TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/12 W226 2192120-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.2019
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Entscheidungsdatum

12.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52

Spruch

W226 2192120-1/28E

W226 2192123-1/16E

W226 2192125-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Tadschikistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.03.2018, Zlen. 1.) 1027026600-14840305,

2.) 1027026709-14840319, 3.) 1027026502-14840335, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.09.2019, zu Recht:

A) I. Die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten und des Status der subsidiär Schutzberechtigten sowie gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 werden als unbegründet abgewiesen.

II. Im Übrigen wird den Beschwerden stattgegeben und eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt. XXXX , XXXX und XXXX wird gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 1 und 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers (im Folgenden: BF2) und der Drittbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF3). Das Vorbringen der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist untrennbar miteinander verknüpft bzw. beziehen sich die BF auf dieselben Verfolgungsgründe, weshalb die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller BF abzuhandeln war.

Die BF, Staatsangehörige von Tadschikistan und Zugehörige der tadschikischen Volksgruppe, reisten im Juli 2014 unrechtmäßig ins Bundesgebiet ein und stellten am 31.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag erfolgte die Erstbefragung der BF1 und des BF2 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

Die BF1 gab dabei an, dass sie in XXXX geboren sei und dort die Schule sowie die Universität besucht habe. Sie spreche Tadschikisch und Russisch. Ihre zwei Brüder sowie fünf Schwestern und ihr Exmann würden in Tadschikistan leben. Zudem habe sie einen weiteren Sohn, der in Russland lebe und eine weitere Tochter, die in Südkorea lebe. Zu ihrem Fluchtgrund befragt führte sie aus, sie habe in XXXX in einer großen Firma namens " XXXX " gearbeitet. Der Besitzer dieser Firma sei im August 2013 spurlos verschwunden. Da ein großer Geldbetrag aus dieser Firma verschwunden sei, sei die tadschikische Polizei über 8 Monate zu ihr nach Hause gekommen und habe sie verhört. Die Polizei habe sie beschuldigt, dass sie am Verschwinden des Geldes beteiligt gewesen sei. Als sie am XXXX bei der Polizei verhört worden sei, hätten sie ihr damit gedroht, sie ins Gefängnis zu werfen, wenn sie nicht sage, wo das Geld sei. Sie wisse aber nicht, wo das Geld sei und könne auch keine Informationen dazu geben. Aus Angst vor dem Gefängnis habe sie dann mit ihren Kindern das Land verlassen. Für den BF2 und die BF3 würden dieselben Fluchtgründe gelten.

Der BF2 führte aus, dass er in XXXX die Schule besucht habe und Tadschikisch sowie Russisch spreche. Sein Vater lebe in Tadschikistan, zudem habe er einen Bruder in XXXX sowie eine Schwester in Südkorea. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass er aufgrund von Problemen seiner Mutter das Land verlassen habe, näheres wisse er nicht.

Am 18.01.2018 wurden die BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen und legten die BF mehrere Integrationsunterlagen vor.

Die BF 1 gab zu ihren persönlichen Verhältnissen ergänzend an, sowohl sie als auch die BF3 seien gesund. Sie und der BF2 seien mit Inlandspässen aus Tadschikistan ausgereist, die BF3 habe lediglich eine Geburtsurkunde gehabt. In XXXX hätten sie in der Wohnung ihrer Schwester gewohnt und von ihrem Einkommen gelebt. Sie habe noch eine ältere Tochter, die in XXXX verheiratet sei und zwei Kinder habe. Seit 2012 sei sie vom Vater des BF2 und der BF3 geschieden. Alle zwei Wochen habe sie über "Viber" Kontakt mit einer ihrer Schwestern, die ihr erzähle, wie es den anderen gehe. Insgesamt habe sie 5 Schwestern, wovon 4 in Tadschikistan und eine in Russland leben würden. Auch ihre zwei Brüder würden in Russland leben. In Österreich habe sie keine Familienmitglieder.

