TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/24 W152 2105318-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2019
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Entscheidungsdatum

24.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §13 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W152 2105318-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Walter KOPP über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.03.2015, Zl. 1025955602-14810015, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.09.2019

A)

beschlossen:

I. Das Verfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß § 13 Abs. 7 AVG idgF iVm §§ 28 Abs. 1 und 31 Abs. 1 VwGVG idgF hinsichtlich der Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides eingestellt.

zu Recht erkannt:

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß

§ 52 FPG idgF iVm § 9 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist. XXXX wird gemäß §§ 58 Abs. 2, 54 und 55 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG idgF nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Der Beschwerdeführer reiste am 21.07.2014 (illegal) in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, wies mit Bescheid vom 17.03.2015, Zahl:

1025955602-14810015, den Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm

§ 2 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 wurde der Antrag auf internationalen

Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II), wobei weiters ausgesprochen wurde, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Antragstellers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III).

Gegen den zuletzt genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Im Rahmen der vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.09.2019 vorgenommenen Verhandlung (hg. OZ 28Z) zog die Vertretung des Beschwerdeführers die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides zurück.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Feststellungen (Sachverhalt):

Der strafgerichtlich unbescholtene Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, lebt nunmehr seit Juli 2014 - somit seit mehr als 5 Jahren - ohne Unterbrechung im Bundesgebiet, wobei seinem (legalen) Aufenthalt ausnahmslos sein Verfahren hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz einschließlich einer Rückkehrentscheidung zu Grunde lag.

Der Beschwerdeführer bezieht seit 10.05.2018 keine Leistungen aus der Grundversorgung. So übt er seit Mai 2018 - ohne Unterbrechung - die Tätigkeit als Zusteller für die " XXXX " im Rahmen einer erlaubten Erwerbstätigkeit aus, wodurch seine Selbsterhaltungsfähigkeit gewährleistet ist. Der Beschwerdeführer brachte nämlich hiebei zunächst monatlich € 750,- brutto (€ 636,60,- netto) ins Verdienen, wobei er jedoch nunmehr als Vollzeitbeschäftigter im Umfang von 40 Wochenstunden € 1.540,-

brutto (€ 1.246,86,- netto) Lohn erhält. Der Beschwerdeführer verfügt über einen am 16.07.2015 ausgestellten österreichischen Führerschein, der die Lenkerberechtigung für die Führerscheinklassen AM, A und B aufweist.

Der Beschwerdeführer erwarb bereits das Sprachzertifikat A1/Österreichisches Sprachdiplom Deutsch (ÖSD) am 12.06.2017, wobei ihm nur vier Punkte für das Kalkül "gut bestanden" fehlten. Eine Kommunikation mit dem Beschwerdeführer war auch in der Verhandlung (zumindest auf einfachem Niveau) möglich, wobei seine Leistung im Bereich des Verstehens der Sprache noch höher einzuschätzen ist.

Weiters leistete der Beschwerdeführer - während seines Aufenthaltes in XXXX vom 31.07.2014 bis 05.12.2017 - gemeinnützige Arbeit in den Marktgemeinden XXXX und XXXX .

Der Beschwerdeführer gewann in Österreich auch bereits einen aus Österreichern bestehenden Freundeskreis und besucht regelmäßig seine in Wien als anerkannter Flüchtling lebende Cousine XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, zu der er eine enge Beziehung pflegt. Die Bindung zum Heimatstaat ist jedoch nahezu - bis auf gelegentliche Telefonate mit Freunden in Afghanistan - abgebrochen, wobei keinerlei Kontakte mehr zu allenfalls in Afghanistan lebenden Verwandten bestehen.

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und durch die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.09.2019.

