TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/14 W233 2202366-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.08.2019
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Entscheidungsdatum

14.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W233 2202366-1/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 29.07.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörige von Tadschikistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2018, Zahl:

1134862210 - 170801884, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Republik Tadschikistan, stellte am 12.11.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Diesen Antrag begründete sie im Zulassungsverfahren im Wesentlichen damit, dass sie im Krankenhaus, in welchem sie als Krankenschwester gearbeitet habe, von zwei unbekannten Männern bedroht worden sei.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2017 wurde dieser Antrag als unzulässig zurückgewiesen, da das Königreich Schweden für die Prüfung ihres Antrages zuständig ist.

Am 09.07.2017 brachte die Beschwerdeführerin einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz ein und brachte im Zuge ihrer Befragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag ergänzend zu ihren bereits im Zulassungsverfahren vorgebrachten Asylgründen vor, dass sie an einem Herzfehler leide und auf einen OP Termin warten würde.

Am 06.03.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) zu ihren Fluchtvorbringen einvernommen. Dabei gab sie im Wesentlichen an, dass am XXXX Dienst als Krankenschwester auf einer Station versehen habe. An diesem Tage, so gegen 10:00 Uhr, seien zwei Männer in diese Station gekommen und hätten nach einem Rollstuhl verlangt. Dieser Rollstuhl wäre für eine Frau, die angeschossen und verletzt gewesen wäre, gebraucht worden. Die zwei Männer seien, als die Frau im Rollstuhl verstorben wäre, davongelaufen. Nach drei Tagen seien dann Verwandte der verstorbenen Frau gekommen und hätten von ihr wissen wollen, wer die Männer gewesen seien, die nach einem Rollstuhl verlangt hätten. Die Verwandten der verstorbenen Frau hätten von ihr und einer ihrer Kolleginnen verlangt, dass sie die Leute, die nach dem Rollstuhl gefragt hätten, finden müssen, ansonsten man sie umbringen werde. Wegen dieser Drohungen habe sie noch auf der Station zu weinen begonnen und habe dies ein Patient namens XXXX gesehen. XXXX habe ihr gesagt, dass dies eine sehr ernste Situation wäre und man mit diesen Personen nicht spaßen könne. XXXX habe ihr sodann geholfen das Land zu verlassen.

In der Folge hat das Bundesamt das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Tadschikistan in das Verfahren eingebracht und noch im Zuge ihrer Einvernahme am 06.03.2018 mit der Beschwerdeführerin erörtert.

Aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin über ihren Gesundheitszustand und der von ihr im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen hat das Bundesamt eine Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation über die medizinische Behandelbarkeit und die Verfügbarkeit der dazu nötigen Medikamente im Zusammenhang mit der bei der Beschwerdeführerin diagnostizierten hochgradigen Mitralinsuffizienz gestellt.

Dieser Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ist zu entnehmen, dass in der Hauptstadt Tadschikistans, Duschanbe, alle relevanten medizinischen Behandlungen im Zusammenhang mit der bei der Beschwerdeführerin diagnostizierten hochgradigen Mitralinsuffizienz und alle dafür nötigen Medikamente oder deren Wirkstoffe verfügbar sind.

Der Beschwerdeführerin wurde das Ergebnis dieser Anfragebeantwortung mit Schreiben vom 19.06.2018 mit der Einladung dazu binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben, zur Kenntnis gebracht. Die Beschwerdeführerin hat diese Frist ungenützt verstreichen lassen.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 20.07.2018 den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) bzw. der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ihr keinen Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV) und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Tadschikistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und ihr dafür eine Frist von zwei Wochen zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

Dagegen hat die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht.

Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts fand am 29.09.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihres Rechtsvertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die Beschwerdeführerin zu ihren Gründen ihres Antrags auf internationalen Schutz und zu ihren Lebensumständen in Österreich befragt wurde. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Tadschikistan, Stand 05.06.2018, mit der vertretenen Beschwerdeführerin erörtert.

Nach Schluss der Verhandlung verkündete der erkennende Richter den Spruch des gegenständlichen Erkenntnisses samt den tragenden Entscheidungsgründen.

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schreiben vom 01.08.2019 die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Sie ist Staatsangehörige der Republik Tadschikistan, Angehörige der Volksgruppe der Titularnation und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Sie ist ledig und kinderlos und spricht Tadschikisch als Muttersprache und beherrscht die russische Sprache in Wort und Schrift.

Die Beschwerdeführerin lebte bis zu ihrer Ausreise im Oktober 2016 bis zu ihrem 39. Lebensjahr in Tadschikistan und hat dort ihre Sozialisierung erhalten. Die Beschwerdeführerin verfügt in ihrem Herkunftsstaat Tadschikistan über familiäre Anknüpfungspunkte in Form ihrer dort lebenden Eltern und Schwestern.

In ihrem Herkunftsstaat hat die Beschwerdeführerin eine profunde Schul- und Universitätsbildung erhalten und hat 16 Jahre als Krankenschwester gearbeitet und so ihren Lebensunterhalt verdient.

In Österreich verfügt die Beschwerdeführerin weder über familiäre noch über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. Die Beschwerdeführerin verfügt jedoch in Österreich über soziale Kontakte, allerdings sind im Verfahren keine Hinweise hervorgekommen, dass sie von einer in Österreich lebenden Person abhängig wäre.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer Mitralklappeninsuffizienz. Wegen dieser Erkrankung steht sie in Österreich in ärztlicher Behandlung. Allerdings leidet sie nicht an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, welche im Falle ihrer Abschiebung sie dem realen Risiko aussetzen würde, in Tadschikistan unter qualvollen Umständen zu sterben, noch dass sie wegen des Fehlens angemessener Behandlung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung in Tadschikistan mit dem realen Risiko konfrontiert wäre, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu sein, die zu einem intensiven Leiden oder einer erheblichen Verkürzung ihrer Lebenserwartung führen würde. Die bei der Beschwerdeführerin diagnostizierte Mitralklappeninsuffizienz ist in Tadschikistan behandelbar. Die Beschwerdeführerin hat in Tadschikistan, in der Hauptstadt Duschanbe Zugang zu einer allfälligen operativen Behandlung ihrer Erkrankung als auch Zugang zu den dafür notwendigen Medikamenten.

Abgesehen von der Mitralklappeninsuffizienz ist die Beschwerdeführerin gesund.

Die Beschwerdeführerin geht in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach und lebt von der Grundversorgung.

Die Beschwerdeführerin verfügt über ein Zeugnis über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A.1 und über eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit (oder Zuschreibung) zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung oder aus anderen Gründen zu erwarten hätte. Ihr Vorbringen, dass sie drei Tage nach ihrem Dienst am XXXX von zwei unbekannten Männern im Krankenhaus aufgesucht und bedroht worden ist, ist nicht glaubwürdig.

Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin - bei Wahrheitsunterstellung ihres Vorbringens, dass sie von zwei unbekannten Männern im Krankenhaus aufgesucht und bedroht worden ist - von Privatpersonen einer Verfolgung ausgesetzt ist, wobei der tadschikische Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden.