Zu ihrem Fluchtgrund gab die BF1 zusammengefasst an, ab 2012 habe sie für die Firma " XXXX " gearbeitet, die Windeln der Marke " XXXX " hergestellt habe. Um für dieses Unternehmen tätig zu sein, habe sie 250 Dollar bezahlt, wofür sie eine Ausbildung für Englisch sowie am Computer erhalten habe. Zusätzlich habe sie eine interne Ausbildung absolviert, in der sie etwa gelernt habe, Mitarbeiter anzuwerben. Teil der Firma sei auch eine eigene Bank gewesen. Bei dieser habe man Geld mit 4 Prozent Verzinsung anlegen können. Ihre Aufgabe sei es gewesen, das Produkt zu präsentieren, über die Anlagemöglichkeit zu informieren und Leute anzuwerben. Da das Unternehmen dem Staat gehört habe und die Verzinsung im Vergleich zu anderen Banken höher gewesen sei, hätten viele Menschen Vertrauen gefasst und ihr Geld bei der Bank angelegt. Am Anfang sei alles in Ordnung gewesen, das Finanzamt habe das Unternehmen alle drei Monate überprüft und es habe keine Probleme gegeben. Die Zinsen seien üblicherweise am Monatsende ausbezahlt worden und jedes Mitglied habe eine Bankkarte gehabt. Das Unternehmen habe von einer Bank in Kasachstan Geld erhalten, doch sei schließlich im Juli 2013 kein Geld mehr gekommen. Den Menschen, die nach dem Geld gefragt hätten, sei erklärt worden, dass sich alles etwas in die Länge gezogen habe und im August zusätzlich auch die Juliauszahlung erfolgen würde. Da sie als Vertreterin von vielen Menschen kontaktiert worden sei, habe sie sich gemeinsam mit den anderen Vertretern zunächst an den Generaldirektor gewandt, der ihnen gesagt habe, dass die Firma bis zum Abschluss der Überprüfungen geschlossen, danach aber wiedereröffnet und das Geld weiterhin überwiesen werde. Weil sie von den Anlegern aber weiterhin kontaktiert worden sei, habe sie sich mit den anderen Vertretern schließlich an die Generalstaatsanwaltschaft gewandt, damit diese der Ursache für die Schließung des Unternehmens nachgehe, woraufhin dieses am XXXX endgültig geschlossen worden sei. Den Anlegern, die daraufhin versucht hätten, von ihr das Geld zurückzufordern, habe sie erklärt, dass auch sie ihr Geld dort angelegt habe. Im Jänner 2014 sei dann erstmals eine Anzeige gegen sie selbst erstattet worden und sei sie später auf dem Polizeirevier dazu verhört worden. Im Februar sei eine weitere Anzeige erfolgt und sie sei erneut in der Polizeizentrale dazu befragt worden. Es habe auch eine Gegenüberstellung mit den Frauen, welche die Anzeige erstattet hätten, gegeben. Diese hätten behauptet, dass sie ihr das Geld gegeben hätten, sie habe die Frauen aber nicht gekannt. Auch der Polizist habe den Frauen geglaubt. Das Ganze habe von 10 Uhr morgens bis 10 Uhr abends gedauert und sei sie schließlich auf das Polizeirevier in ihrem Stadtteil gebracht worden, wo ihr der Ermittler mitgeteilt habe, dass sie in Haft genommen werden solle. Die Dienststellenleitung habe dann entschieden, dass die Haft nicht notwendig sei, doch habe sie eine Ausreiseverbotsbestätigung unterschreiben müssen. Aufgrund der ständigen Verhöre habe sie keine Zeit gehabt, zu arbeiten und habe die kurz zuvor gekaufte Wohnung wieder verkaufen müssen. Den Kredit für die Wohnung habe sie bei einer anderen Bank aufgenommen. Sie habe dann bei sich selbst investiert, 4 Prozent erhalten und dadurch den Kredit für die Wohnung wieder zurückzahlen können. Als sie die Restschulden zur Bank gebracht habe, habe sie einen Bankmitarbeiter namens XXXX getroffen, der ebenfalls bei " XXXX " investiert habe. Er habe sie nach seinem Geld gefragt und sie habe ihm empfohlen, sich an die Polizei zu wenden und Anzeige zu erstatten. Er habe ihr daraufhin gesagt, dass er das nicht mache, sondern sie aufgefordert, das Geld binnen drei Tagen aufzutreiben widrigenfalls er ihren Sohn entführen und ihm "sehr weh tun" werde. Daraufhin habe sie sich entschlossen, ihre Heimat zu verlassen. Ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

Zu ihrem Leben in Österreich befragt, gab die BF1 an, sie wohne mit ihren beiden Kindern zusammen, habe einige Deutschkurse besucht, helfe in der Ortschaft, in der sie wohne, in der Bibliothek aus und putze dort. Die BF3 sei bei der katholischen Kirche Ministrantin und der BF2 spiele bereits seit drei Jahren im Fußballverein.

