TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/31 G314 2198120-1

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Veröffentlicht am 31.03.2020
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Entscheidungsdatum

31.03.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2

Spruch

G314 2198120-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.03.2018, Zl. XXXX, betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene

Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: "Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen."

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2017, XXXX, in der Fassung der Strafmilderung vom XXXX.12.2018, zu einer Strafenkombination (unbedingte Geldstrafe und bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe) verurteilt.

Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.01.2018 wurde der BF aufgefordert, sich zur deshalb beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er kam dieser Aufforderung mit seiner schriftlichen Stellungnahme vom 25.01.2018 nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein achtjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung begründet. Die vom BF gesetzten Handlungen seien unter § 67 Abs 1 und Abs 2 FPG zu subsumieren. Er habe keine familiären Anbindungen im Bundesgebiet; sein Privatleben stünde dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf Behebung des angefochtenen Bescheids. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Begründet wird die Beschwerde zusammengefasst damit, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geblieben und die Entscheidung unzureichend begründet worden sei. Das BFA habe es unterlassen, die vom Gericht angeordnete Therapie, für die dem BF ein Strafaufschub bis XXXX.11.2018 gewährt worden sei, ausreichend zu würdigen, und hätte eine Gefährdungsprognose erst nach deren Abschluss erstellen dürfen.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, sie als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der am XXXX in XXXX geborene BF ist Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland. Er ist geschieden. Seine Muttersprache ist Englisch; er beherrscht aber auch die deutsche Sprache.

Der BF war im österreichischen Bundesgebiet von XXXX. bis XXXX.07.2008 und wieder durchgehend von XXXX.03.2013 bis XXXX.04.2019 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Seither besteht im Inland keine Wohnsitzmeldung mehr, weil er Ende März 2019 in den deutschen Ort XXXX nahe der Grenze zu Österreich liegt, verzogen ist [Auszug aus dem Zentralen Melderegister-ZMR; Abmeldebestätigung und Anmeldung OZ 2].

Der BF war in Österreich zu folgenden Zeiten sozialversichert: Im Juli 2008 war er als Angestellter erwerbstätig, von September 2008 bis Juli 2009, im Dezember 2009 und von September 2010 bis März 2011 als Arbeiter. Zwischen XXXX.03.2011 und XXXX.02.2012 bezog er Krankengeld. Zwischen Jänner 2013 und August 2014 war er danach als Arbeiter erwerbstätig und bezog von September 2014 bis Juli 2015 Krankengeld. Seit Mai 2015 bezieht er eine (österreichische) Pension aufgrund geminderter Arbeitsfähigkeit sowie eine Pension aus dem Vereinigten Königreich [Versicherungsdatenauszug AS 33 ff]. Im April 2013 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Arbeitnehmer ausgestellt [Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister-IZR; Strafurteil AS 7].

Mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.12.2017, XXXX, wurde der BF wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB und der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Satz StGB (ausgehend von einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt, wobei ein achtmonatiger Strafteil bedingt (unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit) nachgesehen wurde. Der Verurteilung lag zugrunde, dass er von Sommer 2015 bis Juli 2016 ein am XXXX geborenes und somit unmündiges Mädchen, das bei Besuchen im Haus der Großmutter in seiner Obhut stand, sexuell missbrauchte, indem er sie in zumindest zehn Angriffen im Genitalbereich berührte und ihr dabei zwischen die Schamlippen griff und in zwei oder drei Fällen dazu anhielt, einen Handverkehr an ihm durchzuführen. Außerdem lud er zwischen 2013 bis November 2016 zumindest 156 Bilder mit kinderpornographischem Inhalt (darunter wirklichkeitsnahe Abbildungen geschlechtlicher Handlungen von mündigen und unmündigen minderjährigen Mädchen an anderen solchen und an erwachsenen Personen sowie reißerisch verzerrte Abbildungen der Genitalien und der Schamgegend mündiger und unmündiger minderjähriger Mädchen) aus dem Internet und speicherte sie auf seinem USB-Stick. Bei der Strafzumessung wurden die bisherige Unbescholtenheit, das umfassende Geständnis und die sofortige Bereitschaft zur Schadensgutmachung als mildernd gewertet. Erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen sowie der lange Tatzeitraum aus. Der Minderjährigen wurde ein Teilschmerzengeldbetrag von EUR 300 zugesprochen. Dem BF wurde ein Strafaufschub bis XXXX.11.2018 gewährt und gleichzeitig die Weisung erteilt, eine sexualbezogene Therapie zu besuchen und dies dem Gericht regelmäßig nachzuweisen sowie Schadensgutmachung an das Missbrauchsopfer zu leisten. Da er die Weisung befolgte und regelmäßige Gesprächstermine in einem Männerberatungszentrum absolvierte, wurde der unbedingte Strafteil im Anschluss an den Strafaufschub im Dezember 2018 im Wege der Strafmilderung in eine unbedingte Geldstrafe (240 Tagessätze á EUR 4) umgewandelt, die am XXXX.07.2019 vollzogen wurde. Es handelt sich um die erste und einzige strafgerichtliche Verurteilung des BF in Österreich. Er war zuvor auch in anderen Staaten noch nie wegen eines Sexualdelikts verurteilt worden [Strafregisterauszug; Strafurteil AS 7 ff; Therapiebestätigungen AS 21; "Police National Computer Nominal Report" AS 111 ff; SIS-Vormerkung AS 43].