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich insbesondere aus seinem im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung erstatteten glaubwürdigen Vorbringen, den Lohn-/Gehaltsabrechnungen der " XXXX " (beginnend mit Mai 2018), einer diesbezügliche Anmeldung zur NOEGKK, seinem (auch im Original vorgelegten) österreichischen Führerschein, dem (auch im Original vorgelegten) ÖSD Zertifikat vom 12.06.2017 (A1), den Bestätigungen der Marktgemeinde XXXX vom 21.02.2017 und der Marktgemeinde XXXX vom 25.04.2017 über die gemeinnützigen Tätigkeiten des Beschwerdeführers und den jeweils am 24.09.2019 erfolgten Einsichtnahmen in das Betreuungsinformationssystem und in das Strafregister (SA).

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I 33/2013 idgF (VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG), mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes, BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984, BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu Spruchpunkt A):

I.)

Gemäß § 13 Abs. 7 AVG können Anbringen in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden.

In welchen Fällen das Verfahren einzustellen ist, regelt das VwGVG nicht. Die Einstellung steht am Ende jenes Verfahrens, in denen ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren geht, worunter auch der Fall der Zurückziehung der Beschwerde zu subsumieren ist (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, 2. Aufl. [2018] § 28 VwGVG, Anm. 5).

Ein beim Verwaltungsgericht anhängiges Beschwerdeverfahren ist mit Beschluss einzustellen, wenn die Beschwerde rechtswirksam zurückgezogen wird (z.B. VwGH 29.04.2015,

Fr 2014/20/0047).

Da die Vertretung des Beschwerdeführers die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides zurückgezogen hat, sind diese rechtskräftig geworden und das diesbezügliche Verfahren gemäß § 13 Abs. 7 AVG iVm §§ 28 Abs. 1 und 31 Abs. 1 VwGVG mit Beschluss einzustellen.

II.)

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG idgF lautet:

"Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 31110/67, Yb 11, 494(518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde auch von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Art. 8 EMRK macht zwischen ehelicher und nichtehelicher Familie keinen Unterschied (EGMR 13.06.1979, 6833/74, Marckx gg Belgien, Z 31; EGMR 27.10.1994, 18535/91, Kroon und andere gg die Niederlande). Familienleben ist jedoch nicht auf Beziehungen beschränkt, die auf einer Ehe beruhen (EGMR 26.05.1994, 16.969/90, Keegan vs Irland, EGMR 13.07.2000, 25.735/94, Elsholz gg Deutschland) und umfasst daher auch eheähnliche Lebensgemeinschaften zwischen Mann und Frau.

Bei der Prüfung der Zulässigkeit von Ausweisungen und dem damit verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben hat eine Einzelfallprüfung zu erfolgen, die sich nicht in der formelhaften Abwägung iSd Art. 8 EMRK erschöpfen darf, sondern auf die individuelle Lebenssituation des von der Ausweisung Betroffenen eingehen muss. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29.09.2007, B328/07, dargelegt hat, lassen sich aus der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes eine Vielzahl von Kriterien ableiten, die bei der gebotenen Interessensabwägung zu beachten sind. Dazu zählen vor allem die Aufenthaltsdauer, die an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft ist (EGMR vom 31.01.2006, 50.435/99), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (EGMR vom 28.05.1985, 9214/80, 9473/81, 9474/81 ua.) und dessen Intensität (EGMR vom 02.08.2001, 54.273/00), der Grad der Integration, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schul- oder Berufsausbildung, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert (EGMR vom 04.10.2001, 43.359/98 ua.), die Bindung zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und die Erfordernisse der öffentlichen Ordnung (EGMR vom 24.11.1998, 40.447/98 ua.) und die Frage, ob das Privat- und Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (EGMR vom 24.11.1998, 40.447/98 ua.).

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 26.02.2015, Ra 2015/22/0025; VwGH 19.11.2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in den die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (VwGH 16.12.2014, 2012/22/0169; VwGH 09.09.2014„ 2013/22/0247; VwGH 30.07.2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein isgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandaufenthalt des Fremden zugrunde (VwGH 26.03.2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082).

