TE Bvwg Beschluss 2019/12/23 W150 2120930-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.12.2019
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Entscheidungsdatum

23.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §17 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31

Spruch

W150 2120930-2/3Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1996, StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: vertreten durch die Diakonie - Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Steinergasse 3/12, 1170 Wien, FN 272779 x, und die Volkshilfe Flüchtlings- und Migrant-Innenbetreuung GmbH, Stockhofstraße 40, 4020 Linz, FN 444937 w, gegen den Bescheid des BFA vom 13.11.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 17 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) iVm § 28 Abs. 1 und § 31 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) idgF aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: "BF") stellte erstmals am 14.05.2015 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

1.1. Bei der Erstbefragung vor Organen der Landespolizeidirektion Niederösterreich am 14.05.2015 führte der BF zu seinen Fluchtgründen befragt aus, er habe für einen Kulturverein namens " XXXX " gearbeitete und sei dort Mitglied gewesen. Er habe immer den Verein informiert, wenn etwas nicht in Ordnung war. Dadurch hätte er von den Taliban Probleme bekommen. Die Taliban hätten ihn bedroht, ihn umzubringen, falls er seine Arbeit nicht aufgebe und das Dorf verlasse. Er befürchte den Tod und habe deshalb seine Heimat verlassen.

1.2. Am 08.10.2015 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen. Er gab zusammengefasst an, er sei in XXXX geboren und habe dort getrennt von seiner Familie gewohnt. Diese habe in XXXX , ca. eine halbe Stunde von XXXX entfernt gelebt.

Er sei Mitglied einer Organisation namens " XXXX ". Darunter sei eine " XXXX ", ein Verein, der sich für Menschenrechte einsetze, zu verstehen. Bei diesem Verein seien Vorkommnisse angezeigt worden, die gegen die Menschenrechte gerichtet waren. Konkret bedroht sei er von seinem Onkel väterlicherseits worden, der ihn auch zwangsverheiraten habe wollen. Er habe sich diesem Verein über seinen Onkel und andere Verwandte beschwert.

Als der BF im Jahre 1392 (persische Zeitrechnung) während des Opferfestes "Eide Ghorban" bei seinen Eltern gewesen sei, habe er seinen Onkel väterlicherseits getroffen und sei von diesem festgenommen und drei Tage eingesperrt und geschlagen worden. Nach diesen drei Tagen sei er von seinem Onkel mütterlicherseits befreit und nach XXXX zurückgebracht worden. Danach habe er seine Tätigkeit in diesem Verein weiter fortgesetzt und bis zur Ausreise einmal pro Woche die Sitzungen bei diesem Verein besucht. Einmal sei er noch vom Onkel väterlicherseits telefonisch bedroht worden, da er sich über ihn beschwert habe und die Regierung ihn festgenommen habe. Nach seiner Freilassung habe der Onkel den BF telefonisch bedroht.

2. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das BFA unter Spruchpunkt I. den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 idgF (AsylG) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III). Ferner wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

Die belangte Behörde führte aus, die Angaben betreffend die angebliche Bedrohung durch die Taliban und den daraus resultierenden angeblichen Problemen seien äußerst vage und oberflächlich und ohne Substanz. Hinsichtlich der Bedrohung durch seinen Onkel habe der BF widersprüchliche und nicht nachvollziehbare Angaben gemacht und sei das Vorbringen in seiner Gesamtheit derart dürftig gehalten, dass daraus kein ihn persönlich betreffendes, zusammenhängendes und einigermaßen glaubhaftes Geschehen abgeleitet werden könne. Darüber hinaus handle es sich um eine Verfolgung durch eine Privatperson, die in keinem Zusammenhang mit den in der GFK abschließend angeführten Verfolgungsgründen stehe.

3. Dagegen richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde des BF.

Begründend wurde ausgeführt, die Behörde habe veraltete, unvollständige Länderberichte herangezogen, die zudem allgemein gehalten seien und keinen Bezug auf das konkrete Vorbringen des BF aufwiesen. Die Behörde habe sich darüber hinaus nicht hinreichend mit den vorgelegten Beweismitteln befasst. Dem Bescheid liege eine fehlerhafte rechtliche Beurteilung zugrunde, da die Verfolgung des BF zwar nicht von staatlicher Seite erfolgt sei, der BF jedoch wegen seiner politischen Gesinnung und der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Zwangsverheiratung Betroffenen verfolgt werde.

