TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/24 W110 2208674-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.01.2020
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Entscheidungsdatum

24.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W110 2208674-1/36E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2015, Zahl: 1077508502-150830825, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.08.2019 und am 10.12.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 10.07.2015 nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der am nächsten Tag durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer u.a. an, dass er im Iran geboren worden und dort aufgewachsen sei. Als Ausreisegrund nannte der Beschwerdeführer die vorherrschende Armut und seine Arbeitslosigkeit. Er, der Beschwerdeführer, habe sich weiterbilden wollen, und dies sei im Iran, wo er unter Druck gelebt habe, nicht möglich gewesen. Die iranischen Staatsbürger hätten Afghanen diskriminiert. Als Rückkehrbefürchtung nannte der Beschwerdeführer die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan.

2. Das Gutachten eines Sachverständigen zur Altersfeststellung gelangte zum Ergebnis, dass das vom Beschwerdeführer behauptete Lebensalter bzw. Geburtsdatum mit dem festgestellten Mindestalter unvereinbar und die Volljährigkeit des Beschwerdeführers anzunehmen sei.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom XXXX die im Gefolge eines Suizidversuchs erfolgte Unterbringung des Beschwerdeführers in der psychiatrischen Klinik des XXXX vorläufig für zulässig erklärt. Im Rahmen der Unterbringungsverhandlung wurde von medizinischer Seite eine Psychose unklarer Genese zusätzlich zur Anpassungsstörung mit Suizidalität, selbstschädigendem Verhalten und dissoziativen Anfällen diagnostiziert. Der Kurzarztbrief vom XXXX enthielt die Diagnose einer depressiven Anpassungsstörung mit Selbstmordversuch durch Mischintoxikation.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.03.2018 erklärte der Beschwerdeführer, über keine Verwandten in Afghanistan zu verfügen. Seine Eltern hätten Afghanistan verlassen, bevor der Beschwerdeführer im Iran geboren worden sei. Auf Nachfrage konnte der Beschwerdeführer über den Fluchtgrund seiner Eltern keine näheren Angaben machen. Den Iran habe er, der Beschwerdeführer, "wegen der Polizei" und wegen fehlender Weiterbildungsmöglichkeiten verlassen. Befragt nach seinen Rückkehrbefürchtungen hinsichtlich Afghanistan erklärte der Beschwerdeführer schließlich, dass er auf Grund familiärer Grundstücksstreitigkeiten von seinem in Bamian lebenden Onkel getötet werden würde. Gemäß dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 27.07.2018 diagnostizierte der von der Behörde für das Verfahren bestellte Sachverständige beim Beschwerdeführer eine Anpassungsstörung mit einer leichtgradigen depressiven Reaktion, den Verdacht auf eine instabile Persönlichkeitsstörung und anamnestisch wiederholte psychotische Episoden. Von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit des Krankheitsbildes einer Anpassungsstörung sei nicht auszugehen, eine vollständige Heilung möglich. Bezüglich der Persönlichkeitsstörung sei von einer längerdauernden Behandlung auszugehen, eine Psychotherapie im Heimatland anzuraten. Der Beschwerdeführer sei zeitlich, örtlich, situativ und zur Person derart orientiert, dass er in der Lage sei, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen. Der Beschwerdeführer sei auf Grund psychischer Beschwerden und wegen familiärer Probleme bereits im Iran in fachärztlicher neurologisch-psychiatrischer Behandlung gewesen und habe entsprechende Medikamente erhalten. Die bereits eingeleitete medikamentöse Therapie sollte - so der Sachverständige - auch in Afghanistan weitergeführt werden; regelmäßige Kontakte bei einem Facharzt oder einem Mediziner und eine Psychotherapie seien in Afghanistan anzuraten. Eine Wartezeit bis zu einem Arzttermin sei medizinisch vertretbar. Im Falle einer Überstellung des Betroffenen in seine Heimat sei eine kurz- bis mittelfristige Verschlechterung des Krankheitsbildes möglich, da sein Wunsch eines Verbleibs in Österreich nicht erfüllt werden würde.

