TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/25 W209 2168605-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2019
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Entscheidungsdatum

25.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch

W209 2168605-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über den Antrag des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, vom 29.03.2019 auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.02.2019, GZ: W209 2168605-1/18E, abgeschlossenen Verfahrens betreffend Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz, Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und Feststellung, dass die Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan zulässig ist, sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise zu Recht erkannt:

A)

Der Wiederaufnahmeantrag wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Antragsteller, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 30.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 02.08.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

3. Die vom Antragsteller dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12.02.2019, GZ: W209 2168605-1/18E, als unbegründet ab. Begründend führte es aus, entgegen dem Beschwerdevorbringen sei nicht anzunehmen, dass sich der Antragsteller als Kind durch den Besuch eines privaten Englischunterrichts und mangelnde Besuche einer Moschee derart exponiert hätte, dass er von den Taliban gezielt in allen Landesteilen verfolgt würde. Es hätten sich in der mündlichen Verhandlung auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Antragsteller seinen behaupteten Abfall vom Glauben als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal verstehe, sodass dieser nicht in einem Ausmaß zu Tage treten würde, dass der Antragsteller im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Ausgehend von den Feststellungen, dass der Antragsteller mobil, gesund sowie anpassungs- und arbeitsfähig sei, sei darüber hinaus nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung - bezogen auf das gesamte Staatsgebiet - in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Rückverbringung des Antragstellers nach Afghanistan stehe daher nicht im Widerspruch zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005, weshalb ihm nach der genannten Bestimmung der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuzuerkennen sei. Die Abweisung der Beschwerde gegen die Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Rückkehrentscheidung und den Ausspruch, dass die Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan zulässig sei, wurde schließlich damit begründet, dass - ungeachtet einer bestehenden engen Bindung zwischen dem Antragsteller und einem in Wien wohnhaften Ehepaar, dem mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 12.06.2017 die Obsorge des Antragsteller übertragen worden sei, das Bestehen eines de facto-Familienlebens iSd Art. 8 EMRK mangels Minderjährigkeit und Pflegebedürftigkeit des Antragstellers zum Zeitpunkt der Übertragung der Obsorge zu verneinen sei und die Aufenthaltsbeendigung somit keinen unzulässigen Eingriff in das Recht des Antragstellers auf Schutz des Familienlebens bilde. Dabei gelangte das Bundesverwaltungsgericht zu der Überzeugung, dass ein vom Antragsteller im Verwaltungsverfahren vorgelegtes Schulzeugnis sowie eine im Beschwerdeverfahren vorgelegte Schulbesuchsbestätigung nicht als echt zu beurteilen seien. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls in das Privatleben des Antragstellers eingreifen. Auch ein unzulässiger Eingriff in das Privatleben sei jedoch - trotz der außerordentlichen Integrationsbemühungen des Antragstellers und der engen Beziehung zum erwähnten Ehepaar - zu verneinen, weil die gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen zu Lasten des Antragstellers ausgehe, der illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei und sich - letztlich nur aufgrund eines unbegründeten Antrags auf internationalen Schutz - erst seit rund dreieinhalb Jahren in Österreich aufhalte.

