TE Bvwg Beschluss 2019/9/23 W118 2166802-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.09.2019
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Entscheidungsdatum

23.09.2019

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W118 2166802-2/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. ECKHARDT in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2019, Zl. XXXX , erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2019, Zl. XXXX , ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die von der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betroffene Fremde hat am 19.03.2015 bei der Österreichischen Botschaft in Teheran einen Antrag auf Einreise gemäß § 35 AsylG 2005 gestellt. Die Einreise wurde in der Folge nicht gestattet, da die Bezugsperson, ein in Österreich subsidiär schutzberechtigter Sohn der nunmehrigen Antragstellerin, bereits volljährig gewesen sei.

2. Die Antragstellerin ist im September 2016 illegal in die Republik Österreich eingereist und hat am 12.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die Antragstellung wurde im Wesentlichen mit dem Krieg, der Sicherheitslage und den Taliban begründet.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 12.09.2016 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen; gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Antragstellerin nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit am 15.10.2018 mündlich verkündeten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, GZ. W216 2166802-1/21E, als unbegründet abgewiesen. Die gekürzte Ausfertigung des Erkenntnisses wurde der Vertreterin der Antragstellerin am 28.11.2018 zugestellt.

4. Am 19.08.2019 brachte die Antragstellerin einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz ein. Zufolge den Angaben bei der Erstbefragung habe sich an den Fluchtgründen nichts geändert. In Afghanistan gebe es viele Feinde, die Antragstellerin habe Angst um ihr Leben. Ihre ganze Familie befinde sich hier in Österreich.

5. Am 26.08.2019 wurde der Antragstellerin mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben.

6. Mit Bescheid vom 17.09.2019 wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Mutwillensstrafe in der Höhe von EUR 726,-- verhängt, da sie einen Folgeantrag gestellt habe, ohne neues Vorbringen zu erstatten und sohin offenkundig sei, dass sie den Antrag ausschließlich mit dem Ziel gestellt habe, ihre rechtmäßige Abschiebung nach Afghanistan zu verhindern.

7. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 17.09.2019 brachte die Antragstellerin im Beisein einer Rechtsberaterin, eines Dolmetschers und ihres Sohnes keine neuen Fluchtgründe vor. Sie wies darauf hin, dass die Beschwerdeverfahren ihres Ehemannes und ihrer Tochter noch offen seien und sie überdies in Afghanistan keine Angehörigen oder Bekannte mehr habe. Zu den Länderfeststellungen führte sie aus, dass die Sicherheitslage extrem schlecht sei, dass dauerhaft Krieg herrsche und auch Kabul nicht sicher sei. Die Rechtsberaterin hielt fest, dass die Antragstellerin als alleinstehende Frau nach Afghanistan abgeschoben würde, da ihre Familie in Österreich anhängige Verfahren habe. Aufgrund dessen würde eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin gemäß Art. 3 und 8 EMRK vorliegen.

Im Anschluss an die Befragung wurde mündlich verkündet, dass der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben werde. Das Bundesamt stellte fest, dass die Antragstellerin keine neuen Fluchtgründe vorgebracht und sich der maßgebende Sachverhalt nicht geändert habe. Die Antragstellerin sei verheiratet und habe zwei volljährige Kinder, die in Österreich aufhältig seien. Der Sohn der Antragstellerin sei subsidiär schutzberechtigt. In Afghanistan würde ein Bruder der Antragstellerin leben, zu dem sie allerdings keinen Kontakt habe. Es hätten keine Umstände festgestellt werden können, die auf ein schützenswertes Familie- oder Privatleben in Österreich hinweisen würden. Die Lage im Herkunftsstaat sei seit der Entscheidung über den vorherigen Antrag der Antragstellerin im Wesentlichen unverändert. Es gebe keine Gründe, warum sich die Antragstellerin im Rahmen einer innerstaatlichen Fluchtalternative - etwa in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat - keine neue Existenz aufbauen könnte. Ihr Sohn könnte sie auch finanziell aus Österreich unterstützen.

