diesem Zusammenhang fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, inwieweit die Wertung des § 5 Z 10 JGG in das Asylrecht einfließen solle. Bei der Beurteilung der Gemeingefährlichkeit habe das BVwG das Schreiben der Bewährungshelferin nicht berücksichtigt und sei somit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Das BVwG habe auch unbeachtet gelassen, dass das Landesgericht im letzten Urteil vom Widerruf der bedingten Freiheitsstrafe nach § 53 StGB abgesehen und nur die Probezeit auf fünf Jahre verlängert habe. Dies stehe in einem denklogischen und unauflösbaren Widerspruch mit der Annahme einer Gemeingefährlichkeit. Auch dazu gebe es keine Judikatur.
12 Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 vorliegt. Im vorliegenden Fall wurde die Asylaberkennung auf den in § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 genannten Ausschlussgrund gestützt.
13 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss (erstens) ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür (zweitens) rechtskräftig verurteilt worden, (drittens) gemeingefährlich sein und (viertens) müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109, mwN).
14 Unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" im Sinn von § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 fallen nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522, mwN), wobei es sich dabei um eine demonstrative und daher keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GFK handelt (vgl. VwGH Ra 2017/19/0109, mwN).
15 Das im vorliegenden Fall herangezogene Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG ist somit grundsätzlich vom Begriff des "besonders schweren Verbrechens" umfasst.
16 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird betont, dass es auf die Strafdrohung allein bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, nicht ankommt. So genügt es demnach nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei unter anderem auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung, ob ein "besonders schweres Verbrechen" vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen (vgl. VwGH Ra 2018/19/0522).
17 Das BVwG hat eine konkrete fallbezogene Prüfung des vom Revisionswerber verübten Verbrechens vorgenommen und insbesondere die im vorliegenden Fall relevanten Tatumstände, nämlich mehrere Angriffe über einen Zeitraum von zumindest zwei Monaten und deutliche Überschreitung der Grenzmenge (1250g Cannabiskraut), berücksichtigt. Mildernd wurde das Geständnis des Revisionswerbers gewertet. Die drei einschlägigen Vorstrafen und der äußerst rasche Rückfall hat das BVwG indes erschwerend berücksichtigt. Auch schon im Zeitraum Oktober 2015 bis Juli 2016 seien vom Revisionswerber 500 Gramm Marihuana erworben, besessen und in der Folge weitergegeben worden. Das gegen ihn ergangene Urteil habe ihn jedoch nicht davon abgehalten, auch in den darauffolgenden Monaten weiterhin Handel mit Cannabis zu betreiben.
18 In Anbetracht der wiederholten Verstöße gegen das SMG und der dargestellten qualifizierten Suchtgiftdelinquenz, vor allem in Bezug auf die Menge des gehandelten Suchtmittels, erscheint es zumindest vertretbar, die verübte einschlägige Straftat unter den Begriff des besonders schweren Verbrechens zu subsumieren. Dass das BVwG bei der Beurteilung, wonach im Revisionsfall ein besonders schweres Verbrechen im Sinn von § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vorliege, von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
19 Sofern die Revision in diesem Zusammenhang rügt, das BVwG habe nicht berücksichtigt, dass der Revisionswerber bei seinen ersten Taten unter Anwendung des JGG verurteilt worden sei, verkennt es, dass das BVwG auf Grund der letzten Verurteilung wegen des Suchtgifthandels von einem besonders schweren Verbrechen ausgegangen ist und die vorherigen Straftaten lediglich zur Untermauerung der beim Revisionswerber vorhandenen Neigung zu gesetzwidrigem Verhalten herangezogen hat.
20 Zum Vorbringen, es würde Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 5 Z 10 JGG fehlen, ist auf das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2018, Ra 2017/18/0246, zu verweisen. Darin hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass § 5 Z 10 JGG eine Verwaltungsbehörde jedenfalls nicht daran hindert, die Verurteilung einer Person wegen einer von ihr begangenen Jugendstraftat in ihrem Verfahren zu berücksichtigen, wenn die einschlägigen Normen des Verwaltungsrechts dies im Speziellen anordnen oder die Bedachtnahme auf diese strafrechtliche Verurteilung als Teil einer Gesamtbeurteilung des Verhaltens dieser Person im Rahmen einer Gefährdungsprognose erfolgt. Der Rechtsfolgenausschluss greift hingegen dort, wo Rechtsfolgen einer strafrechtlichen Verurteilung für den Bereich des Verwaltungsrechts auf Grund gesetzlicher Anordnung ex lege (mit Rechtskraft des Urteils) eintreten und die Aberkennung - wie etwa im Fall des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 - zwingend und ohne eigenes Prüfkalkül der Asylbehörde stattfindet.
Wie in Rn. 13 zur Prüfung der Voraussetzungen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 dargelegt, hat im Fall der Heranziehung dieses Aberkennungstatbestandes die Bedachtnahme auf die strafrechtliche Verurteilung im Rahmen einer Gesamtbeurteilung des Verhaltens der betreffenden Person im oben beschriebenen Sinn zu erfolgen.
21 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0394, mwN).
Eine solche Relevanzdarstellung gelingt der Revision mit dem Vorbringen, das BVwG habe sich nicht mit dem Schreiben der Bewährungshelferin auseinandergesetzt, nicht.
22 Wenn die Revision in der Zulässigkeitsbegründung schließlich vorbringt, das Absehen vom Widerruf der bedingten Freiheitsstrafe stehe in einem denklogischen und unauflösbaren Widerspruch zur Annahme einer Gemeingefährlichkeit und es fehle Judikatur zu § 53 StGB, ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die verwaltungsrechtliche Gefährdungsprognose grundsätzlich unabhängig von den - die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden - Erwägungen des Strafgerichtes erfolgt (vgl. die zum Fremdenrecht ergangenen Erkenntnisse VwGH 6.7.2010, 2010/22/0096, und VwGH 19.5.2011, 2008/21/0042).
23 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 15. April 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190003.L02Im RIS seit
02.06.2020Zuletzt aktualisiert am
03.06.2020