Der BF2 führte zu seinen persönlichen Verhältnissen im Herkunftsstaat ergänzend aus, dass er seit seiner Kindheit Fußball spiele. Sie hätten in XXXX in einer Mietwohnung gelebt, seine Mutter habe gearbeitet und sie versorgt. Er habe 2004 mit der Schule begonnen und anschließend 10 Klassen besucht, eine Berufsausbildung habe er nicht absolviert. Zu seinen Freunden und Mitschülern habe er über soziale Netzwerke etwa alle zwei Wochen Kontakt.

Zu den Fluchtgründen schilderte der BF2, dass diese nur seine Mutter betreffen würden, eigene Fluchtgründe habe er nicht. Bei den Problemen seiner Mutter gehe es um Geld und er befürchte, dass er im Falle der Rückkehr als Druckmittel gegen seine Mutter eingesetzt werde.

In Österreich lebe er mit seiner Mutter und seiner Schwester zusammen, habe im ersten Jahr das Polytechnikum und anschließend Deutschkurse besucht. Derzeit absolviere er den Kurs Sprachniveau B1, Stufe 2. Seit drei Jahren spiele er außerdem Fußball im Verein XXXX in der Bezirksliga.

Mit den im Spruch angeführten Bescheiden wurden die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. diese Anträge auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Tadschikistan abgewiesen. Zudem wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Tadschikistan gemäß § 46 FPG zulässig sei und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Festgestellt wurde, dass die BF tadschikische Staatsangehörige seien, an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden würden und eine Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubwürdig vorgebracht worden sei. Die BF hätten Familienmitglieder in Tadschikistan, abgesehen von ihrer Familie aber keinen Bezug zu Österreich und auch keinerlei Anknüpfungspunkte zu Österreich.

Beweiswürdigend führte das BFA zur BF1 im Wesentlichen aus, sie habe ihre Fluchtgründe allgemein gehalten, undetailliert und emotionslos, aber durchaus umfangreich und ohne nachprüfbare Daten und Fakten geschildert und stehe ihr Vorbringen im Widerspruch zu den amtlichen, unbedenklichen und aktuellen Länderfeststellungen der Staatendokumentation, weshalb ihr Vorbringen in einer Gesamtschau als unglaubwürdig zu qualifizieren sei. Hinsichtlich des BF2 und der BF3 seien keinerlei Anhaltspunkte hervorgekommen, die auf eine mögliche Asylrelevanz hindeuten würden.

Rechtlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass mangels glaubwürdig dargelegter asylrelevanter Gründe eine wohlbegründete Furcht der BF vor Verfolgung ausgeschlossen werden könne. Den BF sei es zumutbar, durch eigene Arbeit oder Zuwendung von familiärer Seite das für ihren Lebensunterhalt unbedingt Notwendige zu erlangen und würden die BF über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen, wodurch eine Unterstützung unmittelbar nach der Rückkehr sowie in Zeiten der Erwerbslosigkeit gegeben sei. Die BF wären daher keiner existenziellen Notlage ausgesetzt, die einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 2 oder 3 EMRK gleichzuhalten sei. Für die Rückkehrentscheidung spreche, dass die BF in Österreich keine verwandtschaftlichen Beziehungen hätten, nicht selbsterhaltungsfähig seien, die deutsche Sprache nicht beherrschen würden und den Großteil ihres Lebens in Tadschikistan verbracht hätten. Da im Vergleich dazu nichts gegen eine Rückkehrentscheidung spreche, würde das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen die privaten Interessen überwiegen und sei daher die Rückkehrentscheidung zulässig.

Gegen diese Bescheide erhoben die BF fristgerecht vollinhaltliche Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die BF führten im Wesentlichen aus, dass sich die BF1 dem gegen sie verhängten Ausreiseverbot wiedersetzt habe, weshalb ihr im Falle einer Rückkehr auch aus diesem Grund eine Verurteilung drohe. Das Vorbringen umfasse mehrere Seiten und enthalte überprüfbare Zeit-, Orts- und Personenangaben, werde aber keinen Ermittlungen zugrunde gelegt. Hätte die Behörde den Vorfall aber ermittelt, hätte sie dessen Richtigkeit feststellen können. Auch die von den BF im Verfahren vorgelegten Integrationsunterlagen seien völlig unberücksichtigt geblieben.

