TE Bvwg Beschluss 2020/2/3 W191 2171746-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.02.2020
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Entscheidungsdatum

03.02.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W191 2171746-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2020, Zahl 1121915802-200074520, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Melany Buchberger-Gholabi, den Beschluss:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005 nicht rechtmäßig.

Der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Antragsteller (in der Folge Ast), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste irregulär und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.07.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

1.2. Im Rahmen der am 08.07.2016 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der ASt an, dass er aus Afghanistan in den Iran geflüchtet sei, weil er Probleme mit der Familie seiner Frau gehabt hätte. Er hätte 13 Jahre im Iran gewohnt. Weil er Druck von der iranischen Regierung bekommen hätte, sei er nach Europa geflüchtet. Er könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil die Familie seiner Frau ihn töten wolle.

Er hätte eigentlich in Finnland um Asyl ansuchen wollen, weil er von einem Freund gehört habe, dass dort behinderte Kinder gut versorgt würden. Sein Sohn sei körperlich behindert.

Er sei Hazara und schiitischer Moslem. Er sehr verheiratet, habe eine Ehefrau, einen Sohn und eine Tochter. Die Familie würde im Iran leben. Zudem hätte er einen Eltern und drei Brüder, die sich in Afghanistan aufhalten würden. Zu ihnen hätte er seit 13 Jahren keinen Kontakt mehr.

1.3. Am 04.09.2017 wurde der ASt vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari einvernommen.

Dabei brachte er eingangs vor, dass er bei der Erstbefragung durch die Polizei gelogen hätte. Auf Anraten des Dolmetschers hätte er gesagt, dass er aus Kunduz stamme. Dies entspreche allerdings nicht den Tatsachen. Der Dolmetscher hätte gemeint, dass er angeben solle, von einem unsicheren Ort aus Afghanistan zu stammen, denn dorthin würde man ihn nicht zurückschieben können. Leute, welche vom Iran gekommen, würden von Österreich zurückgeschoben. Außerdem stimme die Anzahl der Brüder nicht. Er hätte nicht drei, sondern vier Brüder. Einer sei 28 Jahre alt, ein weiterer 36 und der dritte Bruder sei 45 Jahre alt. Das Alter des vierten Bruders wisse er nicht. Er sei auch gemeinsam mit seiner Familie vom Iran in Richtung Europa gereist, sie wären allerdings an der Grenze zur Türkei voneinander getrennt worden.

Der ASt gab an, er sei in Mashad (Iran) geboren und aufgewachsen. Dort hätte er fünf Jahre die Schule besucht. Danach sei er von der Polizei festgenommen worden und nach Torbadjan geschickt worden. Dort hätte er mit seinen Eltern und den Geschwistern gelebt. Er wisse nicht, warum seine Eltern vor 45 Jahren Afghanistan verlassen und sich im Iran niedergelassen hätten. Er sei seit ca. 14 Jahren verheiratet. Er hätte in Torbadjan weitere vier Jahre die Schule besucht. Er hätte einen neun Jahre alten Sohn und eine 13-jährige Tochter. Er hätte ca. zwölf Jahre als Hilfsarbeiter auf Baustellen gearbeitet.

Seine Frau und die beiden Kinder würden sich derzeit in Griechenland aufhalten, seine weitere Familie lebe in Mashad.

Auf die Frage, warum er den Iran verlassen habe, umriss er sein bisheriges Leben und gab an, dass er nicht nach Afghanistan gehen könne, weil er im Iran aufgewachsen sei. In Afghanistan kenne er niemanden. Die iranische Regierung versuche, Afghanen nach Afghanistan abzuschieben. Er sei hier wegen seiner Kinder, sie sollten eine bessere Zukunft haben. Auf die Frage, ob er jemals persönlich bedroht worden sei, brachte er vor, dass er einmal von iranischen Kindern verprügelt worden sei.

Auf der Flucht nach Europa seien sie über Herat (Afghanistan) geflohen. Auf dem Weg zur iranischen Grenze seien sie von Taliban angehalten und beraubt worden. Die Taliban hätten sie anschließend an die pakistanische Grenze gebracht. Der Dolmetscher brachte vor, dass der Asylwerber keinen iranischen Dialekt sprechen würde. Er spreche zwar auch Farsi, aber dialektfreies Dari.

Laut Niederschrift legte der ASt eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs im Ausmaß von zwei Wochenstunden von Februar 2017 bis Ende August 2017 sowie eine Ausweiskarte "in persischer Sprache" vor.

1.4. Mit Bescheid vom 05.09.2017 wies das BFA den Antrag des ASt auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den ASt gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des ASt nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des ASt 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Zur Nichtgewährung von Asyl führte die Behörde aus, dass der ASt keinen nach der GFK anerkannten Fluchtgrund aus seinem Herkunftsstaat hätte vorbringen können. Dem ASt würde zugemutet, dass er sich in Afghanistan wieder [?] ansiedeln könne.