Schließlich kann auch nicht festgestellt werden, dass - ebenso wieder unter Wahrheitsunterstellung ihres Vorbringens - der tadschikische Staat nicht bereit ist, ihr Schutz vor der von ihr behauptete auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch unbekannte Männer aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, zu gewähren.

Nicht festgestellt werden kann weiters, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tadschikistan in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen konnte nicht festgestellt werden.

Zur maßgeblichen Situation in Tadschikistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über

Tadschikistan vom 05.06.2018:

[...]

3. Sicherheitslage

Als mit dem Zerfall der Sowjetunion Subventionen aus Moskau ausblieben und Tadschikistan "unfreiwillig" die Unabhängigkeit erhielt, entwickelte sich rasch ein Konflikt um die politische und wirtschaftliche Macht entlang regionaler und ideologischer Linien. Die trennenden Gruppenloyalitäten und Solidaritäten haben durch den Bürgerkrieg zusätzlichen Auftrieb erhalten und sich weiter verfestigt. Als Sieger aus diesen Machtkämpfen ging die "Kulober" Fraktion hervor. 1994 wurde Emomali Rachmon als Repräsentant dieser Fraktion zum Präsidenten gewählt (bpb 11.2.2018).

Die Sicherheitsprobleme der jüngsten Jahre waren heimischer Natur, trotz des Versuches seitens der Regierung diese als aus dem Ausland herrührend darzustellen. Die Sicherheitslage in Afghanistan und im Nahen Osten hat wenig Wirkung auf die innere Stabilität Tadschikistans, trotz der Behauptungen der Regierung, dutzende Terroranschläge aus dem Lager der ausländischen Opposition verhindert zu haben. Die Sicherheitskräfte unterdrücken weiterhin alle Dissidentenbewegungen in den periphären Regionen des Rasht-Tales und Gorno-Badachschan (BTI 2018).

Es gibt keine bedeutenden und nachhaltig operierenden Aufständischengruppierungen oder gewalttätige Gruppierungen, die den Staat in den territorialen Enklaven herausfordern. Obwohl die Behörden häufig auf eine Bedrohung durch radikal-islamistische Gruppierungen oder den IS hinweisen, hat sich diese Bedrohung bisher noch nicht manifestiert und scheint auch weitgehend übertrieben (BTI 2018).

Gewalttätige Vorfälle mit Oppositionellen gab es 2009 und 2011 in Rasht und 2012 und 2014 in Gorno-Badachschan (ICG 9.10.2017). Im Herbst 2015 kamen bei einer von der Regierung als "Umsturzversuch" bewerteten Schießerei im Stadtzentrum von Duschanbe acht Polizisten und neun Angreifer ums Leben. Der Hauptverantwortliche, der einen Tag zuvor entlassene stellvertretende Verteidigungsminister General Abduhalim Nazarzoda, wurde wenige Tage später in der Bergregion unweit der Hautstadt von Spezialkräften aufgespürt und getötet (bpb 11.2.2018; vgl. BTI 2018) Bei der in diesem Zusammenhang durchgeführten Anti-Terror-Aktion wurden rund 40 Menschen getötet und etwa 140 festgenommen (Standard 29.9.2015).

Die Regierung konzentriert sich auf die Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus und beobachtet die mögliche Rückkehr tadschikischer Kämpfer aus dem Ausland. Gemäß Open-Source-Berichten haben sich ca. 1.000 Tadschiken dem IS und andere terroristische Gruppen in Irak und Syrien angeschlossen. Die potentielle Gefahr durch die Instabilität in Nordafghanistan ist der Regierung bewusst und aus Besorgnis, dass terroristische Gruppen aus Afghanistan die durchlässige Grenze nach Tadschikistan überqueren könnten, hat die Regierung die Militär- und Polizeipräsenz verstärkt und führt taktische Operationen durch. Die Regierung hat dafür Unterstützung von den USA und deren Partnern erbeten (USDOS 19.7.2017).

An der Grenze zu Afghanistan kommt es vereinzelt zu Schusswechseln zwischen afghanischen Drogenschmugglern und Angehörigen der tadschikischen Grenztruppen und der Drogenkontrollbehörde (AA 3.4.2018b; vgl. ICG 9.10.2017), insbesondere in Gorno-Badachschan. Bei Vorfällen im Jahr 2017 wurden einige Menschen verletzt (GOV.UK 13.3.2018). Diese Vorfälle stellen i.d.R. keine gezielten Angriffe auf das Territorium oder die Institutionen Tadschikistans dar. Die Afghanischen Taliban haben kein territoriales Interesse außerhalb der Grenzen Afghanistans (ICG 9.10.2017).

Die Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgisistan ist umstritten (GOV.UK 13.3.2018). Nur etwa 50 Prozent der etwa 970 Kilometer langen Grenze zwischen den beiden Staaten sind eindeutig festgelegt (KAS 1.2014; vgl. TA+ 4.4.2018). Seit Anfang 2014 ist es im Grenzgebiet zwischen Tadschikistan und Kirgisistan wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen teilweise mit Todesopfern gekommen (AA 3.4.2018b). Insbesondere in der Nähe der Enklave Vorukh kommt es gelegentlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen lokalem Ausmaßes (GOV.UK 13.3.2018).

[...]

4. Rechtsschutz/Justizwesen

Obgleich das Gesetz eine unabhängige Gerichtsbarkeit vorsieht, übt die Exekutive Druck auf Staatsanwälte, Verteidiger und Richter aus. Korruption und Ineffizienz stellen erhebliche Probleme dar (USDOS 20.4.2018, vgl. BTI 2018). Der Staatspräsident kontrolliert die Justiz durch sein verfassungsmäßiges Prärogativ und kann Richter und den Generalstaatsanwalt ernennen oder entlassen. Die Gerichte werden zudem durch die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft beeinflusst. Die Staatsanwaltschaft rangiert über den Gerichten, was den Einfluss und die politische Macht betrifft. In politisch heiklen Fällen urteilen die Richter gemäß den Anweisungen mächtiger Offizieller aus der Präsidialverwaltung oder dem Sicherheitsdienst (BTI 2018). Niedrige Gehälter für Richter und Staatsanwälte führen dazu, dass Bestechung weit verbreitet ist (USDOS 20.4.2018).

Für Angeklagte gilt in der Praxis nicht die Unschuldsvermutung, denn die Gerichte befinden fast alle Angeklagten für schuldig. Im Allgemeinen erlauben die Gerichte den Angeklagten zeitgerecht einen Anwalt zu konsultieren, doch wird ihnen das Recht auf einen Verteidiger während der Untersuchungshaft bzw. der Zeit der Ermittlungen oft vorenthalten, insbesondere in politisch heiklen Fällen. Angeklagte und Nichtregierungsorganisationen beklagen, dass die Regierung manchmal einen Pflichtverteidiger ernennt, um zu verhindern, dass der Angeklagte einen Rechtsbeistand nach eigener freier Wahl bekommt. Angeklagte und Verteidiger haben das Recht, alle behördlichen Beweismittel einzusehen und die Zeugen damit zu konfrontieren bzw. diese zu befragen. Die Gerichte verleihen jedoch den Aussagen der Staatsanwaltschaft weit mehr Bedeutung als jenen der Verteidigung. Obschon alle Prozesse öffentlich sind, sieht das Gesetz die Möglichkeit von Geheimprozessen vor, wenn die nationale Sicherheit betroffen ist. Vertretern der Zivilgesellschaft wird der Zugang zu Gerichtsprozessen gegen hochrangige Persönlichkeiten verwehrt, weil diese Prozesse durch die Regierung als geheim eingestuft werden (USDOS 25.6.2015).