Mit der Beschwerde sowie mit Fax vom 23.04.2018, 03.07.2018, 24.07.2018 und 29.07.2019 bzw. mit E-Mail vom 20.05.2019 übermittelten die BF diverse weitere Integrationsunterlagen.

Mit Schreiben vom 17.05.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 22.05.2019, stellten die BF einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Fristsetzungsantrages, der mit Beschluss des VwGH vom 28.05.2019 bewilligt wurde, sodass dem Bundesverwaltungsgericht mit verfahrensleitender Anordnung vom 22.07.2019 aufgetragen wurde, binnen drei Monaten eine Entscheidung zu erlassen.

Die BF wurden im Zuge einer am 12.09.2019 durchgeführten Beschwerdeverhandlung durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu ihren Verwandten und den Lebensumständen in Tadschikistan, ihrer Ausreise, der Tätigkeit der BF1 für das Unternehmen " XXXX " sowie zu ihrem Leben in Österreich befragt. Weiters wurde mit den BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie der Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin über die asylrelevante Lage in Tadschikistan erörtert.

Mit Stellungnahme vom 26.09.2019 brachten die BF ergänzend vor, dass die vom BVwG eingebrachten Länderberichte die von der BF1 vorgebrachte Furcht vor Verfolgung bestätigen würden. Außerdem leide die BF1 an einer Fallot'schen Tetralogie, wobei eine Operation zur Beseitigung dieser Erkrankung aufgrund des fortgeschrittenen Alters der BF1 nicht durchführbar sei. Die BF1 sei daher auf Medikamente angewiesen und sei ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, um die weitere medizinische Versorgung sicherzustellen. Zum Beweis für die schwere kardiologische Erkrankung sowie der lebensnotwendigen medikamentösen Dauerbehandlung werde daher die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens durch einen Facharzt der Kardiologie beantragt. Schließlich erstatteten die BF nähere Ausführungen zu ihrer Integration in Österreich und legten medizinische Unterlagen der BF1 sowie eine Schulbesuchsbestätigung der BF3 vor.

Mit Schriftsatz vom 02.10.2019 zogen die BF schließlich ihren Fristsetzungsantrag aufgrund der beantragten Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zurück.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die nunmehrigen Beschwerden wie folgt erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen von BF1 und BF2 vor dem BFA, die Beschwerden, die Stellungnahme der BF vom 26.09.2019, durch Einsicht in die vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, durch Einholung von Auszügen aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat.

1. Feststellungen:

Feststellungen zu den BF:

Die BF sind Staatsangehörige Tadschikistans, gehören der tadschikischen Volksgruppe an, bekennen sich zum moslemischen Glauben und sprechen Russisch sowie Tadschikisch. Die Identität der BF steht fest.

Die BF1 ist die Mutter des BF2 und der BF3 und vom Vater ihrer Kinder geschieden. Die BF1 hat eine weitere Tochter, die in XXXX in der Russischen Föderation lebt.

Die BF1 schloss eine Ausbildung zur Schauspielerin an einer Kunsthochschule in XXXX ab und arbeitete einige Zeit in St. Petersburg in einem Restaurant. Von 2012 bis 2014 war die BF1 Mitarbeiterin des Unternehmens " XXXX " in Tadschikistan. Ihre Aufgabe war es, das vom Unternehmen angebotene Geldanlagemodell zu präsentieren und dadurch Anleger anzuwerben.

Der BF2 besuchte 10 Klassen Schule in XXXX , die BF3 drei Klassen, wobei sie eine Klasse wiederholte. Während die BF1 in der Russischen Föderation arbeitete, hielten sich der BF2 und die BF3 bei ihrer Tante in Tadschikistan auf.

Zuletzt wohnten die BF gemeinsam mit der Schwester der BF1 in deren Wohnung. Die BF1 bestritt den Lebensunterhalt für sich und ihre beiden Kinder aus ihrem Einkommen alleine.

Im Herkunftsstaat leben mehrere Geschwister der BF1 sowie der Vater des BF2 und der BF3. Ein Bruder sowie ein Neffe der BF1 leben in der Russischen Föderation. Die BF1 hat regelmäßigen Kontakt zu zwei ihrer Schwestern, der BF2 zu seinem Vater und die BF3 zu ihren Tanten.