Eine Rückkehr in seine Heimatprovinz komme aufgrund der dort vorherrschenden prekären Sicherheitslage nicht in Betracht.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.07.2019 (rk mit 09.07.2019), GZ. W217 2120930-1/12E, wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des obzitierten Bescheides als unbegründet abgewiesen bzw. die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. mit der Maßgabe abgewiesen, dass dessen letzter Satz zu lauten habe:

"Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

5. Vom 22.07.2019 bis 20.08.2019 war der BF eigenen Angaben zufolge illegal in Deutschland aufhältig. Er erhob fristgerecht Beschwerde gegen das unter Punkt 4. angeführte Erkenntnis des BVwG an den VfGH.

6. Am 20.08.2019 wurde der BF gemäß den Dublin III Bestimmungen nach Österreich rücküberstellt. Am 21.08.2019 wurde die Festnahme des BF gem. § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-VG angeordnet.

7. Am 04.09.2019 um 09:30 Uhr wurde der BF in St.Pölten einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen, festgenommen und danach von einem Organwalter des BFA unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari einvernommen. Er gab dabei u.a. an, dass er in Deutschland keinen Asylantrag gestellt habe, da er sich über die rechtliche Lage erkundigt habe. Die weitere Einvernahme gestaltete sich wie folgt:

"F: Haben Sie einen Rechtsanwalt bzw. werden Sie rechtsfreundlich vertreten?

A: Ich habe einen Rechtsberater von der ARGE Diakonie. Den Rechtsberater habe ich nur bei der Asyleinvernahme kennen gelernt, seither habe ich keinen Kontakt.

F: Eine Vollmacht habe Sie daher nicht erteilt?

A: Doch, ich habe eine abgegeben.

F: Haben Sie ein Identitäts- bzw. Reisedokument?

A: Ich hatte eine Tazkira, diese habe ich dem Gericht vorgelegt. Reisepass habe ich nicht.

F: Haben Sie Kinder?

A: Nein

F: Nachdem Ihr Asylverfahren am 09.07.2019 negativ entschieden wurde sind Sie am 22.07.2019 nachweislich nach Deutschland ausgereist?

A: Ja

F: Sie haben sich daher nachweislich der Abschiebung entzogen und sind illegaler Weise nach Deutschland ausgereist, da Sie weder über ein gültiges Reisedokument verfügen, noch eine legale Reisebewegung im EU-Raum durchführen können?

A: Ja

F: Warum sind Sie nach Deutschland gereist, was haben Sie dort gemacht?

A: Ich habe mich mit der rechtlichen Lage nicht ausgekannt. Ich bin davon ausgegangen, dass Deutschland für mich besser ist, da dort die gleiche Sprache gesprochen wird. Ich hatte keinen Vertreter in Österreich und ich konnte nicht alles bei der Einvernahme sagen, was ich sagen wollte.

F: Wie meinen Sie das, dass Sie keine Vertreter haben. Sie erklärten gerade, dass eine Vollmacht besteht?

A: Ich hatte vor der Einvernahme nicht die Möglichkeit, mit dem Vertreter Kontakt aufzunehmen. Am Tage der Einvernahme hat mir der Vertreter ein Schriftstück vorgelegt und ich habe dieses unterschrieben.

F: Sie sagen, Sie konnten nicht alles vorbringen. Bei der Einvernahme war ja sicherlich ein Dolmetscher anwesend. Warum haben Sie nicht alle Angaben vorgebracht. Außerdem gab es ein Beschwerdeverfahren. Warum haben Sie zumindest nicht dort alles vorgebracht?

A: Bei der ersten Einvernahme wusste ich nicht, dass ich persönliche Angaben machen sollte. Ich hatte viel Kontakt mit Afghanen, und konnte nicht über meine persönlichen Probleme sprechen. Ich dachte, dass Andere erfahren werden, was ich hier angebe. Ich konnte über meinen persönlichen und privaten Problemen nicht sprechen. Ich wollte auch nicht, dass ich wegen meiner persönlichen Probleme respektlos behandelt werde.

F: Wie lautet Ihre letzte Adresse in Deutschland bzw. wo haben Sie sich aufgehalten?

A: Ich habe in XXXX gelebt. Ich wurde durch die deutschen Behörden in Kiefersfeld angehalten.

F: Von was haben Sie in Deutschland gelebt?

A: Ich war dort in Haft.

F: Wieso in Haft?

A: Wenn man illegal im Bundesgebiet aufhält, wird man festgenommen. Ich war deswegen in Haft.

F: Wieso wurden Sie entlassen und konnten nach Österreich reisen?

A: Das weiß ich nicht.

F: Sie wurden aber schon entlassen oder überstellt?

A: Nein, ich wurde der österreichischen Polizei übergeben.