Dieses Gutachten wurde schließlich in der Einvernahme vom 14.09.2018 mit dem Beschwerdeführer erörtert.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 (im Folgenden: AsylG 2005), ebenso wie nach § 8 Abs. 1 leg. cit. ab (Spruchpunkte I. und II.). Gemäß Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Festgestellt wurde ferner, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte V. und VI.). Nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle stellte die belangte Behörde die Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers sowie ferner fest, dass der Beschwerdeführer in ärztlicher Behandlung sei, aber an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leide. Eine wie auch immer geartete Verfolgung oder Gefährdung des Beschwerdeführers vermochte die belangte Behörde nicht festzustellen.

4. Dagegen richtete sich die vorliegende Beschwerde. Wie auch bereits im Rahmen seiner Untersuchung durch den psychiatrischen Sachverständigen gab der Beschwerdeführer in seinen Beschwerdeausführungen an, einen Monat lang in Syrien im Krieg gekämpft zu haben, bevor er in den Iran zurückgekehrt sei. Da er im Iran vor die Alternative gestellt worden sei, entweder nochmals nach Syrien zu gehen oder nach Afghanistan abgeschoben zu werden, habe er sich zur Flucht aus dem Iran entschlossen. Außerdem habe er sich mittlerweile dem Christentum zugewendet und befürchte, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan deswegen sowie von den Feinden seiner Eltern umgebracht zu werden. In Afghanistan habe er niemanden. Seine im Iran lebende Familie könne ihn auf Grund finanzieller Probleme nicht unterstützen. Außerdem sei die Lage in Afghanistan prekär.

5. Am 02.07.2019 ging beim Bundesverwaltungsgericht ein Bericht der Landespolizeidirektion Oberösterreich ein, demzufolge der stark alkoholisierte Beschwerdeführer sich selbst mit einem Messer Schnittverletzungen von der Wange bis zum Hals zugefügt und behauptet habe, dass ihm diese Verletzungen von einer näher genannten Person zugefügt worden seien.

Mit Schreiben vom 23.07.2019 bestätigte eine evangelische Pfarrgemeinde, dass der Beschwerdeführer seit Herbst 2018 regelmäßig die Gottesdienste und Veranstaltungen der Pfarrgemeinde besuche und sich aktiv durch ehrenamtliche Mitarbeit einbringe. Weiters wurden Termine aufgelistet, an denen der Beschwerdeführer den Taufwerberkurs besucht habe. Mit Telefax vom selben Tag legte der Beschwerdevertreter eine Arbeitsbestätigung, eine Bestätigung über den stationären Aufenthalt des Beschwerdeführers im XXXX vom 29.06.2019 bis 05.07.2019 sowie eine Bestätigung einer römisch-katholischen Pfarrgemeinde über ehrenamtliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers vor.

6. Am 06.08.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und sein Beschwerdevertreter teilnahmen (vorab war das Länderinformationsblatt vom 04.06.2019 mit der Ladung zur Verhandlung dem Beschwerdeführer übermittelt worden). Da der Beschwerdeführer zu Beginn seiner Befragung Selbstmordabsichten äußerte, wurde die Verhandlung zwecks Einholung eines psychiatrischen Sachverständigen-Gutachtens vertagt.

In ihrem Bericht vom 13.09.2019 teilte die Landespolizeidirektion Oberösterreich mit, dass am Tag zuvor in der Asylwerberunterkunft (im Zuge einer Amtshandlung wegen eines anderen randalierenden Asylwerbers) der Beschwerdeführer infolge Alkoholkonsums gegenüber Polizisten und Rettungskräften zunächst mit einem Messer seine Selbsttötung angedroht sowie ferner gedroht habe, einen Bahnhof in die Luft zu sprengen und "100, 200" Personen töten zu wollen, wobei er auch den Polizeibeamten gegenüber unter "Allahu Akbar"-Rufen gedroht habe, ihnen den Kopf abzuschneiden. Schließlich wurde der Beschwerdeführer gemäß dem Unterbringungsgesetz in eine psychiatrische Klinik gebracht.

Mit Schriftsatz vom 01.10.2019 übermittelte die Beschwerdevertreterin eine vom Beschwerdeführer mit einer Gemeinde getroffene Vereinbarung über eine gemeinnützige Beschäftigung im Ausmaß von drei Tagen.