Aufgrund der starken Einflussnahme der Politik auf die Justiz, den geheimen und intransparenten Verfahren gegen politische Gegner und der sehr selektiven Justiz, stufte Freedom House 2017 die Bewertung Tadschikistans in Bezug auf die Unabhängigkeit und das Funktionieren der Justiz auf 7,0 herab (2014: 6,25; 2015: 6,50; 2016: 6,75; 2017:

7,0; 2018: 7,0). Auf einer Skala von 1 bis 7 entspricht die Bewertung 1 die höchste Ebene demokratischen Fortschritts und 7 den niedrigsten (FH 11.4.2018).

Aufgrund von Änderungen im Gesetz für Rechtsanwälte mussten alle Anwälte bis Juni 2016 eine Prüfung ablegen, um ihre Lizenz zu erneuern. Da viele Anwälte nicht in der Lage waren, diese Prüfung rechtzeitig abzulegen, sank die Zahl der Strafverteidiger im Land von ca. 2.000 auf 532 (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 11.4.2018: von 1.500 auf 600 im Mai 2017). Eine förmliche Verweigerung des Rechtsschutzes ist nicht bekannt. De-facto wird der Rechtsschutz für politische Straftäter dadurch eingeschränkt, dass ihre Prozesse hinter verschlossenen Türen stattfinden und Rechtsanwälte wegen der ihnen selbst drohenden Gefahren immer weniger bereit sind, politisch heikle Fälle zu übernehmen (AA 20.10.2017). Seit 2014 wurden sieben Menschenrechtsanwälte verhaftet und zwei von ihnen, die Mitglieder der "Gruppe 24" verteidigten, in nicht öffentlichen Verfahren zu 21 bzw. 23 Jahren Haft verurteilt (FH 11.4.2018).

[...]

5. Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist vorrangig für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig und kontrolliert die Polizei. Die Drogenkontrollbehörde, die Antikorruptionsbehörde, die staatliche Steuer- sowie die Zollbehörden können spezifischen Straftaten nachgehen und berichten dem Präsidenten. Das Staatskomitee für Nationale Sicherheit ist für den Nachrichtendienst verantwortlich, kontrolliert den Grenzschutz und untersucht Fälle von vermeintlichen extremistischen Aktivitäten im politischen oder religiösen Bereich, sowie Fälle von Menschenschmuggel und politisch sensible Fälle. Die Generalstaatsanwaltschaft beaufsichtigt die strafrechtlichen Untersuchungen der zuständigen Behörden. Es kommt zu beträchtlichen Überlappungen bei der Zuständigkeit. Die Gesetzesvollzugsbehörden fügen sich jedoch dem Staatskomitee für Nationale Sicherheit. Die Vollzugsbehörden sind in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität nicht effizient, da kriminelle Banden über Beziehungen zu hohen Regierungskreisen und Sicherheitsbehörden verfügen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 20.10.2017).

Straffreiheit der Behörden stellt ein gravierendes Problem dar. Während die Behörden begrenzte Schritte gegen Straftäter unternehmen, gibt es weiterhin Berichte von Folter und Misshandlungen von Häftlingen. Die Kultur der Straflosigkeit und der Korruption schwächen die Ermittlungen und die Strafverfolgung (BTI 2018, vgl. USDOS 20.4.2018).

Die Polizei kann eine Person zwölf Stunden lang festhalten, bevor die Behörden Strafanklage erheben. Wenn letzteres nicht geschieht, muss die Person freigelassen werden. Allerdings informiert die Polizei die Festgenommenen oft nicht über die konkreten Vorwürfe. Falls die Polizei Strafanzeige erhebt, kann eine Person bis zu 72 Stunden festgehalten werden, bevor die Polizei die Anzeige einem Richter zwecks Einvernahme unterbreiten muss (USDOS 20.4.2018).

[...]

7. Korruption

Auf allen Regierungsebenen sind Korruption und Nepotismus weit verbreitet (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 11.4.2018), Korruption ist Teil des Alltagslebens in Tadschikistan. Eine kleine Gruppe von Familien, die dem Präsidenten nahe steht, dominieren Politik, Wirtschaft, den Binnenmarkt und den Außenhandel (FH 11.4.2018).

Der Präsident hat viele seiner Familienmitglieder auf lukrative Staatsposten gehievt und hochrangige Beamte verbessern ihre Position, indem sie in die Familie Rahmon einheiraten (FH 11.4.2018). 2015 ernannte Präsident Rachmon seinen Sohn Rustam Emomali zum Chef der Behörde für Finanzkontrolle und Anti-Korruptions-Maßnahmen (BTI 2018; vgl. FH 11.4.2018) und im Jänner 2017 wurde Rustam Emomali Bürgermeister von Duschanbe (FH 11.4.2018).

Das Gesetz sieht Sanktionen nach dem Strafrecht für korrupte Beamte vor, doch setzt die Regierung dieses Gesetz nicht effektiv um. Beamte sind häufig in korrupte Praktiken verwickelt und kommen ungestraft davon. Korruption ist insbesondere im Bildungsministerium und bei der Polizei verbreitet. Für die Zulassung zu den prestigeträchtigsten Hochschulen des Landes müssen Studenten beträchtliche Schmiergelder zahlen. Verkehrspolizisten behalten Strafzahlungen für Übertretungen ein. Dies ist u.a. eine Folge der niedrigen Gehälter und des Umstandes, dass, um in den Dienst der Verkehrspolizei aufgenommen zu werden, selbst vorab Bestechungsgelder abverlangt werden. Das Innenministerium und das Büro des Generalstaatsanwalts sind für die Verfolgung und Verhaftung korrupter Beamter verantwortlich. Die Regierung gestand Probleme mit der Korruption ein und unternahm einige Schritte, um diese zu bekämpfen, unter anderem wurden niederrangige Beamte vor Gericht gestellt (USDOS 20.4.2018).

In den letzten Jahren wurde seitens der Tadschikischen Regierung zumindest formal einiges gegen Korruption unternommen; angemahnte Veränderungen an der Gesetzeslage wurden durchgeführt. Valide Hinweise auf eine grundlegende Veränderung der Situation liegen aber nicht vor (GIZ 3.2018). Extreme Korruption und Machtmissbrauch sind ein Teil vom politischen System, obwohl der Präsident mehrfach angekündigt hat, die Anti-Korruptionsmaßnahmen zu verstärken. Öffentlichkeitswirksame Verfolgungen von Korruption betreffen fast ausschließlich niedere Ränge der Staatsverwaltung, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen sowie in der Landwirtschaft. Hochrangige Amtsinhaber, die kaum je bestraft werden, üben oft auch eine Rolle in der Wirtschaft aus oder verfügen über umfassende Besitztümer. Wirtschaftliche Aktivität hochrangiger Beamter oder Politiker wird in der Regel toleriert, solange sie nicht aus anderen Gründen in Ungnade fallen (BTI 2018).

