Entscheidungsdatum
01.10.2019Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W235 2220063-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.05.2019, Zl. 830176802-190385249, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., II., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
II. Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 15.03.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG stattgegeben und XXXX , eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 16.04.2021 erteilt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Vorverfahren:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 10.02.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes.
Mit Schreiben vom 01.03.2013 wurden das Institut für XXXX , Medizinische Universität XXXX , und das XXXX für klinisch-forensische Bildgebung vom Bundesasylamt mit der Erstellung eines Altersfeststellungsgutachtens beauftragt. Aus dem Gerichtsmedizinischen Gutachten vom 27.03.2013 geht hervor, dass sich für den Beschwerdeführer in Zusammenschau der Ergebnisse der radiologischen Untersuchungen der Hand, der Schlüsselbeine und des Gebisses zum Zeitpunkt der Untersuchungen am 15.03.2013 ein wahrscheinlichstes Lebensalter von ca. 18 bis 21 Jahren ergibt. Unter Berücksichtigung einer Schwankungsbreite der Untersuchungsergebnisse ergibt sich zum Untersuchungszeitpunkt ein Mindestalter von 16 Jahren und sohin die Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung.
In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 16.07.2013 niederschriftlich vor dem Bundesasylamt einvernommen, wobei er zu seiner Person (unter anderem) angab, er stamme aus der Provinz Samangan und habe zwei Jahre die Koranschule besucht. Mit einem Freund habe er in Afghanistan als Hirte gearbeitet. Er habe vor ca. drei Jahren Afghanistan verlassen, habe sich im Iran, in der Türkei und in Griechenland aufgehalten und habe in diesen Ländern für seinen Lebensunterhalt gearbeitet.
Am 30.07.2013 wurde vom Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertretung eine Stellungnahme zu den Länderberichten zum Herkunftsstaat erstattet. Am 22.08.2013 stellte das Bundesasylamt eine Botschaftsanfrage zur Klärung der Herkunft des Beschwerdeführers sowie des Aufenthaltsortes seiner Mutter. Aus der Anfragebeantwortung geht (unter anderem) hervor, dass weder der Beschwerdeführer noch seine Familie in dem von ihm in der Einvernahme angeführten Dorf bekannt seien. Seine Mutter habe aber bestätigt, dass sie tatsächlich im Iran lebe. Ihre Angaben zu ihrer Aufenthaltsdauer seien jedoch widersprüchlich. Die Mutter des Beschwerdeführers arbeite als Dienstmädchen, sei mit der Situation jedoch nicht zufrieden, da auch sie sich unrechtmäßig im Iran aufhalte.
Mit Schreiben vom 28.10.2013 bezog der Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertretung Stellung zu dieser Anfragebeantwortung, in welcher angezweifelt wurde, dass die Ermittlungen im richtigen Dorf durchgeführt worden seien. Aufgrund dieser Zweifel wurde im Rahmen einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.12.2013 der "Follow up Report" des Vertrauensanwaltes der Österreichischen Botschaft Islamabad eingeholt und zusammengefasst wiedergegeben. In diesem hat der Ermittler bestätigt, im richtigen Dorf gewesen zu sein.
1.2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2014, Zl. 13-830176802-1616778, der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.04.2015 erteilt (Spruchpunkt III.).
Festgestellt wurde im Wesentlichen, dass der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensgemeinschaft des Islam angehöre. Er sei minderjährig und leide an keiner lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Krankheit. Der Beschwerdeführer und seine Mutter seien bereits mehrere Jahre im Iran aufhältig gewesen. Asylrelevante Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates hätten nicht festgestellt werden können. Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände stehe fest, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan für den Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention begründe oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Auf den Seiten 13 bis 75 wurden Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan getroffen.
Beweiswürdigend wurde unter anderem festgehalten, dass die Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers, wonach er als Minderjähriger in Afghanistan ohne Familie ein schweres Leben hätte und nicht wisse, was er in Afghanistan allein tun solle, nachvollziehbar seien. Es sei daher glaubhaft, dass er im Fall der Rückkehr aufgrund der Minderjährigkeit sowie aufgrund des Umstandes, dass er keine Familienangehörigen im Herkunftsstaat habe, in eine ausweglose Situation geraten werde.
