TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/27 95/21/1039

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Veröffentlicht am 27.03.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Robl,

Dr. Rosenmayr, Dr. Baur und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des MT (geboren am 19. November 1964), vertreten durch Dr. Stefan Glaser, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Hauptplatz 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 17. Mai 1995, Zl. St 199a/94, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 17. Mai 1995 wurde gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß er in Bosnien-Herzegowina gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, bedroht sei.

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, sei am 8. Jänner 1991 sichtvermerksfrei in das Bundesgebiet eingereist.

Die Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis habe mit Bescheid vom 31. Mai 1994, Zl. Sich07-4892-Stö, gegen den Beschwerdeführer auf der Rechtsgrundlage des § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 FrG ein bis zum 31. Mai 1999 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer habe sodann mit Schriftsatz vom 13. Juni 1994 den Antrag gestellt, die Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis möge feststellen, es lägen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, daß er in Bosnien aus Gründen des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 bedroht sei, somit seine Abschiebung in dieses Land unzulässig sei. Diesen Antrag habe der Beschwerdeführer im wesentlichen damit begründet, daß er aus Bihac stamme und Moslem sei. Er könne in sein Heimatland nicht zurückkehren, da eine derartige Rückkehr nach Bosnien für den Beschwerdeführer einem Todesurteil gleichkäme.

In der niederschriftlichen Einvernahme am 20. Februar 1995 habe der Beschwerdeführer angegeben, daß er der moslemischen Volksgruppe in Bosnien angehöre und aus der Stadt Cazin (in der Nähe von Bihac) stamme. In diesem Gebiet komme es immer wieder zu schweren Kämpfen. So sei es vor ca. zwei Monaten zu einer neuen Eskalation in der Auseinandersetzung der vier Bürgerkriegsparteien gekommen. Die Lage sei in der Gegend um Bihac dadurch verschärft, daß in Cazin die Grenze der Auseinandersetzungen bzw. Kampfhandlungen zwischen (Anhängern von) Izetbegovic und Fikret Abdic verlaufe. Aus diesem Grunde sei es dem Beschwerdeführer unmöglich, nach Hause zurückzukehren, zumal aufgrund der Kriegshandlungen die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten in keiner Weise gesichert sei und auch seit mehreren Monaten keine Telefonverbindung in die Heimatstadt existiere. Die Versorgung der Bevölkerung sei auch durch die UNO nicht mehr gewährleistet. Die Ehegattin des Beschwerdeführers sei seit zwei Monaten schwanger. Der Beschwerdeführer habe abschließend betont, daß er bei seiner Rückkehr nach Cazin damit rechnen müßte, unverzüglich zu den Regierungstruppen des Izetbegovic eingezogen zu werden, zumal er ein Neuankömmling vom Ausland sei.

Die belangte Behörde führt näher im Bescheid aus, gemäß § 54 Abs. 1 FrG habe sie auf Antrag eines Fremden mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, daß der Antragsteller in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Gemäß § 37 Abs. 1 FrG sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, i.d.F. des Protokolles über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).

Eine Gefahr im Sinne dieser Bestimmungen läge nur dann vor, wenn sie von dem betreffenden Staat ausgehe oder von ihm gebilligt werde (unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 11. März 1993, Zl. 93/18/0083).

Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag im wesentlichen damit begründet, daß er im Falle der Rückkehr in seinen Heimatstaat damit rechnen müsse, sofort eingezogen und in den Krieg geschickt zu werden. Auch sei aufgrund der Bürgerkriegssituation die Versorgung der Zivilbevölkerung nicht mehr gewährleistet. Der Staat Bosnien-Herzegowina sei derzeit nicht in der Lage, für das Leben des Beschwerdeführers zu garantieren. Auch könnte der Umstand eintreten, daß er den Serben in die Hände falle, zumal weite Gebiete seines Heimatlandes von diesen beherrscht würden. Es bestehe kein Zweifel darüber, daß die Heimat des Beschwerdeführers als Bürgerkriegsgebiet anzusehen sei, dies werde auch von der belangten Behörde nicht bezweifelt.

Jedoch stellten kriegerische Auseinandersetzungen in einem Land nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG dar. Gleiches gelte auch für die mit jedem Krieg einhergehende mangelnde Versorgung mit Nahrungsmitteln, medizinischen Artikeln und dergleichen.

Eine Gefährdungs- bzw. Bedrohungssituation im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG sei nur dann anzunehmen, wenn sich diese auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates des Beschwerdeführers erstrecke. Nun könne "wohl nicht angenommen werden", daß der gesamte Heimatstaat des Beschwerdeführers von den Serben besetzt sei, und er somit der Gefahr ausgesetzt wäre, im Falle einer Abschiebung sofort von den Serben ergriffen zu werden.