F: Wann sind Sie von Deutschland kommend nach Österreich eingereist - war das der 20.08.2019?

A: Ja

F: Wo haben Sie sich seit Ihrer Einreise nach Österreich aufgehalten?

A: Ich habe mich in Wien bei Freunden aufgehalten. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis in Deutschland, habe ich eine Hauterkrankung bekommen. Ich hatte einen Juckreiz, deswegen blieb ich eine Zeit lang bei Freunden.

F: Sind Sie jetzt wieder gesund?

A: Der Juckreiz ist nicht gänzlich weg.

F: Wo haben Sie nach der Unterkunftnahme bei den Freunden aus Wien gewohnt?

A: Ich kenne mittlerweile sehr viele Afghanen. Ich bin seit 4,5 oder 5 Jahren in Österreich. Ich habe sehr viele Freunde und habe mich bei unterschiedlichen Freunden aufgehalten. Ich bin gestern nach St. Pölten gekommen.

F: Sie können daher keine genaue Aufenthaltsadresse angeben?

A: Nein, ich habe nicht bei einem Freund genächtigt, sondern an unterschiedlichen Orten.

F: Was ist mit Ihrer Meldeadresse in XXXX . Wann waren Sie zuletzt an dieser Adresse?

A: Als ich die negative Entscheidung bekommen habe, im Juli 2019, war ich zuletzt dort. Eine Woche nach der negativen Entscheidung habe ich das Land verlassen.

F: Sie haben einen Tuberkulose-Vorsorgepass. Sind Sie an dieser Krankheit erkrankt?

A: Davon weiß ich nichts. Ich weiß gar nicht, welche Krankheit ich habe. In Deutschland wurde mir auch gesagt, dass etwas mit meiner Lunge nicht stimmt.

F: Wo befinden sich Ihre Effekte bzw. haben Sie alle Effekte bei sich?

A: Nein

F: Wo befinden sich noch Effekte von Ihnen?

A: Einige Sachen befinden sich noch in der Unterkunft in XXXX . Andere Sachen sind bei meinen Freunden in Wien.

F: Können Sie Namen und Adressen der Freunden angeben?

A: Mein Freund heißt XXXX , genaue Adresse kenne ich nicht. Er wohnt im 3. Bezirk, Schlachthausgasse. Können Sie mir sagen, seit wann ich an Tuberkulose leide?

F: Nein, da die ha. Behörde nur den Vorsorgepass bei Ihren Effekten vorgefunden hat und aufgrund dessen die Vermutung vorliegt, dass Sie Tuberkulose haben. Ob Sie diese Krankheit wirklich haben, ist nicht bekannt. Dies sollten eigentlich Sie wissen.

A: Ich habe gelegentlich Schmerzen an der Brust. Ich habe aber diese Schmerzen nicht ernst genommen.

Anmerkung: Unter der Adresse 1030 Wien, Schlachthausgasse konnte keine Person XXXX gefunden werden.

F: Besitzen Sie kein Bankkonto oder Sparguthaben?

A: Nein

F: Gehen Sie in Österreich einer Beschäftigung nach?

A: Nein, ich habe vor 2 Jahren mich bei der Diakonie beworben. Es wurde mir gesagt, dass ich keine Arbeitserlaubnis habe und nicht arbeiten gehen darf.

F: Wie viel Bargeld besitzen Sie derzeit?

A: Ich habe EUR 50,--

F: Hatten Sie vor der Festnahme mehr Bargeld und wurde dieses einbehalten oder besaßen Sie auch schon vorher nicht mehr Bargeld?

A: Nein, ich hatte vorher schon nicht mehr Bargeld.

F: Befinden sich Familienangehörige oder Verwandte in Österreich?

A: Nein

F: Haben Sie noch Familienmitglieder oder Verwandte in anderen EU-Länder?

A: Familienangehörige habe ich keine, aber Verwandte leben in Europa. Wo genau, kann ich nicht sagen.

F: Sind Sie Mitglied in einen Verein oder einer Hilfsorganisation bzw. können Sie sonstige private Bindungen anführen?

A: Nein, ich habe den Hauptschulabschluss und den A1 und A2 Abschluss in Deutsch.

F: Werden Sie sich einer Abschiebung in Ihr Heimatland wiedersetzen?

A: Nein widersetzen werde ich mich nicht. Wenn die Lage in meinem Land gut wäre, dann wäre ich freiwillig zurückgekehrt. Aber Sie wissen es aus den Medien, dass es dort nicht sicher ist.

