Entscheidungsdatum
26.12.2019Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
W257 1428907-3/14E
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Herbert MANTLER, MBA in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2019, IFA-Zahl: 820507003 - 191305758 erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geboren am XXXX , Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, den
BESCHLUSS
A.) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 nicht rechtmäßig. Der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wird aufgehoben.
B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Beschwerdeführer (in der Folge kurz: "BF") stellte am XXXX , gemeinsam mit seinem Vater (Zl. XXXX ) einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Mutter des Beschwerdeführers (Zl. XXXX ) stellte zuvor, nämlich am 08.07.2011, einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Familie besteht insgesamt aus Vater, Mutter und 5 Kindern. Am 16.05.2013 waren vier dieser Kinder noch minderjährig.
1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.07.2012, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG), abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.7.2013 erteilt (Spruchpunkt III.).
1.3. Der Asylgerichtshof hat in weiterer Folge in seiner Erkenntnis vom 30.08.2013 der gegen Spruchpunkt I erhobenen Beschwerde stattgegeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zuerkennt. Der Asylstatus seiner Mutter wurde auf ihm gem. § 34 Abs. 4 AsylG im Rahmen des Familienverfahrens ausgedehnt.
1.4. Am 13.10.2016 wurde der BF wegen des Vergehens nach § 127 StGB verurteilt. Am 29.06.2017 wurde er wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 2a Suchtmittelgesetz in Verbindung mit § 12 3. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten verurteilt. Weiters wurde er am 22.01.2019 wegen des Vergehens nach § 27 Absatz 2a 2. Fall Suchtmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten und einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.
1.5. In der Folge wurde ein Aberkennungsverfahren bezüglich des Asylstatus eingeleitet. Der BF konnte zu seinen Fluchtgründen selbst nicht befragt werden, weil er den Ladungsterminen der Behörde nicht Folge leistete.
1.6. Mit Bescheid vom 21.12.2018 wurde festgestellt, dass dem BF die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung in das Herkunftsland zulässig ist. Die Entscheidung wurde am 01.02.2019 rechtskräftig.
1.7. Der BF kam der Ausreiseverpflichtung nicht nach und wurde am 23.11.2019 aufgrund eines Festnahmeauftrages angehalten und festgenommen. Vom 23.11.2019 bis zum 16.12.2019 verbüßte der BF eine Ersatzfreiheitsstrafe. Am 29.11.2019 wurde seitens der Vertretungsbehörde der Islamischen Republik Afghanistan - im Zuge der Beschaffung eines Heimreisezertifikates - festgestellt, dass er Afghanischer Staatsbürger sei. Seit dem 16.12.2019 befindet sich der BF in Schubhaft. Es wurde zudem ein zehnjähriges Einreiseverbot verhängt.
1.8. Am 06.12.2019 wurde der BF von der Behörde erstmals im Zuge der Schubhaft einvernommen. Darin brachte er vor, dass er bei seiner Familie in Österreich leben würde und er sich das Leben in Afghanistan nicht vorstellen könne. Er sei im Iran aufgewachsen und hätte in Österreich nach der Schule ein Praktikum beim XXXX , XXXX und XXXX absolviert.
1.9. Am 17.12.2019 stellt der BF den zweiten Asylantrag und wurde dazu vor der Behörde am 20.12.2019 niederschriftlich befragt. Darin führte er aus, dass in Afghanistan eine sehr schlechte Sicherheitslage herrsche und er deswegen nicht zurückkönne.
1.10. Mit mündlich verkündetem Bescheid im Anschluss an die oben genannte Niederschrift hob die belangte Behörde den faktischen Abschiebeschutz des BF auf. Die Behörde begründete die Aberkennung damit, dass sich an den Fluchtgründen in Bezug auf das bisherige rechtskräftige Verfahren nichts geändert habe und einer rechtskräftige Ausweisung seit dem 01.02.2019 bestehe. Der zweite Asylantrag wird vermutlich wegen bereits entschiedener Sache zurückgewiesen.