Im April 2017 wurden 17 Mitarbeiter der Behörde für Finanzkontrolle und Anti-Korruptions-Maßnahmen, darunter der stellvertretende Leiter, wegen Korruption verhaftet und in Folge zu Gefängnisstrafen zwischen sieben und 15 Jahren verurteilt. Im Oktober 2017 wurde ein leitender Beamter vom Ministerium für Wirtschaftliche Entwicklung und Handel wegen des Verdachts der Bestechungsannahme verhaftet (FH 11.4.2018).

Nach neueren Schätzungen des IWF belief sich 2012 das Volumen der Schattenwirtschaft auf rund 30 Prozent des BIP, also etwa zwei Mrd. US-Dollar; allerdings war dann für 2013 schon wieder von über 50% die Rede. Bei der Bewertung des Risikos von Geldwäsche durch den Basel AML Index für 2017 ist Tadschikistan auf Platz 4, also mit an der Spitze unter den dort gelisteten 146 Ländern zu finden (GIZ 3.2018). Transparency International listet Tadschikistan im Corruption Perceptions Index 2017 auf Platz 161 von 180 Ländern, die 2017 erreichten 21 Punkte stellen eine Verschlechterung von vier Punkten gegenüber dem Jahr zuvor dar (TI 21.2.2018).

[...]

11. Allgemeine Menschenrechtslage

Sämtliche Bürgerrechte sind im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsstandards in der nationalen Gesetzgebung verankert. Allerdings werden in der Praxis die Bürgerrechte regelmäßig verletzt. Willkürliche Festnahmen, lange Untersuchungshaft, Folter und Missbrauch sind systematisch. Folter und Todesfälle während der Gefängnishaft kommen weiterhin vor. Die Bedingungen in den Haftanstalten sind wegen der Überbelegung, den unhygienischen Zuständen und dem hohen Niveau an Tuberkulose und HIV/AIDS lebensbedrohlich. Häusliche Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet. Speziell religiöse Gruppen, die nicht der von der Regierung propagierten Interpretation des Islam folgen, sind Zielscheiben (BTI 2018).

Die Situation der Menschenrechte verschlechterte sich 2017 weiter, als die Behörden die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, friedliche politische Oppositionsarbeit, freie Berufsausübung und die Religionsfreiheit unterbanden (HRW 18.1.2018, AI 22.2.2018). Dutzende Mitglieder und Sympathisanten illegaler Oppositionsgruppen wie die Partei der Islamischen Wiedergeburt und die Gruppe 24 berichten, dass als Vergeltung für oppositionelle Aktivitäten im Ausland in Tadschikistan zurückgebliebene Familienmitglieder von den Behörden bedroht, verhaftet, befragt und in manchen Fällen geschlagen wurden, in einzelnen Fällen auch ältere Personen und Kinder. Die örtlichen Behörden stigmatisierten Verwandte öffentlich als "Verräter" und "Staatsfeinde" (AI 22.2.2018).

Unabhängige Rechtsanwälte stehen zunehmend im Visier der Regierung. So wurden einige Verteidiger von Angeklagten der Islamischen Wiedergeburt-Partei selbst angeklagt (IWPR 21.1.2016). Strafverteidiger, die politisch heikle Fälle übernahmen, werden im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung belästigt, eingeschüchtert und unter Druck gesetzt. Menschenrechtsanwälte sind von willkürlichen Verhaftungen, politischen Strafverfolgungen und strengen Gefängnisstrafen betroffen; viele von ihnen haben aus Sicherheitsgründen das Land verlassen (AI 22.2.2018)

USDOS gibt als schwerwiegenste Menschenrechtsverletzungen an: Folter und Missbrauch von Häftlingen, willkürliche Verhaftungen - auch von Familienmitgliedern, schlechte Haftbedingungen, politisch motivierte Verfolgungen von Menschenrechtsanwälten, Einschränkungen der Freiheiten in Bezug auf Meinung, Presse, Information und Vereinigung, schlechte Religionsfreiheit, Einschränkung der politischen Partizipation, Nepotismus und Korruption, Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und sexueller Orientierung, und Zwangsarbeit. Es gibt nur wenige Strafverfahren von Regierungsbediensteten wegen Menschenrechtsverletzungen. Beamte in den Sicherheitsdiensten und in anderen Regierungsorganisationen genießen Straffreiheit (USDOS 20.4.2018).

Freedom House stufte Tadschikistan Anfang 2016 hinsichtlich der politischen Rechte von sechs auf sieben herab. Das Land wird als nicht frei bezeichnet mit einem Trend zum Schlechteren (FH 2016), der Wert blieb auch 2017 auf Stufe 7; auf einer Skala von 1 bis 7 entspricht die Bewertung 1 die höchste Ebene demokratischen Fortschritts und 7 den niedrigsten (FH 2017).

Im Oktober 2017 hielten die Europäische Union und Tadschikistan einen Menschenrechtsdialog ab. Die Teilnehmer stimmten überein, dass es gute Fortschritte im Bereich der Frauenrechte, insbesondere bei der Prävention häuslicher Gewalt, gemacht wurde. Gute Fortschritte machte die Tadschikische Regierung bei der Vorbeugung von Folter und Misshandlungen. Jedoch bleiben Defizite bestehen und die EU benannte dabei bestimmte Fälle von Folter in der Armee, in Untersuchungshaft und im Strafvollzug. Die EU erwartet von den tadschikischen Behörden, sicherzustellen, dass kein Druck auf Familienmitglieder von Oppositionellen, auch jenen, die im Ausland leben, ausgeübt wird (EU 13.10.2017).

Aufgrund von Änderungen im Gesetz für Rechtsanwälte mussten alle Anwälte bis Juni 2016 eine Prüfung ablegen, um ihre Lizenz zu erneuern. Da viele Anwälte nicht in der Lage waren, diese Prüfung rechtzeitig abzulegen, sank die Zahl der Strafverteidiger im Land von ca. 2.000 auf 532 (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 11.4.2018: von 1.500 auf 600 im Mai 2017). Somit wurde es für Bürger schwieriger, ihr Recht durchzusetzen (AI 22.2.2018).

[...]

18. Relevante Bevölkerungsgruppen

18.1. Frauen

Die Verfassung garantiert die Gleichheit der Geschlechter. Frauen sind jedoch auf allen Ebenen der politischen Entscheidungsfindung unterrepräsentiert. Der Frauenanteil in allen Regierungsparteien lag unter 30 Prozent (USDOS 20.4.2018). Tadschikistan ist eine konservative Gesellschaft mit hoher sozialer Kontrolle, in der traditionelle Rollenmuster vorherrschen. Seit der Unabhängigkeit 1991 verstärkt sich dieser Trend, vor allem in ländlichen Gebieten (AA 20.10.2017).