Der BF hat im Bundesgebiet private, jedoch keine familiären Bindungen.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen.

Die Identität des BF, sein Familienstand und der Pensionsbezug ergeben sich aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil. Letzteres wird auch durch den Versicherungsdatenauszug und das Beschwerdevorbringen untermauert. Kenntnisse der englischen Sprache sind aufgrund seiner Herkunft naheliegend; Deutschkenntnisse sind ob des langjährigen Aufenthalts in Österreich plausibel, zumal die der Hauptverhandlung im Strafverfahren beigezogene Dolmetscherin nach wenigen Minuten - offenbar aufgrund ausreichender Deutschkenntnisse des BF - entlassen werden konnte. Auch in der Erkennungsdienstlichen Evidenz sind Kenntnisse der deutschen und der englischen Sprache vermerkt (siehe AS 47 f).

Die Wohnsitzmeldungen des BF werden anhand des Auszugs aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) festgestellt. Die Abmeldung in von seinem österreichischen Wohnsitz am XXXX.04.2019 und die Anmeldung in Deutschland Ende März 2019 wurden der Beschwerde nachgereicht.

Die Zeiten der Sozialversicherung und die Pensionsbezüge ergeben sich aus dem Versicherungsdatenauszug, die Anmeldebescheinigung ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und auf dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.12.2017, XXXX. Es sind keine Hinweise auf weitere relevante strafgerichtliche Verurteilungen des BF aktenkundig. Dies wird durch den mit der Beschwerde vorgelegten "Police National Computer Nominal Report" aus dem Vereinigten Königreich untermauert, aus dem - abgesehen von der Verurteilung durch das Landesgericht XXXX im Dezember 2017 - lediglich geringfügige, mit Geldstrafen und dem vorübergehenden Entzug der Lenkberechtigung geahndete Delikte und Übertretungen (Diebstahl aus einem Fahrzeug, Fehlen einer Versicherung, unbefugter Gebrauch von Fahrzeugen) in den Jahren 1970 und 1971 hervorgehen. Dementsprechend wurde vom Landesgericht XXXX auch seine Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt.

Die im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, der BF sei bereits in seinem Herkunftsstaat wegen derselben schädlichen Neigung in Erscheinung getreten (siehe Seiten 10, 11 und 14 des Bescheids), die auf der Vormerkung im Schengener Informationssystem laut AS 43 beruht, zieht aus dieser Eintragung einen falschen Schluss, weil es sich um eine Ausschreibung zum Zwecke der verdeckten Kontrolle gemäß § 39 EU-PolKG handelt, die am XXXX.01.2018 - und damit offenbar in Reaktion auf die Verurteilung des BF durch das Landesgericht XXXX im Dezember 2017 - erstellt wurde und somit kein Hinweis darauf ist, dass er auch davor schon wegen sexueller Ausbeutung von Kindern, Kinderpornographie oder anderen Sexualstraftaten aufgefallen wäre. Auch aus dem mit der Beschwerde vorgelegten "Police National Computer Nominal Report" geht nichts dergleichen hervor. Das BFA hat (über den Auszug aus dem Schengener Informationssystem hinaus) keine weiteren Ermittlungen zu allfälligen Vorstrafen des BF in seinem Herkunftsstaat (oder in anderen Staaten) angestellt, sodass das BVwG davon ausgeht, dass keine relevanten Vorstrafen bestehen.

Die vom BF absolvierte Therapie ergibt sich aus der ihm gleichzeitig mit dem Strafaufschub erteilten Weisung, den aktenkundigen Bestätigungen des Zentrums für Familientherapie und Männerberatung in XXXX (AS 21) und der im Strafregister ersichtlichen Umwandlung des viermonatigen, unbedingten Strafteils in eine unbedingte Geldstrafe, deren Vollzug ebenfalls aus dem Strafregister hervorgeht. Dies war dem BF bereits anlässlich der Verurteilung am 04.12.2017 für den Fall der positiven Absolvierung der Therapie und Schadensgutmachung in Aussicht gestellt worden (siehe AS 12).

Dass der BF private Anknüpfungspunkte in Österreich hat, ergibt sich schon aus seiner Aufenthaltsdauer und der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Es sind keine Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung des BF in Österreich aktenkundig. Familiäre Bindungen im Inland werden vom BF weder in seiner Stellungnahme noch in der Beschwerde behauptet und lassen sich auch den Verwaltungsakten nicht entnehmen.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zur in der Beschwerde behaupteten Verletzung des Parteiengehörs ist festzuhalten, dass allein der Umstand, dass die Behörde den BF nicht persönlich einvernommen hat, das Parteiengehör nicht verletzt, wenn sie dem Recht auf Parteiengehör auf andere geeignete Weise entspricht. Aufgrund der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme hatte der BF die Gelegenheit, in diesem Verfahren Stellung zu nehmen. Letztlich ist auch aufgrund der ihm im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gebotenen Möglichkeit, sich zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu äußern, von einer Sanierung einer allfälligen Verletzung des Parteiengehörs auszugehen, zumal der angefochtene Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vollständig wiedergibt (vgl. VwGH 10.09.2015, Ra 2015/09/0056).

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Der BF ist Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland. Art 2 lit e iVm Art 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (2019/C 384 I/01) legt einen Übergangszeitraum fest, der mit dem Tag des Inkrafttretens des Abkommens beginnt und bis zum 31.12.2020 läuft. Innerhalb dieses Zeitraumes bleibt der EU-Rechtsbestand weiterhin auf das Vereinigte Königreich anwendbar, sodass der BF in diesem Verfahren weiterhin als EWR-Bürger anzusehen ist.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF als demnach nach wie vor unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art 28 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, heranzuziehen. Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs 1 FPG. § 53a Abs 1 NAG stellt in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab. Auf dieser Grundlage darf nur bei Vorliegen von Gründen iSd § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) ein Aufenthaltsverbot erlassen werden (vgl. zuletzt VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205).

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Da sich der BF ab Anfang 2013 rechtmäßig und kontinuierlich im österreichischen Bundesgebiet aufhielt, hat er gemäß § 53a Abs 1 NAG das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (worauf die Beschwerde zu Recht hinweist), sodass der Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs 1 letzter Satzteil FPG (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit) anzuwenden ist. Für die Zeit ab 2008 bestehen demgegenüber weder durchgehende Wohnsitzmeldungen noch eine durchgehende Erwerbstätigkeit noch wurde dem BF eine Anmeldebescheinigung ausgestellt, sodass nicht von einem zehnjährigen kontinuierlichen Inlandsaufenthalt auszugehen ist und der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG (nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich) nicht heranzuziehen ist.

Der BF wurde des sexuellen Missbrauchs einer seiner Obhut anvertrauten Unmündigen für schuldig erkannt, wobei ihm innerhalb eines Zeitraums von ungefähr einem Jahr insgesamt 13 Angriffe angelastet wurden. Dazu kommt der Besitz zahlreicher kinderpornographischer Darstellungen (auch Unmündiger) über mehrere Jahre hinweg. Er wurde deshalb (nach einer Strafmilderung infolge einer auf gerichtliche Weisung hin absolvierten Therapie) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten und einer unbedingten Geldstrafe verurteilt. Diese Verurteilung, die die Kriterien des § 53 Abs 3 Z 1 FPG erfüllt, indiziert eine beträchtliche von ihm ausgehende Gefährlichkeit. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern zählt zu den in Art 83 Abs 1 Unterabs 2 AEUV angeführten Straftaten, die als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen und geeignet sind, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen (vgl. EuGH 22.05.2012, C-348/09, P. I. gegen Oberbürgermeisterin der Stadt Remscheid). Aufgrund des geringen Alters des Missbrauchsopfers, das bei Beginn der Übergriffe erst sieben Jahre alt war, des gleichzeitig verwirklichten Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses und des langen Tatzeitraums weisen die Straftaten des BF trotz der vergleichsweise geringen Strafe besonders schwerwiegende Merkmale auf, die ein Aufenthaltsverbot gegen ihn notwendig machen, obwohl er das unionsrechtliche Daueraufenthaltsrecht erworben hat. Daran ändert auch die erfolgreich absolvierte Therapie nichts, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters nach der Rechtsprechung des VwGH auch in diesem Fall grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe zuletzt VwGh 19.12.2019, Ra 2019/21/0276). Dieser Wohlverhaltenszeitraum beginnt beim BF frühestens nach dem Zeitraum des Strafaufschubs, also Ende 2018. Die seither verstrichene Zeit reicht aufgrund der schwerwiegenden Taten gegen die sexuelle Integrität von Kindern noch nicht aus, um einen Wegfall der durch die strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit des BF anzunehmen.

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Die strafrechtliche Verurteilung wegen Verbrechen und Vergehen gegen die sexuelle Integrität von Kindern führen trotz der absolvierten Therapie dazu, dass für den BF noch keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann.

Der BF hat kein Familienleben in Österreich, geht hier keiner Erwerbstätigkeit mehr nach und ist seit XXXX.04.2019 nach Deutschland verzogen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass er hier Sozialkontakte geknüpft hat, sodass das Aufenthaltsverbot jedenfalls in sein Privatleben eingreift. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung ergibt hier, dass der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privatleben des BF verhältnismäßig ist. Aufgrund der Straftaten besteht ein besonders großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Der BF kann die Kontakte zu in Österreich lebenden Freunden und Bekannten auch durch Telefonate, Briefe und elektronische Kommunikationsmittel (Internet, E-Mail, soziale Medien) sowie durch Besuche außerhalb Österreichs, die aufgrund der Nähe seines Wohnorts zur österreichischen Grenze einfach möglich sind, pflegen. Es ist dem BF zumutbar, sich außerhalb von Österreich niederzulassen, zumal er durch den Pensionsbezug finanziell abgesichert und alleinstehend ist. Das Aufenthaltsverbot wurde somit dem Grunde nach zu Recht erlassen.

Da der BF zum ersten Mal wegen Sexualdelikten verurteilt wurde und keine relevanten Vorstrafen bestehen, er sich im Strafverfahren geständig verantwortete, sodass das Strafgericht den Strafrahmen bei weitem nicht ausschöpfte und die Strafe aufgrund der Befolgung der gerichtlichen Weisung nachträglich gemildert werden konnte, ist ein dreijähriges Aufenthaltsverbot ausreichend, um der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung wirksam zu begegnen. Dabei sind dem BF vor allem die unverzügliche Verantwortungsübernahme für seine Taten und die besuchte Therapie positiv anzurechnen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist dahingehend abzuändern.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids und dem Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern (so hier ob der Übergangsbestimmungen der Art 2 lit e iVm Art 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (2019/C 384 I/01) auch dem BF) bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Vor diesem Hintergrund ist Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden, insbesondere, da der BF das Bundesgebiet bereits verlassen hat.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil B):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG im vorliegenden Einzelfall an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot, Herabsetzung, Interessenabwägung,
Milderungsgründe, öffentliche Interessen, Unbescholtenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2198120.1.00

Zuletzt aktualisiert am

29.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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