In ihrem Bericht vom 15.10.2019 teilte die Landespolizeidirektion Oberösterreich mit, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund von Suizidgedanken massive Schnittverletzungen am linken Oberarm zugefügt und mehrfach gedroht habe, sich umzubringen. Der Beschwerdeführer wurde in der Folge in eine psychiatrische Klinik eingeliefert.

7. Der mit Beschluss vom 10.09.2019 zum nichtamtlichen Sachverständigen bestellte Facharzt für Psychiatrie und Neurologie erstattete ein Gutachten, in dem er zum Ergebnis gelangte, dass beim Beschwerdeführer eine Anpassungsstörung mit längerdauernder depressiver Reaktion vorliege. Als weiteren Störungsbereich fänden sich Hinweise auf das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung iSe emotional instabilen Persönlichkeitsstörung.

Mit Äußerung vom 27.11.2019 nahm der Beschwerdeführer zum Sachverständigen-Gutachten Stellung und brachte u.a. vor, als Christ bzw. Glaubensabtrünniger Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt zu sein. Weiters wies er darauf hin, dass er in Syrien im Krieg gekämpft habe und legte eine diesbezügliche Anfragebeantwortung der Staatendokumentation über die Behandlung von afghanischen Rückkehrern aus dem Syrien-Krieg in Afghanistan vor. Eine Rückführung würde zur Verschlechterung der Anpassungsstörung führen. Aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan, seines gesundheitlichen Zustandes und des fehlenden sozialen Auffangnetzes würde der Beschwerdeführer keine Arbeit finden, sich die notwendigen Behandlungen bzw. Medikamente nicht leisten und sich nicht ernähren können, weshalb Art. 3 EMRK einer Abschiebung entgegen stehe.

8. Am 10.12.2019 wurde die vertagte Beschwerdeverhandlung fortgesetzt, im Zuge derer der Beschwerdeführer integrationsbescheinigende Unterlagen (Gehaltsbestätigungen bezüglich einer viertägigen Saisonarbeit sowie Vereinbarungen über gemeinnützige Beschäftigungen für drei bzw. fünf Tage im August, September und Oktober 2019) sowie ein Medikamentenblatt zum Beweis seiner medikamentösen Behandlung vorlegte.

Im Rahmen seiner Einvernahme gab der Beschwerdeführer u.a. an, seinen Militäreinsatz in Syrien in den Einvernahmen vor der belangten Behörde aus Angst nicht erwähnt zu haben. Er fürchte sich im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan aber weniger vor allfälligen Konsequenzen wegen seines Aufenthaltes in Syrien, als vielmehr vor seinem Onkel, dem sein Vater im Rahmen einer Aussprache in Afghanistan mit Sicherheit ein Foto des Beschwerdeführers gezeigt habe. Der Streit mit seinem Onkel beruhe auf einem Konflikt wegen eines Grundstücks. Der zweite Onkel väterlicherseits, der ebenfalls in Afghanistan lebe, habe Probleme mit den Taliban. Er sei bislang nicht getauft worden, da er wegen seiner Übersiedlung in ein anderes Asylwerberheim nicht mehr am Taufvorbereitungskurs teilnehmen habe können. Aus Kostengründen, die die Anreise erfordere, könne er derzeit die Kirche nicht besuchen.

9. Beweis wurde erhoben durch die Einvernahme des Beschwerdeführers, durch Einsichtnahme in den Inhalt des Verwaltungsaktes, in die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen, in das psychiatrische Sachverständigen-Gutachten, in das Länderinformationsblatt vom 04.06.2019, in eine aus Informationen des Länderinformationsblattes vom 13.11.2019 bestehende Länderberichtszusammenfassung (Beil ./3), in den Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019 (Beil ./4) sowie Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation vom 23.11.2018 und 26.3.2019 (Beil ./5 und ./6).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Folgender Sachverhalt steht fest:

1.1 Zur Situation in Afghanistan:

1.1.1 Allgemeines

Nach Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte befindet sich Afghanistan in einer schwierigen Aufbauphase und einer weiterhin volatilen Sicherheitslage. Die staatlichen Strukturen sind noch nicht voll arbeitsfähig. Tradierte Werte stehen häufig einer umfassenden Modernisierung der afghanischen Gesellschaft entgegen (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan sowie Islamic Movement of Uzbekistan, und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 13.11.2019, S. 26).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen ist kaum entwickelt. Die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 324).