Sinkende Partizipation von Frauen am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben; geringeres Einkommen für gleiche Arbeit; mangelhafter Schutz vor Gewalt, insbesondere auch häuslicher; Früh- und Zwangsverheiratung, Polygamie - mittlerweile soll jeder zehnte Mann mehrere Frauen haben - stellen die Hauptprobleme tadschikischer Frauen dar (GIZ 3.2018b).

Vergewaltigung wird mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft. Allerdings gibt es keinen rechtlichen Schutz für Vergewaltigung innerhalb der Ehe (USDOS 20.4.2018), der staatliche Schutz vor sexueller Gewalt innerhalb der Ehe ist kaum gegeben (AA 20.10.2017). Die Justizbehörden empfehlen Frauen meistens, keine Anklage zu erheben, doch werden diese aufgenommen, wenn die Opfer darauf bestehen. Es gibt keinen eigenen Punkt für Gewalt in der Ehe im Strafgesetzbuch. Gewalt gegen Frauen, auch innerhalb der Ehe, bleibt ein weit verbreitetes Problem. Häusliche Gewalt wird kaum zur Anzeige gebracht, was für die Täter praktisch Straffreiheit garantiert. Behörden weigern sich oft, häusliche Gewalt zu verfolgen und bezeichnen diese als familieninterne Angelegenheit (USDOS 20.4.2018).

Im April 2016 wurden vom Innenministerium offizielle Handlungsanleitungen herausgegeben, wie bei Fällen von häuslicher Gewalt vorzugehen ist, während es keinen spezifischen Paragrafen im Strafrecht dazu gibt. Diese Fälle werden als normale Gewalttat mit einem speziellen Aktenvermerk aufgenommen. Das Innenministerium kann bei häuslicher Gewalt Betretungsverbote aussprechen, jedoch werden in der Regel von der Polizei nur Verwarnungen, kurzzeitige Verhaftungen oder Geldstrafen wegen Verwaltungsübertretungen verhängt. Die Regierungsstelle für Frauenangelegenheiten hat ein begrenztes Budget um Opfer häuslicher Gewalt zu unterstützen, aber lokale Vertreter dieser Stelle verweisen Frauen an Notunterkünfte (USDOS 20.4.2018).

2014 wurde ein Aktionsplan zur Vermeidung häuslicher Gewalt verabschiedet, der bis 2023 reicht. Zu den strategischen Zielen gehören u.a.: die Verbesserung der normativen Gesetze über häusliche Gewalt und die Implementierung dieser; die Änderung der öffentlichen Meinung zur häuslichen Gewalt durch bewusstseinsbildende Kampagnen und die Stärkung der Koordination der Vorgehensweise durch die staatlichen Strukturen und öffentlichen Organisationen (GoT 4.2014).

Frühe Heiraten z. T. noch vor Erreichen der Volljährigkeit und frühe Mutterschaft haben zugenommen. Die Zunahme von staatlich offiziell verbotener, aber weitgehend tolerierter Polygamie (Heirat mit Zweitfrau vor Imam) bringt diese Frauen und ihre Kinder in eine rechtlich prekäre Situation (u. a. Entzug des Sorgerechts, keine Eigentumsansprüche an Wohneigentum, etc.). Zwangsheiraten kommen vor (AA 20.10.2018). In den meisten Fällen liegt die Entscheidung über den Ehepartner eher bei den Eltern als bei den Betroffenen. Töchter haben kaum eine Chance, sich diesen Zwängen nicht zu unterwerfen. Söhnen droht der - zumindest temporäre - Bruch mit den Eltern. Insbesondere für junge Männer gibt es die Ausweichmöglichkeit der Arbeitsmigration nach Russland (AA 20.10.2018; vgl. RFE/RL 23.8.2017). Sexuelle Ausbeutung und/oder Zwangsprostitution kommen vor allem aus wirtschaftlicher Not vor, sind aber kein leicht auszumachendes Alltagsphänomen. Darüber hinaus existiert ein internationaler Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung vor allem in die Golfstaaten (AA 20.10.2017).

Die Arbeitsmigration der tadschikischen Männer zieht auch gesellschaftlich negative Auswirkungen nach sich. Da über 70 Prozent der Migranten verheiratet sind, ist nicht nur das Phänomen vieler allein von Frauen geführter Haushalte und eine Feminisierung der Landwirtschaft zu beobachten, sondern in den letzten Jahren hat auch die Anzahl zurückgelassener oder gar verlassener Frauen bedeutend zugenommen, die rechtlichen Problemen, Armut und sozialer Stigmatisierung ausgesetzt sind. Zudem besteht ein stark erschwerter Landerwerb für Frauen. Frauen stellen 70 Prozent der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft, aber nur ein Prozent sind Landeigentümerinnen (GIZ 3.2016b).

Im Gender Gap Index 2017 des Weltwirtschaftsforums rangierte Tadschikistan auf Rang 95 von 144 Staaten; [vgl. im Jahr 2016: Platz 95 von 145 Staaten (WEF 2016)]. Im Teilindex "wirtschaftliche Teilnahme und Möglichkeiten" schnitt das Land auf Rang 52 deutlich besser ab, als im Bereich des Bildungserwerbs mit Platz 115. Im Teilindex Gesundheit konnte sich Tadschikistan von Platz 127 im Jahr 2016 [vgl. WEF 2016] auf Platz 67 verbessern. Im Teilbereich gleiches Einkommen liegt Tadschikistan auf Rang 20 von 144 Staaten (WEF 2018 S 314).

[...]

21. Grundversorgung und Wirtschaft

Die volkswirtschaftliche Struktur ist unter anderem geprägt durch die Folgen des Bürgerkriegs, Abwanderung und Arbeitsmigration, die Gebirgslage, geringe fossile Rohstoffvorkommen und eine anhaltend negative Außenhandelsbilanz (AA 3.2018b). In den ersten Jahren der staatlichen Souveränität trat die Wirtschaft Tadschikistans eine rasante Talfahrt an. Bis Mitte der 1990er Jahre fiel die landwirtschaftliche und industrielle Produktion auf etwa ein Drittel des Niveaus von 1991. Etliche Industriezweige kamen gänzlich zum erliegen. Mit der Jahrtausendwende ist Tadschikistan gesamtwirtschaftlich gesehen in eine Phase des Wachstums eingetreten. Das anhaltende, im Zuge der internationalen Finanzkrise lediglich vorübergehend gebremste Wirtschaftswachstum mag als Indikator einer gewissen Konsolidierung zu verstehen sein, entbehrt aber weitgehend einer soliden Grundlage. Es ist in erster Linie makroökonomisch begründet und basiert zu einem überaus hohen Prozentsatz auf Arbeitsmigration sowie zwei Exportgütern, die beide in bis heute staatseigenen bzw. -kontrollierten Betrieben hergestellt werden: Aluminium und Baumwolle. Ein Wachstumsfaktor, der seit 2004 unversehens zu erheblicher Bedeutung aufgestiegen ist, sind die Rücktüberweisungen tadschikischer Arbeitsmigranten (GIZ 3.2018d).

