Entscheidungsdatum
26.03.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W211 2216586-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: Somalia, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG
stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am
XXXX .2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und wurde am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei er angab, aus Qoryooley zu stammen, den Tumaal anzugehören und wegen einer drohenden Blutrache das Land verlassen zu haben.
2. Am XXXX .2018 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen, wobei er soweit wesentlich angab, über den Aufenthalt seiner Familie nichts zu wissen. Er habe acht Jahre die Koranschule besucht. Eine Familie der Hawiye habe der Familie des Beschwerdeführers ein Grundstück wegnehmen wollen. Bei dem Streit habe der Onkel des Beschwerdeführers einen Mann jener Hawiye-Familie getötet und sei danach geflohen. Diese habe daraufhin den Vater des Beschwerdeführers auf seinem Arbeitsplatz umgebracht. Aus Furcht davor, auch von jener Hawiye-Familie getötet zu werden, habe der Beschwerdeführer Somalia verlassen.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III).
Gegen Spruchpunkt I. des Bescheids wurde rechtzeitig eine Beschwerde eingebracht.
4. Am XXXX .2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer, seiner Vertreterin und einer Dolmetscherin für die somalische Sprache durch. Ein_e Vertreter_in der belangten Behörde erschien entschuldigt nicht.
Am XXXX .2019 langte seitens der Vertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme zu ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen ein.
Mit Schreiben vom XXXX .2019 wurde schließlich eine aktualisierte Länderinformation zu Somalia zum Parteiengehör an die Parteien geschickt, zu der allerdings keine weiteren Eingaben der Parteien erfolgte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Beschwerdeführer:
Der Beschwerdeführer stammt aus Qoryooley, wo er acht Jahre eine Koranschule besuchte. Er gehört dem Clan der Tumaal an. Er half seinem Onkel und seinem Vater auf dem Feld.
Der Beschwerdeführer weiß nicht, wo sich seine Mutter und seine Geschwister sowie ein Onkel zur Zeit befinden. Er hat keinen Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia.
Der Beschwerdeführer wurde vom Landesgericht XXXX am XXXX .2020 wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von 3 Jahren, verurteilt. Dem Urteil lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Beschwerdeführer THC-hältiges Cannabiskraut Anfang November 2019 erworben und besessen hatte, und zwar durch Kauf bei Unbekannten und Besitz bis zum Verkauf an einen namentlich genannten Dritten und zur kriminalpolizeilichen Sicherstellung am XXXX .2019 und auf einer öffentlichen Verkehrsfläche und einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich gegen Entgelt einem anderen überlassen hat, indem er dem namentlich genannten Dritten 2 Gramm am XXXX 2019 verkauft hat. Während einerseits das Zusammentreffen von zwei Vergehen erschwerend gewertet wurde, wurden als Milderungsgründe die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers, sein Geständnis, die Sicherstellung des Suchtgifts und sein Alter unter 21 Jahre herangezogen.
1.2. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:
a) Clan-Schutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib - die sogenannte Diya/Mag/Blutgeld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet - je nach Region, Clan und Status - ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat - z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde - sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen. Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, S.8ff).
Der Ausdruck "Clan-Schutz" bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, S.33). Der Clan-Schutz funktioniert generell - aber nicht immer - besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clan-Mechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, S.36). Denn in erster Linie wird ein Tod nicht durch einen Rachemord ausgeglichen, sondern durch die Zahlung von Blutgeld (diya, mag) kompensiert (GIGA 3.7.2018).
Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, S.8), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM 31.5.2017, S.35). Staatlicher Schutz ist im Falle von Clan-Konflikten von geringer Relevanz, die "Regelung" wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen (ÖB 9.2016, S.11).
Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, S.3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, S.35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 13.3.2019, S.9), und dass die traditionellen Mechanismen nicht auf schriftlich festgelegten Regeln beruhen (UNHRC 6.9.2017, Abs.60).
Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, S.32).
Die somalischen Sicherheitskräfte befinden sich nach wie vor im Aufbau. Polizei und Armee sind nicht in der Lage, bei einem Rückzug der AMISOM deren Aufgaben zu übernehmen (BFA 8.2017, S.6/11). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2018, S.7), die Regierung ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2018, S.39). Zudem hat al Shabaab Polizei und Armee infiltriert und korrumpiert (LIFOS 3.7.2019, S.42).