Rechtlich wurde zu Spruchpunkt II. gefolgert, es bestünden begründete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung unterworfen werde, da er minderjährig und davon auszugehen sei, dass er im Herkunftsstaat derzeit über keine familiären Anknüpfungspunkte verfüge. Diesbezüglich werde auf die aktuellen Länderfeststellungen zur Situation von Kindern verwiesen.
1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.04.2015, Zl. 13-830176802, wurde die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis 16.04.2017 verlängert. Mit Bescheid vom 23.02.2017, 830176802-1616778, wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung (neuerlich) bis zum 16.04.2019 verlängert.
2. Gegenständliches Verfahren:
2.1. Am 15.03.2019 stellte der Beschwerdeführer unter Verwendung des vorgesehenen Formulars einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
2.2. Am 05.04.2019 erfolgte eine mündliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Zuge derer er angab, er sei gesund, befinde sich nicht in ärztlicher Behandlung und habe weder psychische noch physische Probleme. Auf Nachfrage gab er an, er könne sich an die Einvernahme vom 16.07.2013 nicht mehr ganz genau erinnern, er halte jedoch seine Angaben zu seinen Lebensumständen aufrecht. Er habe keine Familienangehörigen im Herkunftsstaat. Seine Mutter und seine Schwester würden im Iran leben. Zu ihnen bestehe selten telefonischer Kontakt. Wo sich sein Vater aufhalte, wisse der Beschwerdeführer nicht. Vor drei Jahren sei er in den Iran gereist und habe dort eine Pilgerfahrt gemacht. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, dass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund der Sicherheitslage sowie aufgrund seiner Minderjährigkeit erteilt worden sei. Herat und Mazar-e Sharif würden mittlerweile als sicher gelten und würden eine innerstaatliche Fluchtalternative für den volljährigen und arbeitsfähigen Beschwerdeführer darstellen. Ergänzend wurde auf verschiedene Formen der Rückkehrunterstützung hingewiesen. Aufgrund der aufgezählten Rückkehrprogramme sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in eine ausweglose Lage geriete. Hierzu gab der Beschwerdeführer an, er könne sich aufgrund der Sicherheitslage nicht vorstellen, dort zu leben. Es herrsche noch immer Krieg und sein Leben sei dort in Gefahr. Es gebe verschiedene Gruppierungen, die miteinander verfeindet seien. Aufgrund seiner Lebensgeschichte sei sein Leben auch in Mazar-e Sharif in Gefahr.
In der Folge wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von einem Monat eingeräumt, um sich beim Stadtmagistrat XXXX wegen eines Aufenthaltstitels zu informieren.
Zu seinem Privat- und Familienleben gab der Beschwerdeführer an, er wohne seit ein paar Tagen bei einem Freund in Innsbruck. Er wolle jedoch mit einem Freund zusammenleben, der sich aktuell im Iran aufhalte. Seit XXXX .05.2018 mache er eine Lehre als Restaurantfachmann in XXXX . Er sei Mitglied in einem Fußballverein. Verheiratet sei er nicht. Von seiner Freundin habe er sich getrennt. Er sei ledig und habe keine Kinder. Sein Mitbewohner sei afghanischer Staatsangehöriger. Nahe Verwandte habe er in Österreich nicht. Zu seinen Bindungen gab der Beschwerdeführer an, er habe viele Kollegen aus verschiedenen Ländern. In Österreich habe er an vielen Projekten teilgenommen. Er habe eine Lehre im Gartenbau begonnen. Dies habe ihm jedoch nicht gefallen, weshalb er jetzt eine Lehre als Restaurantfachmann mache. Sein Einkommen betrage € 650,00 und er erhalte Mietzinsbeihilfe. Über einen Schulabschluss, welcher der allgemeinen Universitätsreife entspreche, oder über einen Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule verfüge er nicht. Er könne die Sprachen Englisch und Deutsch lesen sowie schreiben. In Dari könne er nur sehr wenig lesen und schreiben. Er sei unbescholten und sei auch nicht Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel geworden. Einmal habe es eine Schlägerei unter Freunden gegeben; das habe sich gleich wieder erledigt.
