Entscheidungsdatum
03.09.2019Norm
AVG §68 Abs2Spruch
W253 2154672-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA Afghanistan vertreten durch die ARGE Rechtsberatung- Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.08.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der islamischen Republik Afghanistan, stellte am 28.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 05.04.2017, Zl. XXXX , bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberichtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab. Weiters erteilte das BFA dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
3. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid des BFA vom 05.04.2017 fristgerecht Beschwerde. Das Beschwerdeverfahren ist derzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig.
4. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen St. Pölten vom 17.06.2019, GZ. XXXX wurde der Beschwerdeführer § 27 Abs. 1 Z. 1 2. Fall SMG sowie wegen § 27 Abs. 1 Z1 8. Fall und § 27 Abs. 4 Z 1 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit einer Probezeit auf drei Jahre verurteilt.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.08.2018, Zl. XXXX erging eine nachgehende Abänderung der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.04.2017, Zl. XXXX erlassenen Entscheidung im laufenden Beschwerdeverfahren. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt I.) Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt II.) Weiters wurde gemäß § 13 Abs. 2 Z. 1 AsylG festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 24.06.2019 verloren habe (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein befristetes Einreiseverbot im Ausmaß von zehn Jahren verhängt (Spruchpunkt IV.). Der Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z. 2 BFA-VG VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgehalten, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer mit dem Bescheid vom 05.04.2017 keine Rechte eingeräumt oder festgestellt worden seien. Daher sei § 68 Abs. 2 AVG grundsätzlich anwendbar. Der Bescheid sei im Ermessen der Behörde abgeändert worden, weil der Beschwerdeführer nunmehr rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt worden sei. Aufgrund der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten stelle der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar und könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer dem "österreichischen Volk erneut Schaden zufügen würde, indem er Drogen, welche er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit leicht ankaufen könne, an österreichische Staatsangehörige verkaufen würde, oder diese Drogen den Menschen, ohne deren Wissen, zuführen würde".
6. Der Beschwerdeführer erhob am 26.08.2019 fristgerecht Beschwerde, die dem Bundesverwaltungsgericht am 02.09.2019 vorgelegt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistan, stellte am 28.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 05.04.2017, Zl. XXXX , bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab. Weiters erteilte das BFA dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht noch nicht erkannt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 08.08.2018 wurde der Bescheid vom 05.04.2017 gemäß § 68 Abs. 2 AVG dahingehend abgeändert, dass gegen den Beschwerdeführer ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen wurde, der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 24.06.2019 verloren habe, die aufschiebende Wirkung aberkannt und das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise ausgesprochen wurde.
Dieser Bescheid ist rechtswidrig.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, dem Verfahren vor der belangten Behörde und der Beschwerde. Der Sachverhalt ist aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen. Der verfahrensmaßgebliche Sachverhalt entspricht dem oben angeführten Verfahrensgang und konnte auf Grund der vorliegenden Aktenlage zweifelsfrei und vollständig festgestellt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
§ 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. 51/1991 idgF, lautet auszugsweise:
"§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlaß zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
(2) Von Amts wegen können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.
[...]"
Zunächst ist festzuhalten, dass es Ziel und Zweck der Regelung des § 68 AVG ist, die Bestandskraft von Bescheiden zu schützen, oder anders ausgedrückt, eine Aufhebung oder Abänderung des Bescheides durch die Verwaltungsbehörde, insbesondere der im Spruch des Bescheides getroffenen normativen Anordnung, außerhalb des Rechtsmittelverfahrens nur unter bestimmten, vom Gesetz eng begrenzten Voraussetzungen zuzulassen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG² § 68 Rz 1).
Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt nach herrschender Auffassung gemäß seinem Abs. 1 weiterhin, daran hat die AVG-Novelle BGBl. I Nr. 2013/33 nichts geändert, das Vorliegen eines "der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides" voraus. Mit "Berufung" sind alle ordentlichen Rechtsmittel iSd AVG gemeint. Die bis zur Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit herrschende Auffassung in Judikatur und Lehre ging davon aus, dass der Bescheid damit in formeller Rechtskraft erwachsen ist. Seit der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nun unter formeller Rechtskraft die Unanfechtbarkeit des Bescheides nicht nur mit ordentlichen Rechtsmitteln iSd AVG, sondern auch mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht zu verstehen. § 68 leg.cit. stellt nicht auf die formelle Rechtskraft von Bescheiden ab, sondern macht seine Anwendbarkeit ausschließlich davon abhängig, dass der Bescheid der Berufung (gemeint sind alle im AVG geregelten ordentlichen Rechtsmittel) nicht oder nicht mehr unterliegt. Bescheide, die noch mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht bekämpft werden können (und gegen die ein im AVG vorgesehenes ordentliches Rechtsmittel iSd § 68 Abs. 1 leg.cit. nicht mehr zur Verfügung steht), können jedoch gemäß § 68 leg.cit. von Amts wegen aufgehoben oder abgeändert werden. Dies bedeutet, dass die Möglichkeit sowie die Anhängigkeit einer zulässigen Beschwerde beim Verwaltungsgericht der Anwendung des § 68 leg.cit. nicht entgegenstehen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG² § 68 Rz 5, 6, 8 und 9).
