Entscheidungsdatum
14.04.2020Norm
B-VG Art132 Abs1 Z1Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch Dr. Flendrovsky als Einzelrichter über die Beschwerde der A in ***, ***, gegen den Bescheid des Stadtrates der Stadtgemeinde *** vom 9. September 2019, Zl. ***, betreffend Fristerstreckung für einen baupolizeilichen Auftrag (mitbeteiligte Partei: B in ***, ***), den
BESCHLUSS:
1. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 erster Halbsatz iVm § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.
2. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG iVm § 25a VwGG nicht zulässig.
Begründung:
I. Unstrittiger Sachverhalt und Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Grundstücks Nr. ***, KG ***. Die Mitbeteiligte ist Eigentümerin des in östlicher Richtung unmittelbar angrenzenden Grundstücks Nr. ***, KG ***.
2. Mit Schreiben vom 30. Mai 2018 ersuchte die Beschwerdeführerin den Bürgermeister der Stadtgemeinde *** um Überprüfung, ob für „das beabsichtigte Bauvorhaben, die Errichtung einer Stützmauer, unserer rechten Nachbarin an der Grundstücksgrenze *** und *** eine Baubewilligung vorhanden ist.“ Außerdem ersuchte Sie gegebenenfalls um Bekanntgabe des Datums einer allfälligen Bewilligung sowie um Einsicht in die Unterlagen.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2018 teilte der Bürgermeister der Beschwerdeführerin mit, dass für das Objekt keine Unterlagen im Bauakt auflägen.
3. Nachdem seitens des Bürgermeisters keine weiteren Schritte gesetzt wurden, beschwerte sich die Beschwerdeführerin bei der Volksanwaltschaft, wo sie auch geltend machte, sie habe sich bereits am 8. Mai 2018 wegen vom Grundstück der Mitbeteiligten ausgehenden Wasserübertritten auf ihr Grundstück an den Bürgermeister gewendet.
Der damit konfrontierte Bürgermeister teilte der Volksanwaltschaft mit Schreiben vom 7. Mai 2019 mit, er habe keine Eingabe der Beschwerdeführerin vom 8. Mai 2018 erhalten. Allerdings habe ihn diese am 4. April 2019 um Übermittlung der bewilligten Einreichunterlagen für die auf dem Grundstück Nr. *** bewilligten Autoabstellplätze ersucht und im entsprechenden E-Mail auch auf die Beeinträchtigung ihres Grundstücks durch vom Nachbargrundstück abfließendes Wasser hingewiesen.
Daraufhin schloss die Volksanwaltschaft mit Schreiben vom 28. Mai 2019 ihr Prüfverfahren ab.
4. Am 11. Juli 2019 fand auf den Grundstücken Nr. *** und *** in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und eines Vertreters der Mitbeteiligten eine baubehördliche Überprüfung statt, die die konsensgemäße Ausführung der Entwässerung der Stellplätze zum Gegenstand hatte.
Als Ergebnis der Überprüfung erließ der Bürgermeister am 30. Juli 2019 einen auf § 34 Abs. 1 und 2 der NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) gestützten baupolizeilichen Auftrag folgenden Inhalts (ohne Hervorhebungen, Schreibfehler nicht korrigiert):
„1. Abbruch der gartenseitigen Steinschlichtungsmauer am nördlichen Ende des KFZ-Abstellplatzes und Herstellung der baubehördlichen genehmigten Böschung und Verlängerung der Steinschlichtung an der westlichen Grundgrenze
2. Ergänzung der baubehördlich genehmigten Steinschlichtung an der westlichen Grundgrenze bis zur straßenseitigen Grundgrenze
3. Auflassung der Versicherungsanlage (mit Bauflies eingefasster Schotterkörper) nahe des südwestlichen Grundstückecks und Ableitung des Oberflächenwassers in eine herzustellende Sichermulde im westlichen seitlichen Bauwich hinter der KFZ-Abstellanlage
4. Entfernung der Pflasterung der KFZ-Abstellplätze und Herstellung eines Schotterbelages
Die Punkte 1. bis 4. sind bis spätestens 30. November 2019 durchzuführen und die Durchführung der Baubehörde schriftlich mitzuteilen.