Dem Beschwerdeführer wurde in der Folge die Möglichkeit eingeräumt, in die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan Einsicht zu nehmen. Auf eine schriftliche Stellungnahme verzichtete er.
Abschließend gab der Beschwerdeführer an, er möchte in Sicherheit leben und sich eine Zukunft aufbauen. Seine Freunde hielten ihn für blöd, da sie € 1.500,00 verdienen würden. Der Beschwerdeführer wolle aber eine Lehre machen und die Sicherheit haben. Dann werde er auch mehr Geld verdienen. Es sei ihm wichtig, eine Ausbildung abzuschließen.
Im Zuge der Einvernahme wurden folgende verfahrensrelevante Urkunden (in Kopie) vorgelegt:
* Lehrvertrag vom XXXX .06.2018, abgeschlossen zwischen dem Beschwerdeführer und einem Unternehmen betreffend den Lehrberuf Restaurantfachmann für die Lehrzeit von XXXX .05.2018 bis XXXX .05.2021;
* Ausbildungsvertrag zwischen dem Beschwerdeführer und einem Unternehmen für den Lehrberuf Facharbeiter Gartenbau für die Ausbildungszeit von XXXX .12.2016 bis XXXX .12.2020;
* Meldebestätigung betreffend den Beschwerdeführer vom XXXX .04.2019;
* Jahreszeugnis der XXXX Fachberufsschule für Tourismus XXXX für das Schuljahr 2018/2019, aus welchem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer die erste Fachklasse positiv abgeschlossen hat;
* ÖSD Sprachzertifikat A2 vom XXXX .02.2015 und
* Bestätigung vom XXXX .2016 betreffend die Teilnahme am Kurs "Vorbereitung für weiterführende (Berufs-) Ausbildungen" des Projekts "Pole-Position - Startklar für den Arbeitsmarkt"
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2014 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Ferner wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Der Antrag vom 15.03.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt VII.)
Festgestellt wurde im Wesentlichen, dass der Beschwerdeführer afghanischer Staatsangehöriger sei und der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam angehöre. Er spreche Dari sowie Farsi, sei ledig und habe keine Kinder. An einer lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung leide er nicht. Er befinde sich auch nicht in ärztlicher oder medikamentöser Behandlung. Seine Arbeitsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt. Seine persönliche Lage im Fall der Rückkehr nach Afghanistan habe sich seit dem 04.11.2013 [gemeint wohl 16.04.2014] maßgeblich und nachhaltig verändert. Eine Rückkehr sei ihm daher zumutbar. Der Beschwerdeführer wohne in Österreich mit einem Freund zusammen, befinde sich in keiner Beziehung und absolviere eine Lehre als Restaurantfachmann. Er verfüge über keine verwandtschaftlichen oder familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Seine Angehörigen würden im Iran leben. Er könne auf Deutsch kommunizieren. Er habe einige Freunde gefunden und übe eine sportliche Tätigkeit aus. Weitere Integrationsbemühungen könnten nicht festgestellt werden. Auf den Seiten 10 bis 187 wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan getroffen.