Im Frühjahr 2019 hatten sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart. Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (LIB 13.11.2019, S. 18).

1.1.2 Sicherheitslage

Der afghanischen Regierung ist es weiterhin gelungen, die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul, die größeren Bevölkerungszentren, die meisten wichtigen Straßen, über Provinzzentren und die Mehrheit der Distrikte aufrecht zu erhalten. Die afghanischen Sicherheitskräfte verfügen jedoch nicht über genügend Kräfte, um den Taliban-Offensiven, die in über der Hälfte der 34 Provinzen stattfinden, standzuhalten (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12.9.2019).

Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen - wie bereits in der Vergangenheit auch schon - das Kampfniveau deutlich zurückging, als regierungsfreundliche und regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten. Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren. Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt (LIB 13.11.2019, S. 19).

Weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente erzielten zuletzt signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet. In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten. So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan.

Für das gesamte Jahr 2018 registrierten die Vereinten Nationen in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (LIB 13.11.2019, S. 20). Für den Berichtszeitraum 10.5. - 8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert. Für den Berichtszeitraum 8.2. -9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist. Für den Berichtszeitraum 10.5. - 8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018. Im Gegensatz dazu, registrierte die NGO International NGO Safety Organisation für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es

18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (LIB 13.11.2019, S. 21).

Rund 39% der afghanischen Distrikte standen Anfang 2019 unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen, und 37% wurden von den Taliban kontrolliert. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat kontrollierte rund 4% der Distrikte. Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (LIB 13.11.2019, S. 23).

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

1.1.2.1 Situation in Kabul (Stadt/Provinz)

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans mit rund 5 Mio. Einwohnern (LIB 13.11.2019, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen (LIB 13.11.2019, S. 38).

Die afghanische Regierung behielt die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (LIB 13.11.2019, S. 38).

Im Jahr 2018 wurden 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul dokumentiert. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 40).

Beispielsweise fanden Ende Mai 2019 in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt. Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Mai-Wochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen. Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt. Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt (LIB 4.6.2019, S. 14f.).

Im Vergleich zu Herat und Mazar-e Sharif ist Kabul - hinsichtlich der Nahrungsmittelsicherheit - nicht am stärksten vom Lebensmittelnotstand betroffen, jedoch importiert die Stadt den Großteil des Bedarfes aus umliegenden Regionen und dem Ausland. Es gibt große Schwankungen bei der Lieferung, und es kommt zu Knappheiten bei bestimmten Lebensmitteln. Es gibt keine Speicherkapazität für größere Mengen Getreide, und es gibt keine Maßnahmen wie Preisregulierungen oder Coupons, um vulnerable Haushalte zu schützen. Die Lebensmittelversorgung in Kabul und Mazar-e Sharif ist Stand Dezember 2018 "angespannt", das bedeutet, dass trotz humanitärer Unterstützung mindestens ein Fünftel der Haushalte einen minimal ausreichenden Lebensmittelkonsum aufweist, aber nicht in der Lage ist, notwendige Ausgaben abseits von Lebensmitteln zu bestreiten (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 3.5.2019, S. 3).

1.1.2.2 Situation in Herat

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt, die als "sehr sicher" gilt, und von den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban.

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:

Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt (LIB 13.11.2019, S. 106).

Das Ausmaß der Gewalt ist im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger. Im Jahr 2018 wurden 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat dokumentiert. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper, gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Taliban(-anführer) getötet.

Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand, wo es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen kommt, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch. Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat: Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch sei, sondern sich täglich ändere und sich in einer Pattsituation befinde. Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an, und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften, wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol. Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (LIB 13.11.2019, S. 108 f.).

Was die Nahrungsmittelversorgung anbelangt, ist zu bemerken, dass weit verbreitete Konflikte und die schwere Dürre über 150.000 Menschen gezwungen haben, aus ihren Dörfern im Nordwesten Afghanistans zu fliehen und in der Stadt Herat Schutz zu suchen. Ihr Zustand ist nach wie vor äußerst prekär, da sie mit Nahrungsmittelmangeln und begrenztem Zugang zur Gesundheitsversorgung konfrontiert sind. Die Lebensbedingungen dieser Menschen sind unzureichend und in Bezug auf Unterkünfte, Wasser und sanitäre Einrichtungen besonders schlecht (ACCORD-Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 27.7.2019 S. 11). Das Famine Early Warning System Network (FEWS NET) bewertet die Versorgungslage in der Stadt Herat mit Phase 2 (Phase 1 "Minimal" - 5 "Hungersnot"), wonach die Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht-nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD-Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 26.11.2019, S. 7).

