Entscheidungsdatum
14.05.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §69Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Dr. Rieser über die Beschwerde des bosnischen Staatsangehörigen AA, geboren am xx.xx.xxxx, vertreten durch RA BB, Adresse 1, Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 05.03.2020, Zl ***, betreffend eine Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG),
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Sachverhalt und Rechtliche Erwägungen:
Im angefochtenen Bescheid wurde von der belangten Behörde folgende Wiederaufnahme eines Verfahrens nach dem NAG angeordnet:
„Der bosnische Staatsangehörige AA, geb. xx.xx.xxxx, wohnhaft in X, Adresse 2, hat mit Eingabe vom 25.10.2017 bei der Bezirkshauptmannschaft Y die Ausstellung einer Aufenthaltskarte beantragt. Diese Aufenthaltskarte (Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes) wurde ihm mit einer Gültigkeit von 06.11.2017 bis 06.11.2022 von der Bezirkshauptmannschaft Y ausgestellt.
Hinsichtlich dieses Verfahrens hat die Bezirkshauptmannschaft Y auf Grund der gemäß § 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden kurz: NAG), BGBl. I, Nr. 100/2005, i.d.g.F.) erteilten Ermächtigung des Landeshauptmanns von Tirol wie folgt entschieden:
Das Verfahren auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte, welches mit der Aushändigung der Aufenthaltskarte am 09.11.2017 abgeschlossen wurde, wird gem. § 69 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetztes, BGBl. Nr. 51/1991, i.d.g.F., wieder aufgenommen.“
In der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurde zusammengefasst die von der belangten Behörde zur Begründung herangezogene Scheinehe des Beschwerdeführers mit der rumänischen Staatsangehörigen CC, geboren am xx.xx.xxxx, bestritten. Die Ehe bestünde aufrecht. Die Ehegattin des Beschwerdeführers sei mit Dezember 2017 zur erkrankten Mutter nach Rumänien gezogen, um diese dort pflegen zu können. Der Beschwerdeführer habe Kontakt zu seiner Gattin über DD. Bei der von der belangten Behörde herangezogenen Aussage des Zeugen EE handle es sich lediglich um eine Vermutung, dass es sich um eine Scheinehe handeln könne. Objektive Beweise würden nicht vorliegen. Die Einvernahme der Ehegattin und der Zeugen (Freunde) FF („GG“) und EE („JJ“) wurde ausdrücklich beantragt. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wurde beantragt.
Aufgrund des vorgelegten Aufenthaltsaktes der belangten Behörde ergibt sich folgender verfahrenswesentlicher Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer hat am 25.10.2017 bei der Bezirkshauptmannschaft Y einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte nach dem NAG eingebracht. Nach Vorlage der erforderlichen Unterlagen und Prüfung durch die Bezirkshauptmannschaft Y wurde dem Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Y eine Aufenthaltskarte mit dem Ausstellungsdatum 06.11.2017 und einem Gültigkeitsdatum bis 06.11.2022 ausgestellt.
Laut Erledigungsnachweis im Akt erfolgte die Aushändigung und somit Zustellung der Aufenthaltskarte am 09.11.2017. Laut Auszug aus dem Zentralen Melderegister war der Beschwerdeführer vom 23.10.2017 bis 28.11.2017 mit Hauptwohnsitz in der Gemeinde W im Bezirk Y mit Hauptwohnsitz gemeldet. Mit 02.03.2018 hat der Beschwerdeführer einen Hauptwohnsitz in X, Adresse 2, angemeldet. Der Beschwerdeführer wohnt seither an der angeführten Adresse. Der Beschwerdeführer verfügt über die bosnische Staatsangehörigkeit und ist weiterhin mit der rumänischen Staatsangehörigen CC verheiratet. Die rumänische Staatsangehörige lebt seit Dezember 2017 nicht mehr im Bundesgebiet, sondern in Rumänien und pflegt dort laut Ausführungen des Beschwerdeführers ihre Mutter. Ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Artikel 8 EMRK wird seit Dezember 2017 nicht mehr geführt und hat sich der Beschwerdeführer auch seither nicht mehr auf ein solches gemeinsames Familienleben berufen. Der Beschwerde kann sich seit Dezember 2017 auch tatsächlich auf ein solches gemeinsames Eheleben im Sinne Artikel 8 EMRK nicht mehr berufen. Spätestens seit der erfolgten Rückkehr der Ehefrau nach Rumänien im Dezember 2017 kann sich der Beschwerdeführer trotz der im November 2017 ausgestellten Aufenthaltskarte, die grundsätzliche nur deklaratorische Wirkung entfaltet, nicht bzw nicht mehr auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß § 54 NAG berufen.
