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L55003 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz NiederösterreichNorm
AVG §1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 28. August 2019, Zl. LVwG-AV-1046/001-2018, betreffend eine Angelegenheit nach dem NÖ Naturschutzgesetz 2000 (mitbeteiligte Partei: F H in S), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Spruchpunkt I.2. des Bescheides der Amtsrevisionswerberin (in der Folge: Landesregierung) vom 24. August 2018 wurde dem Mitbeteiligten gemäß § 35 Abs. 2 iVm § 20 Abs. 4 und 5 NÖ Naturschutzgesetz 2000, LGBl. 5500 (NÖ NSchG 2000) zur Sicherung des auf dem Grundstück Nr. 363, KG S, nachgewiesenen Lebensraumes des Raubwürgers die Umsetzung folgender Ausgleichsmaßnahmen aufgetragen:
"Erweiterung des bestehenden Gehölzstreifens auf Grundstück Nr. 374 bzw eine Anlage eines Gehölzbereiches im Norden von Grundstück Nr. 322."
2 Begründend führte die Landesregierung aus, der Naturschutzbehörde sei im Wege der NÖ Umweltanwaltschaft bekannt geworden, dass auf dem Grundstück Nr. 363, KG S, ein für den artenschutzrechtlich besonders geschützten Raubwürger bedeutendes Feldgehölz entfernt worden sei. Laut Gutachten des Amtssachverständigen handle es sich bei der betroffenen Gehölzformation um einen geeigneten Brutplatz, der den Anforderungen der genannten Vogelart entspreche. Die Rodung der Gehölzformation sei als Beeinträchtigung und Störung des Bestandes des Raubwürgers anzusehen. Eine Rodungsbewilligung der Bezirkshauptmannschaft liege vor. Am 10. Jänner 2018 sei von der Landesregierung zum Zweck der Erhebung, ob bzw. welche Ausgleichsmaßnahmen zur Sicherung des Lebensraumes des Raubwürgers im gegenständlichen Bereich vorzusehen seien, eine Verhandlung vor Ort durchgeführt worden. Dabei sei vom Mitbeteiligten (als Grundstückseigentümer) u.a. eine Erweiterung des bestehenden Gehölzstreifens auf Grundstück Nr. 374 bzw. die Anlage eines Gehölzbereichs auf Grundstück Nr. 322 angegeben worden. Der Amtssachverständige für Naturschutz habe die Durchführung dieser Maßnahmen für den Lebensraum und den Bestand des Raubwürgers als positiv erachtet. Da in weiterer Folge der Mitbeteiligte - trotz mehrfacher Aufforderung durch die Landesregierung - die konkrete Beschreibung und Darstellung der zugesagten Maßnahmen nicht übermittelt habe, seien die im Spruch genannten Vorkehrungen bescheidmäßig vorzuschreiben gewesen.
3 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) der Beschwerde Folge und hob Spruchpunkt I.2. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG auf. Weiters sprach das LVwG aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das LVwG aus, dass für die Vorschreibung der genannten Kompensationsmaßnahmen gemäß § 24 Abs. 1 iVm § 35 Abs. 2 NÖ NSchG 2000 die Bezirkshauptmannschaft zuständig sei. 6 Für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 20 Abs. 4 und 5 NÖ NSchG 2000 wäre die Landesregierung zuständig gewesen; mit dem angefochtenen Bescheid sei jedoch keine Ausnahmebewilligung erteilt sondern seien lediglich Ausgleichsmaßnahmen nach § 35 Abs. 2 leg. cit. vorgeschrieben worden.
7 Die gegenständlichen Grundstücke würden auch weder in einem Naturschutzgebiet noch in einem Nationalpark liegen, weshalb sich die Zuständigkeit der Landesregierung auch nicht aus § 24 Abs. 1 zweiter Satz NÖ NSchG 2000 ergebe.
8 Die Unzuständigkeit der Landesregierung sei im Beschwerdeverfahren vom LVwG von Amts wegen wahrzunehmen gewesen, weshalb der Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben gewesen sei.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 12 Die Landesregierung bringt in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Amtsrevision vor, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes werde mit der Einsetzung einer Behörde für die Erteilung von Bewilligungen im Sinne einer Annexzuständigkeit auch die Zuständigkeit zur Erlassung der entsprechenden verwaltungspolizeilichen Aufträge erteilt. Von dieser - näher zitierten, zum Wasserrechtsgesetz (WRG 1959) ergangenen - Rechtsprechung sei das LVwG abgewichen. Im Revisionsfall ergebe sich als Annex aus der Zuständigkeit der Landesregierung zur Führung von Bewilligungsverfahren gemäß § 20 Abs. 4 NÖ NSchG 2000 auch deren Zuständigkeit zur Erteilung naturschutzpolizeilicher Aufträge nach § 35 NÖ NSchG 2000. Es fehle Rechtsprechung zur "Frage der Annexzuständigkeit im Rahmen von Aufträgen aufgrund von Zuwiderhandlungen gegen das Gesetz im Zusammenhang mit Naturschutzverfahren".