In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen (AA 4.3.2019, S.12). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85% der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 13.3.2019, S.33). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6% bis hin zu 33%. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 3.2019, S.42; vgl. SEM, 31.5.2017, S.12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 4.3.2019, S.12; vgl. SEM 31.5.2017, S.5). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S.5).
Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017, S.8). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 5.3.2019b). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S.9).
Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:
* Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.
* Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
* Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).
* Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.
* Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen (SEM 31.5.2017, S.55; vgl. AA 5.3.2019b).
Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil-Mirifle stellen je ca. 20-25% der Bevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 5.3.2019b). Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S.25).
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S.5).
Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den "noblen" Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v.a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S.14ff).
Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe auf oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S.43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S.3).
Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S.44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S.44ff).
Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S.49).
b) Näheres zum Xeer:
Im somalischen Kulturraum ist es auch heute üblich, Mag zu bezahlen. Das Zahlen und Empfangen von Mag/Diya ist eine der wichtigsten Aufgaben des Jilib. Im Falle der Nicht-Zahlung von Mag/Diya ist mit Konsequenzen - bis hin zur Blutrache - seitens des betroffenen Clans zu rechnen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt. Begünstigt wird dieser Umstand durch die Tatsache, dass es auf dem Territorium der Bundesrepublik Somalia bis heute keine vollständig funktionierende Rechtsstaatlichkeit gibt.
Der fällige Betrag wird traditionell in Kamelen angegeben, aber in einen Geldbetrag umge-rechnet bezahlt. Im engeren Sinn steht Mag für die Kompensationszahlung bei einem Mord - meist ungefähr 100 Kamele. In einer moderneren Version hat ein Gesprächspartner der Fact-Finding Mission in einem Beispiel die Zahlung von 1 Million Kenya-Shilling als Kompensation für einen Verkehrstoten genannt. Manchmal kommt es zum Zusammenspiel von staatlicher und traditioneller Justiz: "There was a case of murder on a pharma-cist who had taken the wife of another guy. He just entered the pharmacy and killed him in front of everybody. He was then taken into prison, but more for custody. Then the clans can negotiate the payment, and once this is done, he will be released. "
Da die Zugehörigkeit zum Jilib nicht ortsgebunden ist, werden für die Zahlung von Mag/Diya auch über die Welt verstreute Angehörige herangezogen - v.a. dann, wenn sie zu Besuch in ihrer Herkunftsregion sind oder sich zumindest in der Nähe aufhalten. Daneben haben die somalischen Diaspora-Gruppen eigene Strukturen, im Rahmen derer sie innerhalb der Diaspora Mag bezahlen.
Insgesamt wird auf eine faire Verteilung der Lasten geachtet. Weiß der Clan, dass ein Mitglied besser verdient, dann wird dieses in der Regel auch einen höheren Beitrag leisten müssen. Zur Bereitschaft, zum Mag/Diya einen Beitrag zu leisten, gaben Quellen der Fact-Finding Mission an: "If I don't even have enough to feed my family I will still have to prioritize the clan. And if the clan knows that I have more money, I will have to contribute more. If you do not contribute to that, my friend, you are out. ""If you are able to pay, you still pay. But it depends on the situation. If the situation allows you not to pay, you don't. "
Gemäß einer Quelle der Fact-Finding Mission gibt es allerdings auch Regeln, wonach ein Clan einem Täter aus den eigenen Reihen die Zahlung von Mag/Diya verweigern und ihn ausliefern kann - etwa an die Polizei.
Xeer-Verträge wurden - gemäß Informationen aus dem Jahr 2009 - nur zwischen Mehrheitsclans geschlossen, Minderheiten waren meist ausgeschlossen. Sie können dem Xeer-System aber indirekt beitreten durch ein vertraglich festgelegtes Klientelverhältnis mit einem Mehrheitsclan.
c) Näheres zur Blutrache:
Sollte die Kompensation nicht bezahlt werden, wird von der Gruppe des Opfers erwartet, dass, wie Hesse explizit erklärt, Blutrache an irgendeinem Mitglied der Gruppe des Täters geübt wird. Auch Le Sage (2005) und Gundel (2006) weisen auf die kollektive Verantwortung der Diya-Gruppe hin; falls keine Kompensation bezahlt wird, kann der Mörder oder irgendein Mitglied der Diya Gruppe getötet werden. Auch wenn Rachemorde in erster Linie auf den mutmaßlichen Mörder zielen, wird die Rache auf einen anderen Angehörigen des Clans übertragen, wenn der Clan den Täter nicht überstellen kann. Oft werde versucht, eine Person zu töten, die für die Gruppe des Täters besonders wichtig ist (ACCORD, 2009).
