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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen bengalischen Staatsangehörigen; mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen und dem Alphabetisierungsgrad des Beschwerdeführers sowie Widerspruch der Wertung der Homosexualität mit den Länderfeststellungen und der JudikaturSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein im Jahr 1998 geborener bengalischer Staatsangehöriger. Er stellte nach Einreise ins Bundesgebiet am 8. Februar 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl machte er unter anderem geltend, in Bangladesch wegen seiner Homosexualität Verfolgung ausgesetzt zu sein.
2. Mit Bescheid vom 27. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem hier angefochtenen Erkenntnis vom 24. Juli 2019 als unbegründet ab. Die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen dahin, dass dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers keine Glaubwürdigkeit zukomme, im Übrigen aber von einer an einen Asylgrund heranreichenden Verfolgung Homosexueller in Bangladesch nicht ausgegangen werden könne.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Solche Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht hält im angefochtenen Erkenntnis fest, dass der Beschwerdeführer "intensiv" zu seiner vorgebrachten Homosexualität befragt worden sei (S 9). Aus der Niederschrift der mündlichen Verhandlung ergeben sich dazu allerdings nur wenige Aussagen des Beschwerdeführers, die zudem bloß über Befragen durch seine Rechtsvertretung zustande gekommen sind, ohne dass der erkennende Richter dem Beschwerdeführer eine einzige Frage zu seiner behaupteten Homosexualität gestellt hätte. Das Bundesverwaltungsgericht hat dadurch die Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen, was Willkür bedeutet (vgl in diesem Zusammenhang auch VwGH 25.6.2019, Ra 2019/19/0032).
3.2. Das Bundesverwaltungsgericht zählt eine Reihe von Widersprüchen und Unvollständigkeiten im – unvollständig erhobenen – Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auf. Zugleich hält es fest, dass der Beschwerdeführer Analphabet sei (S 11, 30). Das Bundesverwaltungsgericht würdigt in der Folge aber mit keinem Wort, dass der Beschwerdeführer als Analphabet, der in seinem Leben bloß ein Jahr lang eine Schule besucht hat, nicht am selben Maßstab wie ein des Lesens fähiger Mensch gemessen werden kann, was beispielsweise das Wissen um und die Erinnerung an Daten oder Aufschriften anbelangt. Dies betrifft insbesondere die vom Bundesverwaltungsgericht – im Übrigen aktenwidrige – Beweiswürdigung, wonach der Beschwerdeführer den Namen der Firma, bei der er gearbeitet habe, nicht habe nennen können, sowie den Namen des Vereinslokals, in welchem er Feiern besucht, später auch Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen habe, und den Zeitraum, in dem dies passiert sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang sohin den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen.
3.3. Die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Wahrunterstellung, wonach selbst bei Zutreffen des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seiner Homosexualität eine solche in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch keinen Fluchtgrund darstelle, steht im Widerspruch zu den angezogenen Länderberichten und dessen eigener Rechtsprechung (vgl zB BVwG 26.7.2019, W195 2215123-1; 26.7.2019, W195 2214413-1).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer
Verfahrenshilfe auch im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E3349.2019Zuletzt aktualisiert am
27.05.2020