5. Unverzügliche Errichtung einer kindersicheren Absturzsicherung mit einer Höhe von 1,0 m bei Fallhöhen über 60 cm (gemessen von den Standflächen) bei der Steinschlichtung entlang der westlichen Grundgrenze. Die aufschiebende Bedingung einer Berufung wird für diesen Punkt aufgrund der Gefährdungslage ausgeschlossen.“
5. Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Berufung, in der sie beantragte, die ihr vom Bürgermeister gesetzte Frist bis Mai 2020 zu erstrecken. Davon wurde die Beschwerdeführerin am 19. August 2019 informiert.
Mit am 9. September 2019 ausgefertigtem Bescheid der belangten Behörde (beschlossen in der Sitzung vom 27. August 2019), der ebenso wie der Bescheid des Bürgermeisters vom 30. Juli 2019 die Zahl *** trägt, wurde die Mitbeteiligte mit ihrer Berufung teilweise auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Im Übrigen wurde die Frist für die Erfüllung der Punkte 1. bis 4. des baupolizeilichen Auftrages vom 30. Juli 2019 bis Ende Mai 2020 erstreckt. Hinsichtlich des Punktes 5. blieb es bei der Anordnung des Bürgermeisters, dass die Errichtung der Absturzsicherung unverzüglich durchzuführen sei.
Dieser Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 16. September 2019 durch Hinterlegung zugestellt.
6. Mit E-Mail vom 13. September 2019 erhob die Beschwerdeführerin Berufung gegen den Bescheid ***. Im Betreff ist neben der Geschäftszahl „Aufhebung des Bescheids“ angeführt. Inhaltlich brachte die Beschwerdeführerin vor, der Abstellplatz reiche entgegen den ursprünglichen Planungsunterlagen bis zu ihrer Grundstücksgrenze, die errichtete Steinschlichtung überrage diese sogar. Auf Grund der Größe der Abstellfläche funktioniere die Versickerung des Regenwassers nicht, wodurch es seit mehr als vier Jahren zu Vernässungen ihres Grundstücks komme.
Diese als Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters vom 30. Juli 2019 gedeutete Berufung wurde mit Bescheid des Stadtrates vom 9. Oktober 2019 (beschlossen am 30. September 2019) als verspätet zurückgewiesen. Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens LVwG-AV-1342/002-2019 vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich.
7. Am 30. September 2019 erhob die Beschwerdeführerin eine weitere „Berufung“, in der sie auf den Bescheid vom 9. September 2019 Bezug nahm. Zunächst hielt sie fest, dass ihr die von ihr begehrte Teilnahme an der Stadtratssitzung, in der dieser Bescheid beschlossen wurde, verwehrt worden sei. In weiterer Folge wies sie erneut auf die Vernässungen ihres Grundstücks hin. Auf Grund der der Mitbeteiligten eingeräumten Fristerstreckung werde ihr nun ein fünftes Jahr zugemutet. Sie könne weder dem die Grundstücksgrenze überragenden Bauwerk noch der Fristerstreckung zustimmen.
Mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 wurde die Beschwerdeführerin vom Bürgermeister zunächst auf die mittlerweile erfolgte Zurückweisung ihrer Berufung gegen den Bescheid vom 30. Juli 2019 wegen Verspätung hingewiesen. Die „Berufung“ gegen den Bescheid vom 9. September 2019 sei hingegen fristgerecht. Allerdings sei gegen einen Bescheid des Stadtrates keine Berufung, sondern nur eine Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht möglich. Die Beschwerdeführerin wurde um Ergänzung ihrer Angaben innerhalb von 14 Tagen ersucht. Darüber hinaus wurden ihr in dem Schreiben noch Rechtsauskünfte zu bewilligten sowie nicht bewilligten Bauwerken an der Grundstücksgrenze erteilt.
8. Am 23. November 2019 richtete die Beschwerdeführerin eine „Beschwerde gegen Errichtung von zwei Autoabstellplätzen am angrenzenden Nachbargrundstück Nr. ***, KG ***“ direkt an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Dazu wurde der Beschwerdeführerin zur Zl. LVwG-AV-1342/001-2019 eine umfassende rechtliche Belehrung im Hinblick auf die gesetzlichen Anforderungen an Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erteilt und die Beschwerde am 29. November 2019 an die Stadtgemeinde *** weitergeleitet.
Nach Einlangen der weitergeleiteten „Beschwerde“ bei der Stadtgemeinde wies der Bürgermeisters mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 die Beschwerdeführerin neuerlich auf die Aufforderung zur Ergänzung vom 21. Oktober 2019 hin.