1.5. Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.07.2019 mit mündlich verkündetem Erkenntnis als unbegründet ab [im angefochtenen Bescheid gemäß § 12a AsylG im Verfahrensgang fälschlich mit 12.09.2019 datiert].

Der ASt gab in der Einvernahme an, dass seine Frau und seine Kinder nun in Finnland leben würden und dort um Asyl angesucht hätten. Sein Sohn habe psychische Probleme.

1.6. Am 25.09.2019 stellte der ASt einen Antrag auf Verfahrenshilfe zur Einbringung einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof (in der Folge VwGH), den dieser mit Beschluss vom 21.10.2019 abwies.

1.7. Am 21.10.2019 wurde ein Heimreisezertifikatsverfahren betreffen den ASt beim BFA eingeleitet.

1.8. Am 18.09. und 10.10.2019 wurde der ASt in 8630 Mariazell von der Finanzpolizei bei Schwarzarbeit betreten.

1.9. Mit Schreiben vom 27.09.2019 erhob der ASt gegen das Erkenntnis des BVwG "vom 12.09.2019" [gemeint: das am 19.07.2019 mündlich verkündete Erkenntnis] das außerordentliche Rechtsmittel der außerordentlichen Revision beim VwGH.

1.10. Am 21.11.2019 wurde gegen den ASt zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft angeordnet.

1.11. Am 03.12.2019 (eingebracht am "04.12.2019") stellte der ASt im Stande der Schubhaft gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

In der Begründung führte der ASt u.a. aus, dass seine Ehefrau mit ihm Kontakt aufgenommen und finnische Aufenthaltsgenehmigungen der Familie übermittelt hätte. Er wolle statt nach Afghanistan nach Finnland abgeschoben werden.

1.12. Am 04.12.2019 wurde dem ASt eine Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ausgefolgt und zur Kenntnis gebracht, dass Konsultationen mit dem Dublin-Mitgliedstaat Finnland geführt würden.

1.13. Am 05.12.2019 wurde ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 21 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung an Finnland gestellt.

1.14. Am 06.12.2019 wurde der ASt aus der Schubhaft entlassen.

1.15. Mit Beschluss vom 09.12.2019, Ra 2019/18/0398-6, gab der VwGH dem Antrag des ASt auf aufschiebende Wirkung seiner Revision statt.

1.16. Am 11.12.2019 lehnte Finnland das Ansuchen Österreichs wegen Fristüberschreitung ab. Österreich teilte der finnischen Dublinbehörde mit Schreiben vom 12.12.2019 mit, dass Österreich dieser Auslegung der Dublin III-Verordnung nicht zustimme, und wies darauf hin, dass Familienangehörige des ASt in Finnland Aufenthaltstitel erhalten hätten. Am 13.12.2019 lehnte Finnland das Ansuchen Österreichs erneut wegen Fristüberschreitung ab.

1.17. Am 23.12.2019 wurde der ASt in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG (entschiedene Sache) zurückzuweisen.

1.18. Am 13.01.2020 wurde der ASt im Beisein seiner Rechtsberaterin niederschriftlich einvernommen.

1.19. Am 14.01.2020 langte beim BFA die Mitteilung ein, dass der VwGH mit Beschluss vom 17.12.2019 die Revision des ASt gegen das Erkenntnis des BVwG "vom 12. September 2019" [richtig: vom 19.07.2019] als unzulässig zurückgewiesen habe.

1.20. Am 20.01.2010 wurden dem ASt aktuelle Länderberichte zu Afghanistan übermittelt und eine Frist für eine allfällige Stellungnahme bis zum 28.01.2020 eingeräumt.

1.21. Am 29.01.2010 wurde der ASt im Beisein seiner Rechtsberaterin erneut einvernommen. Der ASt machte Angaben zu seiner Gesundheit und zu seiner Religion. Er habe in Österreich sehr viele christliche Freunde, sei seit drei Jahren ständig in Kontakt zu seiner Gastfamilie und denke seither an das Christentum. Er sei Teil dieser Familie geworden, und wenn eine Familie so nett und hilfsbereit sei, wolle er auch so ein Mensch werden. Seine Gastfamilie habe ihn bei der Kirche für den Beginn eines Taufkurses angemeldet und er werde dann in der Kirche unterrichtet. Er werde sich auch bemühen, eine Austrittserklärung vom Islam zu besorgen.

Der ASt wies darauf hin, dass er schon früher angegeben habe, dass er kein Moslem mehr sei. Er bete und faste nicht. Er besuche seit zwei Wochen regelmäßig die Kirche.

