TE Vwgh Erkenntnis 2020/4/21 Ra 2019/19/0466

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Veröffentlicht am 21.04.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
MRK Art3
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des M A, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 2019, Zl. W105 2155133-2/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,04 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 25. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. 2 Mit Bescheid vom 28. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine bis 28. März 2018 befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Begründend führte es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, aufgrund der allgemeinen Lage in Somalia, insbesondere der dort herrschenden Nahrungsmittelknappheit, und mangels Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei eine Rückkehr unter den herrschenden Umständen nicht zumutbar.

4 Mit Bescheid vom 21. Februar 2018 erteilte das BFA dem Revisionswerber eine bis 28. März 2020 befristete Aufenthaltsberechtigung.

5 Nach Erhalt einer Verständigung über das Vorliegen eines Strafantrages gegen den Revisionswerber beim Landesgericht Linz leitete das BFA am 28. November 2018 das Aberkennungsverfahren ein. Mit Bescheid vom 25. Jänner 2019 erkannte es dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

6 Das BFA stützte die Aberkennung auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 und führte dazu aus, dass die Gründe für die Erteilung des subsidiären Schutzes insofern nicht mehr gegeben seien, als sich die Versorgungslage aufgrund der Regenfälle wieder entspannt habe und daher nicht wahrscheinlich sei, dass der Revisionswerber im Fall der Rückkehr, vor allem nach Mogadischu, einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein würde. 7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 22. August 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 In der Begründung seiner Entscheidung führte das BVwG aus, aus den Länderberichten ergäben sich keine Hinweise dafür, dass der Revisionswerber im Falle der Rückkehr nach Somalia grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen könnte und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde. Sofern ihm eine Rückkehr in seine Herkunftsprovinz aus persönlichen Gründen nicht möglich wäre, seien seitens des Revisionswerbers keine Gründe dargetan worden, die gegen eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu sprechen würden. Tatsächlich sei dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mogadischu "zusinnbar", da sich aus den Länderberichten im Verhältnis zum Jahr 2015 sogar eine Verbesserung der Situation, insbesondere im Sicherheitsbereich, ergäbe. Es könne mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der Revisionswerber nach Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in keine ausweglose Lage geraten und in der Lage sein werde, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Nach der "Fact Finding Mission 2017"

sei die Situation in Mogadischu zumindest im Wesentlichen unverändert. Im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR sei daher von keinem Verstoß gegen das Refoulementverbot auszugehen. Vor dem Hintergrund der angeführten Länderberichte und der persönlichen Situation des Revisionswerbers sei in Übereinstimmung mit dem BFA und entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde in einer Gesamtbetrachtung daher nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Überstellung nach Somalia und einer Ansiedlung in Mogadischu in eine ausweglose Situation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, die vom BVwG für seine Länderfeststellungen herangezogenen Quellen stammten aus den Jahren 2016 und 2017, sodass die Feststellung, die Lage in Somalia habe sich im Vergleich zum Zuerkennungszeitpunkt maßgeblich und dauerhaft verbessert, gar nicht möglich sei. Auch habe das BVwG verkannt, dass es bei der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht darauf ankommt, ob dem Rückkehrenden dort Folter oder unmenschliche Behandlung drohe, sondern vielmehr darauf, ob sie dem Rückkehrenden zumutbar sei.

11 Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind

bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 zwar nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rz 101). Für die Entscheidung maßgebliche Elemente können jedoch schon aus chronologischen Gründen jedenfalls nur solche Sachverhaltselemente sein, die zeitlich nach der ursprünglichen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen.

13 Da sich die vom BVwG getroffenen Länderfeststellungen - wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt - ausschließlich auf Länderberichte stützen, die die Lage im Herkunftsstaat vor dem 28. März 2017, dem Zeitpunkt der ursprünglichen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Revisionswerber, beschreiben, fehlt es der vom BVwG gegebenen Begründung für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bereits an der Feststellung des für die rechtliche Beurteilung einer Lageänderung entscheidungswesentlichen Sachverhalts. 14 Dem Revisionswerber ist darüber hinaus auch darin beizupflichten, dass das BVwG bei seiner Bejahung der für den Revisionswerber alternativ bestehenden Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu das Prüfkriterium der Zumutbarkeit nicht angewendet hat.

15 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterscheidet § 11 AsylG 2005 nach seinem klaren Wortlaut zwei getrennte und selbständig zu prüfende Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative. Zum einen ist zu klären, ob in dem als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden, gegeben ist. Zum anderen setzt die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative voraus, dass dem Betroffenen der Aufenthalt in diesem Gebiet zugemutet werden kann. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001). 16 Das BVwG beurteilte die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadischu im gegenständlichen Fall trotz terminologischer Uneinheitlichkeit ersichtlich ausschließlich anhand des Maßstabs einer den Revisionswerber treffenden realen Gefahr, im Fall der Rückkehr in Mogadischu Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu gewärtigen. Es setzte sich mit dem Kriterium der Zumutbarkeit nicht in der von der Rechtsprechung geforderten Form einer Prüfung der den Revisionswerber im Fall der Rückkehr erwartenden Lebensumstände auseinander.

17 Das angefochtene Erkenntnis ist aus den dargelegten Gründen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

18 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. April 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190466.L01

Im RIS seit

02.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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