13 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte keine Revisionsbeantwortung.
14 Die Revision ist unzulässig.
15 Die maßgeblichen Bestimmungen des NÖ NSchG 2000 lauten
(auszugsweise):
"Abschnitt III
Besondere Schutzbestimmungen
...
§ 18
Artenschutz
(1) Die Vorschriften zum Artenschutz dienen dem Schutz und der Pflege der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten in ihrer natürlichen und historisch gewachsenen Vielfalt. Der Artenschutz umfasst
1. den Schutz der Tiere und Pflanzen und ihrer Lebensgemeinschaften vor Beeinträchtigungen durch den Menschen, insbesondere durch den menschlichen Zugriff,
2. den Schutz, die Pflege, die Entwicklung und die Wiederherstellung der Lebensräume wildlebender Tier- und Pflanzenarten sowie die Gewährleistung ihrer sonstigen Lebensbedingungen und
3. die Ansiedlung von Tieren und Pflanzen verdrängter wildlebender Arten in geeigneten Biotopen innerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes.
(2) ...
...
§ 20
Ausnahmebewilligungen
...
(4) Durch Bescheid kann die Landesregierung Ausnahmen von den Vorschriften nach § 18 gestatten, sofern es keine anderweitige zufrieden stellende Lösung gibt und unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmegenehmigung ohne Beeinträchtigung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen. In der Bewilligung ist festzulegen,
1.
für welche Arten die Ausnahme gilt,
2.
die zugelassenen Fang- oder Tötungsmittel, -einrichtungen
und -methoden und
3. welche Kontrollen vorzunehmen sind.
(5) Eine Bewilligung gemäß Abs. 4 darf nur erteilt werden,
1. zum Schutz der wildlebenden Tiere und Pflanzen und zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume;
2. zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum;
3. im Interesse der Volksgesundheit und der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses, ...
4. zu Zwecken der Forschung und des Unterrichts, der Bestandsauffüllung und Wiederansiedlung ...
5. um unter strenger Kontrolle, selektiv und in beschränktem Ausmaß die Entnahme oder Haltung einer begrenzten Anzahl von Exemplaren bestimmter Tier- und Pflanzenarten zu erlauben.
...
Abschnitt V
Organisation
§ 24 Behörden
(1) Naturschutzbehörde ist, soweit nicht die Zuständigkeit der Landesregierung oder der Gemeinde gegeben ist, die örtlich zuständige Bezirksverwaltungsbehörde. Für Vorhaben, die ganz oder teilweise in Naturschutzgebieten (§ 11) oder in Nationalparks gemäß § 3 Abs. 2 des NÖ Nationalparkgesetzes, LGBl. 5505, liegen, ist die Landesregierung auch bei Verfahren gemäß den §§ 7, 8, 10, 12 Abs. 4 und 35 zuständig.
...
Abschnitt VII
Besondere Maßnahmen und Strafbestimmungen
§ 35
Besondere Maßnahmen
(1) ...
(2) Unabhängig von einer Bestrafung nach § 36 sind Personen, die den Bestimmungen dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen oder Entscheidungen zuwidergehandelt haben, von der Behörde zu verpflichten, den früheren Zustand wieder herzustellen oder, wenn dies nicht möglich ist, den geschaffenen Zustand den Interessen des Naturschutzes bestentsprechend abzuändern. Zu diesem Zweck kann die Behörde auch die Setzung angemessener Kompensationsmaßnahmen oder die Verpflichtung zur Erstellung eines Sanierungsplanes vorschreiben; dieser Plan ist der Behörde zur Bewilligung vorzulegen.
..."