Für den Fall, dass die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß § 54 NAG nicht oder nicht mehr vorliegen, sieht § 55 Abs 3 NAG vor, dass die sachlich und örtlich zuständige Aufenthaltsbehörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen hat, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbewilligung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach dem NAG vorgesehen ist. Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ zu erteilen (§ 55 Abs 5 NAG).
Auf die diesbezügliche Vorgehensweise nach § 55 NAG wird bei Nicht(mehr)bestehen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts auch seitens des BMI im den Vollzugsbehörden zur Verfügung gestellten Handbuch zum NAG ausdrücklich hingewiesen.
Es wird auch auf eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.01.2020, Zahl Ra 2019/21/0384, verwiesen. Auch in diesem Verfahren wurde dem Drittstaatsangehörigen die Aufenthaltskarte mit einer fünfjährigen Gültigkeit ausgestellt und folgte nach der Beendigung des gemeinsamen Familienlebens unter Bezugnahme auf § 55 Abs 3 NAG ein Ausweisungsverfahren nach § 66 Abs 1 FPG.
Unabhängig vom gegenständlichen Wiederaufnahmeverfahren wäre betreffend eine beabsichtigte Aufenthaltsbeendigung des Beschwerdeführers jedenfalls in Anwendung des § 55 Abs 3 NAG ein fremdenpolizeiliches Verfahren beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu initiieren und durchzuführen.
§ 69 Abs 3 AVG sieht nicht zwingend die Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Verfahrens bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 vor. Die amtswegige Wiederaufnahme kann von der zuständigen Behörde verfügt werden. Im gegenständlichen Verfahren wird über die Frage, ob der Beschwerdeführer nicht oder nicht mehr über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach § 54 NAG verfügt, im fremdenpolizeilichen Verfahren durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Anwendung des § 55 Abs 3 NAG zu entscheiden sein. Ein zusätzliches durch die gegenständlich verfügte Wiederaufnahme zu führendes Verfahren nach dem NAG erscheint diesbezüglich weder zweckmäßig noch tunlich und geboten. Über die auch für die involvierten Behörden in fremdenrechtlicher Sicht wesentliche und entscheidende Frage, ob sich der Beschwerdeführer weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten darf oder seinen Aufenthalt beenden muss, ist schlussendlich im fremdenpolizeilichen Verfahren nach dem FPG durch die zuständige Fremdenpolizeibehörde, also dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, zu entscheiden.
Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes und der aufgezeigten rechtlichen Erwägungen war daher der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben.
Abschließend wird noch darauf hingewiesen, dass die nach dem Wohnsitz des Beschwerdeführers örtlich zuständige Aufenthaltsbehörde entsprechend den Vorgaben des § 55 Abs 3 NAG vorzugehen und etwaig erforderliche weitere verfahrensrechtliche Schritte zu setzen haben wird.
II. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Mit der gegenständlichen Entscheidung wird auch von der vorhandenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.
Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag. Dr. Rieser
(Richter)
Schlagworte
Wiederaufnahme Verfahren;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.30.0896.1Zuletzt aktualisiert am
27.05.2020