8. Mit Stellungnahme vom 18.09.2019 wies die Vertreterin der Antragstellerin darauf hin, dass das Erstverfahren der Antragstellerin nach einer Verhandlung, bei der sie nicht aus eigenem Verschulden nicht anwesend gewesen sei, negativ entschieden worden sei. Die Feststellung der belangten Behörde, dass sich der maßgebliche Sachverhalt nicht geändert habe, sei aktenwidrig und entspreche nicht den Tatsachen, da die Antragstellerin keinen Kontakt mehr zu ihren beiden Brüdern habe, von denen mittlerweile einer verstorben und der andere schwer erkrankt sei. Sie könne von der im Herkunftsstaat verbliebenen Familie daher keine Unterstützung mehr erwarten und wäre in Afghanistan völlig auf sich alleine gestellt. Darüber hinaus habe die Antragstellerin ein schützenswertes Familienleben in Österreich, da ihr Ehemann und ihre Tochter mittlerweile nach Österreich gekommen und hier aufhältig seien. Zusammen mit dem in Österreich daueraufenthaltsberechtigten Sohn würden sie das im Heimatland begonnene Familienleben fortsetzen. Entgegen den Ausführungen des Bundesamtes würde die Antragstellerin - trotz Verlegung ihres Wohnsitzes zur EASt Ost aufgrund einer Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - engen Kontakt mit ihren Familienangehörigen pflegen und kümmere sie sich überdies um ihren zuckerkranken Ehemann. Des Weiteren habe es das Bundesamt verabsäumt, sich mit den aktuellen Länderfeststellungen auseinanderzusetzen, zumal sich aus den verfügbaren Berichten eine verschlechterte Versorgungs- und Sicherheitslage ergebe. Der EGMR habe in seiner Entscheidung vom 28.03.2013, Zl. 2964/12, klargestellt, dass sich österreichische Behörden trotz entschiedener Sache auch ohne Änderung des Sachverhalts immer mit einer Verletzung von Art. 3 EMRK auseinanderzusetzen hätten. Schließlich wies die Antragstellerin darauf hin, dass es auch bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 12a Abs. 2 Z 1 bis 3 im Ermessen des Bundesamtes liege, den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben. Die für die Ermessensübung maßgeblichen Umstände und Erwägungen (vgl. VwGH 22.05.2012, 2008/04/0076; 29.01.2014, 2013/03/0148) habe das Bundesamt nicht dargelegt. Eine Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes sei im vorliegenden Fall daher weder zulässig noch gerechtfertigt.

9. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte den Verwaltungsakt mit dem gemäß § 62 Abs. 2 AVG beurkundeten Bescheid vom 17.09.2019 dem Bundesverwaltungsgericht vor. Der Akt langte bei der zuständigen Gerichtsabteilung W118 am 20.09.2019 ein, worüber das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 22 Abs. 2 BFA-VG in Kenntnis gesetzt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Antragstellerin ist Staatsangehörige von Afghanistan, der Volksgruppe der Sayed zugehörig und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Sie hat zehn Jahre in Kabul und mehrere Jahre im Iran gelebt.

Die Antragstellerin hat Afghanistan verlassen, ist in das Bundesgebiet eingereist und hat am 12.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2017 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen wurde. Mit dieser Entscheidung wurde auch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.10.2018, GZ. W216 2166802-1/21E, rechtskräftig abgewiesen.

Die Antragstellerin ist ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und hat das Bundesgebiet seit ihrer Einreise im Jahr 2016 nicht verlassen.

Am 19.08.2019 brachte die Antragstellerin neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Sie bezog sich dabei auf Gründe, die bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des ersten Verfahrens bestanden haben.

In Afghanistan lebt nur mehr ein Bruder der Antragstellerin, zu dem diese angegeben hat, sie habe keinen Kontakt und sei dieser an Hepatitis B schwer erkrankt.

In Österreich lebt ein volljähriger Sohn der Antragstellerin, dem eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter erteilt wurde. Außerdem halten sich nunmehr auch ihr Ehemann und eine volljährige Tochter der Antragstellerin in Österreich auf, deren Asylbeschwerdeverfahren aktuell beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind (Beschwerdeverhandlung jeweils am 20.09.2019). Die Antragstellerin lebte zumindest vorübergehend mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt und hat auch weiterhin ständig Kontakt zu allen drei in Österreich aufhältigen Angehörigen.

Die Antragstellerin leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Krankheit.