Im Zuge der Beweiswürdigung wurde unter anderem ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden sei, da er zum damaligen Zeitpunkt minderjährig gewesen sei und über keine familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügt habe. Die Verlängerungen der Aufenthaltsberechtigung seien erfolgt, da diese Umstände im jeweiligen Entscheidungszeitpunkt im Wesentlichen aufrecht gewesen seien. Nunmehr stehe ihm sowohl in Mazar-e Sharif, als auch in Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Die Provinz Balkh gelte mittlerweile als relativ ruhig und als eine der stabilsten Provinzen in Afghanistan. Die Wirtschaft entwickle sich nunmehr gut und es würden Arbeitsplätze geschaffen werden, worin ein wesentlicher Unterschied zur Lage im Jahr 2017 zu erkennen sei. Auch Herat sei eine relativ friedliche Provinz. Beide Städte könnten sicher über den jeweiligen Flughafen erreicht werden. Mit Blick auf die vorliegenden Länderinformationen sei die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit in Afghanistan bei entsprechenden Anstrengungen des Rückkehrers mittlerweile ohne Einschränkungen möglich. Die vom Beschwerdeführer gesammelten Arbeitserfahrungen seien ein Vorteil. Auch Rückkehrer ohne Ausbildung hätten eine Vielzahl von Arbeitsmöglichkeiten im privaten Sektor. Bereits hunderttausende afghanische Staatsbürger hätten die Möglichkeit wahrgenommen, aus Pakistan und dem Iran in ihre Heimat zurückzukehren. In Afghanistan habe es zwar bereits früher Unterstützungsversuche von humanitären Organisationen in Zusammenarbeit mit der Regierung gegeben, jedoch bestünden aktuell mehrere strukturierte Rückkehrunterstützungsprogramme, welche im Fall einer freiwilligen Rückkehr nach negativem Verfahrensausgang in Anspruch genommen werden könnten. Im Fall der zwangsweisen Außerlandesbringung stelle Österreich sogenannte "Post Arrival Assistance" zur Verfügung. Im Gegensatz zum Zeitpunkt der letztmaligen Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung zeige sich nun, dass die Unterstützungsprogramme ihre Wirkung nicht verfehlen und mittlerweile tatsächlich die Möglichkeit der Reintegration gegeben sei. Insofern habe sich die Lage wesentlich und nachhaltig für den Beschwerdeführer verbessert. Überdies habe sich die wirtschaftliche Situation für Rückkehrende im Allgemeinen verbessert. Für den Beschwerdeführer habe sich auch die individuelle Situation verändert, da er aufgrund der in Österreich gesammelten Berufserfahrung über gute Chancen am afghanischen Arbeitsmarkt verfüge. In Afghanistan bestehe nicht eine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der zurückkehre, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 EMRK und 3 EMRK ausgesetzt wäre, oder eine derartige humanitäre Katastrophe vorherrsche, dass das Überleben von Personen mangels Nahrung und Wohnraum tatsächlich in Frage gestellt wäre. Im Übrigen sei der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtskräftig negativ entschieden worden und drohe ihm sohin keine individuelle Verfolgung im Fall seiner Rückkehr.
Rechtlich folgerte das Bundesamt zu den Spruchpunkten I., II. und VII. im Wesentlichen, dass dem Beschwerdeführer nunmehr innerstaatliche Fluchtalternativen in den Städten Herat und Mazar-e Sharif offenstehen würden. Dies sei im Zeitpunkt der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung nicht der Fall gewesen. Auch seine persönliche Situation habe sich geändert, da er neue Fähigkeiten und Qualifikationen erworben habe, sodass insgesamt die Voraussetzungen für die weitere Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen. Es seien keine exzeptionellen Umstände hervorgekommen, die ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 AsylG darstellen könnten. Abschließend wurde erneut auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrunterstützung verwiesen und zusammengefasst festgehalten, dass aufgrund der geänderten Sicherheitslage in Afghanistan sowie der zitierten Rechtsprechung des EGMR, EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes die Behörde zu dem Schluss komme, dass der Beschwerdeführer nicht mehr schutzbedürftig sei und in seine Heimat zurückkehren könne. Da die in § 8 Abs. 4 AsylG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen würden, sei sein Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung abzuweisen gewesen.
