TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/29 W207 2181192-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.01.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

29.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W207 2181192-1/12E

Schriftliche Ausfertigung des am 23.01.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2017, Zl. 1098459910-151966275/BMI-BFA_STM_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.01.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 10.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der am 10.12.2015 abgehaltenen Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, am XXXX in der Provinz Kapisa in Afghanistan geboren zu sein, Dari als Muttersprache zu sprechen und der Volksgruppe der Tadschiken sowie dem islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung anzugehören. Er habe in Afghanistan 9 Jahre lang die Schule und danach 5 Jahre lang in Kabul eine "Universität für Bauingenieur" besucht. Sein Vater, seine Mutter sowie 2 Schwestern würden in Kapisa in Afghanistan leben. Er habe Afghanistan vor ca. 2 Monaten von der Provinz Kapisa ausgehend verlassen. Zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates, sohin zu seinen Fluchtgründen, gab der Beschwerdeführer an, er sei immer wieder von Kabul von seinem dortigen Studentenheim nach Hause nach Kapisa gependelt. Die Taliban hätten versucht ihn zu rekrutieren. Sie hätten viele andere junge Männer bereits manipuliert und danach rekrutiert. Die Taliban hätten vom Beschwerdeführer verlangt, dass er mit ihnen in den Jihad ziehe. Er habe das auf keinen Fall wollen und sich nicht mehr sicher gefühlt. Abgesehen davon sei er in Kabul von unbekannten Männern verfolgt worden. Sie hätten ihn entführen wollen, da er aus einer wohlhabenden Familie stamme. Er sei sogar einmal in Kabul von diesen unbekannten Männern angegriffen worden, weil diese ihn entführen hätten wollen. Es hätten sich Leute versammelt, dadurch hätten die unbekannten Männer von ihren Vorhaben den Beschwerdeführer zu entführen abgelassen. Zu Hause in Kapisa sei einmal auf den Beschwerdeführer geschossen worden. Aus diesem Grund sei er nicht mehr sicher gewesen und habe danach das Land verlassen. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er, von den Taliban getötet zu werden.

Am 25.10.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden als BFA oder als belangte Behörde bezeichnet) im Asylverfahren in der Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme gab er an, er sei afghanischer Staatsbürger, gehöre zur Volksgruppe der Tadschiken und sei Moslem/Sunnit. Er habe in einem näher genannten Dorf in der Provinz Kapisa 9 Jahre eine näher genannte Grundschule besucht, danach 5 Jahre eine Berufsschule in Kabul zum Bauingenieur. Er habe aber seine Ausbildung wegen meiner Fluchtgründe abbrechen müssen. Zu seinen Fluchtgründen tätigte der Beschwerdeführer u.a. folgende Angaben (hier in anonymisierter Form wiedergegeben;

LA=Leiter der Amtshandlung, VP=Verfahrenspartei=BF)):

"VP: Ich musste Afghanistan verlassen, weil unbekannte Leute hinter mir her waren und mich töten wollten. Der erste Vorfall ereignete sich in X. währen der Feiertage, als ich meine Eltern in Kapisa besuchte. Es war ca. 4 Monate vor meiner Ankunft in Österreich. Es war 01:00 nachts. Ich lag zuhause auf dem Bett, als ich plötzlich Schüsse hörte. Es wurden auf durch mein Fenster mehrmals geschossen. Mein Bett war genau unter dem Fenster. Die Projektile landeten in der Decke. Die Nachbarn haben alle auch die Schüsse gehört und kamen zu mir, weil sie sich Sorgen machten. Die Täter sind jedoch geflohen. Ich war schockiert und mein Vater schickte mich am darauffolgenden Tag wieder nach Kabul. Dann ging ich weiter zur Berufsschule in Kabul. 2 Monate später ging ich dort wegen Bauchschmerzen zum Arzt ins Krankenhaus. Es war ca. 20:00 Uhr abends meine 3 Mitbewohner haben mich zum Krankenhaus begleitet. Als ich dort beim Krankenhaus aus dem Auto ausstieg, hat ein unbekannter Mann gedeutet, dass ich zu ihm gehen soll. Als dieser merkte, dass ich ihn ignorierte, sind noch ein andere mit Waffen aus einem anderen Auto mit verdunkelten Scheiben ausgestiegen. Einer hielt meine Hand und ein anderer kam dazu. Sie wollten mich ins Auto zerren. Beide waren vermummt. Meine Freunde haben dieses beobachtet und gingen dazwischen und haben meine Entführung verhindert. Auch andere Leute, die dort waren kamen zur Hilfe.