In einem Bericht ans Human Rights Council (2010) erwähnte der Unabhängige Berichterstatter zur Menschenrechtssituation in Somalia einen Lehrer, der in Somaliland zu seiner eigenen Sicherheit von lokalen Sicherheitskräften inhaftiert wurde. Ihm drohte an Stelle seines Cousins Rachemord, da dieser nach Kenia geflüchtet ist und verstorben sein soll. Ein Wissenschaftler, der seit den 1990er Jahren zu Somalia forscht, bestätigte gegenüber der SFH, dass bei Rachemorden oft Verwandte des Mörders getötet werden. Oft werde ein prominentes Mitglied des Clans getötet (E-Mail an die SFH, 3. Oktober 2017). Auch der Vorsitzende einer somaliländischen Menschenrechtsorganisation bestätigte, dass, wenn der tatsächliche Mörder flieht, ein Verwandter getötet wird (E-Mail an die SFH, 3. Oktober 2017).
Clanälteste haben über ihre Kommunikationswege die Möglichkeit, flüchtige Täter auch durch Mitglieder eines anderen Klans ergreifen zu lassen (BFA, 2017). Gemäß einer Quelle aus Hargeysa kann auch ein Mord im Ausland in Somaliland gerächt werden (Landinfo, 2016). Rachemorde können noch 40 Jahre nach der Tat ausgeführt werden. Es können auch Personen betroffen sein, die nach Jahren in der Diaspora nach Hause zurückkehren (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Österreich (BFA), 2017). Ein Wissenschaftler, der zu Somalia forscht, weist darauf hin, dass der Rachemord kurz nach der Tat oder erst Jahre später durchgeführt wird. Oft werde ein prominentes Mitglied des Clans getötet (E-Mail an die SFH, 3. Oktober 2017).
1.3. Es wird festgestellt, dass der Onkel des Beschwerdeführers in einem Streit um ein Grundstück ein Mitglied einer Hawiye-Familie tötete, die daraufhin den Vater des Beschwerdeführers aus Rache töteten, während der eigentliche Täter, der Onkel, fliehen konnte. Für den Beschwerdeführer besteht damit die Gefahr, im Falle einer Rückkehr aus Rache durch jene Hawiye-Familie wegen seiner Verwandtschaft zum Täter getötet zu werden.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments bzw. sonstigen Bescheinigungsmittels konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.
Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zur Herkunft, zum Koranschulbesuch, zur Clanzugehörigkeit und zur Arbeit in Somalia beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften, widerspruchsfreien und konsistenten Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens. Sie wurden außerdem großteils bereits durch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid getroffen (vgl. AS 142 bzw. S 12 des Bescheids).
Hinweise darauf, dass dem Beschwerdeführer die Angabe, nicht mehr zur wissen, wo sich seine Familienangehörigen aufhalten würden, nicht geglaubt werden kann, haben sich im Verfahren nicht ergeben.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers beruht auf einem Strafregisterauszug vom XXXX 2020 sowie auf dem Protokollvermerk bzw. der gekürzten Urteilsausfertigung des LG XXXX vom XXXX .2020.
2.2. Die unter 1.2. angeführten Feststellungen zur Situation in Somalia basieren auf den folgenden Berichten:
Zu a) Diese Informationen gründen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Somalia vom 17.09.2019 und dort auf die folgenden Detailquellen:
-
AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
-
AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019
-
GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10
K 1802/14A
-
BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019
-
BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019
-
LI - Landinfo (Norwegen) (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, URL, Zugriff 26.6.2019
-
LI - Landinfo (Norwegen) (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, URL, Zugriff 15.7.2019
-
LI - Landinfo (Norwegen) (15.5.2018): Somalia: Security challenges in Mogadishu, URL, Zugriff 21.6.2019
-
LIFOS - Lifos/Migrationsverket (Schweden) (3.7.2019):
Säkerhetssituationen i Somalia, URL, Zugriff 29.8.2019
-
NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019):
Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019
-
ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
-
SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, URL, Zugriff 21.6.2019
-
UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia, URL, Zugriff 12.7.2019
-
USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019
Zu b) Staatssekretariat für Migration., Schweiz: Fokus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017: Dieser Bericht ist mit den Detailquellen online abrufbar unter https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf.