4. Am 29.03.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht der gegenständliche Wiederaufnahmeantrag ein, der damit begründet wurde, dass dem Antragsteller während des laufenden Beschwerdeverfahrens am 09.01.2019 ein vom Bundesverwaltungsgericht eingeholtes Gutachten zugestellt worden sei, zu dem er am 23.01.2019 ausführlich Stellung genommen habe. In dieser Stellungnahme habe er Schlussfolgerungen des Gutachtens widerlegt und den Antrag gestellt, seine Stellungnahme einem Sachverständigen zu übermitteln. Gleichzeitig habe er vorgebracht, dass er beabsichtige, das Gutachten durch ein Privatgutachten zu entkräften, da das Ergebnis der beantragten Äußerung durch den Sachverständigen nicht vorhersehbar sei und ein Gutachter von der Partei nur auf gleicher fachlicher Ebene entkräftet werden könne. Der Antragsteller habe den Antrag gestellt, ihm eine Frist von zwei Monaten zur Vorlage des von ihm beauftragten Gutachtens einzuräumen. Diesen Anträgen sei nicht entsprochen worden, da das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12.02.2019 die Beschwerde als unbegründet abgewiesen habe. Am 22.03.2019 habe der Antragsteller das Gutachten vom 12.03.2019 erhalten, in dem der Ländersachverständige XXXX die Angaben hinsichtlich der Identität des Antragstellers, der Echtheit des Schulzeugnisses sowie der Schulbesuchsbestätigung und zum Vorgehen der Taliban wegen freiwilligen Englischunterrichts bestätige. Der Antragsteller habe am 22.03.2019 Kenntnis von dem Beweismittel erlangt, der Antrag sei somit rechtzeitig. Das neue Beweismittel habe im Verfahren ohne Verschulden des Antragstellers nicht geltend gemacht werden können, weil er nicht damit rechnen habe können, dass seine Stellungnahme zum Gutachten des Ländersachverständigen XXXX nicht zur Äußerung weitergeleitet werde und ihm keine Frist eingeräumt worden sei, um ein Gutachten vorzulegen, das das eingeholten Gutachten entkräftet. Im Erkenntnis vom 12.02.2019 werde zum eingebrachten Gutachten des Ländersachverständigen XXXX ausgeführt, dass sich die vorgenommene Beweiswürdigung mit diesem Gutachten decke, das Gutachten aus verwaltungsökonomischen Gründen aber keine Berücksichtigung in der Beweiswürdigung finde. Diese widersprüchliche Begründung verdeutliche, dass das eingebrachte Gutachten als Beweismittel verwendet worden sei. Andernfalls wäre der Hinweis, dass sich die vorgenommene Beweiswürdigung auch mit dem von Amtswegen eingebrachten Gutachten decke, nicht notwendig. Dass das Gutachten faktisch berücksichtigt worden sei, sei auch der Beweiswürdigung zu entnehmen, wo das Gutachten ohne ausdrücklich erwähnt zu werden, als Begründung herangezogen werde. Das Gutachten von XXXX entkräfte das eingeholte Gutachten des Ländersachverständigen XXXX und bestätige die Richtigkeit der Angaben des Antragstellers. Es sei somit geeignet, ein dem Hauptinhalt des Spruches anderslautendes Erkenntnis zu bewirken. Im Wiederaufnahmeverfahren sei nicht das abschließende Ergebnis des wiederaufgenommenen Verfahrens vorweg zu nehmen, sondern lediglich abstrakt zu prüfen, ob ein nicht verwendetes Beweismittel voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruches anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätte. Ob das Verfahren ein anderes Ergebnis bringt, sei im wiederaufgenommenen Verfahren und nicht in der Entscheidung über die Wiederaufnahme zu beurteilen (VwGH 18.01.2017, Ra 2016/18/0197). Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme lägen daher vor.

5. In weitere Folge erhob der Antragsteller zunächst gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung mit Beschluss vom 11.06.2019, E-920/2019-8, ablehnte. Über nachträglichen Antrag trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde mit Beschluss vom 22.07.2019, E 920/2019-10, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6. Mit Äußerung vom 14.08.2019 teilte der Antragsteller unter Bezugnahme auf eine vom Bundesverwaltungsgericht wegen des Verdachts der Verwirklichung des Tatbestandes der Verleumdung nach § 297 StGB bzw. der Urkundenfälschung nach § 223 StGB an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelte Sachverhaltsdarstellung mit, dass wichtige Gründe vorlägen, die geeignet seien, die volle Unbefangenheit des zuständigen Richters in Zweifel zu ziehen und damit eine Befangenheit gemäß § 6 VwGVG vorliege. Der erkennende Richter habe die Sachverhaltsdarstellung erst nach Einbringung des Wiederaufnahmeantrages erstattet. Zudem enthalte die Sachverhaltsdarstellung kein ausreichendes strafrechtliches Substrat. Es werde lediglich ein nicht näher spezifiziertes strafrechtliches Verhalten in den Raum gestellt.

7. Mit Beschluss vom 26.08.2019, Ra 2019/20/0375-4, wurde die Revision des Antragstellers gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zurückgewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt, vorliegend die geltend gemachten Wiederaufnahmegründe sowie die tragenden Entscheidungsgründe des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.02.2019, ergibt sich aus dem unter Punkt I. dargestellten Verfahrensgang.