Eine maßgebliche Änderung der Sicherheits- und Versorgungslage seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.10.2018 - insbesondere im Hinblick auf die Städte Herat und Mazar-e Sharif - wurde nicht konkret dargetan und kann auch sonst nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person der Antragstellerin, dem ersten Asylverfahren und dessen Erledigung ergeben sich aus den Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.10.2018. Die Feststellungen zum zweiten, gegenständlichen, Antrag auf internationalen Schutz und dem hierzu erstatteten Vorbringen der Antragstellerin ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - insbesondere dem angefochtenen Bescheid vom 17.09.2019.

Hinsichtlich des Familienlebens der Antragstellerin wurde auch deren Stellungnahme vom 19.09.2019 berücksichtigt, die mit dem Inhalt des Verwaltungsaktes des Bundesamtes in Einklang zu bringen ist.

Die Feststellung, dass die Antragstellerin an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Krankheit leidet, ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin keine ärztlichen Unterlagen in Vorlage gebracht hat, die eine solche Erkrankung nachweisen würden, und ihren Angaben in der Einvernahme vom 17.09.2019.

Die Feststellung zu der im Wesentlichen unveränderten Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat ergibt sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt, das das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Grundlage für seinen Bescheid herangezogen und dem die Antragstellerin nicht substantiiert entgegengetreten ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Zu A)

Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG kann das Bundesamt, hat der Fremde einen Folgeantrag gestellt, den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn gegen ihn unter anderem eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG besteht (Z 1), der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z 3).

Nach § 22 Abs. 1 BFA-V G ist eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde, vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Gemäß § 22 Abs. 10 AsylG sind die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.

Die Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG bedeutet, dass "eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags" zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern (VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451; 12.12.2018, Ra 2018/19/0010).

Im vorliegenden Fall wurde ein Folgeantrag gestellt, nachdem der Erstantrag bereits rechtskräftig abgewiesen und eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung erlassen worden war. Damit ist der Anwendungsbereich des § 12a Abs. 2 AsylG grundsätzlich eröffnet und das Bundesamt "kann" bei Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 bis 3 den faktischen Abschiebeschutz aberkennen.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.10.2018 wurde auch die Beschwerde gegen die gegen die Antragstellerin erlassene Rückkehrentscheidung (rechtskräftig) abgewiesen, weswegen eine aufrechte Rückkehrentscheidung besteht (Z 1). Die Antragstellerin hat im Übrigen das Bundesgebiet seither nicht verlassen.

Die im Sinne der oben zitierten Judikatur erforderliche Grobprüfung ergibt, dass die Antragstellerin - wie dem festgestellten Sachverhalt zu entnehmen ist - das Vorliegen neuer Fluchtgründe nicht behauptet hat. Auch wesentliche Änderungen der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan seit dem 15.10.2018 sind nicht ersichtlich.

Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.10.2018 sind allerdings Änderungen in den persönlichen Umständen der Antragstellerin - sowohl in Österreich als auch in Afghanistan - eingetreten. Während sich der Ehemann und die Tochter der Antragstellerin im vorangegangenen Asylverfahren noch in Griechenland aufgehalten haben, leben diese nun ebenfalls in Österreich und haben - zumindest bis der Antragstellerin laut eigenen Angaben eine andere Unterkunft zugewiesen wurde - im gemeinsamen Haushalt. Auch nachdem die Antragstellerin ihren Wohnsitz verlegt hat, pflegten die drei genannten Angehörigen offenbar engen Kontakt, womit sich das Bundesamt allerdings nicht hinreichend auseinandergesetzt hat. Insbesondere ist dem angefochtenen Bescheid keineswegs nachvollziehbar zu entnehmen, warum hinsichtlich des Ehegatten der Antragstellerin nicht von einem schützenswerten Familienleben ausgegangen wird. Abgesehen von dem Vorbringen der Antragstellerin, dass die Aufgabe des gemeinsamen Wohnsitzes auf Betreiben des Bundesamtes erfolgt sei, darf allein aus dem Fehlen eines gemeinsamen Wohnsitzes nicht geschlossen werden, dass ein Familienleben jedenfalls nicht vorliegt (vgl. VwGH 22.09.2011, 2008/18/0427; 26.06.2014, Ro 2014/21/0026). Hinzu tritt weiters, dass nach den Angaben der Antragstellerin aufgrund einer Erkrankung ihres Ehegatten allenfalls von einer besonderen Abhängigkeit auszugehen wäre.