LA: Wurde nicht geschossen. Die Männer hatten doch Waffen?

VP: Nein nur 2 Männer im Auto hatten Waffen, diese sind auch nicht ausgestiegen.

LA: Wie haben Sie gesehen, dass 2 Männer, welche im Auto saßen Waffen hatten.

Anm: Die Vertrauensperson verlässt die Einvernahme um 11:40 Uhr.

VP: Es lagen auf dem Beifahrersitz Waffen.

LA: Warum hatten die vermummten Männer Angst vor Ihren Freunden?

VP: Es kamen viele Leute zu Hilfe.

LA: Was passierte weiter.

VP: Ca. 15 Minuten kam auch die Polizei dazu, da der Posten in der Nähe war. Die Polizei, dachten, dass ich gerauft hätte und nahmen mich gleich darauf mit zur Polizeistation. Dort habe ich alles erzählt und es wurde dort auch ein Bericht dazu verfasst. Ich habe gegen diese Männer dort auch Anzeige erstattet. Der Polizeiinspektor sagte dass sie gegen diese Männer ermitteln werden. Am nächsten Tag und am darauffolgenden Tag ging ich mit meinen Freunden wieder zur Polizeistation und fragte nach dem Stand der Ermittlungen, jedoch war der zuständige Polizeiinspektor nicht anwesend. Danach kontaktierte ich meinen Vater und er sagte, dass ich sofort nachhause nach X. kommen soll. Meine Freunde brachten mich noch zu einem privaten Taxi und ich fuhr darauf nach X. zu meiner Familie. An diesem Abend gab es eine Familienbesprechung und mein Vater entschied, dass ich Afghanistan verlassen muss. Mein Vater gab mir ca. 400 USD zum Ausreisen. Am nächsten Tag nachmittags wurde ich mit einem Auto, durch Schlepper organisiert, abgeholt und wir fuhren nach Kabul und wir fuhren danach weiter über Nimroz weiter in den Iran.

[ ...]

LA: Hatten Sie je persönlichen Kontakt zu den Taliban? Wurden Sie je von diesen angesprochen? Wurden Sie von diesen zu irgendetwas aufgefordert?

VP: Ca. 1 Jahr vor den erzählten Vorfall, gingen die Taliban in unser Dorf und wollten jungen Leuten rekrutieren. Da ich aber in Kabul war, konnten Sie mich nicht rekrutieren. Ich persönlich hatte keinen Kontakt. Meine Mutter hat mit denen gesprochen. Ich wurde einmal von den Dorfbewohnern angesprochen, ob ich in den Dschihad ziehen wolle. Es wäre gut, wenn ich das täte. Ich habe jedoch abgelehnt.

LA: Die Männer, welche auf Ihr Haus geschossen haben. Was wollten diese von Ihnen. Was waren das für Leute?

VP: Ich weiß es nicht, Ich glaube weil ich die Grundstücke meines Vaters geerbt hätte, wurde auf mich geschossen.

LA: Ihr Vater lebt jedoch noch, was hätte das gebracht?

VP: Mein Vater hat alles von meinem Großvater geerbt. Meine Onkeln jedoch nichts.

LA: Sie glauben dass Ihre Onkeln für die Schüsse verantwortlich sind.

VP: Mein Vater hatte auch mit dem Nachbar wegen der Bewässerung gestritten. Mein Vater ist auch schon alt 57. Deshalb glaube ich wollten sie mich umbringen.

LA. Haben Sie diese Schüsse in Kapisa bei der Polizei angezeigt?

VP: Die Polizei hat dort keine Befugnisse. Nur die Aufständischen haben dort die Macht.

LA: Was sind das für Leute, diese Aufständischen?

VP: Ich weiß nicht zu welchen Gruppierungen diese gehören.

LA: Was wollte die vermummten Leute in Kabul von Ihnen?

VP: Ich habe keine Ahnung. Mein Vater ist wohlhabend, ich glaube diese Leute wollten mich entführen und von meinem Vater Lösegeld erpressen.

LA: Woher sollen das diese Männer gewusst haben? Trugen Sie teure Kleidung?

VP: Ich vermute, dass das die gleichen Leute waren, welche auch in Kapisa auf unser Haus geschossen haben.

LA: Hatte das Haus mehrere Stockwerke?

VP: 1 Stock. Im Erdgeschoß gab es Räume für die Ernte und oben wohnten wir.