1.22. Mit dem im Anschluss an diese Einvernahme mündlich verkündeten gegenständlichen Bescheid vom 29.01.2020 hob das BFA gegenüber dem ASt gemäß § 12a Abs. 2 AsylG den faktischen Abschiebeschutz auf.

In der Bescheidbegründung wurde betreffend das neue Vorbringen des ASt ausgeführt, dass der ASt dieses noch am 13.01.2020 nicht erwähnt habe. Es habe noch keine konkreten Schritte des ASt gegeben, um seinen Konversionswunsch zu verwirklichen. Es könne aus seinen Angaben "nicht davon ausgegangen werden, dass er einen erfolgten Glaubenswandel im Sinne einer tiefgreifenden, ernsthaften, innerlich identitätsprägenden Abkehr vom islamischen Glauben verbunden mit einer scharfen Abgrenzung und emotionalen Abwehrhaltung gegenüber den damit verbundenen Glaubensinhalten und religiösen Bräuchen und Sitten und eine gleichzeitige Zuwendung zum Christentum aus einem tatsächlichen inneren Bedürfnis bzw. aus einer tatsächlich inneren Überzeugung heraus vollzogen hätte." Es sei vielmehr als maßgeblich wahrscheinlich anzusehen, dass es sich bei dieser vorgebrachten Konversion um eine asyltaktische Maßnahme handle.

Es liege daher kein neuer Sachverhalt vor.

1.23. Das BFA legte die Verwaltungsakten dem BVwG zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes vor. Die Akten langten am 31.01.2020 bei der zuständigen Gerichtsabteilung des BVwG ein.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den vorgelegten Akten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

3.1. Anzuwendendes Recht:

3.1.1. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

3.1.2. Zur Unrechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes:

Die maßgeblichen Bestimmungen des § 12a AsylG, des § 22 Abs. 10 AsylG und des § 22 BFA-VG lauten wie folgt:

§ 12a AsylG:

"Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen

§ 12a.

[...] (2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. [...]"

§ 22 Abs. 10 AsylG:

"Entscheidungen

§ 22.

[...] (10) Entscheidungen des Bundesamtes über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 ergehen mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden."

§ 22 BFA-VG:

"Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

§ 22. (1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."

3.2. Rechtlich folgt daraus:

3.2.1. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des BVwG zuständigen Einzelrichter.

3.2.2. Gegen den ASt besteht eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG im Sinne des § 12a Abs. 2 Z 1 AsylG. Eine weitere Voraussetzung für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Z 2 Asyl, dass "der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist". Es ist also eine Prognose darüber zu treffen, ob der Antrag voraussichtlich (wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen sein wird.

3.2.3. Res iudicata (entschiedene Sache):

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183 u.v.a.).

"Entschiedene Sache" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 09.09.1999, 97/21/0913 u.v.a.). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. zB. VwSlg. 13.639 A/1992 u.v.a.). Dabei ist die Wesentlichkeit der Sachverhaltsänderung nach der Wertung zu beurteilen, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen Entscheidung erfahren hat (VwGH 19.03.1980, 2426/79, mwN u.v.a.).

Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Stützt sich ein Asylantrag auf einen Sachverhalt, der verwirklicht worden ist, bevor das Verfahren über einen (früheren) Antrag beendet worden ist, so steht diesem (späteren) Antrag die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266; 25.04.2007, 2004/20/0100; 17.09.2008, 2008/23/0684). Soweit nicht das Bundesasylamt, das Bundesamt oder der Unabhängige Bundesasylsenat, sondern der Asylgerichtshof oder das BVwG rechtskräftig entschieden haben, ist Maßstab nicht ein Bescheid, sondern die Entscheidung des Gerichtes.

Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren auf Grund desselben Sachverhaltes ausgeschlossen, sondern auch dann, wenn dasselbe Begehren auf Tatsachen und Beweismittel gestützt wird, die schon vor Abschluss des Vorverfahrens bestanden haben (VwGH 30.09.1994, 94/08/0183, mwN u.v.a.; vgl. zum VwGVG: VwGH 25.10.2018, Ra 2018/07/0353: "Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst").

Zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen im Sinne des § 18 Abs. 1 AsylG - kann die Behörde jedoch nur durch eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes berechtigt und verpflichtet werden, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls sie festgestellt werden kann - zu einem anderen Ergebnis als das erste Verfahren führen kann (VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN, zur gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 18 Abs. 1 AsylG, nämlich § 28 Asylgesetz 1997 BGBl. I 76; 17.09.2008, 2008/23/0684; weiters VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen "glaubhaften Kern" aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den diese positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung, ob der (neuerliche) Asylantrag zulässig ist, mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Antragstellers und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben ihre Ermittlungen, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467 u.v.a.).