9. Am 5. März 2020 (eingelangt am 16. März 2020) legte der Bürgermeister dem Landesverwaltungsgericht ein als „Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich“ bezeichnetes Schreiben der Beschwerdeführerin vom 6. Jänner 2020 vor. Im Betreff ist sowohl „Berufung Bescheid GZ: *** vom 09.10.2019“ als auch „Berufung Bescheid GZ: **** vom 30.07.2019 und 09.09.2019“ angeführt. Weiters wird auf die „Berufungsschreiben“ vom 13. und vom 30. September 2019 Bezug genommen. Nach näherer Begründung ihrer Beschwerden beantragt die Beschwerdeführerin die Aufhebung der Fristerstreckung, den sofortigen Abriss der an der Grundstücksgrenze errichteten „Steinschlichtung“ und großflächigen Autoabstellplätze sowie die Sanierung und Trockenlegung ihres Gartens, gegebenenfalls auch des Kellers.
10. Dieser Sachverhalt bzw. Verfahrensgang ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt und ist insofern unstrittig. Lediglich hinsichtlich der Verständigung von der Berufung der Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom 30. Juli 2019 bringt die Beschwerdeführerin vor, diese sei am 19. September 2019 erfolgt. Aus dem Akteninhalt ergibt sich jedoch, dass die Verständigung das Datum 19. August 2019 trägt. Das Landesverwaltungsgericht geht davon aus, dass insoweit ein Schreibfehler der Beschwerdeführerin vorliegt und die Verständigung am 19. August 2019 erfolgt ist. Dies erfolgt jedoch nur zum Zweck einer geordneten Darstellung des Verfahrensganges, für die Entscheidung ist dieses Datum nicht wesentlich.
II. Rechtsvorschriften
1. Nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. 1/1930 idF BGBl. I 51/2012, erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Nach Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrens-gesetzes (VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 57/2018, lauten:
„[…]
2. Hauptstück
Verfahren
1. Abschnitt
Beschwerde
[…]
Inhalt der Beschwerde
§ 9. (1) Die Beschwerde hat zu enthalten:
1. die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides […],
2.die Bezeichnung der belangten Behörde,
3. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
4. das Begehren und
5. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist.
[…]
2. Abschnitt
Vorverfahren
Anzuwendendes Recht
§ 11. Soweit in diesem und im vorangehenden Abschnitt nicht anderes bestimmt ist, sind auf das Verfahren nach diesem Abschnitt jene Verfahrensvorschriften anzuwenden, die die Behörde in einem Verfahren anzuwenden hat, das der Beschwerde beim Verwaltungsgericht vorangeht.
[…]
3. Abschnitt
Verfahren vor dem Verwaltungsgericht
[…]
Verhandlung
§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist […]
[…]
Prüfungsumfang
§ 27. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
[…]
Beschlüsse
§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
[…]“
3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. 51 idF BGBl. I 58/2018, lauten:
„[…]
Anbringen
§ 13. […]
(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.
[…]
§ 59. […]
(2) Wird die Verbindlichkeit zu einer Leistung oder zur Herstellung eines bestimmten Zustandes ausgesprochen, so ist im Spruch zugleich auch eine angemessene Frist zur Ausführung der Leistung oder Herstellung zu bestimmen.
[…]
§ 66. […]
(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
[…]“
4. Die maßgeblichen Bestimmungen der NÖ Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014), LGBl. 1/2015 idF LGBl. 53/2018, lauten:
„[…]
§ 6
Parteien und Nachbarn
(1) In Baubewilligungsverfahren und baupolizeilichen Verfahren nach § 34 Abs. 2 und § 35 haben Parteistellung:
1. der Bauwerber und der Eigentümer des Bauwerks
2. der Eigentümer des Baugrundstücks
3. die Eigentümer der Grundstücke, die an das Baugrundstück angrenzen oder von diesem durch dazwischen liegende Grundflächen mit einer Gesamtbreite bis zu 14 m (z. B. schmale Grundstücke, Verkehrsflächen, Gewässer, Grüngürtel) getrennt sind (Nachbarn), und
4. die Eigentümer eines ober- oder unterirdischen Bauwerks auf den Grundstücken nach Z 2 und 3, z. B. Superädifikat, Baurechtsobjekt, Keller (Nachbarn).