F: Es wird Ihnen zur Kenntnis gebracht, dass das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erst vor 2 Monaten eine Rückkehr als unbedenklich beurteilt hat. Eine Gefährdung oder Verfolgung liegt aus Sicht des Gerichtes nicht vor. Es wurde entschieden, dass Sie ohne Probleme zurückkehren können. Seit dieser Entscheidung hat sich die Lage in Afghanistan nicht verschlechtert. Die ha. Behörde wird Sie daher zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft nehmen und Sie unverzüglich zur Identifizierung der Delegation vorführen. Sobald eine Identifizierung erfolgt ist, werden Sie zum nächstmöglichen Termin nach Afghanistan abgeschoben. Haben Sie das verstanden?

A: Ich konnte bei meiner Einvernahme bei Gericht meine persönlichen Probleme nicht angeben. Ich habe auch die Informationsblätter erhalten, dass man im Falle einer Erkrankung eine Behandlung bekommt. Wenn bei mir eine Erkrankung vorliegt, bitte ich um Behandlung. Seit ich in Österreich bin, habe ich nichts Unrechtes getan. Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Ich möchte ein freies Leben hier führen und mich um meine Erkrankung kümmern. Vielleicht bekomme ich eine Arbeitserlaubnis, so kann ich für mich sorgen."

Im Anschluss daran wurde dem BF ein Mandatsbescheid mit der Anordnung der Schubhaft und Verfahrensanordnung ausgefolgt, er über das Verfahren wegen § 120 Abs. 1a FPG informiert und ihm Rechtsbelehrung erteilt. Danach ergab sich noch folgende Einvernahme:

"F: Haben Sie noch Fragen, bzw. ist Ihnen noch etwas unklar?

A: Wenn ich die Absicht hätte unterzutauchen, dann hätte ich mich nicht der Polizei gestellt.

F: Laut vorliegenden Informationen wollten Sie sich wieder bei der Grundversorgung anmelden, ist das korrekt?

A: Ich wollte, dass ich neuerlich einvernommen werde.

F: Warum wollen Sie neuerliche einvernommen werden?

A: Ich hatte schon zuvor angegeben, dass ich bei der letzten Einvernahme nicht alle Probleme angeben konnte. Das Problem, welches ich habe, hat mit dem Krieg in Afghanistan und der unsicheren Lage nicht zu tun.

F: Können Sie kurz erklären, um welche Probleme es sich handelt, warum Sie nicht zurückkehren können?

A: In Afghanistan war ich homosexuell und ich bin es noch immer. Das liegt in meiner Natur. Ich liebe Männer.

F: Wie stellen Sie sich das weiter vor. Sie haben neue Gründe, warum Sie nicht zurückkehren können?

A: Ich dachte, dass die Probleme, welche ich bei der Einvernahme angegeben habe, ausreichend wären, um Asyl zu bekommen. Jetzt weiß ich, dass mein Leben ganz sicher und bestimmt in Gefahr ist. Ich möchte nichts verheimlichen oder verstecken. Ich möchte einen neuerlichen Asylantrag stellen!

Die Einvernahme wird kurz unterbrochen und ein Polizeibeamter wird zur Einvernahme hinzugezogen.

F: Sie werden nochmals befragt, im Beisein von den Polizisten DNr. XXXX , ob Sie einen Asylantrag stellen wollen?

A: Ja, ich möchte einen Asylantrag stellen (13:05 Uhr)."