Das vorgelegte Gutachten des Ländersachverständigen XXXX vom 12.03.2019 lautet wie folgt (Schreibfehler im Original):

"Gutachten betreffend XXXX , afghanischer Staatsbürger

In Zusammenhang mit einem in Österreich laufenden Asylverfahren betreffend den afghanischen Staatsbürger XXXX wurde ich von Herrn Andrej Renko, XXXX , Österreich ersucht, in meiner Eigenschaft als in Deutschland und Österreich gerichtlich anerkannter Afghanistan-Experte Nachforschungen betreffend Identität des XXXX und weiterer Punkte anzustellen und darüber ein Gutachten zu erstellen.

Zu diesem Zweck wurden mir ein Foto des letzten afghanischen Schulzeugnisses aus dem Jahr 2014 (umgerechnet, = 1393), eine Kopie einer afghanischen Schulbesuchsbestätigung von 2018, sowie weitere Unterlagen und Informationen zur Verfügung gestellt.

Nach diesen Informationen gab XXXX an, er stamme aus dem Dorf XXXX , Dorfteil XXXX , Ansiedlung XXXX , XXXX District, Provinz Ghazni, Afghanistan, wo sich auch sein Elternhaus befindet. Der Name seines Vaters wäre XXXX , der Name seines Großvaters XXXX , der Name der Mutter XXXX . Er habe zwei jüngere Schwestern namens XXXX (andere Schreibweise: XXXX ) und XXXX , und zwei jüngere Brüder namens XXXX und XXXX . Sein Geburtsjahr wäre 2000.

Zur Identität des XXXX :

Mein Mitarbeiter XXXX vom Afghanistan Analysts Network e.V. in Kabul (www.afghanistan-analysts.org), der auch aus dem Bezirk XXXX , Ghazni Provinz stammt, kontaktierte einen Herrn XXXX (Tel. XXXX , der im dem selben Dorf XXXX und dem selben Ortsteil XXXX lebt. Er bestätigte, Atlas und seine Familie zu kennen, und er bestätigte auch den Wohnort der Familie, den Tod des Familienvaters vor ca. sechs Jahren, auch den Brand in der Moschee des Ortsteils XXXX im Frühsommer 1393 (2014), seit dem XXXX vermisst wird. Er gab an, ca. 300 Meter von der Moschee in XXXX entfernt gewohnt zu haben, und deshalb von dem Feuerunfall dort zu wissen. Er bestätigte auch, dass Herr XXXX Direktor der Knabenschute im Dorf XXXX war, als XXXX diese Schule im Jahr 1393 (= 2014) besuchte.

Mein Mitarbeiter XXXX vom Afghanistan Analysts Network konnte über Verwandte in XXXX zwei lokale Behördenvertreter in XXXX ausfindig machen, XXXX und XXXX (Direktor) XXXX die beide ebenfalls die Identität des XXXX und seiner Familie bestätigten. Herr XXXX , der ebenfalls aus dem Dorf XXXX stammt, bestätigte den Namen XXXX , Name des Vaters XXXX , Name des Großvaters XXXX Name der Mutter XXXX , Name einer Schwester XXXX . XXXX stammt aus einem XXXX benachbarten Dorf und kennt XXXX sowie die Gegend sehr gut.

Sowohl XXXX als auch XXXX bestätigten den Wohnort der Familie in XXXX .

Aus meinen eigenen Erfahrungen kann ich bestätigen, dass Familiennamen im täglichen Leben in Afghanistan - v.a. im ländlichen Raum - wenig Bedeutung haben. Es gibt weder ein allumfassendes Personenstandswesen noch formell überhaupt Familiennamen. Afghanische Namen bestehen in der Regel aus mehreren Teilen, die unseren Vornamen entsprechen und nam (Dari) oder nom (Pashto) genannt werden - in diesem Fall etwa " XXXX " oder " XXXX " ( XXXX kann nicht allein stehen, und ist -wie hier XXXX -kein Nachname). Dazu kann ein sog. takhallus kommen (eine Art zusätzlicher Ruf- oder Erkennungsname), in diesem Fall XXXX , der sich zu einem Familiennamen verstetigen kann - aber nicht muss; Söhne wählen regelmäßig einen anderen takhallus als ihre Väter oder Brüder. Es gibt aber auch viele Afghanen, die einfach nur einen Namen haben (etwa der ehem. Präsident Najibullah). Im Alltag angesprochen oder gerufen werden Afghanen (und Afghaninnen) deshalb mit ihren "Namen". Fragt man jemanden nach "dem Namen", wird der takhallus oft nicht oder nur auf eine gesonderte Frage hin genannt. Der takhallus ist deshalb selbst im Umfeld oftmals nicht weit bekannt.