Nachbarn sind nur dann Parteien, wenn sie durch das fertiggestellte Bauvorhaben bzw. das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechten oder als Inhaber eines Fahr- und Leitungsrechtes nach § 11 Abs. 3 beeinträchtigt werden können.
[…]
§ 34
Vermeidung und Behebung von Baugebrechen
(1) Der Eigentümer eines Bauwerks hat dafür zu sorgen, dass dieses in einem der Bewilligung (§ 23) oder der Anzeige (§ 15) entsprechenden Zustand ausgeführt und erhalten und nur zu den bewilligten oder angezeigten Zwecken (z. B. landwirtschaftlicher Betrieb bei landwirtschaftlichem Wohngebäude) genutzt wird. Er hat Baugebrechen zu beheben.
(2) Kommt der Eigentümer eines Bauwerks seiner Verpflichtung nach Abs. 1 nicht nach, hat die Baubehörde nach Überprüfung des Bauwerks ungeachtet eines anhängigen Antrages nach § 14 oder einer anhängigen Anzeige nach § 15, unter Gewährung einer angemessenen Frist, die Behebung des Baugebrechens zu verfügen.
[…]“
III. Rechtliche Beurteilung
1. Festzuhalten ist zunächst nochmals, dass Gegenstand der vorliegenden Entscheidung nur die von der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 9. September 2019 erhobene Beschwerde ist. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 9. Oktober 2019 bildet den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens LVwG-AV-1342/002-2019 (vgl. schon oben I.6.).
2. Für die Beurteilung des Charakters einer Eingabe ist nicht nur ihre Bezeichnung, sondern auch ihr wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend (VwGH 21.04.1998, 98/11/0019 ua.).
Die Beschwerdeführerin hat mit dem E-Mail vom 30. September 2019 „Berufung“ erhoben. Der Bürgermeister hat dies auf Grund des Inhalts des E-Mails zutreffend als mögliche Beschwerde gegen den Bescheid vom 9. September 2019 gedeutet, die freilich – neben der Unklarheit, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich Beschwerde erheben wollte – nicht den Anforderungen des § 9 Abs. 1 VwGVG entsprach.
Das Schreiben vom 21. Oktober 2019 kann aber schon deshalb nicht als – gemäß § 11 VwGVG grundsätzlich möglicher – Mängelbehebungsauftrag nach § 13 Abs. 3 AVG im Beschwerdevorverfahren gedeutet werden, weil ihm kein Anhaltspunkt zu entnehmen ist, dass der Bürgermeister für die belangte Behörde tätig geworden ist und das Schreiben daher dieser nicht zugerechnet werden kann (vgl. VwGH 31.07.2006, 2005/05/0370, mwN; die Regeln für die Zurechnung von Bescheiden müssen auch für Verfahrensanordnungen gelten, zu denen der Mängelbehebungsauftrag zählt). Mittlerweile hat die Beschwerdeführerin durch ihre nachfolgenden Anbringen vom 23. November 2019 und vom 6. Jänner 2020 klargestellt, dass sie tatsächlich gegen den Bescheid vom 9. September 2019 Beschwerde erheben wollte. Das letztgenannte Anbringen enthält auch Beschwerdegründe und -anträge, sodass in der „Berufung“ vom 30. September 2019 im Zusammenhalt mit den späteren Anbringen eine den Anforderungen des § 9 Abs. 1 VwGVG entsprechende, rechtzeitige Beschwerde zu erblicken ist.
3. Diese ist allerdings nicht zulässig.
Die Beschwerdeführerin ist als Eigentümerin des Grundstücks Nr. *** iSd § 6 Abs. 1 Z 3 NÖ BO 2014 Nachbarin des Grundstücks Nr. ***, das im Eigentum der Mitbeteiligten steht. Dieser hat der Bürgermeister mit Bescheid vom 30. Juli 2019 gemäß § 34 Abs. 2 NÖ BO 2014 einen baupolizeilichen Auftrag erteilt. Gegen diesen erhob die Mitbeteiligte Berufung, mit der sie allerdings lediglich eine Fristerstreckung für die ihr aufgetragenen Maßnahmen beantragt hat. Diesem Antrag wurde mit dem angefochtenen Bescheid im Ergebnis teilweise Folge gegeben.