1.1.2.3 Situation in Mazar-e Sharif

Die Provinz Balkh, deren Hauptstadt Mazar-e Sharif ist, gilt nach wie vor als eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut.

In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete. Es gibt eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat sympathisiert. Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet.

Im Jahr 2018 wurden 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben und gezielten Tötungen. Für das Jahr 2018 waren insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz verzeichnet worden. In den ersten 6 Monaten konnte ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (LIB 13.11.2019, S. 61 ff.).

Was die Nahrungsmittelversorgung betrifft, bewertet das FEWS NET die Versorgungslage in Mazar-e Sharif mit Phase 2 (Phase 1 "Minimal" - 5 "Hungersnot"), wonach die Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind, sich wesentliche, nicht-nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ACCORD-Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 26.11.2019, S. 7).

1.1.3 Ethnische Minderheiten

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 13.11.2019, S. 287.).

Die schiitische Minderheit der Hazara besiedelt traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt. Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage grundsätzlich verbessert, vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara repräsentieren mittlerweile in Afghanistan die neue Mittelklasse. Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der Haushalts vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Berichten zufolge halten Angriffe durch aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an. Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt. In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (LIB 13.11.2019, S. 290 f.).

1.1.4 Religionen

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (Bericht des deutschen Außenamtes vom 2.9.2019, S. 11).

1.1.5 Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen (LIB 13.11.2019, S. 264).

Zu den bedeutendsten Menschenrechtsfragen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen, Festnahmen (u. a. von Frauen wegen "moralischer Straftaten") und sexueller Missbrauch von Kindern durch Mitglieder der Sicherheitskräfte. Weitere Probleme sind Gewalt gegenüber Journalisten, Verleumdungsklagen, durchdringende Korruption und fehlende Verantwortlichkeit und Untersuchung bei Fällen von Gewalt gegen Frauen. Diskriminierung von Behinderten, ethnischen Minderheiten sowie aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung, besteht weiterhin mit geringem Zuschreiben von Verantwortlichkeit. Die weit verbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und die Straffreiheit derjenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben, sind ernsthafte Probleme. Missbrauchsfälle durch Beamte, einschließlich der Sicherheitskräfte, werden von der Regierung nicht konsequent bzw. wirksam verfolgt. Bewaffnete aufständische Gruppierungen greifen mitunter Zivilisten, Ausländer und Angestellte von medizinischen und nicht-staatlichen Organisationen an und begehen gezielte Tötungen regierungsnaher Personen. Regierungsfreundliche Kräfte verursachen eine geringere - dennoch erhebliche - Zahl an zivilen Opfern (LIB 13.11.2019, S. 265).

Ob eine Person bedroht ist, kann nur unter Berücksichtigung regionaler und lokaler Gegebenheiten und unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls, wie Ethnie, Konfession, Geschlecht, Familienstand und Herkunft, beurteilt werden (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 7).

1.1.6 Rekrutierung durch die Taliban

Das Konfliktschema in Afghanistan hat sich seit der Übergangsperiode 2014 verändert: Die Taliban konzentrieren sich seither auf den Aufbau einer professionelleren militärischen Organisation. Das hat Folgen für die Rekrutierung, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen, als auch im Hinblick auf ihre Ausbildung. Religion und die Idee des Dschihad spielen bei der Rekrutierung weiterhin eine bedeutsame Rolle, ebenso die wirtschaftlichen Gegebenheiten. Es sind Fälle von Zwangsrekrutierung dokumentiert, sie bilden allerdings die Ausnahme. Die Rekrutierung durch die Taliban ist nicht durch Zwang, Drohungen und Gewalt gekennzeichnet. Die Veränderungen des Konfliktschemas wirken sich auf die Rekrutierungsstrategien der Taliban aus, sowohl im Hinblick auf das Profil der rekrutierten Personen als auch auf die Ausbildung der Rekruten. Das Profil hat sich insofern verändert, als es sich nun um Personal handelt, das im direkten Konflikt mit dem Feind stehen wird. Das lässt vermuten, dass die Taliban sich aktiver als bisher bemühen, Personal mit militärischem Hintergrund und/oder militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Mitglieder werden auf der Grundlage ihrer Beziehung, ihres Rufes und ihrer Position von den Kommandanten persönlich rekrutiert. Ohne Zustimmung der Familie, insbesondere des Familienoberhaupts, wird für gewöhnlich nicht rekrutiert. Diejenigen zwischen 15 und 18 Jahren, die den Taliban eingegliedert werden, werden vermutlich nur nach Einsatzfähigkeit und Qualifikationen beurteilt, d.h. man wird mobilisiert, wenn man als tauglich befunden wird (Landinfobericht 2017 zur Rekrutierung durch die Taliban, S. 20 - 27).