LA: Wer hat denn alles in Ihrem Elternhaus gelebt?

VP: Meine Eltern meine Schwestern und ich. Mein Onkel väterlicherseits namens W. hatte ein eigenes Haus ca. 200 Meter entfernt.

LA: Warum sprechen Sie Ihren Onkel an? Gibt es etwas von Ihm, was Sie mir erzählen wollen. Hatten Sie ein besonderes Verhältnis zu ihm.

VP: Nein es gibt nichts Besonderes. Ich habe es nur erwähnt. Ich habe mich auch gut mit Ihm verstanden.

LA: Hatten Sie schon einmal einen Streit beobachten können zw. Ihrem Vater und einem Ihrer Onkeln?

VP. Mein Großvater, hat zu meinen Onkeln gesagt, dass mein Vater mehr vererbt bekommt, da er ja immer dort gearbeitet hat. Meine Mutter hat erzählt, dass mein Onkel W. deswegen immer Streit suchte. Ich selber habe nichts beobachtet.

LA. War das der einzige Vorfall in Kabul, welchen Sie heute schilderten?

VP: Ja, es gab nur diesen.

LA: Diese Anzeige bzw. den Bericht, welche die Polizei in Kabul erstellte, können Sie diese vorlegen?

VP: Nein Ich habe keinen Kontakt zu meinen Freunden in Kabul.

LA: Sind Sie am besagten Abend in Kabul noch zum Arzt gegangen?

VP: Ja ich bekam Tabletten, weil ich an diesem Abend nur Fleisch mit Bohnen gegessen habe.

LA: Gab es Überlegungen in eine andere Provinz zu ziehen, wo Sie keiner kennt?

VP: Nein, weil die Leute sehr konservativ sind. Woanders kenne ich keinen ich fühlte mich nicht sicher.

[ ..... ]

VP: Ich war in meinem Heimatdorf nicht mehr sicher, weil ich 2011 in Kabul für eine amerikanische Firma arbeitete und die Dorfbewohner mich schlecht redeten. Ich glaube die Dorfbewohner haben mich deswegen gehasst.

LA: Sie haben heute nichts angegeben, dass Sie auch woanders arbeiteten, außer zuhause in der Landwirtschaft. Warum geben Sie dieses jetzt an?

VP. Ich bekam vorher keine Zeit dazu. Ich habe auch ein Beweisfoto.

LA: Was genau waren dort Ihre Tätigkeiten? Wie hieß die Firma?

VP: Ich habe kontrolliert und die Mitarbeiter eingewiesen Schutzausrüstung zu tragen. Ich gab Sicherheitsbelehrungen. Es waren Bauarbeiter. Die Firma hieß X. Die Firma existiert seit Ende 2011 nicht mehr. Ich arbeitete dort ca. 9 Monate."

Der Beschwerdeführer legte in der Folge im Verfahren vor der belangten Behörde eine Tazkira, ein Zertifikat über den Abschluss der 12. Stufe einer Berufsschule für Bauwesen sowie ein Foto, welches neben dem Beschwerdeführer sechs weitere Personen teilweise mit Bauhelmen zeigt, vor; diese Dokumente blieben von der belangten Behörde in der Folge allerdings unberücksichtigt.

Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 22.11.2017, dem Beschwerdeführer zugestellt am 24.11.2017, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Mit Schriftsatz vom 22.12.2017 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht teilte dem Beschwerdeführer mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung mit, dass beabsichtigt werde, folgende Unterlagen der Entscheidung zugrunde zu legen: Das aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, die Kurzinformation Sicherheitslage Q4 2018, ein ACCORD Bericht zu Afghanistan vom 07.12.2018, die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 und ein EASO-Bericht zu Afghanistan vom Jänner 2018.

Am 23.01.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und dessen Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nahm an dieser mündlichen Verhandlung hingegen nicht teil.