Daraus folgt zunächst, dass Sache des Berufungsverfahrens nach § 66 Abs. 4 AVG nur mehr die Leistungsfrist für die Erfüllung der vom Bürgermeister erteilten baupolizeilichen Aufträge gemäß § 59 Abs. 2 AVG, nicht aber die Aufträge selbst waren (VwGH 29.04.2005, 2004/05/0126, mwN). Die belangte Behörde hat auch alleine darüber verbindlich abgesprochen, mit den zusätzlich ausgesprochenen Verweisungen auf den Zivilrechtsweg hat sie nur unverbindlich zum Ausdruck gebracht, dass ihr für das davon umfasste (lediglich begründende) Vorbringen in der Berufung keine Entscheidungszuständigkeit zukommt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zulässiger Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 iVm Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (VwGH 27.03.2018, Ra 2015/06/0011, mwN). Die über eine Abänderung der Leistungsfrist hinausgehenden Beschwerdeanträge sind daher schon aus diesem Grund unzulässig.
4. Weiters haben nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts-hofes Nachbarn nach § 6 Abs. 1 Z 3 NÖ BO 2014 in baupolizeilichen Verfahren nach § 34 Abs. 2 und § 35 leg.cit. nur dann Parteistellung, wenn sie die Erlassung eines baupolizeilichen Auftrages nach einer dieser Gesetzesbestimmungen wegen der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Nachbarrechtes im Sinne des § 6 Abs. 2 leg.cit. beantragt haben (VwGH 23.09.2018, Ra 2018/05/0003, mwN). Der gegenüber der Mitbeteiligten erlassene baupolizeiliche Auftrag geht zwar auf ein Ersuchen der Beschwerdeführerin auf Überprüfung vom 30. Mai 2018 (möglicherweise auch schon auf ein früheres Ersuchen) und in weiterer Folge die Befassung der Volksanwaltschaft damit zurück, ein konkreter Antrag wurde von der Beschwerdeführerin jedoch beim Bürgermeister nicht gestellt (vgl. zur Unterscheidung zwischen einem Antrag und einer bloßen Anregung zur Einleitung eines baupolizeilichen Verfahrens VwGH 28.05.2013, 2013/05/0030). Somit kam der Beschwerdeführerin im baupolizeilichen Verfahren keine Parteistellung zu. Dass sie diesem dennoch beigezogen und ihr der erstinstanzlich sowie der angefochtene Bescheid zugestellt wurden, vermag daran nichts zu ändern (VwGH 26.01.2012, 2010/07/0123, mwN).
Damit fehlt der Beschwerdeführerin auch die Beschwerdelegitimation: Nach Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG sind nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungs-gerichtshofes nur diejenigen Personen berechtigt, eine Verletzung von Rechten mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht geltend zu machen, denen in einem vorangegangenen Verwaltungsverfahren Parteistellung zukam oder zuerkannt wurde. Parteistellung im Verwaltungsverfahren und die Befugnis zur Beschwerde-erhebung an das Verwaltungsgericht hängen nach der innerstaatlichen Rechtslage somit unmittelbar zusammen. (VwGH 20.12.2019, Ro 2018/10/0010, mwN).
5. Die Beschwerde ist somit zur Gänze gemäß § 28 Abs. 1 erster Halbsatz iVm § 31 Abs. 1 VwGVG mit Beschluss als unzulässig zurückzuweisen.
6. Daher kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.
IV. Zur Unzulässigkeit der Revision
Die Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Insbesondere weicht die Entscheidung weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt Rechtsprechung zu den zu lösenden Rechtsfragen noch werden diese in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes uneinheitlich beantwortet. Die Lösung der aufgeworfenen Rechtsfragen ergibt sich vielmehr aus § 66 Abs. 4 AVG, den Art. 130 Abs. 1 Z 1 und 132 Abs. 1 Z 1 B-VG, § 27 VwGVG sowie den §§ 6 Abs. 1 Z 3 und 34 Abs. 2 NÖ BO 2014 im Zusammenhalt mit der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Hinsichtlich des Entfalls der Verhandlung ist auf den klaren Wortlaut des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu verweisen.
Schlagworte
Bau- und Raumordnungsrecht; baubehördlicher Auftrag; Leistungsfrist; Verfahrensrecht; Beschwerdelegitimation; Parteistellung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.384.001.2020Zuletzt aktualisiert am
27.05.2020