8. Daraufhin wurde der BF von einem Organwalter der LPDion-NÖ unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari einvernommen, im Zuge dessen er den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag stellte. Diesen begründete er wie folgt [Druckfehlerbereinigt]: "Ich konnte bei der letzten Einvernahme nicht alle meine Probleme angeben. Ich lebe bereits seit 5 Jahre hier, ich habe Arbeit gefunden, ich habe Freunde hier und habe auch die Sprache gelernt. Ich habe mich an Österreich gewöhnt und möchte hier bleiben. Ich habe bei meinen anderen Einvernahmen nicht angegeben, dass ich homosexuell bin. Ich liebe Männer. In Afghanistan hat dies ernsthafte Folgen und es ist nicht erlaubt. Ich habe hier in Österreich viele Kontakte mit Afghanen und aus diesem Grund wollte ich meine Homosexualität nicht angeben. Ich wollte nicht, dass sie dies erfahren." Zu seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr führte er aus wie folgt [Druckfehlerbereinigt]: "Ich habe mein Möglichstes getan, meine Natur zu ändern. Ich schaffe es nicht. Die Homosexualität liegt in meiner Natur. Bei der Rückkehr nach Afghanistan, im Falle wenn ich meine Homosexualität nicht verstecken kann, werde ich mit Problemen zu rechnen haben. Homosexualität ist in Afghanistan verboten und ich kann mich auch im Falle von Schwierigkeiten nicht an den Staat wenden. Meine Familie ha mich zwangsverheiratet und wollte damit erreichen, dass ich die Homosexualität aufgebe. Ich musste mich an den Staat wenden, um Unterstützung zu bekommen. Es wurde mir gesagt, dass die Homosexualität in Afghanistan verboten ist und wenn ich diese weiter auslebe so werde ich mit rechtlichen Folgen zu rechnen haben. In meiner Region gibt es auch die Taliban. Diese haben mich aufgefordert in ihre Madrassa zu gehen und mich mit dem Islam zu beschäftigen. Sie wollten, dass ich sie unterstütze. Ich wollte aber meine Freiheiten und meine Selbstbestimmung über meinen Körper. Die Selbstbestimmung, die ich haben wollte, hatte mit der Religion nichts zu tun. Es wurde mir gesagt, dass die Homosexualität in der Religion verboten ist. Aber in meiner Religion ist nichts unter Zwang." Zur Frage, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihm bei seiner Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe, die Todesstrafe drohe, oder er mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe, führte er aus wie folgt [Druckfehlerbereinigt]: "Wegen meiner Homosexualität wurde ich in Afghanistan bedroht und habe ein verstecktes Leben geführt." Zur Frage, seit wann ihm die Änderung der Situation/die Fluchtgründe bekannt seien, führte er aus wie folgt [Druckfehlerbereinigt]: "Seit meiner Flucht aus Afghanistan."

9. Am 22.10.2019 wurde der BF vor von einem Organwalter des BFA unter Beiziehung eines Dolmetschs für die Sprache Dari einvernommen. Dabei gab er an, dass es keine neuen Dokumente gebe. Zu seinem Gesundheitszustand führte er aus, dass er Tuberkulose und Schmerzen beim Atman habe. Er wiederholte seine Angaben bezüglich seiner von ihm ins Treffen geführten Homosexualität. Er habe bei seinem ersten Asylantrag keine Angaben zu seiner Homosexualität gemacht. Er habe damals Angst gehabt. In seinem Land werde das nicht akzeptiert, und deshalb habe er Angst um sein Leben im Falle seiner Rückkehr.

Die Einvernahme zu dieser Thematik gestaltete sich wie folgt:

" VP: Ich war niemals mit einer Frau zusammen. In Afghanistan war ich mit einem Mann zusammen, dieser wurde umgebracht. Aus diesem Grund bin ich geflohen. Ich weiß es nicht genau, aber soweit ich informiert wurde, erfuhr die Nachbarschaft von seiner Homosexualität, und er wurde eines Abends von zwei Personen auf dem Motorrad getötet.

LA: Wann war das genau?

VP: Ich weiß nicht genau, vielleicht vor 8 oder 10 Jahren.

LA: Wie hieß der Mann?

VP: XXXX war sein Spitzname, sein richtiger Name war XXXX .

LA: Welches waren die besonderen Kennzeichen dieses Mannes?

VP: Er war 18 Jahre, hatte lange Haare, sprach persisch, war Perser, er tanzte gerne, und war gerne mit Freunden zusammen.

LA: Können Sie intime Details aus Ihrer Beziehung zu ihm beschreiben?

VP: Wir waren etwa 5 Monate zusammen, meistens trafen wir uns zuhause, wenn keiner da war. Nachfrage: Was machten Sie dann: Ich habe meiner Familie bei der Landwirtschaft geholfen. Er hatte einen Ohrring, meine Familie machte sich Sorgen, weil er auch mit mir tanzen wollte und sich die Augenbrauen zupfte. Sie brachten mich zum Arzt, dieser riet mir, von diesen Vorstellungen wegzukommen und lieber an Frauen zu denken.

LA: Wer hat diesen Mann umgebracht?

VP: Das weiß ich nicht. Irgendwelche Unbekannte.

LA: Sie haben sich auch nie dafür interessiert?

VP: Nein.

LA: Haben Sie in Österreich einen homosexuellen Freund?

VP: Ich hatte einen, er war aus dem Iran, nachdem er einen positiven Bescheid bekam zog er um und ich habe keinen Kontakt mehr. Aktuell habe ich keinen.

LA: Können Sie mir beschreiben, was Sie an Männern mehr reizt als an Frauen?

VP: Wenn ich mit einem Mann zusammen bin fühle ich mich viel wohler, ich verstehe mich mit ihnen besser, seit der Kindheit wurde ich immer unter Druck gesetzt, weil ich anders war, ich fühle mich wohl, wenn ich mit jemanden, der das Gleiche erlebt hat darüber rede.