Da der strafgerichtlich unbescholtene Beschwerdeführer nunmehr bereits seit Juli 2014 - somit seit mehr als 5 Jahren - ohne Unterbrechung in Österreich lebt, wobei seinem (legalen) Aufenthalt ausnahmslos sein Verfahren hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz einschließlich einer Rückkehrentscheidung zu Grunde lag, er bereits seit Mai 2018 keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr bezieht und seither als Zusteller tätig ist, wobei er nunmehr als Vollzeitbeschäftigter € 1.540,- brutto (€ 1.246,86.- netto) ins Verdienen bringt und seine Selbsterhaltungsfähigkeit gewährleistet ist, er das Sprachzertifikat A1 erwarb und über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt, auch gemeinnützige Tätigkeiten ausführte und auch einen Freundeskreis in Österreich gewonnen hat und insbesondere eine enge Beziehung zu seiner als anerkannter Flüchtling in Wien lebender Cousine pflegt, wogegen die Bindung zum Heimatstaat nahezu abgebrochen ist und keinerlei Kontakte zu in Afghanistan lebenden Verwandten mehr bestehen und die Interessen des Beschwerdeführers insbesondere angesichts der bereits langen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet somit die öffentlichen Interessen überwiegen, würde eine Rückkehrentscheidung eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen. Daraus ergibt sich, dass die vorliegenden Umstände nicht bloß vorübergehende sind, weshalb die Rückkehrentscheidung auf Dauer als unzulässig festzustellen ist.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum FrÄG 2015 ergibt sich hiezu, dass damit zusätzlich klargestellt werden soll, dass auch das Bundesverwaltungsgericht - in jeder Verfahrenskonstellation - über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen darf. Es handelt sich hiebei jedoch nicht um eine Einräumung einer amtswegigen Entscheidungszuständigkeit für das Bundesverwaltungsgericht, welche entsprechend dem Prüfungsbeschluss des VfGH vom 26. Juni 2014 (E 4/2014) als unzulässig zu betrachten wäre, da die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels diesfalls vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst ist und daher in einem zu entscheiden ist.

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

Der Beschwerdeführer erfüllt somit jedenfalls die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.

Gemäß § 81 Abs. 36 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren. Die §§ 7 bis 16 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, mit Ausnahme vom § 13 Abs. 2 traten mit 01.10.2017 in Kraft.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung war gemäß § 14a Abs. 4 NAG idF vor dem Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt (Z 1), einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 NAG vorlegt (Z 2), über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht (Z 3) oder einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt (Z 4).

Gemäß § 5 Abs. 2 ASVG iVm BGBI. II Nr. 329/2018 liegt die monatliche Geringfügigkeitsgrenze für das Jahr 2019 bei € 446,81.

Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG 2005 werden Drittstaatsangehörigen folgende Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt:

1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt;

2. "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt;

3. "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind diese Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Da der Beschwerdeführer aus einer erlaubten Erwerbstätigkeit nunmehr monatlich € 1.540.- brutto (€ 1.246,86.- netto) ins Verdienen bringt, erfüllt er (auch) die Voraussetzung gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zur Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung plus", weshalb ihm somit gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen ist.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 AsylG 2005 auszufolgen. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 1985/10 idgF (VwGG), hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Schließlich liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Hiebei wird einerseits auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf die Eindeutigkeit der Rechtslage und andererseits darauf verwiesen, dass der gegenständliche Fall ohnedies maßgeblich auf der Tatsachenebene zu beurteilen war.

Aufgrund der Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers war die Übersetzung des Spruches und der Rechtsmittelbelehrung iSd § 12 Abs. 1 BFA-VG idgF entbehrlich.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Aufenthaltsdauer, Deutschkenntnisse,
Integration, Interessenabwägung, Privat- und Familienleben,
Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig,
Selbsterhaltungsfähigkeit, teilweise Beschwerderückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W152.2105318.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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