Die BF reisten im Juli 2014 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 31.07.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die BF halten sich seit ihrer Einreise im Juli 2014 - sohin seit mehr als 5 Jahren - durchgehend im Bundesgebiet auf und leben gemeinsam in einer Privatunterkunft für Asylwerber in XXXX .

Die BF1 hat mehrere Deutschkurse besucht und die ÖSD-Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bestanden. Sie hilft in der örtlichen Bibliothek aus und putzt dort. In ihrer Unterkunft ist die BF1 ebenfalls für Ordnung und Sauberkeit zuständig. Am 27.03.2018 nahm die BF1 die Serviceleistungen des Arbeitsmarktservice Wels in Anspruch und besuchte am 07.06.2018 einen Werte- und Orientierungskurs.

Auch der BF2 hat an mehreren Deutschkursen teilgenommen und die ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 erfolgreich absolviert. Im Schuljahr 2014/2015 besuchte der BF2 die Polytechnische Schule XXXX und belegte am XXXX bei den Bezirksmeisterschaften im XXXX den 5. Rang sowie am 03.07.2015 bei den Leichtathletikmeisterschaften der Polytechnischen Schulen in XXXX den 7. Rang im 1000-Meter-Lauf. Von 24.08.2015 bis 11.09.2015 belegte der BF2 einen Bildungskurs für Deutsch und Mathematik an der Volkshochschule XXXX und besuchte am 07.06.2018 einen Werte- und Orientierungskurs. Von September bis Dezember 2018 nahm der BF2 am Projekt XXXX teil. Seit 11.03.2019 absolviert der BF2 einen Pflichtschulabschluss-Lehrgang am Berufsförderungsinstitut XXXX . Für zumindest drei Jahre spielte der BF2 Fußball bei der Sportunion XXXX , aktuell ist er Mitglied beim XXXX . Der BF2 ist außerdem bei der XXXX registriert, die sich um einen Praktikumsplatz für ihn bemüht.

Die BF3 besuchte zunächst die Neue Mittelschule XXXX und hat im Schuljahr 2018/2019 die 9. Schulstufe an der Fachschule für wirtschaftliche Berufe der XXXX positiv abgeschlossen. Seit 09.09.2019 besucht sie die Schule für Sozialbetreuungsberufe der Caritas für Betreuung und Pflege. Im Schuljahr 2016/2017 nahm die BF3 am Mentoring-Projekt " XXXX " der Pädagogischen Hochschule XXXX teil sowie von 14.11.2016 bis 18.11.2016 an einem Englischintensivkurs auf dem Niveau A1. Zudem ministriert die BF3 regelmäßig in der katholischen Kirche in XXXX .

Alle BF zeigten sich während ihres Aufenthaltes um eine umfassende Integration bemüht. Sie haben bereits soziale Kontakte in Österreich geknüpft und sind unbescholten.

Die BF konnten nicht glaubwürdig dartun, dass ihnen in Tadschikistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tadschikistan in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Der BF2 und die BF3 leiden an keinen schweren psychischen oder physischen Krankheiten. Die BF1 leidet an einer Fallot'schen Tetralogie, einer pulmonalen Hypertonie, einem paroxysmalen Vorhofflimmern sowie einer chronischen Autoimmunthyreoiditis und ist dadurch auf eine dauerhafte medikamentöse Behandlung angewiesen. Die bei der BF1 diagnostizierte Erkrankung erreicht aber nicht ein Ausmaß, welches eine Rückkehr nach Tadschikistan iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würde.

Zur Situation in Tadschikistan wird festgestellt:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 05.06.2018 wiedergegeben:

1. Politische Lage

Die Republik Tadschikistan hatte laut offizieller Statistik 2016 8,74 Millionen Einwohner, was ein Wachstum von ca. 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausmachte (TAJSTAT 23.5.2018). Unter dem herrschenden präsidentiellen System wird das Land seit 1994 von Emomali Rachmon (Rakhmon) streng geführt (BBC 22.4.2018). Der Einfluss des Parlaments insgesamt ist gering. Die politische Macht ist beim Präsidenten, seinen engsten Vertrauten und der Präsidialverwaltung konzentriert (AA 20.10.2017). Tadschikistan befindet sich in einer starken Abhängigkeit von Russland, sowohl ökonomisch als auch in Hinblick auf den Umgang mit Sicherheitsfragen, wie den Kampf gegen Drogenschmuggel und dem radikalen Islam (BBC 22.4.2018).