Nach Angaben der Asiatischen Entwicklungsbank leben Stand 2015 32 Prozent der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze und 19,5 Prozent der Bevölkerung haben weniger als 1,90 USD (Kaufkraftparität) pro Tag zur Verfügung (ADB 4.2017). In wichtigen Feldern wie Korruptionsbekämpfung, Registrierung und Schutz von Privateigentum sowie Wirtschaftsförderung sind weitere Reformschritte nötig. In zentralen, von Gebern unterstützten Reformbereichen wie der Neuausrichtung der Landwirtschaft (Umwandlung früherer Kolchosen in selbständige kleine und mittelgroße Agrarbetriebe) sind seit 2009 gewisse Fortschritte zu konstatieren (AA 3.2018b).

Offizielle Statistiken und staatliche Medien suggerieren ein jährliches Wirtschaftswachstum, tatsächlich haben sich die Lebensbedingungen im agrarisch geprägten Land in den letzten Jahren sogar verschlechtert. Besonders prekär ist die Lage auf dem Land. Das marode Bildungs- und Gesundheitswesen sowie alle anderen sozialen Bereiche stagnieren und werden hauptsächlich von internationalen Geberorganisationen am Leben erhalten (bpb 11.12.2018). Das Wirtschaftswachstum hat nicht zu Strukturreformen der inländischen Wirtschaft beigetragen, um lokal und nachhaltig neue Jobs zu schaffen (Diplomat 15.2.2017).

Das öffentliche Wohlfahrtssystem ist seit der Unabhängigkeit am Erodieren. Das Beihilfesystem für Pensionen sowie das Recht auf Unterstützung im Krankheitsfall, bei Invalidität, Arbeitslosigkeit und Schwangerschaft werden zwar respektiert, doch sind die diesbezüglichen finanziellen Zuwendungen dermaßen niedrig, dass viele der vulnerablen Gruppen von der staatlichen Unterstützung alleine nicht überleben könnten, sondern nur durch zusätzliche Zuwendungen Dritter. Eine signifikante Zahl von Arbeitslosen erhält eine Unterstützung (BTI 2018). Der Arbeitslosenrate von 5 Prozent laut einem Bericht der Weltbank bzw. 2,3 Prozent laut CIA World Factbook stehen nur 43 Prozent von ca. vier Millionen Personen in erwerbsfähigem Alter entgegen, die wirtschaftlich aktiv sind, d.h. sie sind in Beschäftigung oder sind auf der Suche nach Beschäftigung. 1,8 Millionen Menschen im erwerbsfähigem Alter sind wirtschaftlich inaktiv; d.h. sie stehen nicht in Beschäftigung oder Ausbildung und sind auch nicht arbeitssuchend (Diplomat 15.2.2017).

Nur zwei Prozent des Bruttosozialproduktes werden für das Gesundheitssystem ausgegeben, wovon die Hälfte für die Gehälter und die Erhaltung der Einrichtungen bestimmt sind. Die Rücküberweisungen der Arbeitsemigranten stellen für zwei Drittel der Bevölkerung ein alternatives Netz der sozialen Sicherheit dar. Insbesondere in ländlichen Gebieten sind informelle Netzwerke und erweiterte Familienbande für die soziale Sicherheit bedeutsam (BTI 2018).

Für bedürftige Personen gibt es nur eine marginale und unzureichende Unterstützung. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist im Großen und Ganzen gewährleistet (AA 20.10.2017).

[...]

21.1. Sozialbeihilfen

Bei der Geburt eines Kindes erfolgt die volle Lohnfortzahlung im Zeitraum 70 Tage vor bis 70 Tage nach dem errechneten Geburtstermin; bei einer schwierigen Geburt steigt dieser Zeitraum auf je 86 Tage und bei Mehrlingsgeburten auf 110 Tage. Die einmalige Geburtenunterstützung beträgt 150 Somoni (TJS) für das erste, 100 TJS für das zweite und 50 TJS für das dritte oder weitere Kind, unabhängig davon ob ein oder beide Elternteile berufstätig sind. Die monatliche Kinderbeihilfe bis zum Alter von 1/1/2 Jahren, beträgt 40 TJS, wenn zumindest ein Elternteil berufstätig ist. Die Beträge werden regelmäßig der Inflation angepasst (USSSA 3.2017; vgl. IOM 5.2014).

Im Krankheitsfall wird 60 Prozent des Gehaltes bei einer Beschäftigungsdauer von weniger als fünf Jahren ausgezahlt, ansonsten wird 70 Prozent des Gehaltes bezahlt. Die Fortzahlung des vollen Gehaltes gebührt bei Arbeitsunfähigkeit in Folge eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit. Das Mindestentgelt bei temporärer Arbeitsunfähigkeit beträgt 50 TJS (USSSA 3.2017).

2013 wurde ein Umlagepensionssystem für alle Arbeitnehmer eingeführt. Dieses umfasst, ebenso wie das parallel weiter geführte Sozialversicherungssystem, alle Arbeitnehmer und Selbstständigen (USSSA 3.2017). Die Sozialhilfe umfasst Personen, die nicht durch die Sozialversicherung erfasst sind. Eine Alterspension im Zuge der Sozialversicherung sowie des Umlagesystems gilt für Männer ab 63 Jahre mit mindestens 25 Jahre versicherter Arbeitstätigkeit, für Frauen ab 58 Jahre mit 20 Jahre versicherter Arbeitstätigkeit. Die Anzahl der Jahre für eine volle Alterspension bei Frauen mit fünf Kindern oder mit behinderten Kindern wird reduziert. Eine Mindestpension wird an versicherte Personen mit mindestens fünf Jahren versicherter Arbeitstätigkeit ausgezahlt. Die Höhe beträgt 55 Prozent des Durchschnittseinkommens der letzten zwei Jahre vor der Pensionierung, plus ein Prozent für jedes Jahr der versicherten Arbeitstätigkeit, die über 25 Jahre bei Männer und über 20 Jahre bei Frauen hinausgehen, bis höchstens 80 Prozent. Eine Alterspension im Zuge der Sozialhilfe gilt für Männer ab 65 Jahre und Frauen ab 60 Jahre, die nicht durch die Sozialversicherung erfasst sind (USSSA 3.2017; vgl. IOM 5.2014). Bezahlt wird 60 Prozent der Mindestpension pro Monat. Die Mindestpension liegt 2016 bei 156 Somoni TJS? und sie wird jährlich der Inflation angepasst (USSSA 3.2017).