Der Beschwerdeführer habe selbst nicht behauptet, daß die unter Umständen drohende Einberufung zum Militärdienst aus den im § 37 Abs. 2 FrG genannten Gründen erfolgen würde. Auch sei der Hinweis, wonach die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Bosnien einem Todesurteil gleichzuhalten wäre, zu unsubstanziiert, um daraus eine Bedrohung bzw. Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG ableiten zu können, zumal es Sache des Beschwerdeführers sei, von sich aus das für eine Beurteilung der (allfälligen) Unzulässigkeit der Abschiebung nach § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG wesentliche Tatsachenvorbringen zu erstatten und dieses zumindest glaubhaft zu machen (unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 6. Oktober 1994, Zl. 94/18/0621). Es müsse daher festgehalten werden, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, stichhaltige Gründe für die Annahme einer Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG vorzubringen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt reiche nicht aus, um die richtige Anwendung des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG beurteilen zu können. Die belangte Behörde hätte im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, daß er aus der Nähe von Bihac stamme, in diesem Gebiet intensiv gekämpft werde und die Rückkehr einem Todesurteil gleichkäme, genauere Feststellungen zur Situation betreffend die Region Bihac treffen müssen. Aufgrund der Tatsache, daß es gerade im Raum Bihac zur Massenverfolgung und Ermordung von Angehörigen der moslemischen Volksgruppe gekommen sei, die auf Rassenverfolgung bzw. Verfolgung wegen Religions- und Nationalitätszugehörigkeit beruhten, bestünden Gründe für die Annahme gemäß § 37 Abs. 2 FrG, daß das Leben des Beschwerdeführers in Bosnien-Herzegowina aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität bzw. seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bedroht sei.

Weiters sei die Rechtsmeinung der belangten Behörde unzutreffend, wonach kriegerische Auseinandersetzungen in einem Land nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG darstellten. Kriegerische Auseinandersetzungen im Sinne bürgerkriegsartiger Zustände mit Massenverfolgungen und Ermordungen der verschiedenen Kriegsparteien wegen Rassen-, Religions- und Nationenzugehörigkeit erfüllten sehr wohl die Tatbestände des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG. Unrichtig sei weiters die Rechtsmeinung der belangten Behörde, wonach sich die Gefährdungs- und Bedrohungssituation auf das gesamte Gebiet des Heimatstaates des Beschwerdeführers erstrecken müßte und nicht angenommen werden könne, daß der gesamte Heimatstaat des Beschwerdeführers von Angehörigen der serbischen Volksgruppe besetzt sei. Der Beschwerdeführer könne sich im Falle der Rückkehr in sein Heimatland den kriegerischen Auseinandersetzungen und den mit diesen verbundenen Verfolgungen nicht entziehen. Weiters würde der Beschwerdeführer mit Sicherheit zu einer kämpfenden Truppe eingezogen.

Ausgehend von diesem Vorbringen des Beschwerdeführers erweist sich die Beschwerde als nicht begründet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Falle der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen. Diese Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 95/21/0908, m.w.N.).

Die belangte Behörde ging davon aus, daß in Bosnien-Herzegowina die Staatsgewalt auf die Bevölkerungsgruppen der Serben, Kroaten und Moslems aufgeteilt ist. Eine zentrale Staatsgewalt, die die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere verhindern könnte, existiere nicht. Dies reicht aber für die Annahme einer Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 nicht aus.

Es ist ständige Rechtsprechung, daß die Tatsache eines Bürgerkrieges in dem von Antrag erfaßten Staat für sich allein noch keinen Grund darstellt, darin die beschriebene Gefährdung zu erblicken (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 11. Juni 1997, Zl. 95/21/0908). Wenn ein Fremder in einen Teil des Staatsgebietes abgeschoben werden kann, der von seiner eigenen Bürgerkriegspartei (vorwiegend von seiner eigenen Bevölkerungsgruppe) kontrolliert wird, entsteht aus der Bürgerkriegssituation (noch) keine unmittelbar drohende Behandlung oder Verfolgung im Sinne der genannten Gesetzesstelle. Der Hinweis auf die kriegerischen Handlungen in Bosnien-Herzegowina ist daher nicht geeignet, für sich allein eine Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder eine Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen. Diesem Erfordernis wird auch durch den Hinweis auf die schlechte Versorgungslage im Heimatstaat des Beschwerdeführers (wenn dadurch nicht zwangsläufig die Existenz des Beschwerdeführers im Falle der Abschiebung konkret bedroht wäre) nicht entsprochen. Demgegenüber kann (wie im bereits im vorerwähnten, die Bürgerkriegssituation in Bosnien-Herzegowina betreffenden Erkenntnis Zl. 95/21/0908 dargelegt) die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine Bedrohung des Einzelnen im genannten Sinn zur Folge haben.

Der Beschwerdeführer bezieht sich jedoch konkret in seinem Vorbringen ausschließlich auf die Situation im Raum Bihac. Dabei übersieht er, daß die Feststellung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht besagt, daß er in das Gebiet um Bihac abgeschoben werden wird. Die belangte Behörde hat im Ergebnis zutreffend darauf hingewiesen, daß sich die stichhaltigen Gründe im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG auf das gesamte Gebiet des genannten Staates beziehen müssen, um eine Bedrohung im vorerwähnten Sinn in dem vom Antrag erfaßten Staat glaubhaft machen zu können (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 97/21/0242).

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, sein Leben sei durch die drohende Einberufung zum Wehrdienst in einer kämpfenden Truppe der Bürgerkriegsparteien bedroht, ist ihm zu entgegnen, daß die drohende Einberufung zum Wehrdienst für sich allein noch keinen hinreichenden Grund für die Annahme einer Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. November 1997, Zl. 96/21/0879).

Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG im Falle seiner Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina nicht annahm, weil die Abschiebung in einen von seiner Bevölkerungsgruppe beherrschten Teil des Staatsgebietes erfolgen kann.

Demgemäß mußte die belangte Behörde auch keine Feststellungen dazu treffen, ob der Beschwerdeführer als Angehöriger einer bestimmten Bevölkerungsgruppe konkret im obgenannten Sinn gefährdet wäre, wenn er sich in einem nicht von seiner Bevölkerungsgruppe beherrschten Teil des Staatsgebietes aufhalten müßte.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995211039.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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