LA: Haben Sie somit all Ihre Gründe für die Asylantragstellung in Vorlage gebracht?

VP: Ja.

LA: Die Provinz Mazar-e-Sharif gilt als relativ sicher, was möchten Sie dazu angeben?

VP: Wenn man homosexuell ist, ist man nirgendwo in Afghanistan sicher, ich habe sogar in Österreich vor den Afghanen Angst gehabt mich zu Outen und habe deshalb was anderes beim ersten Asylantrag gesagt.

LA: Die RB bitte!

RB: Können Sie den Namen des Freundes in Österreich und seine Adresse sagen?

VP: Er nannte sich Alem. Seinen genauen Namen kenne ich nicht.

Ich habe zu ihm keinen Kontakt mehr und weiß auch nicht wo er wohnt.

LA: Möchten Sie Feststellungen zu Afghanistan zur Kenntnis gebracht erhalten?

VP: Nein.

LA: Möchten Sie selbst noch etwas hinzufügen?

VP: Ich möchte meine Homosexualität hier in Ö. in Freiheit leben. Ich weiß, dass viele, die homosexuell waren und aus Ö. ausgewiesen wurden in Afgh. umgebracht wurden.

LA: Wie möchten Sie Ihre Sexualität hier leben?

VP: Es gibt hier Möglichkeiten für homosexuelle, ich habe aber Angst mich dort aktiv zu zeigen, ich möchte nicht, dass meine Familie durch die Afghanen die hier leben das erfahren. Erst, wenn ich einen positiven Bescheid und hier ein Haus und eine Job habe, kann ich das alles machen. Mit der weißen Karte habe ich nicht die Möglichkeit zu arbeiten, es soll aber nicht den Anschein erwecken, dass ich nicht arbeiten möchte."

9. Das BFA wies den oben genannten Folgeantrag vom 04.09.2019 mit dem nun angefochtenen Bescheid vom 13.11.2019, Zl. XXXX , hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), BGBl Nr 51/1991 idgF wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. (Spruchpunkt IV.) Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß §46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der BF habe keinerlei neue Beweismittel vorgelegt. Er habe den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag damit begründet, dass er homosexuell sei. Schon in Afghanistan hätte er einen gleichgeschlechtlichen Freund gehabt. Bei der polizeilichen Erstbefragung habe er allerdings angegeben, erst seit der Ausreise aus seinem Heimatland homosexuell zu sein. Auch aus weiteren - im Detail durch das BFA näher ausgeführten Erwägungen - sei seinem Vorbringen zur Gänze die Glaubhaftigkeit abzusprechen.

Er habe sein nunmehr gesteigertes Vorbringen im Vorverfahren nicht einmal ansatzweise getätigt. Er habe vielmehr bei den Vorbefragungen auf die Frage, was seine Fluchtgründe seien, gänzlich andere Gründe angegeben. Das BFA verwies auch auf die Pflicht des Antragstellers, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr spreche und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Insoweit treffe den Antragsteller eine erhöhte Mitwirkungspflicht (s.a. VwGH 11.11.1991, 91/19/0143, 13.04.1988 86/01/0268). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers beziehe sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

Der vom BF behauptete Sachverhalt, wonach er homosexuell sei und dies aus Scham oder Furcht erst jetzt angebe, erfülle die geforderten Voraussetzungen im Sinne einer "zumutbaren" Mitwirkung nicht. Sein lediglich in den Raum gestelltes Vorbringen, welches sich weder be- noch widerlegbar darstelle, sei zudem keiner Verifizierung zugänglich.

Insgesamt betrachtet stünde zweifelsfrei fest, dass seine Angabe homosexuell zu sein, keinen glaubhaften Kern aufweise. Es liege sohin entschiedene Sache im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor.

10. Gegen den Bescheid des BFA vom 13.11.2019 richtete sich die am 05.12.2019 fristgerecht erhobene Beschwerde, mit der der Bescheid zur Gänze angefochten wurde und auch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung angeregt wurde.