Behördlicherseits registriert und identifiziert werden Personen üblicherweise mit ihren "Namen" und Namen des Vaters sowie des Großvaters. In alphabetischen Listen erscheinen afghanische Namen meist nach dem ersten Namensbestandteil geordnet, nicht nach dem takhallus.

Somit ist die Identität von XXXX nach meiner Ansicht zweifelsfrei nachgewiesen.

Zur Frage der angezweifelten Echtheit des afghanischen Schulzeugnisses aus dem Jahr 1393 = 2014 sowie der Schulbesuchsbestätigung mit Datum 03.07.1397 = 25.09.2018.

Die Echtheit wurde in einem anderen Gutachten im wesentlichen wegen des Schülerfotos auf dem Zeugnis verneint.

Ich erhielt Auskunft von Frau XXXX , Schulleiterin des vom deutschen Freundeskreis Afghanistan e.V. (FKA; www.fk-afghanistan.de) unterstützten XXXX -Mädchenlyzeums in XXXX , Distrikt (Bezirk) XXXX . Frau XXXX wiederum hat auch Rückfrage beim Leiter der Bildungsabteilung (Education Department) in XXXX , welche dem Bildungsministerium in Kabul untersteht, Herrn XXXX gestellt. Nach dieser Rückfrage bestätigte Frau XXXX , dass das Formular des Schulzeugnisses dem typischen Vordruck der Schulzeugnisse im Bezirk XXXX entspricht. Weiterhin bestätigen sie und Herr XXXX , dass das Anbringen eines Passfotos auf den Schulzeugnissen optional ist, und von einigen, aber nicht von allen Schulen im Distrikt angewandt wird.

Frau XXXX , Vorstandsmitglied des FKA (email: XXXX ), bestätigte mir ebenfalls, dass es im Bezirk XXXX durchaus Schulzeugnisse mit Fotos gibt. Der FKA ist seit 1980 in Afghanistan tätig, besteht zu großen Teilen aus ehemaligen Entwicklungshelfern, die in Afghanistan gearbeitet haben, und unterstützt seit 1982 Schulprojekte, u.a. in XXXX . Zu seinen Projekten gehört die XXXX -Mädchenschule. Die vom FKA geförderten Schulen in XXXX sind Teil des offiziellen (staatlichen) Schulsystems.

Parallel haben Stichproben meiner Organisation Afghanistan Analysts Network (AAN) durch in verschiedenen Provinzen (u.a. Badakhshan, Baghlan, Kunduz) ergeben, dass die Praxis der Verwendung von Fotos auf Schulzeugnissen auch Afghanistan-weit unterschiedlich gehandhabt wird. (In vielen Fällen wünschen Eltern nicht, dass insbesondere die Fotos von Mädchen auf Zeugnissen auftauchen.)

Ebenso ist es nach den von AAN gesammelten Informationen, wegen der nicht vorhandenen Einheitlichkeit der Zeugnisse in Afghanistan, in manchen Gegenden üblich, das Geburtsjahr des Schülers anzuführen, in anderen nicht.

Damit ist die kategorische Aussage, dass das Schulzeugnis des XXXX wegen der Verwendung eines Fotos und der Angabe des Geburtsjahres nur gefälscht sein kann, eindeutig widerlegt.

Die genannte Schulbesuchsbestätigung, datiert mit 03.07.1397 = 25.09.2018, die im Original vorliegt, samt Zustellungsnachweis von Kabul, Afghanistan, nach XXXX , Österreich, wurde vom aktuellen Direktor der Knabenschule in XXXX Herrn XXXX , unterzeichnet und mit dem Stempel der Schule versehen. Herr XXXX , auch in seiner Funktion als Schuldirektor, ist meinem Mitarbeiter XXXX persönlich bekannt. Die Identität und die Position von Direktor XXXX wurde auch von Frau XXXX von der XXXX -Mädchenschule in XXXX bestätigt.