In dieser mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer eingehend zu seinen Fluchtgründen, im Detail insbesondere zu dem von ihm vorgebrachten Schussattentat in seinem Heimatort in der Provinz Kapisa und zu dem Entführungsversuch in Kabul sowie zu seiner Tätigkeit für eine amerikanisch-afghanische Baufirma, die dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu Folge Aufträge des afghanischen Verteidigungsministeriums erhielt, befragt. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie zu seiner Integration in Österreich befragt. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom Beschwerdeführer diverse integrationsbelegende Unterlagen betreffend den Beschwerdeführer sowie das Original seiner Tazkira, das in der Verhandlung gemeinsam mit dem Dolmetscher erörtert wurde, sowie eine Stellungnahme zur Sicherheitslage in Afghanistan vorgelegt.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 23.01.2020 wurde das Erkenntnis verkündet. Der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2017 wurde gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und dem Beschwerdeführe gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Verhandlungsschrift, beinhaltend das verkündete Erkenntnis, wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23.01.2020 zugestellt.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 27.01.2020 wurde gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG um schriftliche Ausfertigung des am 23.01.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses betreffend den Beschwerdeführer ersucht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX in der Provinz Kapisa in Afghanistan geboren, wo er auch aufgewachsen ist. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem.

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 10.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist ledig. Die Familie des Beschwerdeführers (Eltern und zwei Schwestern) hielt sich bisher in Afghanistan in der Provinz Kapisa auf. Vor ca. vier Monaten wurde der Herkunftsort des Beschwerdeführers in der Provinz Kapisa von den Taliban eingenommen, seither hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt mehr zu seiner Familie.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, er spricht weiters Deutsch, dies allerdings auf bescheidenem Niveau. In Afghanistan hat der Beschwerdeführer in seiner Herkunftsprovinz Kapisa 9 Jahre eine näher genannte Grundschule besucht, danach 5 Jahre eine Berufsschule in Kabul zum Bauingenieur. Während des Besuches der Berufsschule arbeitete der Beschwerdeführer darüber hinaus für eine näher genannte amerikanisch-afghanische Baufirma, die Aufträge des afghanischen Verteidigungsministeriums erhielt; er war für die Organisation von Veranstaltungen zum Thema Arbeitssicherheit der Beschäftigten zuständig.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer arbeitete während seiner Ausbildung zum Bauingenieur in den Jahren 2012/2013 für circa neun Monate für die amerikanisch/afghanische Baufirma XXXX . Diese Firma erhielt auch Aufträge vom afghanischen Verteidigungsministerium; der Beschwerdeführer war verantwortlich für die Organisation von Veranstaltungen zum Thema Arbeitssicherheit der Beschäftigten. Während diese Zeitraumes lebte der Beschwerdeführer in einem Studentenwohnheim in Kabul, an Feiertagen und in den Ferien besuchte er seine Familie im Heimatdorf in der Provinz Kapisa.

Die Tätigkeit für die amerikanisch/afghanische Baufirma, die auch der Dorfbevölkerung des Heimatdorfes des Beschwerdeführers, die zum überwiegenden Teil mit den Taliban sympathisierte, bekannt war, rückte den Beschwerdeführer in das Blickfeld der Taliban, die vom Beschwerdeführer Kooperation erwarteten und verlangten. Der Beschwerdeführer wurde im Wege von Aufforderungen an seine Familie im Heimatort mehrfach aufgefordert, für die Taliban tätig zu sein und Spionagetätigkeit im Rahmen dieser Firma gegen die Amerikaner zu leisten. Diesen Aufforderungen wollte der Beschwerdeführer nicht nachkommen und kam er nicht nach.

Der Beschwerdeführer war in der Folge zwei konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt, zum einen im Sommer 2015, als es zu einem Schussattentat auf das Zimmer, in dem der Beschwerdeführer bei einem Besuch in seinem Heimatdorf schlief, zum anderen gab es mehrere Wochen später einen - allerdings gescheiterten - Entführungsversuch des Beschwerdeführers in Kabul, als dieser ein Spital aufsuchen wollte. Die Polizeibehörden in Kabul zeigten sich in der Folge wenig engagiert, dieser versuchten Entführung in Kabul nachzugehen und sie aufzuklären. Der Beschwerdeführer verließ in der Folge ungefähr Anfang Oktober 2015 Afghanistan.

Der Beschwerdeführer hat zwar keine exakte Kenntnis, wer diese Verfolgungshandlungen konkret gesetzt hat, er führt diese aber auf Grund des Kontextes seiner Tätigkeit für die amerikanisch/afghanische Baufirma, die wiederholten und von ihm nicht befolgten Aufforderungen der Taliban, für diese zu arbeiten und die Amerikaner in dieser Baufirma, die auch Aufträge vom Verteidigungsministerium erhielt, auszuspionieren, dies im Zusammenhang einer mit den Taliban sympathisierenden und damit mit einer ihm feindlich gesonnenen Dorfbevölkerung nachvollziehbar letztlich unzweifelhaft auf die Taliban zurück und geht daher davon aus, dass diese bereits erfolgten Verfolgungshandlungen den Taliban zuzurechnen sind.