11. Mit Schreiben vom 06.12.2018, eingelangt hg. am 16.12.2019, legte das BFA den gegenständlichen Verfahrensakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

12. Mit Beschluss vom 18.12.2019 zur Zl. E 3107/2019 gab der VfGH dem Antrag des BF, seiner Beschwerde gegen das unter Punkt 4. angeführte Erkenntnis des BVwG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen gemäß § 85 Abs. 2 und 4 VfGG Folge und führte dazu aus, dass zwingende öffentliche Interessen dem nicht entgegenstünden und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt - ausgenommen die aktuelle Lage in Afghanistan - ergibt sich aus dem unter Punkt I. dargestellten Verfahrensgang, wobei im vorliegenden Verfahren nach § 18 Abs. 5 BFA-VG den in den vorgelegten Akten dokumentierten noch ungeprüften Angaben des BF insbesondere zu seiner von ihm nunmehr angegebenen homosexuellen Orientierung wesentliche Bedeutung zukommt.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

Dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand: 13.11.2019) ist in Kapitel 18.3. folgendes zu entnehmen:

"18.3.Sexuelle Orientierung und Genderidentität

Das afghanische Strafgesetzbuch verbietet einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen zwei Angehörigen desselben Geschlechtes (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019, MoJ 15.5.2017: Art. 645, 649). Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019, FH 4.2.2019). Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review (UPR)-Verfahrens im Jänner 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Beim UPR Afghanistans im Januar 2019 standen LGBTTI nicht auf der Agenda. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt und können daher nicht in der Öffentlichkeit gelebt werden (AA 2.9.2019).

Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuchs werden neben außerehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjähriger Haftstrafe sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z. T. von noch konservativeren vorislamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. Organisationen, die sich für den Schutz der sexuellen Orientierung einsetzen, arbeiten im Untergrund (AA 2.9.2019).

Homosexualität wird weitverbreitet tabuisiert und als unanständig betrachtet. Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft haben keinen Zugang zu bestimmten gesundheitlichen Dienstleistungen und können wegen ihrer sexuellen Orientierung ihre Arbeit verlieren (USDOS 13.3.2019). Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft werden diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet (USDOS 13.3.2019).

Eine systematische Verfolgung durch staatliche Organe kann nicht nachgewiesen werden, was allerdings an der vollkommenen Tabuisierung des Themas liegt. Es wird jedoch von gewalttätigen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen homosexueller Männer durch die afghanische Polizei berichtet. Vor allem aufgrund der starken Geschlechtertrennung kommt es immer wieder zu freiwilligen oder erzwungenen homosexuellen Handlungen zwischen heterosexuellen Männern (AA 2.9.2019).

Unter der Scharia ist bereits die Annäherung des äußeren Erscheinungsbilds, etwa durch Kleidung, an das andere Geschlecht verboten. Die Scharia verbietet daher auch die Änderung des Vornamens und der Geschlechtszugehörigkeit transsexueller Personen (AA 2.9.2019). Es gibt nur wenige spezifische Informationen über Transgender oder Intersex-Personen in Afghanistan (DFAT 18.9.2017).

Gespräche über Sexualität, sexuelle Bedürfnisse und sexuelle Probleme sind in der afghanischen Gesellschaft kein akzeptiertes Gesprächsthema (EASO 12.2017; vgl. Bamik 7.2018) und dieses Thema wird geheim gehalten. Zwischen Ehepartnern wird ein solches Gespräch als negativ, beschämend und böse betrachtet. Afghanische Eltern schämen sich, mit ihrem Nachwuchs über Sexualität zu sprechen und an afghanischen Schulen wird keine Sexualkunde unterrichtet (Bamik 7.2018).

Es besteht eine niedrige soziale Toleranz gegenüber Personen mit einer sexuellen Orientierung oder Genderidentität außerhalb der erwarteten Normen der Heterosexualität. Ein solches Bekenntnis ist ein soziales Tabu und wird als unislamisch betrachtet (EASO 12.2017).

Es existieren zahlreiche traditionelle Praktiken, die zwar nicht offiziell anerkannt sind, jedoch teilweise im Stillen geduldet werden. Beispiele dafür sind die Bacha Push und Bacha Bazi. Bacha Push sind junge Mädchen, die sich als Jungen ausgeben, um eine bestimmte Bildung genießen zu können, alleine außer Haus zu gehen oder Geld für die sohn- oder vaterlose Familie zu verdienen (AA 2.9.2019). Bacha Bazi sind Buben oder transsexuelle Kinder, die sexuellem Missbrauch und/oder dem Zwang, bei öffentlichen oder privaten Ereignissen zu tanzen, ausgesetzt sind (MoJ 15.5.2017: Art. 653).

Bei den Bacha Push handelt es sich i. d. R. nicht um eine transsexuelle, sondern eine indirekt gesellschaftlich bedingte Lebensweise. Bei Entdeckung droht Verfolgung durch konservative oder religiöse Kreise, da ein Mädchen bestimmte Geschlechtergrenzen überschritten und sich in Männerkreisen bewegt hat (AA 2.9.2019; vgl. NGI 6.3.2018). Meist erfolgt das Ausgeben der Mädchen als Buben mit der Unterstützung der Familie, beispielsweise weil es in der Familie keinen Sohn gibt. Mit Erreichen der Pubertät kehren die meisten Bacha Push zurück zu ihrem Leben als Mädchen (CAI 28.3.2019; vgl. OF 16.5.2018).