Nach der Unabhängigkeit von der UdSSR am 9. September 1991 wuchsen die Spannungen zwischen der kommunistischen Regierung unter Präsident Nabiev und oppositionellen Gruppen. In diesem Konflikt entluden sich politischen, religiösen und regionale Gegensätze. Im Zuge der gewaltsamen Eskalation 1992 verlor Nabiev seine Macht. Nach einer kurzen Übergangszeit wurde Emomali Rahmon zuerst Vorsitzender des Obersten Sowjets Tadschikistans (1992), später Staatspräsident (1994). Innertadschikische Gespräche unter russischer und iranischer Vermittlung führten am 17.09.1994 zu einem Waffenstillstand (Dokument von Teheran). Der Bürgerkrieg wurde mit Unterzeichnung des 'Allgemeinen Abkommens über Frieden und Nationale Versöhnung in Tadschikistan' durch Präsident Rahmon und Oppositionsführer Nuri am 27.06.1997 in Moskau beendet. Zum Vorsitzenden der mit der Umsetzung der Friedensvereinbarungen beauftragten Nationalen Versöhnungskommission (NVK) wurde der 2006 verstorbene UTO-Chef Nuri gewählt. Zu den wichtigsten Ergebnissen der NVK-Tätigkeit zählen die Rückführung der Mehrzahl aller tadschikischen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Afghanistan, der Austausch der Kriegsgefangenen und eine Amnestie für bürgerkriegsbedingte Straftaten. Der Opposition wurde eine 30-Prozent-Quote an hohen Regierungsämtern eingeräumt. Nach Aufhebung des Verbots der Parteien und politischen Gruppierungen der UTO am 12.08.1999 konnten sich diese und andere Parteien registrieren und am politischen Leben teilnehmen (AA 3.2018a).

Die Republik Tadschikistan ist von ihrer 1994 angenommenen Verfassung vordergründig ein eng an westlichen Vorbildern und Werten orientiertes Staatswesen - mit Gewaltenteilung, Parlament, Mehrparteiensystem und freien Wahlen, mit Presse-, Meinungs-, und Versammlungsfreiheit. Lediglich die starke, überwiegend in den Händen des Präsidenten konzentrierte Exekutive sticht bei den Bestimmungen der Verfassung ins Auge (GIZ 3.2018a).

Tadschikistan hat ein Zweikammer-Parlament mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren. Die 34 Mitglieder der Nationalversammlung (Majlisi Milli), das Oberhaus, werden indirekt bestimmt: 25 durch lokale Körperschaften und acht durch den Präsidenten. Die Versammlung der Repräsentanten (Majlisi Namoyandagon), das Unterhaus, wird direkt gewählt, wobei 41 Mitglieder durch absolute Mehrheit in Einer-Wahlkreisen und 22 proportional unter Erreichen einer Fünf-Prozent-Hürde bestimmt werden (IFES 2016, vgl. AA 3.2018a).

Der Staatspräsident wird alle sieben Jahre gewählt. Der gegenwärtige Präsident, Emomali Rachmon, wurde infolge einer Verfassungsänderung aus dem Jahr 2003, die eine zweimalige Wiederwahl ermöglicht, im November 2013 wiedergewählt (IFES 2016, vgl. GIZ 3.2018a). Der Präsident ist laut Verfassung Staats- und Regierungsoberhaupt. Er kontrolliert die Exekutive, Legislative und Judikative, ernennt und entlässt die Provinzgouverneure und ist oberster Armeechef. Im Parlament hält seine Partei (Volksdemokratische Partei Tadschikistans) die für Verfassungsänderungen notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Alle wesentlichen Entscheidungen werden von dem parallel zu den staatlichen Strukturen agierenden Präsidialapparat getroffen. Alle Schlüsselpositionen in Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen sind mit Familienangehörigen (sieben Töchter und zwei Söhne, sowie deren Ehepartner) und engen Vertrauten des Präsidenten besetzt. Diese stammen, wie der Präsident selbst, aus der Region Danghara/Kulob. Durch Ämtervergabe an Angehörige der eigenen Loyalitätsgruppe hat Rachmon seine Herrschaft bis hinunter auf die lokale Ebene gefestigt und präsentiert sich als alleinigen Stabilitätsgarant und Friedensstifter (bpb 11.2.2018).