Eine Behindertenpension im Zuge der Sozialversicherung wird an drei unterschiedliche Gruppen ausgezahlt, je nach Behindertenstufe. Gruppe I (Vollinvalidität, unfähig zur Arbeit, braucht ständige Betreuung), Gruppe II (Invalidität, eingeschränkte Arbeitsfähigkeit, braucht zeitweise Betreuung) und Gruppe III (Behinderung und eingeschränkte Arbeitsfähigkeit). Anspruchsberechtigt sind Personen, die während des Militärdienstes invalid wurden, Kinder unter 16 Jahren mit Behinderungen und Personen mit Behinderungen seit der Kindheit (USSSA 3.2017; vgl. IOM 5.2015). Die Höhe der Ansprüche der Behindertenpension aus der Sozialversicherung beträgt (Stand 2016 und 2014):

• Für Gruppe I das Doppelte der Mindestpension (2014: das Zehnfache),

• für Gruppe II das Anderthalbfache der Mindestpension (2014: das Achtfache)

• und für Gruppe III 120 Prozent der Mindestpension (2014: das Sechsfache)

• 50 Prozent der Mindestpension kann monatlich an Angehörige der Gruppe I und II gezahlt werden (USSSA 3.2017; vgl. IOM 5.2014).

Eine Behindertenpension im Zuge der Sozialhilfe wird an Personen bezahlt, die nicht für die Behindertenpension im Zuge der Sozialversicherung anspruchsberechtigt sind, wenn die Behinderung nach der Kindheit passierte oder für Kinder unter 16 Jahren mit Behinderungen. Bezahlt wird mindestens 100 Prozent (Gruppe I) und 50 Prozent (Gruppe II) der Mindestpension pro Monat (USSSA 3.2017; vgl. IOM 5.2014).

Eine Hinterbliebenenrente im Zuge der Sozialversicherung und Sozialhilfe wird an die Hinterbliebenen (Witwe und verwaiste Kinder, die vom Toten finanziell abhängig waren) bezahlt. Die Pension, die der verstorbene erhielt, bzw. auf die er anspruchsberechtigt gewesen wäre, wird unter den anspruchsberechtigten Hinterbliebenen aufgeteilt. Waisen wird 60% der Mindespension bezahlt (USSSA 3.2017).

Arbeitslosenunterstützung erhält, wer mindestens 18 Monate in den letzten drei Jahren in Beschäftigung war, beim staatlichen Arbeitsamt registriert ist, fähig und willig ist zu arbeiten und kein Einkommen aus Arbeit erhält. Für den ersten Monat erhalten Anspruchsberechtigte 50 % ihres durchschnittlichen Bruttoeinkommens der letzten sechs Monate, im zweiten Monat 40 % und im dritten Monat 30 %. Die Mindestunterstützung beträgt den gesetzlichen Mindestlohn von (Stand Juli 2016) 400 TJS (USSSA 3.2017).

[...]

22. Medizinische Versorgung

Die Bevölkerung Tadschikistan hatte laut Weltgesundheitsorganisation 2012 eine durchschnittliche Lebenserwartung von 68 Jahren, der Anteil der Unter-15-Jährigen liegt bei 36 Prozent; jener der Über-60-Jährigen bei 5 Prozent. Die TFR [Total Fertility Rate; durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Frau im Laufe ihres Lebens gebärt] liegt bei 3,8 und 58 von 1.000 Kindern erlebten 2012 nicht das fünfte Lebensjahr. Die Müttersterblichkeitsrate MMR liegt bei 44 [Verhältnis der Zahl der Frauen, die während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Ende der Schwangerschaft verstarben pro 100.000 Lebendgeburten] (WHO 1.2015).

Primär im öffentlichen Gesundheitswesen existieren Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können und/oder chronische Krankheiten behandelt werden. Diese haben aber nur sehr beschränkte finanzielle Möglichkeiten. Entgegen gesetzlicher Bestimmungen ist eine Behandlung für viele PatientInnen in der Praxis oft nicht kostenlos. Medikamente werden aus Russland und anderen Ländern importiert; nicht alle Medikamente, insbesondere gegen lebensgefährliche Erkrankungen (z. B. Krebs), sind erhältlich. Individueller Import von Medikamenten ist möglich, sofern die finanziellen Mittel und die notwendigen Beziehungen zu Personen im Ausland bestehen, die die Medikamente beschaffen können (AA 20.10.2017).

Ähnlich wie im Bildungsbereich haben zu niedrige Gehälter und ein geringer Haushaltsetat im staatlich geführten Gesundheitssektor zu einer erheblichen Erosion geführt: Missmanagement, Personalmangel, sinkende Qualifikation, fehlende technische Ausstattung, Zerfall bestehender Einrichtungen und hohe Korruption. Besonders stark vom Verfall betroffen ist die medizinische Grundversorgung im ländlichen Raum. Diese Umstände tragen zweifelsohne zu der erhöhten Kindersterblichkeit und gesunkenen Lebenserwartung bei, ebenso wie zu einer verstärkten Gefahr der Ausbreitung von Seuchen und Infektionskrankheiten (GIZ 3.2018b). Das Gesundheitssystem hat einen Mangel an ungefähr 3000 qualifizierten Mitarbeitern, von Büroarbeitern bis hin zu Fachärzten (RFE/RL 10.1.2018).

Tadschikistan ist auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung stark auf fremde Hilfe angewiesen. Die Weltbank, die EU und die WHO sind die Hauptunterstützer (IOM 5.2014). Das Gesundheitssystem ist in vier Ebenen gegliedert: auf nationaler-, regionaler-, Bezirks- und Dorfebene (IOM 5.2014). Die öffentliche Finanzierung des Gesundheitssektors ist von den zuständigen Behörden abhängig, wodurch es starke regionale Unterschiede gibt. Das Gesundheitssystem leidet an schlechter Bildung, einem Fehlen klinischer Standards, schlechter Infrastruktur und medizinischer? Ausrüstung, insbesondere auf regionaler Ebene (Khodjamurodov et al 18.1.2016). Die Bezahlung einer Behandlung im Krankenhaus erfolgt durch den Patienten, sogar dann, wenn die Behandlung eigentlich kostenlos ist (Khodjamurodov et al 18.1.2016; vgl. IOM 5.2014). Die Gesundheitsreformen sollen den primären Gesundheitssektor stärken. Die Nationale Gesundheitsstrategie soll die Staatsausgaben im Gesundheitssektor bis 2020 verdoppeln (Khodjamurodov et al 18.1.2016) und ist insbesondere auf die Reorganisation und Restrukturierung der Dienstleistungsanbieter durch Verkleinerung des Spitalsbereichs ausgerichtet (IOM 5.2014).

Um den Ausbildungsstand des Gesundheitspersonals zu heben, bestehen internationale Austausch- und Ausbildungsprogramme mit den Nachbarstaaten und Geberorganisationen (IOM 5.2014). Im Zuge des "Inclusive Health Project Tajikistan" wird die Asian Development Bank (ADB) den Ausbau von Mutter-Kind-Gesundheitsmaßnahmen auf primärer und sekundärer Ebene in benachteiligten Distrikten kofinanzieren. Von geschätzt 35 Millionen USD stammen 32 Millionen aus dem Asian Development Fund (ADB 1.2018).