Anmerkung: Informationen zum gesellschaftlichen und strafrechtlichen Umgang mit Bacha Bazi finden sich im Unterkapitel 18.2 "Kinder".

Quellen:

•AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019):

Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019

•Bamik, Hamidullah (7.2018): Talking about Sexual Attitudes and

Behaviors; A Cultural and Social Taboo in Afghanistan,

https://www.researchgate.net/publication/326446311_Talking_about_Sexual_Attitudes_and_Behaviors_a_cultural_and_Social_Taboo_in_Afghanistan

/ http://www.outlookafghanistan.net/topics.php?post_id=21274,

http://www.outlookafghanistan.net/topics.php?post_id=21284, Zugriff

9.5.2019

•CAI - Central Asian Institute (28.3.2019): Afghan Girls Raised as Boys, https://centralasiainstitute.org/bacha-posh/, Zugriff 9.5.2019

•DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (18.9.2017): DFAT Country Information Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419296/4792_1512554335_country-information-report-afghanistan.pdf, Zugriff 9.5.2019

•EASO - European Asylum Support Office (12.2017): Afghanistan - Individuals targeted under societal and legal norms, https://www.ecoi.net/en/file/local/1419802/90_1513325370_easo-201712-afghanistan-targeting-society.pdf, Zugriff 9.5.2019

•FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Afghanistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004321.html, Zugriff 9.5.2019

•MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz:

http://moj.gov.af/content/files/OfficialGazette/01201/OG_01260.pdf, Zugriff 9.5.2019

•NGI - National Geographic Italia (6.3.2018): Afghanistan, le ragazze che crescono come maschi, http://www.nationalgeographic.it/wallpaper/2018/03/06/foto/afghanistan_ragazze_vestite_da_ragazzo-3888228/1/?refresh_ce, Zugriff 9.5.2019

•OF - Ordine Futuro (16.5.2018): Bacha bazi-bacha posh, https://www.ordinefuturo.it/2018/05/16/bacha-bazi-bacha-posh/, Zugriff 9.5.2019

•USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices for 2017, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004129.html, Zugriff 9.5.2019"

2. Beweiswürdigung:

Der maßgebliche Sachverhalt ergibt sich einerseits zweifelsfrei aus dem Akteninhalt, die Feststellungen zur aktuelle Lage in Afghanistan zur Thematik sexuelle Orientierung beruhen auf den genannten Quellen, die im vom BFA veröffentlichtem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zusammengefasst sind. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Syrien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Anzuwendendes Verfahrensrecht:

3.1.1 Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.1.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

3.1.3. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.1.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung

3.2. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde den auf internationalen Schutz gerichteten Antrag des BF vom 04.09.2019 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und hat diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden.

3.3.1. Gemäß § 16 Abs. 2 BFA-VG kommt einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der

-

ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist

-

ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht oder

-

eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen wird,

sowie einem diesbezüglichen Vorlageantrag die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt.

3.3.2. Gemäß § 17 Abs. 1 Z 1 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

3.4. Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich bei dieser um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben des Beschwerdeführers als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

3.5. Im vorliegenden Fall kann eine Entscheidung über die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Beschwerde innerhalb der relativ kurzen Frist des § 17 Abs. 1 BFA-VG nicht getroffen werden. Der BF macht mit seinen Ausführungen über seine Lage als Homosexueller in Afghanistan, sowohl in seiner Einvernahme vor dem BFA als auch in seiner Beschwerde, ein reales Risiko einer Verletzung der hier zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen geltend. Bei einer Grobprüfung dieses Vorbringens kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um "vertretbare Behauptungen" im Sinne der oben angeführten Darlegungen handelt, sodass aus diesem Grund die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist.

3.6. Da somit für eine endgültige Beurteilung des Sachverhalts weitere Ermittlungen erforderlich sind, die nicht innerhalb einer Woche durchgeführt werden können, kann auf Grund der Aktenlage nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass eine Verletzung der genannten, durch die EMRK garantierten Rechte bei Rückführung des BF nach Afghanistan ausgeschlossen wäre.

3.7. Der Beschwerde war daher die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

3.8. Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte zu dieser Frage gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

3.9. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.10. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.11. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W150.2120930.2.00

Zuletzt aktualisiert am

29.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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