1.11. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt von Amts wegen am 20.12.2019 dem Bundesverwaltungsgericht zur Überprüfung des mündlich verkündeten Bescheids vorgelegt. Wegen einer erhobenen Unzuständigkeit der Gerichtsabteilung W203 wurde der Akt am 23.12.2019 der Gerichtsabteilung W257 vorgelegt. Am 23.12.2019 wurde seitens des BVwG der Bescheid vom 21.12.2018 angefordert, welcher sich nicht im vorgelegten Akt befand.
1.12. Der Bescheid langte bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht beim BVwG ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht fest!
2. Feststellungen:
2.1. Zur Person des BF:
Der Beschwerdeführer führt den im Spruch erwähnten Namen und ist am XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gesund und arbeitsfähig. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Er wuchs großteils im Iran auf.
Der BF ist mehrmals strafgerichtlich verurteilt worden; zweimal wegen der Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz, einmal wegen Diebstahl.
2.2. Zu den Fluchtgründen:
Der Asylwerber stellte erstmals am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz, bzw, weil er dazumal noch Minderjährig war, wurde der Antrag seitens der gesetzlichen Vertretung gestellt. Dazumals lag in Bezug zu seiner Mutter, welche Asyl bekam, ein Familienverfahren vor, weswegen auf Ihn durch den Asylgerichtshof der Asylstatus der Mutter auf ihn ausgeweitet wurde. Seine originären Fluchtgründe wurde bis dato nicht untersucht.
Wegen der strafgerichtlichen Verurteilungen wurden ein Asylaberkennungsverfahren eingeleitet. Der BF konnte zu den eigenen Fluchtgründen nicht befragt werden, weil er der Aufforderungen der Behörde (einschl. eines Mitwirkungsbescheides), sich einer niederschriftlichen Befragung zu unterzeihen, nicht nachkam. Der Aberkennungsbescheid wurde ohne einer Einvernahme erlassen und wurde rechtskräftig.
Der BF wurde wegen der nicht vorgenommenen Rückkehr festgenommen und befindet sich seit dem 16.12.2019 im Stande der Schubhaft indem er erstmals einen eigenen Asylantrag stellt. Am 17.12.2019 stellt er einen Asylantrag.
Es kann festgestellt werden, dass die Fluchtgründe seiner Mutter nicht mit denen ident sind, die er nunmehr in seinem zweiten Asylantrag vorbringt.
2.3. Zu seiner persönlichen Situation in Österreich
Der BF lebt bei seiner Familie, bestehend aus seinem Vater, seiner Mutter und einer unbestimmten Anzahl von Geschwistern XXXX . Die Familie besteht insgesamt aus 5 Kindern, Vater und Mutter. Wer mit ihm zusammen lebt, kann nicht festgestellt werden.
Am 23.11.2019 wurde er festgenommen und befindet sich derzeit in Schubhaft. Nach der Pflichtschule absolvierte er Praktiken bei XXXX , XXXX und XXXX absolviert.
3. Beweiswürdigung:
Beweise wurden erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt. Die Feststellungen zum Verfahrensgang und zu den persönlichen Daten des BF gründen sich auf den unbedenklichen Verwaltungsakt.
3.1. Zur Person des BF und seiner persönlichen Situation in Österreich
Die Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und aus der Einsicht der ho aufliegenden Verfahren. Die Mutter trägt den Namen XXXX und ist am 01.01.1977 geboren.
Die Behörde vermeinte in der Befragung, bzw dem Bescheid vom 20.12.2019 ebenso eine Verurteilung wegen des Vergehens nach §§ 142, 143 StGB im Jahr 2017 erkannt zu haben (Seite 12). Das BvWG führte am 20.12.2019 eine Anfrage bei der Strafregisterauskunft durch und konnte keine diesbezügliche Verurteilung finden. Selbst die Behörde hat auf Seite 97 des Bescheides einen Auszug der Strafregisterauskunft eingefügt. Auch darin ist keine diesbezügliche Verurteilung (§§ 142, 143 StGB) zu finden. Insofern ist der Bescheid bzw die Niederschrift in sich widersprüchlich.