Zu c): Schweizer Flüchtlingshilfe: Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 5. Oktober 2017 zu Somaliland: Rachemorde an Verwandten des Täters: Dieser Bericht ist ebenfalls online abrufbar unter
https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/afrika/somalia/171005-som-rachemord-verwandte.pdf.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auch nach Durchsicht der Stellungnahmen der Parteien keinen Grund, an der Aktualität, Verlässlichkeit und Relevanz dieser Informationen zu zweifeln.
2.3. Die Feststellung hinsichtlich des Fluchtvorbringens und der Gefährdung im Falle einer Rückkehr erfolgt einerseits auf Grund der diesbezüglich gleichbleibenden, widerspruchsfreien und konsistenten Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren und andererseits auf Basis der Länderfeststellungen, die Auskunft über die Clanstrukturen und die Blutrache in Somalia geben.
Zum Vorbringen des Beschwerdeführers ist zu sagen, dass dieses eben einerseits vor der belangten Behörde, aber auch später beim Bundesverwaltungsgericht nachvollziehbar und gleichbleibend geschildert wurde (vgl. dazu AS 118ff und S 6 des Verhandlungsprotokolls). Relevante Widersprüche haben sich nicht ergeben.
Die grundsätzlich validen Anmerkungen der belangten Behörde betreffend mögliche Zweifel daran, warum der Beschwerdeführer zu den 10% der Fälle gehören sollte, bei denen nicht im Vorfeld Kompensationszahlungen verhandelt wurden, müssen nach Ansicht der erkennenden Richterin noch vor dem Hintergrund der Minderheiteneigenschaft gesehen werden: So stehen gerade Minderheitenangehörigen die Rechte und Möglichkeiten des Xeer nur eingeschränkter und wegen ihrer schwachen gesellschaftlichen Position manchmal gar nicht zur Verfügung. Aus diesen gesellschaftlichen Strukturen ergibt sich auch weiter als Argument dagegen, dass mit der Ermordung des Vaters des Beschwerdeführers die Kompensation für den Mord eigentlich erledigt sein müsste, dass eben gerade im Verhältnis Hawiye - Tumaal ein derart gleichwertiges Aufrechnen von Opfer und Täter (-ersatz) nicht gegeben sein muss. Damit ergeben sich aus der besonderen Gesellschaftsstruktur und dem Clansystem bzw. aus der diesbezügliche Ausgrenzung von berufsständischen Minderheiten Unsicherheiten in Bezug einer Plausibilitätsprüfung unter Anwendung von rein als üblich vermittelten Vorgängen.
Im Ergebnis sind daher die fluchtauslösenden Ereignisse als glaubhaft anzusehen und deswegen festzustellen. Auf Basis der relevanten Länderinformation zum Xeer und zur Blutrache sowie zur Clanstruktur und zum Umgang mit Minderheiten muss daher von einer nach wie vor bestehenden Gefährdung des Beschwerdeführers durch eine Hawiye-Familie wegen der Taten seines Onkels ausgegangen werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
A) Spruchpunkt I.:
3.1. Rechtsgrundlagen
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
3.2.1. Der Beschwerdeführer unterliegt im Falle einer Rückkehr nach Somalia, Qoryooley, einer aktuellen und maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr, wegen der Tat seines Onkels, und damit als Mitglied der sozialen Gruppe der Familie, von einer Hawiye-Familie aus Rache getötet zu werden.
3.2.2. Von einer Schutzfähigkeit und -willigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden kann nach den Länderfeststellungen zur Situation in Somalia nicht ausgegangen werden.
3.2.3. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016). Sie wäre zudem wegen der Clan- und Gesellschaftsdynamiken und der erneuten Versorgungskrise unzumutbar.
3.2.4. In Hinblick auf § 6 AsylG ist an dieser Stelle noch auf die Verurteilung des Beschwerdeführers vom 03.02.2020 einzugehen: Nach § 6 AsylG ist ein Fremder unter anderem dann von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet.
Gegenständlich wurde der Beschwerdeführer nicht von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt; seine Verurteilung nach den §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG war eine wegen zweier Vergehen. Außerdem kamen bei der Verurteilung mehrere mildernde Umstände zu tragen, und kann auch aus den konkreten Umständen des der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhalts nicht abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer wegen seines Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.
Während also das strafgerichtlich verfolgte Verhalten des Beschwerdeführers selbstverständlich bedauerlich ist, führt es dennoch nicht zur Anwendbarkeit eines Ausschussgrundes im gegenständlichen Verfahren.
Dem Beschwerdeführer ist daher nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.2.5. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben unter 3. dargestellte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W211.2216586.1.00Zuletzt aktualisiert am
02.06.2020