Ende Dezember 2015 unterzeichnete Präsident Rachmon ein Gesetz, das ihn zum Führer der Nation auf Lebenszeit erhebt. Beide Parlamentskammern hatten zuvor das Gesetz ohne Gegenstimmen gebilligt (UB 29.1.2016). Das Gesetz verleiht Rachmon und seinen Verwandten überdies lebenslange Immunität. Im Jänner 2016 wurde eine Verfassungsänderung beschlossen, die eine unbegrenzte Wiederwahl des Präsidenten ermöglicht und das Mindestalter für das Präsidentenamt von 35 auf 30 Jahre herabsetzt. So wäre Rachmons ältester Sohn Rustam Emomali in der Lage bei der Präsidentenwahl 2020 zu kandidieren, er wäre dann 33 Jahre alt (RFE/RL 10.2.2016). Zu diesem Gesetz wurde am 22. Mai 2016 eine Volksabstimmung durchgeführt und 95 % der Wahlberechtigten stimmten für die Annahme des Gesetzes (Guardian 23.5.2016).

Bei den Parlamentswahlen vom 1.3.2015 gewann die regierende Volksdemokratische Partei Tadschikistans (PDPT) 51 der 63 zu vergebenden Sitze. Die OSZE bemängelte die Restriktionen hinsichtlich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie den Zugang zu den Medien während des Wahlkampfes. Die Chancengleichheit im Wahlkampf wurde nicht gewährleistet. Der Wahlgang inklusive die Auszählung war von zahlreichen Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet (OSCE 15.5.2015).

Während eines Auslandsaufenthalts im Juni 2015 verkündete der Vorsitzende der "Islamische Wiedergeburt" (PIW), Muhiddin Kabiri, nicht mehr nach Tadschikistan zurückzukehren. Kabiri befürchtete, verhaftet zu werden und befindet sich seither im Exil. Nach blutigen Unruhen wurde Ende September 2015 die PIW als letzte Oppositionspartei verboten und als terroristische Vereinigung eingestuft (bpb 11.2.2018, vgl. Standard 29.9.2015). Somit verlor Tadschikistan die letzte echte Oppositionspartei. Bis 2015 war Tadschikistan das einzige postsowjetische Land Zentralasiens mit einer legal agierenden "islamischen" Partei. Die derzeit fünf im Parlament vertretenen Parteien wahren nach außen hin den Schein einer funktionierenden Demokratie im De-facto-Einparteienstaat (bpb 11.2.2018). Es herrscht derzeit ein repressives Klima, das vor oppositionellem Handeln abschrecken soll (AA 20.10.2017), die Regierung unterbindet weiterhin politischen Pluralismus (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2018a): Tadschikistan, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tadschikistan-node/-/206886, Zugriff 23.5.2018

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AA - Auswärtiges Amt (20.10.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan (Stand: Juni 2017), https://www.ecoi.net/en/file/local/1419912/4598_1514382414_auswaertiges-amt-bericht-tadschikistan-stand-juni-2017-20-10-2017.pdf, Zugriff 23.5.2018

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BBC - British Broadcasting Corporation (22.4.2018): Tajikistan country profile, http://www.bbc.com/news/world-asia-16201032, Zugriff 7.4.2016

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bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (11.2.2018): Konfliktporträt: Tadschikistan, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54708/tadschikistan, Zugriff 23.5.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2018a): Tadschikistan, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/tadschikistan/geschichte-staat/, Zugriff 23.5.2018

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Guardian, the (23.5.2016): Tajikistan votes to allow president to rule indefinitely,

https://www.theguardian.com/world/2016/may/23/tajikistan-votes-to-allow-president-emomali-rahmon-to-rule-indefinitely, Zugriff 23.5.2018

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OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (15.5.2015): Tajikistan, Parliamentary Elections, 1 March 2015:

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http://www.osce.org/odihr/elections/tajikistan/158081?download=true, Zugriff 23.5.2018

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RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (10.2.2016): Date Set For Tajik Referendum On Constitutional Changes, http://www.rferl.org/content/tajikistan-date-set-for-constitutional-referendum/27542733.html, Zugriff 23.5.2018

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Standard, der (29.9.2015): Tadschikistan verbietet islamische Oppositionspartei,

http://derstandard.at/2000022978892/Tadschikistan-verbietet-islamische-Oppositionspartei, Zugriff 23.5.2018

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TAJSTAT - Statistical agency under the President of the Republic of Tajikistan (23.5.2018): macroeconomic indicators, http://www.stat.tj/en/macroeconomic-indicators/, Zugriff 23.5.2018