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Aufständische Gruppen blieben auch weiterhin die Haupttäter bei der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindern. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden. Die Rekrutierer bedienen sich dabei skrupelloser Herangehensweisen. Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren weiterhin Kinder, um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen zu verwenden, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln sowie als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung (UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 7f.)

Die Rekrutierung durch die Taliban läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich. In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen. Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (LIB 13.11.2019, S. 261).

Personen, die aus Afghanistan fliehen, können einem Verfolgungsrisiko aus Gründen ausgesetzt sein, die mit einem fortwährenden Konflikt in Afghanistan oder mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die nicht in direkter Verbindung zum Konflikt stehen, zusammenhängen oder auf Grund einer Kombination aus beiden Gründen. Männer in wehrfähigem Alter und Kinder im Kontext von Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung können je nach spezifischen Umständen des Falls Risikoprofilen entsprechen (UNHCR-Richtlinien vom 30.8.2018, S. 59f). Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab (Bericht des deutschen Außenamtes vom 2.9.2019, S. 22).

Zwangsrekrutierungsversuche der Taliban, nämlich junge Leute zu zwingen, mit ihnen zusammenzuarbeiten, bleiben lokal beschränkt, wenn es keine Feindschaft zwischen den Taliban und den betroffenen Personen gibt. D.h. In Bezug auf Personen, die vor den Taliban in die Großstädte flüchteten, ist deren Verfolgung für die Taliban uninteressant, weil diese Aktion kostspielig und für die Taliban mit großem Risiko verbunden ist (Auszug aus einem Sachverständigen-Gutachten zu W172 2161730-1/25E und W172 2161730-2/12E).

1.1.7 Rückkehr

1.1.7.1 Rückkehrmöglichkeiten

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen (in Kabul, Herat, Mazar e-Sharif und Kandahar); alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt. Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung (LIB 13.11.2019, S. 328 und 356.).

1.1.7.2 Rückkehrsituation

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt (LIB vom 13.11.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, von den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und von Internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen. Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können.

IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an (LIB 13.11.2019, S. 354 f.).

1.1.7.3 Soziale Verhältnisse für Rückkehrer

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden. Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, "verwestlicht" zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann.

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt.

Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (Bericht des deutschen Außenamtes vom 2.9.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, ist begrenzt (LIB vom 13.11.2019, S. 354ff.).

1.1.7.4 Gesundheitsversorgung

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos (Bericht des deutschen Außenamtes vom 2.9.2019, S. 29). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden. Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen - auch bei kleineren Eingriffen - ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig. Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 344f.).

Innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. In der staatlichen Klinik in Kabul existieren 14 Betten zur stationären Behandlung. Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig. Die WHO geht davon aus, dass in ganz Afghanistan im öffentlichen, wie auch privaten Sektor insgesamt 320 Spitäler existieren, an welche sich Personen mit psychischen Problemen wenden können. Wie auch in anderen Krankenhäusern Afghanistans ist eine Unterbringung im Kabuler Krankenhaus von Patienten grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden (Bericht des deutschen Außenamtes vom 2.9.2019). So werden Patienten bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen.

Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in manchen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Menschen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und unter anderem bei folgenden Organisationen behandelt werden: bei International Psychosocial Organisation (IPSO) Kabul, Medica Afghanistan und PARSA Afghanistan. In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten: Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae mental hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäuser in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim private hospital), die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern. In Mazare-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan weiterhin hoch stigmatisiert, obwohl Schätzungen zufolge 50% der Bevölkerung psychische Symptome wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung zeigen. Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem. Psychisch Erkrankte sind oftmals einer gesellschaftlichen Stigmatisierung ausgesetzt (LIB 13.11.2019, S. 351 f.).

Viele Menschen in Afghanistan haben konfliktbedingt keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Behandlung von Traumata gilt als einer der wesentlichsten Mängel im öffentlichen Gesundheitswesen Afghanistans. Medizinische Einrichtungen werden zunehmend zum Ziel militärischer Angriffe (ACCORD Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 27.7.2019 S. 11).

1.1.7 Konversion zum Christentum und Apostasie

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken.

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden, Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden. Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (LIB 13.11.2019, S. 181 f.).

Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (LIB 4.6.2019, S. 314). Apostasie wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Allerdings sind dem Auswärtigen Amt in jüngerer Vergangenheit keine Fälle bekannt, in denen die Todesstrafe aufgrund von Apostasie verhängt wurde. Gefahr bis hin zur Ermordung droht hingegen Konvertiten oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 2.9.2019, S. 11).

1.1.8 Afghanische Kämpfer in Syrien

Seit Beginn des Syrienkonflikts wurden schiitische Afghanen, welche durch die iranischen Revolutionsgarde im Iran rekrutiert wurden oder sich mehr oder weniger "freiwillig" zum Fronteinsatz in Syrien meldeten, nach dem Durchlaufen einer kurzen militärischen Ausbildung nach Syrien verbracht, um dort in der meist aus afghanischen Kämpfern bestehenden Fatemiyoun-Division auf der Seite des Assad-Regimes zu kämpfen. Über einige Jahre hinweg wurden die Einsätze dieser Kämpfer nach afghanischem Recht nicht kriminalisiert. Auch wurden von offizieller Seite Erklärungen abgegeben, welche darauf hindeuteten, dass afghanische Syrien-Kämpfer nicht Gefahr liefen, von den Behörden nach deren Rückkehr nach Afghanistan, bestraft zu werden. In letzter Zeit äußerten sich namhafte Personen aus dem Umfeld des ehemaligen Präsidenten Karzai sowie ein Vertreter des derzeitigen afghanischen Regierungschefs, Abdullah Abdullah, bei unterschiedlichen Anlässen positiv zum Einsatz der afghanischen Fatemiyoun-Brigaden in Syrien. Der Vertreter von Abdullah Abdullah, wurde jedoch für seine Aussage in Afghanistan kritisiert, da diese nicht die offizielle Haltung der Regierung darstelle. So vertreten die Mitglieder der afghanischen Regierung die Ansicht, dass Afghanen, welche in Syrien kämpfen, an der afghanischen Armee Verrat üben würden, indem sie anstatt in Afghanistan, für den Iran kämpfen würden.

Per 14.2.2018 ist ein neues Strafrecht in Kraft getreten. Dieses kriminalisiert in Artikel 245 Absatz 4 eine Teilnahme an Kriegen oder internen bewaffneten Konflikten in anderen Ländern. Vergehen dagegen werden mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren geahndet. Auch wird in diesem neuen Gesetz Bezug auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei denen die Todesstrafe verhängt werden kann, genommen.

Das Gesetz ist noch neu. Es liegen noch keine konkreten Informationen darüber vor, wie es einzelnen afghanischen Syrien-Kämpfern nach deren Rückkehr in Afghanistan erging und ob diese vom Staat oder den Behörden verfolgt oder bestraft worden sind. Viele jener Afghanen, welche in Syrien für den Iran kämpften, verschweigen ihren Einsatz aus Furcht vor einer Festnahme durch die afghanischen Behörden und der gemäß der geltenden Gesetzeslage zu erwartenden Folgen. So bleibt abzuwarten, wie dieses neue Gesetz in der Praxis umgesetzt wird (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation über das rechtliche Vorgehen der Behörden gegen ehemalige afghanische Kämpfer im Krieg in Syrien vom 23.11.2018, S. 2f., Beil./6).

Ein lokaler Anwalt berichtet von einem aktuellen Fall, in welchem ein Kommandant, der vermutlich für die Fatimuon-Armee Re

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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