Somit bestehen keinerlei Gründe, an der Echtheit dieser Schulbesuchsbestätigung zu zweifeln.

3. Bemerkung zur Frage eines evtl. Vorgehens der Taleban gegen Englisch-Unterricht und Kurse

Meine Organisation AAN hat seit einigen Monaten Untersuchungen zur Bereitstellung von grundlegenden Dienstleistungen in teilweise Taleban-beherrschten Gebieten vorgenommen und bisher drei Distrikt-Fallstudien dazu veröffentlicht. Aus diesen Fallstudien ergibt sich auch in dieser Frage ein uneinheitliches Bild. Der Autor der Studie zum Distrikt Obeh (Prov. Herat, hier: https://www.afghanistan-analysts.org/one-land-two-rules-2-delivering-public-services-in-insurgency-affected-obeh-district-of-herat-province/) bestätigt Vorkommnisse des Verbots von Englisch-Unterricht in seinem Untersuchungsgebiet. Er schreibt konkret:

Although they [the Taleban] are generally fine in Obeh district with the school curriculum as prepared by the Ministry of Education, [...i]n some places, they have banned the teaching of English at school and instead insisted on the study Arabic and more Pashto.

Der Autor dieses Gutachten hat selbst die Bildungspolitik der Taleban für ein Kapitel in einem demnächst erscheinenden akademischen Sammelband untersucht und festgestellt, dass es zwar eine einheitliche Bildungspolitik der Talaban gibt, aber die Umsetzung örtlichen Taleban-Kommandeuren einen gewissen Spielraum gibt.

Zudem haben die Taleban bei militärischen Vorstößen in Gebiete der Provinz Ghazni Ende 2018 (u.a. auch nach XXXX ) eine deutlich repressivere Haltung gegenüber der örtlich überwiegenden Hazara-Bevölkerung an den Tag gelegt. Oft wird den schiitischen Hazaras (die als einzige größere ethnische Gruppe Afghanistans kaum bei den Taleban vertreten ist) pauschal unterstellt, den "Ausländern" nahezustehen und sich sogar zum Christentum konvertieren lassen. Es liegen AAN zwar keine konkreten Berichte über geschlossene Englisch-Kurse in diesem Zeitraum und Gebiet vor, aber es ist vorstellbar, dass Englisch-Kurse durchaus das Misstrauen örtlicher Taleban-Kommandeure oder -Kämpfer erwecken und zu konkreten Repressalien gegen Beteiligte führen können."

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Die im vorliegenden Fall anzuwendende maßgebende Bestimmung des VwGVG lautet:

"Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1. das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3. das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4. nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse."

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Der vorliegende Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.02.2019 (rechtskräftig) abgeschlossenen Verfahrens betreffend Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde damit begründet, dass nunmehr ein Gutachten des Ländersachverständigen XXXX vorliege, dessen Schlussfolgerungen die Schlussfolgerungen des vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Gutachtens des Ländersachverständigen XXXX widerlegen würden. Das vom Antragsteller eingeholte Privatgutachten bestätige die Angaben hinsichtlich der Identität des Antragstellers, der Echtheit des Schulzeugnisses sowie der Schulbesuchsbestätigung und zum Vorgehen der Taliban wegen freiwilligen Englischunterrichts. Damit zielt das Vorbringen inhaltlich auf das Vorliegen eines neuen Beweismittels iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG ab.

Nach der auf diese Bestimmung übertragbaren, zu § 69 AVG ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs gelten Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides (hier: des Erkenntnisses) eingeholt wurden, als nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden und können damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein (VwGH 10.05.1996, 94/02/0449; 21.04.1999, 99/03/0097; 02.07.2007, 2006/12/0043). Dies gilt insbesondere dann, wenn ein anderer (ein im Verfahren nicht vernommener) Gutachter auf dem Boden unveränderter Sachverhaltsgrundlage nunmehr zu anderen Schlüssen kommt als der dem Verwaltungsverfahren beigezogene Sachverständige (vgl. VwGH 04.08.2004, 2002/08/0074; 07.09.2005, 2003/08/0093; 02.07.2007, 2006/12/0043).