Eine große Anzahl der Tadschiken, insbesondere am Land, leben in extremer Armut und haben kaum Zugang zu sauberem Wasser und Bewässerungswasser. Eine fehlende Abwasserentsorgung, die Verschmutzung durch Tierzuchtfarmen und der generelle Wassermangel führen überdies zum Ausbruch von parasitären Erkrankungen (IOM 5.2014).

Schon seit 1992 ist die WHO vor Ort vertreten und verfolgt in ihrer Zusammenarbeit mit der Regierung gesundheitspolitische Grundfragen wie Stärkung der Kernfunktionen des Gesundheitssystems, Mutter-Kindschutz, Bekämpfung und Prävention von chronischen und Infektionskrankheiten. Auch wenn derzeit sich über 100 Geber in einer Vielzahl von Projekten engagieren, so ist eine grundlegende Gesundheitsreform noch nicht erfolgt. Gegen die medizinische Unterversorgung im ländlichen Raum hatte die WHO 2011 ein Programm zur Entwicklung eines Hausärztewesens aufgelegt, das aber nur sehr langsam voranschreitet (GIZ 3.2018b)

AIDS ist in Tadschikistan noch kein Faktor von gravierender Bedeutung; bedenklich stimmt allerdings, dass sich die Infizierungsrate in den letzten Jahren vervielfacht hat, wohl nicht zuletzt aufgrund des gewachsenen lokalen Drogenkonsums (GIZ 3.2018b). Im Jahr 2016 hatte Tadschikistan ca. 1.300 neue HIV-Infektionen und unter 1.000 Todesfälle mit AIDS-Bezug zu verzeichnen. Etwa 14.000 Personen lebten 2016 mit dem HI-Virus, von ihnen erhielten ca. 30 Prozent eine Antiretrovirentherapie. 85 Prozent aller schwangen Frauen mit HI-Virus erhielten Behandlungen oder Prophylaxen, um zu verhindern, dass das HI-Virus auf ihre Kinder übertragen wird (UNAIDS o.D.).

Jährlich gibt es in Tadschikistan 6.000-8.000 neu registrierte Fälle von Tuberkulose. 2012 lag die Infektionsrate bei 80 pro 100.000 Einwohnern. Seit 2002 hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau Unterstützungszahlungen von 17,6 Millionen Euro für ein Tuberkoloseprogramm vergeben. Die Investitionen in diesen Gesundheitsbereich sind äußerst effektiv; verglichen mit traditionellen Methoden sind die etablierten modernen Behandlungsmethoden deutlich günstiger und sie verringern die Zahl der benötigten Krankenhausbetten deutlich (KfW 12.2016).

Ärzte Ohne Grenzen arbeiten mit den Gesundheitsbehörden zusammen, um Kinder und deren Familienangehörige, die an Tuberkolose erkrankt sind, zu behandeln. In Kulob behandeln Ärzte Ohne Grenzen Kinder und deren Familien, die an HIV erkrankt sind, insbesondere solche Personen, die auch an einer Begleiterkrankung leiden (MSF 15.6.2017). Auch UNDP unterstützt die tadschikische Regierung bei der Gesundheitsreform in den Bereichen HIV/AIDS, Tuberkulose und Malaria (UNDP o.D.)

[...]

3. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin beruhen auf ihren Angaben und der Vorlage ihres tadschikischen Reisepasses.

Aufgrund der in der Erstbefragung sowie in der niederschriftlichen Einvernahme dargelegten Sprachkenntnisse und der von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung verwendenden Sprache Russisch kann festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin Tadschikisch und Russisch spricht. Die Feststellung der Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A.1 beruhen auf der Vorlage eines entsprechenden Zeugnisses. Ebenso gründet sich die Feststellung in Bezug auf die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs auf die Vorlage eines entsprechenden Nachweises

Die Feststellungen zur Sozialisierung der Beschwerdeführerin in Tadschikistan, ihre dortige Schul- und Universitätsausbildung, ihre dort gewonnene Berufserfahrung als Krankenschwester und den Aufenthalt ihrer Eltern und Schwestern in Tadschikistan stützen sich auf ihre eigenen Angaben.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügt, stützt sich auf ihre eigenen Angaben.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet über soziale Kontakte verfügt beruht auf ihren eigenen Angaben und auf die Vorlage von diversen Empfehlungsschreiben.

Die Feststellungen zu ihrem Gesundheitszustand beruhen ebenso auf ihren eigenen Angaben und der von ihr vorgelegten medizinischen Unterlagen.

Die Feststellungen zur medizinischen Behandelbarkeit der bei der Beschwerdeführerin diagnostizierten Mitralklappeninsuffizienz und die Verfügbarkeit der dafür notwendigen Medikamente oder Wirkstoffe wird aufgrund der oben wiedergebenden Länderinformationen zur medizinischen Versorgung in Tadschikistan (vgl. oben Punkt 20.) und im Speziellen aufgrund der bereits vom Bundesamt ins Verfahren eingebrachten und der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebrachten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation - Tadschikistan - Mitralklappenprolaps, Herzoperation, postoperative Behandlung vom 14.06.2018 getroffen. Die Beschwerdeführerin hat diesen Länderinformationen nichts Substantielles entgegengesetzt.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem.

Dass die Beschwerdeführerin in Österreich zum Entscheidungszeitpunkt keine legale berufliche Tätigkeit ausübt und nicht selbsterhaltungsfähig ist, folgt aus ihren dahingehenden Angaben sowie dem eingeholten Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin stützt sich auf einen amtswegig eingeholten Strafregisterauszug.

Soweit das von der Beschwerdeführerin behauptete Fluchtvorbringen nicht festgestellt werden konnte, ist Folgendes festzuhalten:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd § 274 ZPO zu verstehen. Ausgehend von § 274 Abs. 1 letzter Satz ZPO eignet sich nur eine Beweisaufnahme, die sich sofort ausführen lässt (mit Hilfe so genannter "parater" Bescheinigungsmittel) zum Zwecke der Glaubhaftmachung (VwGH 27.05.2014, 2014/16/0003 mwN), wobei der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen seiner asylrechtlichen Spruchpraxis von dieser Einschränkung abweicht.

Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

In diesem Zusammenhang ist der Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337, 9, (Statusrichtlinie), maßgeblich:

"Artikel 4 Prüfung der Tatsachen und Umstände

(1) - (4) [...]

(5) Wenden die Mitgliedstaaten den Grundsatz an, wonach der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss, und fehlen für Aussagen des Antragstellers Unterlagen oder sonstige Beweise, so bedürfen diese Aussagen keines Nachweises, wenn

a) der Antragsteller sich offenkundig bemüht hat, seinen Antrag zu begründen;

b) alle dem Antragsteller verfügbaren Anhaltspunkte vorliegen und eine hinreichende Erklärung für das Fehlen anderer relevanter Anhaltspunkte gegeben wurde;

c) festgestellt wurde, dass die Aussagen des Antragstellers kohärent und plausibel sind und zu den für seinen Fall relevanten, verfügbaren besonderen und allgemeinen Informationen nicht in Widerspruch stehen;

d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war; und

e) die generelle Glaubwürdigkeit des Antragstellers festgestellt worden ist."

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glau

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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