Das aus fünf Kinder besteht, ergibt sich aus der Einsicht in den Akt B14 428907-1/2012, welcher dem Gericht vorliegt. Am 16.05.2013 wurde die Familie vom Asylgerichtshof einvernommen. Die Niederschrift befindet sich beim BvWG.
3.2. Zu den Fluchtgründen:
3.2.1. Die Mutter brachte am 16.05.2013 im Kern folgenden Fluchtgrund vor:
"...BF: Ich hatte ein sehr schweres Leben in Afghanistan. Ich habe mich dort nicht frei gefühlt. Ich war eine Hausfrau und habe wie eine Gefangene gelebt. Ich habe mir große Sorgen um das Leben meiner Kinder gemacht. Ich habe keinen einzigen ruhigen Tag erlebt. Meine Familie hat ca. 12 - 13 Jahre im Iran gelebt. Wir wurden dann aus dem Iran ausgewiesen und nach Afghanistan gebracht. In Afghanistan lebten wir mit meinem Schwiegervater zusammen. Sowohl ich als auch meine Kinder haben das Haus niemals verlassen. Die Kinder konnten die Schule nicht besuchen, ich selbst konnte ebenfalls nicht außerhalb des Hauses einem Beruf nachgehen, unser Alltag hat sich als sehr schwierig gestaltet. Wir haben in diesem Haus ca. 2 - 3 Monate gelebt. Nach dieser Zeit hat dann der Nachbar um die Hand meiner Tochter XXXX angehalten. Sowohl ihr Vater als auch ich waren damit nicht einverstanden, da unsere Tochter noch minderjährig war. Daraufhin sind die Probleme dann entstanden. Als wir uns mit einer Eheschließung nicht einverstanden erklärten, wurde einige Tage später mein Sohn XXXX von 3 Personen geschlagen und am Kopf schwer verletzt. Er ist dann blutüberströmt nach Hause gekommen und hat uns von diesem Vorfall erzählt und er sagte, dass er eine Person erkannt hatte, er war einer der Nachbarn. Aus Angst um das Leben meiner Kinder, haben wir uns dazu entschlossen, das Land zu verlassen. Mein Schwiegervater hat uns finanziell unterstützt. Das Haus, das wir damals bewohnt haben, hat er verkauft, um mit diesem Geld haben wir das Land verlassen können...."
3.2.2. Ihr wurde Asyl zuerkannt und davon abgeleitet bekamen die vier Kinder und ihr Mann Asyl. Dem BF wurde wegen der Verurteilungen der Asylstatus aberkannt.
3.2.3. In seiner Einvernahme brachte er ganz allgemein vor, dass die Sicherheitslage in Afghanistan so schlecht sei, dass er nicht zurückkehren könne. Einen konkreten Fluchtgrund brachte er bei der behördlichen Einvernahme nicht vor.
4. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Weder das Asylgesetz 2005 noch das BFA-Verfahrensgesetz sehen eine Entscheidung durch Senate vor, sodass das Bundesverwaltungsgericht vorliegend durch Einzelrichter zu entscheiden hat.
Zu A)
4.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsgrundlagen lauten wie folgt:
Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 leg cit die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 dieser Bestimmung findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
§ 12 Abs 1 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 - AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019, ("Faktischer Abschiebeschutz") lautet:
"Ein Fremder, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, kann, außer in den Fällen des § 12a, bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 24 Abs. 2 nicht mehr zulässig ist, weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden (faktischer Abschiebeschutz); § 32 bleibt unberührt. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet ist zulässig. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt. § 16 Abs. 4 BFA-VG gilt."