Das Bundesverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung vom 15.10.2018 zugrunde gelegt, dass die Antragstellerin über zwei Brüder in Kabul verfügt, die dort auch berufstätig sind. Mittlerweile lebt aber - auch nach den Feststellungen des angefochtenen Bescheides - nur mehr ein Bruder der Antragstellerin in Afghanistan, wobei sie zu diesem in der Einvernahme am 17.09.2019 angegeben hat, dass er schwer erkrankt sei und sie keinen Kontakt mehr zu ihm habe. Auch die belangte Behörde ist demzufolge - abweichend von der rechtskräftigen Entscheidung des ersten Asylverfahrens - nicht von einer Unterstützung durch die genannten Brüder ausgegangen. Der vom Bundesamt ins Treffen geführten möglichen Unterstützung durch den in Österreich lebenden Sohn der Antragstellerin mangelt es an tragfähigen Feststellungen zu dessen wirtschaftlichen Möglichkeiten, zumal die Antragstellerin und ihr - als Vertrauensperson ebenfalls anwesender - Sohn in der Einvernahme angegeben haben, dass er derzeit studiere und von der Familienbeihilfe lebe.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat sich im Bescheid vom 17.09.2019 auch nicht hinreichend damit auseinandergesetzt, dass die Antragstellerin im Falle einer Rückkehr ohne ihre Angehörigen, deren Beschwerdeverfahren derzeit noch offen sind, mangels eines familiären Netzes in Afghanistan nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht keine Unterstützung seitens dort lebender Angehöriger erwarten könnte, sondern als alleinstehende Frau nach Afghanistan zurückkehren würde. Den aktuellen Länderfeststellungen des Bundesamtes ist hiezu etwa zu entnehmen: "Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018)." Auf die erforderliche Berücksichtigung der UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 ist zu verweisen.

Wie vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Judikat zu Ra 2018/19/0010 vom 12.12.2018 festgehalten, verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, "dass die beschleunigte Abwicklung des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht in erster Linie anhand des Ergebnisses der vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bis dahin vorgenommenen Ermittlungen zu erfolgen hat. Lässt dieses Ermittlungsergebnis aber die einwandfreie Beurteilung im Rahmen der Grobprüfung nicht zu, sondern bedarf es dafür erheblicher ergänzender Ermittlungen, kann diese von der Behörde zu vertretende Mangelhaftigkeit nicht zum Nachteil des Fremden ausschlagen." Im derzeitigen Verfahrensstadium und aufgrund der hier lediglich vorzunehmenden Grobprüfung kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom 19.08.2019 wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird. Auch eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 oder 8 EMRK insbesondere im Falle einer nicht im Familienverband durchgeführten Abschiebung der Antragstellerin nach Afghanistan ist vor diesem Hintergrund nicht von vornherein auszuschließen. Somit sind zwei der drei Voraussetzungen, unter denen der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben werden darf, derzeit nicht erfüllt.

Im Übrigen ist in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles auch nicht zu erkennen, dass die belangte Behörde die für die Ermessensübung maßgeblichen Umstände und Erwägungen nachvollziehbar dargelegt hat (vgl. VwGH 22.05.2012, 2008/04/0076; 29.01.2014, 2013/03/0148).

Gemäß § 22 Abs. 1 BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden, ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG ist dem Gesetz nach in diesem Fall nicht möglich.

Der (fingierten) Beschwerde im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes war somit stattzugeben und der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2019 aufzuheben (zur Formulierung des Spruches vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0010, Rz 31).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verfahrensgegenstand und Prüfumfang zur Überprüfung der Rechtsmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach §§ 22 Abs. 10 und 12a Abs. 2 AsylG (VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451; 12.12.2018, Ra 2018/19/0010).

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen, alleinstehende Frau, aufrechte
Rückkehrentscheidung, Behebung der Entscheidung, ersatzlose
Behebung, faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig,
familiäre Situation, Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W118.2166802.2.00

Zuletzt aktualisiert am

02.06.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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