Nach dem Wortlaut des § 68 Abs. 2 AVG käme eine amtswegige Aufhebung oder Abänderung von der Berufung nicht (mehr) unterliegenden Bescheiden nach § 68 Abs. 2 leg.cit. nur für rein belastende Bescheide, eben solche, "aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist", in Betracht. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt allerdings in ständiger Rechtsprechung über den Wortlaut des § 68 Abs. 2 leg.cit. hinausgehend die Auffassung, dass es letztendlich nicht darauf ankommt, ob der abzuändernde Bescheid selbst begünstigende oder belastende Wirkung hat. Ausschlaggebend für die Anwendbarkeit des § 68 Abs. 2 leg.cit. ist der Effekt der Aufhebung oder Abänderung. Wirkt sie zugunsten der Partei(en), ist sie in verfahrensrechtlicher Hinsicht nach § 68 Abs. 2 leg.cit. stets zulässig, gleichgültig, ob der Partei aus dem Bescheid ein Recht erwachsen ist oder nicht. Belastende Abänderungen von der Berufung nicht (mehr) unterliegenden Bescheiden können aber nicht auf § 68 Abs. 2 leg.cit. gestützt werden (vgl. VwGH 27.05.2014, 2011/10/0197), auch dann nicht, wenn es sich um Bescheide handelt, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist. Im Ergebnis vertritt der Verwaltungsgerichtshof also den Standpunkt, dass es unmaßgeblich ist, ob es sich um einen begünstigenden oder belastenden Bescheid handelt, die Behörde aber von der ihr in § 68 Abs. 2 leg.cit. eingeräumten Möglichkeit nur dann Gebrauch machen darf, wenn damit keine Verschlechterung der Rechtsstellung einer Partei verbunden ist, weshalb eine Vorgangsweise, durch welche die Rechtslage - nicht sonstige Umstände - ungünstiger als durch den ursprünglichen, aufgehobenen oder abgeänderten Bescheid gestaltet wird, nicht auf § 68 Abs. 2 leg.cit. gestützt werden kann (Hengstschläger/Leeb, AVG² § 68 Rz 81 und 84).
Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.08.2018 den ursprünglich ergangenen Bescheid zweifellos zum Nachteil einer Partei abgeändert, indem zusätzlich ein Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer verhängt, einer Beschwerde gegen die Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt und der Verlust des Aufenthaltsrechts sowie das Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise ausgesprochen wurde. Der Bescheid stellt daher unzweifelhaft eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Beschwerdeführers dar.
Der auf § 68 Abs. 2 AVG gestützte beschwerdegegenständliche Bescheid ist bereits aus diesem Grund rechtswidrig und daher ersatzlos zu beheben.
Hat die Unterbehörde von Amts wegen einen Bescheid erlassen, der nicht hätte ergehen dürfen, weil in der betreffenden Angelegenheit die Erlassung eines Bescheides nicht vorgesehen ist oder weil die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind, hat die Berufungsbehörde den zu Unrecht ergangenen Bescheid ersatzlos zu beheben (Hengstschläger/Leeb, AVG² § 66 Rz 105, mwH). Aufgrund der umfassenden Sachentscheidungs- und Sacherledigungskompetenz des VwG beseitigt jedes Erkenntnis "in der Sache selbst" den bekämpften Bescheid aus dem Rechtsbestand (VwGH 09.09.2015, Ra 2015/03/0032; Leeb, Verfahrensrecht 111; vgl. auch VfGH 06.06.2014, B 320/2014).
Vor dem Hintergrund, dass der gegenständlich angefochtene Bescheid bereits auf Grund der Aktenlage zu beheben war, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht entfallen.
Auch konnte aufgrund der gegenständlich erfolgten Sachentscheidung binnen der durch § 18 Abs. 5 BFA-VG normierten Frist ein gesonderter Abspruch über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die der Entscheidung zugrundeliegende einschlägige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wurde in der rechtlichen Beurteilung zitiert.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Rechtswidrigkeit, Voraussetzungen,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W253.2154672.2.00Zuletzt aktualisiert am
26.05.2020