Der Beschwerdeführer ist daher bereits ins Blickfeld der Taliban geraten. Darüber hinaus haben die Taliban nunmehr auch die Macht im Heimatdorf des Beschwerdeführers ergriffen, weswegen seitdem auch der Kontakt des Beschwerdeführers zu seiner Familie abgerissen ist.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan läuft der Beschwerdeführer, der bereits in das Blickfeld der Taliban geraten ist, daher Gefahr, massiven Bedrohungs- und Gewalthandlungen von Seiten der Taliban ausgesetzt zu sein.

Der afghanische Staat ist derzeit nicht in der Lage, den Beschwerdeführer in Afghanistan hinreichend vor dieser Bedrohung entsprechend zu schützen.

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018:

Flüchtlingseigenschaft gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention

Personen, die aus Afghanistan fliehen, können einem Verfolgungsrisiko aus Gründen ausgesetzt sein, die mit dem fortwährenden bewaffneten Konflikt in Afghanistan oder mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die nicht in direkter Verbindung zum Konflikt stehen, zusammenhängen, oder aufgrund einer Kombination aus beiden Gründen. UNHCR ist der Auffassung, dass Personen, die einem oder mehreren der nachstehend aufgeführten Risikoprofile entsprechen, internationalen Flüchtlingsschutz benötigen können, jeweils abhängig von den persönlichen Umständen ihres Falles.

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext von Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung

(4) Zivilisten, die verdächtigt werden, regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) zu unterstützen

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen

(7) Frauen mit spezifischen Profilen oder Frauen, die unter bestimmten Bedingungen leben

(8) Frauen und Männer, die vermeintlich gegen soziale Sitten verstoßen

(9) Personen mit Behinderung, insbesondere geistiger Behinderung oder Personen mit psychischer Erkrankung

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder Kinder, die unter bestimmten Bedingungen leben

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind

(12) Personen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und/oder geschlechtlichen Identitäten

(13) Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen

(14) An Blutfehden beteiligte Personen

(15) Geschäftsleute, andere wohlhabende Personen und deren Angehörige

Personen, die vermeintlich gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) verstoßen

Die Taliban haben Berichten zufolge Personen und Gemeinschaften getötet, angegriffen und bedroht, die in der Wahrnehmung der Taliban gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung durch die Taliban verstoßen haben.

In Gebieten, in denen die Taliban versuchen, die lokale Bevölkerung von sich zu überzeugen, nehmen sie Berichten zufolge eine mildere Haltung ein. Sobald sich jedoch die betreffenden Gebiete unter ihrer tatsächlichen Kontrolle befinden, setzen die Taliban ihre strenge Auslegung islamischer Prinzipien, Normen und Werte durch. Es liegen Berichte über Taliban vor, die für das Ministerium der Taliban für die Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters tätig sind, in den Straßen patrouillieren und Personen festnehmen, weil diese sich den Bart abrasiert haben oder Tabak konsumieren. Frauen ist es Berichten zufolge nur in Begleitung ihres Ehemanns oder männlicher Familienmitglieder gestattet, das Haus zu verlassen und ausschließlich zu einigen wenigen genehmigten Zwecken wie beispielsweise einen Arztbesuch. Frauen und Männer, die gegen diese Regeln verstoßen, wurden Berichten zufolge mit öffentlichen Auspeitschungen bestraft, ja sogar getötet.

In Gebieten, die von mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppen kontrolliert werden, wird Berichten zufolge ein sittenstrenger Lebensstil durch strikte Vorschriften und Bestrafungen durchgesetzt. Es wird berichtet, dass Frauen strenge Regeln, einschließlich Kleidungsvorschriften, und eingeschränkte Bewegungsfreiheit auferlegt wurden.

UNHCR ist auf Grundlage der oben dargelegten Begründung der Ansicht, dass für Personen, die in der Wahrnehmung regierungsfeindlicher Kräfte gegen deren Auslegung islamischer Grundsätze, Normen und Werte verstoßen, - abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles - ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion, der ihnen zugeschriebenen politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen Verfolgung zu bieten, bestehen kann.

Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 (verbliebene Fehler im Original, Nummerierung geändert):

"1.3.1.1. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). [...]

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

1.3.1.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019). [...]

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.). [...]

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. [...]

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019). [...]

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbanne

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten