TE Bvwg Beschluss 2019/11/14 W170 2192012-1

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Veröffentlicht am 14.11.2019
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Entscheidungsdatum

14.11.2019

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z17
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs3 Satz 2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W170 2192012-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , StA. staatenlos, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2018, Zl. 1141589506-170124629/BMI-BFA_SBG_AST_01, beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. des bekämpften

Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2018, und § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019, behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2019, nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

XXXX (in Folge: Beschwerdeführer), ein staatenloser Kurde, stellte am 29.01.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, der nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 27.02.2018, erlassen am 01.03.2018, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Unter einem wurde dieser der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Im Bescheid ging das Bundesamt erkennbar - Feststellungen zu Irak fehlen im Wesentlichen - davon aus, dass der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers Syrien sei; dort drohe ihm keine asylrelevante Verfolgung.

Mit am 26.03.2018 bei der Behörde eingebrachtem Schriftsatz wurde gegen Spruchpunkt I. des im Spruch bezeichneten Bescheides Beschwerde erhoben. Begründend wurde darauf verwiesen, dass dem Beschwerdeführer in Syrien Verfolgung als Kurde drohe. Auch drohe ihm wegen der illegalen Ausreise aus Syrien Verfolgung in Syrien.

5. Die Beschwerde wurde samt den bezugnehmenden Verwaltungsakten am 10.04.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt; diese wurde nach einer entsprechenden Abnahme am 18.10.2019 der Gerichtsabteilung W170 zugeteilt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

XXXX hat im Administrativverfahren einen Auszug aus dem Register für Auslänger vorgelegt, nach dem er am 10. oder XXXX in Syrien geboren worden und staatenlos sei.

XXXX hat sowohl in der Erstbefragung als auch in der Einvernahme vor dem Bundesamt ausgeführt, dass er ein staatenloser Kurde sei und bis 2010 in Syrien sowie seit 2010 im Irak gelebt habe, aus dem er im Juli 2016 geflüchtet sei; er sei im Irak einer Beschäftigung nachgegangen und habe dort gewohnt.

XXXX hat am 29.01.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit im Spruch bezeichneten Bescheid erledigt wurde; in dem Bescheid ging das Bundesamt davon aus, dass der Herkunftsstaat des XXXX Syrien ist. Es hat über die Frage, wann der Beschwerdeführer wo gelebt hat, hinaus keine Ermittlungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getätigt, diesen habe man nicht feststellen können. Weiters hat das Bundesamt jegliche Ermittlungen zur Situation im Irak, insbesondere zur Situation von staatenlosen Kurden im Irak sowie jegliche über ganz allgemeine Fragen hinausgehenden Ermittlungen zur Situation des XXXX in Irak unterlassen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus der unbedenklichen Aktenlage, hinsichtlich des Auszugs aus dem Register für Auslänger insbesondere aus der Aktenseite 75 (Kopie des Dokuments) bzw. 81 (amtlich beigeschaffte Übersetzung) und hinsichtlich der Ausführungen des Beschwerdeführers im Administrativverfahren aus der Erstbefragung und der behördlichen Einvernahme.

Hinsichtlich des Verfahrensganges - soweit dieser unter 1. festgestellt wurde - wird auf den Verwaltungsakt verwiesen, hinsichtlich des Unterlassens der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Irak ebenso; weder wurden dem Beschwerdeführer im Rahmen des Administrativverfahrens noch im verfahrensabschließenden Bescheid Beweismittel zu Irak vorgehalten.

Der Beschwerdeführer hat - wie festgestellt - gleichlautend angegeben, aus Syrien zu stammen und seit 2010 in Irak gelebt und gearbeitet zu haben. Das Bundesamt hat dies - wie der Begründung des Bescheides zu entnehmen ist - nicht "zweifelsfrei" feststellen können, aber keinerlei Ermittlungen zu Klärung der Angelegenheit, die grundlegend für das weitere Verfahren ist, vorgenommen. Es hätte den Beschwerdeführer etwa zu den Orten, an denen er sich aufgehalten haben will, zu den jeweiligen Machthabern oder Vorfällen befragen können, die sich an jenen Orten ereignet haben.

Auch hinsichtlich einer allfälligen Verfolgungssituation in Irak beschränkt sich das Bundesamt auf wenige Fragen, ohne der vorgebrachten Verfolgungsangst des Beschwerdeführers - dieser gab an, Irak aus Angst vor dem IS ("Daesh") verlassen zu haben - auch nur im Ansatz nachzugehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Gemäß § 3 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2019 (in Folge: AsylG), ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG ist unter Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes zu verstehen. Nach den gleichbleibenden Ausführungen des Beschwerdeführers befand sich dieser seit 2010 in Irak; zwar hat das Bundesamt im Bescheid ausgeführt, dass nicht zweifelsfrei festgestellt werden könne, ob der Beschwerdeführer sein Leben bis 2010 in Syrien und dann in Irak verbracht habe, diese Feststellungen werden aber von keiner Beweiswürdigung getragen. Die Klärung des Herkunftsstaates ist Teil der Frage, ob ein Fluchtgrund glaubhaft gemacht wurde; es reicht hier also die Glaubhaftmachung hin. Beim jetzigen Ermittlungsergebnis - das Vorbringen des Beschwerdeführers war in sich nicht widersprüchlich - wäre davon auszugehen, dass der Irak der Herkunftsstaat des staatenlosen Beschwerdeführers wäre. Daher wäre der Irak als Herkunftsstaat der Entscheidung über die Gewährung des Staates des Asylberechtigten zu unterstellen.

2. Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist auszuführen, dass § 3 Abs. 1 AsylG auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK verweist. Danach ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199). Weiters setzt die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 76/1997, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der GFK).

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Gz. Ro 2014/03/0063) hat das Verwaltungsgericht jedenfalls dann selbst in der Sache zu entscheiden, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Steht der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht fest, so darf das Verwaltungsgericht nach der eben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den bekämpften Bescheid nur beheben und die Angelegenheit zurückverweisen, wenn die Behörde lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt hat oder konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass diese (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit die Ermittlungen dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Auch ähnlich schwerwiegende Ermittlungsmängel werden eine Zurückverweisung rechtfertigen. Zusätzlich ist Voraussetzung für die Zurückverweisung, dass die Entscheidung in der Sache durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Das Bundesamt hat unterstellt, dass Syrien der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ist. Das ist aber nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis nicht der Fall, viel mehr ist Irak dessen Herkunftsstaat.

Zum Irak hat das Bundesamt dem Beschwerdeführer weder Ermittlungen zur allgemeinen Lage vorgehalten ("Länderfeststellungen") noch diesen zu seiner Verfolgungsangst zu IS näher befragt. Nur, dass der Beschwerdeführer noch keinen Kontakt zum IS gehabt hat - die einzige Frage, die das Bundesamt diesbezüglich gestellt hat - bedeutet noch nicht, dass dieser eine Verfolgung nicht allgemein nachvollziehbar glaubhaft machen kann.

Es hat daher lediglich ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt, es wäre praktisch das gesamte Ermittlungsverfahren durch das Verwaltungsgericht nachzuholen.

4. Zur Frage, ob die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht - hier: das Bundesverwaltungsgericht - selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist, ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht auf Grund seines Rückstandes unter einer gesetzmäßigen Erledigung der Beschwerden nach Eingangsdatum mit Sicherheit länger für die Durchführung der gegenständlichen Amtshandlung benötigen würde als das Bundesamt, das derzeit seine Verfahren regelmäßig in der gesetzlichen Entscheidungsfrist abzuführen in der Lage ist.

Darüber hinaus ist das gegenständliche Verfahren auf Grund der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts einer Gerichtsabteilung, die Irak nicht judiziert, zugeteilt worden, sodass mit der Einarbeitung ein erheblicher Aufwand verbunden wäre, der beim Bundesamt, das seine Rechtssachen frei einem kundigen Referenten zuteilen kann, wegfällt. Daher ist davon auszugehen, dass die Beseitigung der schwerwiegenden Ermittlungsmängel schneller und billiger beim Bundesamt durchgeführt werden kann.

Hinsichtlich des Antrages auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt - nämlich das Vorliegen von mangelhaften Ermittlungen zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Aufhebung des Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt - durch den vorliegenden Bescheid unter Bedachtnahme auf die Beschwerde feststand und daher auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden konnte und der entsprechende Antrag in der Beschwerde abgewiesen wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 in der Fassung BGBl. I Nr. 104/2019, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 57/2019 (in Folge: B-VG), zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die für die Lösung des Falles relevante Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter A) dargestellt und ist dieser gefolgt; es ist daher keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu erkennen.

Schlagworte

Asylantragstellung, asylrechtlich relevante Verfolgung,
Asylverfahren, begründete Furcht vor Verfolgung, Behebung der
Entscheidung, Ermittlungspflicht, Fluchtgründe, Flüchtlingsbegriff,
Herkunftsstaat, illegale Ausreise, Kassation, mangelhaftes
Ermittlungsverfahren, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
staatenlos, staatlicher Schutz, Überlastung, Verfolgungsgefahr,
Verfolgungshandlung, wohlbegründete Furcht, Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W170.2192012.1.00

Zuletzt aktualisiert am

28.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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