16 Die von der Revision zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bezieht sich auf Entscheidungen, wonach die Zuständigkeit zur Erlassung wasserpolizeilicher Aufträge ein Annex zur Bewilligungszuständigkeit und die Bewilligungsbehörde auch zur Erlassung wasserpolizeilicher Aufträge zuständig ist (vgl. VwGH 10.8.2000, 2000/07/0031, mit Hinweis auf VwGH 14.5.1997, 96/07/0216). Dieser Rechtsauffassung liegt jedoch zu Grunde, dass es für wasserpolizeiliche Aufträge an einer ausdrücklichen gesetzlichen Zuständigkeitsvorschrift mangelt (vgl. das - ebenfalls von der Revision zitierte - Erkenntnis VwGH 18.2.1999, 99/07/0007, mwN). Im - weiters erwähnten - Erkenntnis VwGH 13.10.2011, 2009/07/0035, wurde darauf hingewiesen, dass die Zuständigkeit des Landeshauptmannes in den in § 99 Abs. 1 WRG 1959 aufgezählten Angelegenheiten umfassend und nicht auf Bewilligungen beschränkt sei; sie umfasse insbesondere auch die Annex- und Folgeverfahren, wie z.B. ein Verfahren zur Feststellung des Erlöschens eines Wasserbenutzungsrechtes nach §§ 27 und 29 WRG 1959.
17 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen in der Revision liegt ein Abweichen von dieser Rechtsprechung gegenständlich nicht vor, weil diese Rechtsprechung auf die im Revisionsfall maßgebliche Rechtslage nach dem NÖ NSchG 2000 nicht übertragbar ist. 18 In § 24 Abs. 1 erster Satz NÖ NSchG 2000 ist die sachliche Zuständigkeit der (örtlich zuständigen) Bezirksverwaltungsbehörde - im Sinne einer Generalklausel - für alle Angelegenheiten festgelegt, für die nicht (ausdrücklich) die Zuständigkeit der Landesregierung oder der Gemeinde gegeben ist. Weitere Ausnahmen zugunsten der Zuständigkeit der Landesregierung sind im zweiten Satz leg. cit. normiert.
19 Gemäß § 20 Abs. 4 (iVm § 24 Abs. 1 erster Satz) NÖ NSchG 200 0 ist die Landesregierung zur Erteilung von Ausnahmebewilligungen in den in Abs. 5 taxativ aufgezählten Fällen zuständig. 20 Die Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde zur Vorschreibung der im Revisionsfall in Rede stehenden Kompensationsmaßnahmen ergibt sich hingegen aus § 35 Abs. 2 (zweiter Satz) iVm § 24 Abs. 1 erster Satz NÖ NSchG 2000. Die Zuständigkeit der Landesregierung zur Erlassung von Bescheiden nach § 35 NÖ NSchG 2000 - und sohin auch zur Vorschreibung von Kompensationsmaßnahmen - ist gemäß § 24 Abs. 1 zweiter Satz NÖ NSchG 2000 auf in Naturschutzgebieten und Nationalparks gelegene Vorhaben beschränkt.
21 Die dargestellte Rechtslage nach dem NÖ NSchG 2000 unterscheidet sich demnach grundlegend von jener nach dem WRG 1959: Weder mangelt es an ausdrücklichen Zuständigkeitsvorschriften (für die Erlassung der in § 35 normierten Maßnahmen), noch ist die Zuständigkeit der Landesregierung eine "umfassende".
22 Die im NÖ NSchG 2000 grundgelegte Zuständigkeitsverteilung steht somit der von der Revision behaupteten "Annexzuständigkeit" der Landesregierung entgegen. Zuständig zur Erteilung von Kompensationsaufträgen gemäß § 35 Abs. 2 (außerhalb von Naturschutzgebieten und Nationalparks) ist nach den klaren Bestimmungen des NÖ NSchG 2000 vielmehr die Bezirksverwaltungsbehörde (und zwar unabhängig davon, ob bei der Landesregierung ein Bewilligungsverfahren nach § 20 Abs. 4 stattgefunden hat oder ein solches - wie im Revisionsfall - gar nicht geführt wurde).
23 Diese Auffassung steht schließlich auch im Einklang mit der bisherigen - zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 35 Abs. 2 NÖ NSchG 2000, welcher die Annahme der Zuständigkeit der Landesregierung als Berufungsbehörde in den dort geregelten Angelegenheiten zu Grunde lag (vgl. VwGH 27.11.2012, 2009/10/0259; 17.12.2014, 2013/10/0279, 0280).
24 Da die Rechtslage nach den in Betracht kommenden Normen klar und eindeutig ist, wirft die Revision keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. etwa VwGH 20.12.2019, Ra 2019/10/0124, mwN).
25 Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 20. April 2020
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1sachliche ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019100176.L00Im RIS seit
26.05.2020Zuletzt aktualisiert am
26.05.2020