Der mit "Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen" überschriebene § 12a AsylG 2005 lautet (auszugsweise):
"(1) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) nach einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG gestellt, kommt ihm ein faktischer Abschiebeschutz nicht zu, wenn
1.-4. [...]
(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) - (6) [...]"
§ 22 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2002, in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019 BFA-VG, der die Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes regelt, lautet:
"(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.
(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.
(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden."
4.2. Zur Anwendbarkeit des § 12a Abs 2 AsylG 2005
Die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 ist den Fällen des Abs 1 leg cit subsidiär, in welchen Fremden dieser Schutz schon ex lege nicht zukommt. Hier liegt schon deswegen kein Fall des Abs 1 leg cit vor, weil der erste Asylantrag des BF in der Sache rechtskräftig erledigt wurde.
Zu prüfen ist daher, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 vorliegen:
4.3. Zum Vorliegen einer aufrechten Rückkehrentscheidung (Z1)
Das Vorliegen einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, einer Ausweisung gemäß § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG ist notwendiges Tatbestandselement des § 12a Abs 2 AsylG 2005. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2018 wurde gegen den BF rechtskräftig eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG getroffen.
4.4. Zum Vorliegen einer entschiedenen Sache (Z2)
Eine weitere Voraussetzung für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ist, dass "der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist". Es ist also eine Prognose darüber zu treffen, ob der Antrag voraussichtlich (insbesondere wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen sein wird (§ 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005).
Nach der Rechtsprechung zu § 68 Abs 1 AVG liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (siehe zB VwGH 17.09.2008 2008/23/0684).
Nach Ansicht des BvWG liegt keine bereits entschiedene Sache vor. Die Mutter bekam Asyl aus den unter Punkt 0 erwähnten Fluchtgrund. Der BF brachte hingegen den unter Punkt 0 erwähnten Fluchtgrund vor. Während das eine die Gefahr der Mutter bzw die Gefahr der Tochter betraf, betraf das von ihm Vorgetragene die Gefahr seiner eigenen Person. Schon alleine aus diesem Grund kann von keiner entschiedenen Sache ausgegangen werden, zumal sein originärer Fluchtgrund auch noch nicht inhaltlich geprüft wurde. Aus diesem Grund musst auch die Feststellung getroffen werden, dass eine Identität zwischen dem Fluchtgrund seiner Mutter und dem eigenen Fluchtgrund nicht vorliegt. Soweit die Behörde vermeint, den Asylantrag vermutlich wegen bereits entschiedener Sache (§ 68 Abs. 1 AVG) zurückzuweisen übersieht sie, zum einen, dass völlig verschiedene Sachverhalte zu beurteilen sind und zum anderen auch, dass im Kern noch keine "entschiedene Sache" vorliegt, denn der BF bekam von seiner Mutter abgeleitetes Asyl, welches später rechtskräftig aufgehoben wurde. Sein originärer Asylgrund wurde noch zu keinem Zeitpunkt geprüft.
Der Tatbestand des § 12a Abs 2 Ziffer 2 AsylG 2005, um somit den faktischen Abschiebeschutz nicht zuzuerkennen, verlangt neben einer entschiedenen Sache auch, dass keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes zu dieser bereits entschiedenen Sache eingetreten ist. Genau dieser Aspekt ist jedoch im gegenständlichen Fall nicht eingetreten, denn es liegt nach Ansicht des BvWG gar keine entschiedene Sache vor. Dies wäre der Fall, wenn eine inhaltliche Entscheidung seines Asylverfahrens vorgenommen worden wäre. Er bekam allerdings nur den von seiner Mutter abgeleitetes Asylstatus verliegeh und es wurde sein Vorbringen bis jetzt noch nicht inhaltlich beurteilt.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Folglich steht dem zweiten Antrag auf internationalen Schutz keine Rechtskraft des über den ersten Antrag absprechenden Bescheides entgegen.
Schlagworte
entschiedene Sache, faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W257.1428907.3.00Zuletzt aktualisiert am
29.05.2020