Mit Verfahrensanordnung vom 22.05.2019 wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner ausgewiesenen Vertretung am 06.06.2019 Beschwerde und beantragte (unter anderem) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Begründend wurde nach Darstellung des wesentlichen Sachverhalts sowie der Gründe des Bundesamtes für die Aberkennung des Schutzstatus zusammengefasst ausgeführt, die belangte Behörde habe die lange Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sowie die von ihm gesetzten Integrationsschritte nicht ausreichend gewürdigt. Es werde ausdrücklich bestritten, dass der Beschwerdeführer kein schützenswertes Privatleben in Österreich habe. Überdies habe der Beschwerdeführer nach wie vor keine Angehörigen in Afghanistan. Seine Mutter lebe im Iran, während der Aufenthaltsort seines Vaters unbekannt sei. Er verfüge sohin über keinerlei Bindungen zu Afghanistan. Im Fall der Rückkehr wäre er besonders gefährdet, da er bereits über sechs Jahre nicht mehr in Afghanistan gewesen sei. Aufgrund seiner Sprache, seines Aussehens und seiner Art würde man ihm dies anmerken. Ferner habe der Beschwerdeführer den westlichen Lebensstil mittlerweile angenommen und kleide sich auch entsprechend. Diesbezüglich werde auf das Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 sowie auf die Länderfeststellungen der Staatendokumentation verwiesen. Auch betreffend die Sicherheitslage in den Städten Herat und Mazar-e Sharif wurde auf die Berichte im Länderinformationsblatt hingewiesen. Ergänzend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in eine der genannten Städte völlig auf sich allein gestellt wäre und dort weder über eine Wohnung, familiäre Anknüpfungspunkte, finanzielle Unterstützung noch einen Beruf verfüge. In der Folge wurde auf den Bericht "Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan und Chronologie für Kabul" vom 09.08.2018 von ACCORD verwiesen. Abschließend wurde erneut zum Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich Stellung bezogen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
1.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an und stammt aus der der Provinz Samangan. Ca. im Jahr 2010 verließ der Beschwerdeführer Afghanistan und zog in den Iran. Seine Erstsprache ist Dari. Seine Lese- und Schreibkompetenzen in dieser Sprache sind jedoch nur gering ausgeprägt, da er in Afghanistan lediglich zwei Jahre eine Koranschule besucht hat.
1.1.2. Nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 10.02.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither ist er durchgehend in Österreich aufhältig.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2014, Zl. 13-830176802-1616778, wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.04.2015 erteilt. Festgestellt wurde unter anderem, dass der minderjährige Beschwerdeführer schon über mehrere Jahre mit seiner Mutter im Iran aufhältig gewesen sei. Er leide an keiner lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Erkrankung. Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände könne festgestellt werden, dass für ihn eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Asylrelevante Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates hätten nicht festgestellt werden können.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017, Zl. 830176802-1616778, wurde zuletzt die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis 16.04.2019 verlängert. Der Beschwerdeführer stellte am 15.03.2019 einen Antrag auf (weitere) Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
1.1.3. Die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Iran, wobei der Beschwerdeführer nur selten telefonischen Kontakt zu ihnen hat. In Afghanistan verfügt der Beschwerdeführer über keine sozialen Anknüpfungspunkte. Er verfügt auch über kein sonstiges tragfähiges Netzwerk, welches ihn im Fall der Rückkehr nach Afghanistan - allenfalls durch finanzielle Leistungen - nachhaltig unterstützen könnte.
In Österreich ist der Beschwerdeführer unbescholten. Ein Jahr ist er als Lehrling im Gartenbau tätig gewesen, hat diese Lehre jedoch nicht abgeschlossen. Aktuell macht er eine Lehre als Restaurantfachmann und besucht die Berufsschule. Der Beschwerdeführer leidet an keiner schwerwiegenden Erkrankung und ist arbeitsfähig.
1.1.4. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz Samangan sowie in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2014, Zl. 13-830176802-1616778, wesentlich und nachhaltig verändert haben.
1.2. Zur allgemeinen Situation in Afghanistan:
1.2.1. Allgemeine Sicherheitslage:
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).
[...]
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).
[...]
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).
[...]
Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).
Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).
[...]
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).
Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele:
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).
Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).
Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).
Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).
* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)
* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).
* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).
* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).
* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).
* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).
* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).
* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).
* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).
* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).
* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).
Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten:
Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)
Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).
Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).
* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .
* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).
* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).
* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).
* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).
* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).
* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).
Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:
Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:
* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).
* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).
* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).
Zivilist/innen:
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Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009-31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA
2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).
Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).
Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).
Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen:
Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:
das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).
Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).
Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und