Wird in einem neuen Asylantrag eine Änderung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides (Vorerkenntnisses) einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen und berechtigt die Behörde dazu, ihn zurückzuweisen (VwGH 04.05.2000, 99/20/0192; vgl. auch VwGH 04.06.1991, 90/11/0229).

Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtskräftigen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Bei der Prüfung, ob Identität der Sache vorliegt, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid (Vorerkenntnis) auszugehen, ohne seine sachliche Richtigkeit - nochmals - zu überprüfen; die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. zB. VwGH 15.10.1999, 96/21/0097 u.v.a.). Gibt es mehrere Vorbescheide (Vorentscheidungen), so ist Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) jener (jenes), "in welchem letztmalig materiell über die Sache abgesprochen" (VwGH 15.11.2000, 2000/01/0184) bzw. "mit dem zuletzt materiell in der Sache entschieden" (VwGH 16.07.2003, 2000/01/0440; 15.03.2010, 2006/01/0316) worden ist.

Bescheide und Erkenntnisse, mit denen ein Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird, scheiden daher als Vergleichsbescheide und Vergleichserkenntnisse aus. Auch die Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit eines neuen Vorbringens bei der Prüfung, ob ein Folgeantrag zulässig ist - im Sinne der Ausführungen zum "glaubhaften Kern" -, führt nicht dazu, "dass aus der Zurückweisung eines Folgeantrages dessen inhaltliche Erledigung wird" (VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226).

Ob ein neuerlicher Antrag wegen geänderten Sachverhaltes zulässig ist, darf nur anhand jener Gründe geprüft werden, welche die Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht hat; in der Berufung (jetzt: Beschwerde) gegen den Zurückweisungsbescheid dürfen derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. zB. VwSlg. 5642 A/1961 u.v.a.). Allgemein bekannte Tatsachen hat das Bundesamt jedoch als Spezialbehörde von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321 u.v.a.).

Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") führte der VwGH - sich auf die parlamentarischen Materialien beziehend - aus, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegen müsse, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert habe. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtige daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG. Es müsse sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur dann könne auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolge, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern (VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451, 0452; 12.12.2018, Ra 2018/19/0010).

3.2.4. Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG zur Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes aus folgenden Gründen nicht gegeben:

Der ASt hat ein neues Vorbringen erstattet, das noch nicht Gegenstand einer inhaltlichen Prüfung und rechtskräftigen Entscheidung einer Asylbehörde gewesen ist. Er hat nachvollziehbar und plausibel dargelegt, warum er sich nach ca. dreieinhalb Jahren seines Aufenthaltes bei seiner Gastfamilie zum Christentum hingezogen gefühlt und ernsthafte Überlegungen bezüglich einer Konversion vom Islam zum Christentum zum Islam angestellt hat, zumal er schon früher angegeben hat, kein Moslem mehr zu sein, die vorgeschriebenen Regeln bezüglich Beten und Fasten im Islam nicht einzuhalten und Belege seitens seiner Gastfamilie sowie kirchliche Belege vorgelegt hat.

Es kann ohne nähere Prüfung nicht gesagt werden, dass dieses Vorbringen des ASt keinerlei glaubhaften Kern enthielte.

Es wird daher materiell zu prüfen sein, ob im Falle der "Rückkehr" des ASt (der aus dem Iran stammt) nach Afghanistan eine Gefährdungslage wegen Konversion vom Islam zum Christentum aus Gründen der (allenfalls unterstellten) religiösen Gesinnung, und somit das Vorliegen einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention gegeben ist, wobei ein behördlicher Anspruch, das Vorliegen einer tiefen inneren Überzeugung beurteilen zu wollen und nicht auf tatsächliche, ernsthafte und seriöse Handlungen und Bemühungen abzustellen, vermessen erscheint.

Dazu kommt, dass es sich beim ASt um einen Angehörigen einer besonders vulnerablen Personengruppe nach Beurteilung von UNHCR und EASO (ein ca. 40-jähriger Mann mit Sorgepflichten für Ehefrau und zwei minderjährige Kinder, die zudem nicht in Afghanistan, und auch nicht im Iran, sondern in Finnland aufhältig sind) handelt.

Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, es sei - mit der im Verfahren zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ausreichenden Wahrscheinlichkeit - ausgeschlossen, dass dem ASt in Afghanistan eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht.

Der angefochtene Bescheid steht daher mit dem Gesetz nicht im Einklang.

3.3. Gemäß § 22 Abs. 1 2. Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 in der geltenden Fassung, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH zu Folgeanträgen bezüglich res iudicata (entschiedene Sache) bzw. zu § 12a AsylG (Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind somit weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen maßgeblich für die zu treffende Entscheidung war.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, entschiedene Sache, faktischer
Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig, Folgeantrag,
Konversion, meritorische Entscheidung, Religion, vulnerable
Personengruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W191.2171746.2.00

Zuletzt aktualisiert am

02.06.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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