Abgesehen davon hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung ausdrücklich nicht auf das Gutachten des Ländersachverständigen XXXX gestützt, sondern reichten die vorhandenen Beweisergebnisse in Verbindung mit dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers aus, seinen Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen. So hielt auch der Verwaltungsgerichtshof fest, dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Vorbringen zum Fluchtgrund des Antragstellers in einer nicht als unschlüssig zu erkennenden Beweiswürdigung auseinandergesetzt und dessen Glaubwürdigkeit mit näherer Begründung verneint hat.

Darüber hinaus hält das mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegte Ländersachverständigengutachten zum Vorgehen der Taliban wegen freiwilligen Englischunterrichts lediglich fest, dass die Taliban mancherorts den Englischunterricht von den Schulen verbannt hätten. Im vorliegenden Fall hat jedoch der Antragsteller sowohl im Verwaltungsverfahren als auch vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeräumt, dass an seiner Schule Englisch unterrichtet wurde. Damit vermag das neue Beweismittel voraussichtlich kein im Hauptinhalt des Spruches anderslautendes Erkenntnis herbeizuführen, weil der Antragsteller behauptete, wegen eines privaten Englischunterrichts in das Visier der Taliban geraten zu sein und das vorgelegte Gutachten dazu keine Aussage trifft.

Insoweit der Antragsteller mit dem Vorbringen, das eingeholte Privatgutachten bestätige seine Angaben hinsichtlich seiner Identität und der Echtheit des vorgelegten Schulzeugnisses und der vorgelegten Schulbesuchsbestätigung, den Eintritt einer Änderung der Sachverhaltsgrundlage in Bezug auf die mit dem Erkenntnis ausgesprochene Rückkehrentscheidung releviert, weil er - den im Privatgutachten für echt befundenen o.a. Nachweisen folgend - zum Zeitpunkt der Zuerkennung der Obsorge an ein Ehepaar aus Wien entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts noch minderjährig gewesen sei und daher vom Vorliegen eines de facto-Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK auszugehen gewesen wäre, so ist darauf hinzuweisen, dass das Alter des Antragstellers bereits im Verwaltungsverfahren strittig war und vom Antragsteller zur Entkräftung eines vom BFA zum Zwecke der Altersfeststellung eingeholten fachmedizinischen Sachverständigengutachtens zwei Privatgegengutachten eingeholt wurden, mit denen er die Schlussfolgerung des Amtssachverständigen, er sei am XXXX geboren, zu entkräften versuchte. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Antragsteller im Verwaltungsverfahren auch die Möglichkeit gehabt hätte, den gegenständlichen Sachverständigenbeweis einzuholen, weswegen das neue Beweismittel nicht "ohne Verschulden der Partei" unbekannt blieb.

Somit ist im Ergebnis festzuhalten, dass gegenständlich kein neues Beweismittel iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vorliegt bzw. ein solches nicht ohne Verschulden der Partei erst jetzt geltend gemacht wurde und der Wiederaufnahmeantrag daher schon aus diesen Gründen als unbegründet abzuweisen ist. Damit erübrigt sich die Prüfung der Rechtzeitigkeit des vorliegenden Antrages und der Frage, ob das neue Beweismittel auch in Bezug auf die Rückkehrentscheidung voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruches anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätte.

Soweit der Antragsteller den erkennenden Richter für befangen erachtete, weil dieser eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelte, so ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 78 StPO bei Verdacht der Verwirklichung eines Straftatbestandes eine Verpflichtung zur Anzeige besteht; dies insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Mitarbeiter eines in zahlreichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen beigezogenen Ländersachverständigen beschuldigt wird, Geld zu verlangen, um einen für den Beschwerdeführer günstigen Sachverständigenbeweis herbeizuführen, was nach Ansicht des erkennenden Richters den Tatbestand der Verleumdung erfüllen kann, wenn sich dieses Vorbringen als falsch herausstellt. Das Vorbringen, die Anzeige sei wegen der Stellung des gegenständlichen Wiederaufnahmeantrages erfolgt, geht daher ins Leere.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

mangelnder Anknüpfungspunkt, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe,
Wiederaufnahmeantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W209.2168605.2.00

Zuletzt aktualisiert am

26.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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