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UB - Universität Bremen - Forschungsstelle Osteuropa (29.1.2016):

Zentralasien-Analysen Nr. 97,

http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen97.pdf, Zugriff 23.5.2018

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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tajikistan, https://www.ecoi.net/en/document/1430381.html, Zugriff 24.5.2018

2. Sicherheitslage

Als mit dem Zerfall der Sowjetunion Subventionen aus Moskau ausblieben und Tadschikistan "unfreiwillig" die Unabhängigkeit erhielt, entwickelte sich rasch ein Konflikt um die politische und wirtschaftliche Macht entlang regionaler und ideologischer Linien. Die trennenden Gruppenloyalitäten und Solidaritäten haben durch den Bürgerkrieg zusätzlichen Auftrieb erhalten und sich weiter verfestigt. Als Sieger aus diesen Machtkämpfen ging die "Kulober" Fraktion hervor. 1994 wurde Emomali Rachmon als Repräsentant dieser Fraktion zum Präsidenten gewählt (bpb 11.2.2018).

Die Sicherheitsprobleme der jüngsten Jahre waren heimischer Natur, trotz des Versuches seitens der Regierung diese als aus dem Ausland herrührend darzustellen. Die Sicherheitslage in Afghanistan und im Nahen Osten hat wenig Wirkung auf die innere Stabilität Tadschikistans, trotz der Behauptungen der Regierung, dutzende Terroranschläge aus dem Lager der ausländischen Opposition verhindert zu haben. Die Sicherheitskräfte unterdrücken weiterhin alle Dissidentenbewegungen in den periphären Regionen des Rasht-Tales und Gorno-Badachschan (BTI 2018).

Es gibt keine bedeutenden und nachhaltig operierenden Aufständischengruppierungen oder gewalttätige Gruppierungen, die den Staat in den territorialen Enklaven herausfordern. Obwohl die Behörden häufig auf eine Bedrohung durch radikal-islamistische Gruppierungen oder den IS hinweisen, hat sich diese Bedrohung bisher noch nicht manifestiert und scheint auch weitgehend übertrieben (BTI 2018).

Gewalttätige Vorfälle mit Oppositionellen gab es 2009 und 2011 in Rasht und 2012 und 2014 in Gorno-Badachschan (ICG 9.10.2017). Im Herbst 2015 kamen bei einer von der Regierung als "Umsturzversuch" bewerteten Schießerei im Stadtzentrum von Duschanbe acht Polizisten und neun Angreifer ums Leben. Der Hauptverantwortliche, der einen Tag zuvor entlassene stellvertretende Verteidigungsminister General Abduhalim Nazarzoda, wurde wenige Tage später in der Bergregion unweit der Hautstadt von Spezialkräften aufgespürt und getötet (bpb 11.2.2018; vgl. BTI 2018) Bei der in diesem Zusammenhang durchgeführten Anti-Terror-Aktion wurden rund 40 Menschen getötet und etwa 140 festgenommen (Standard 29.9.2015).

Die Regierung konzentriert sich auf die Bekämpfung von gewalttätigem Extremismus und beobachtet die mögliche Rückkehr tadschikischer Kämpfer aus dem Ausland. Gemäß Open-Source-Berichten haben sich ca. 1.000 Tadschiken dem IS und andere terroristische Gruppen in Irak und Syrien angeschlossen. Die potentielle Gefahr durch die Instabilität in Nordafghanistan ist der Regierung bewusst und aus Besorgnis, dass terroristische Gruppen aus Afghanistan die durchlässige Grenze nach Tadschikistan überqueren könnten, hat die Regierung die Militär- und Polizeipräsenz verstärkt und führt taktische Operationen durch. Die Regierung hat dafür Unterstützung von den USA und deren Partnern erbeten (USDOS 19.7.2017).

An der Grenze zu Afghanistan kommt es vereinzelt zu Schusswechseln zwischen afghanischen Drogenschmugglern und Angehörigen der tadschikischen Grenztruppen und der Drogenkontrollbehörde (AA 3.4.2018b; vgl. ICG 9.10.2017), insbesondere in Gorno-Badachschan. Bei Vorfällen im Jahr 2017 wurden einige Menschen verletzt (GOV.UK 13.3.2018). Diese Vorfälle stellen i.d.R. keine gezielten Angriffe auf das Territorium oder die Institutionen Tadschikistans dar. Die Afghanischen Taliban haben kein territoriales Interesse außerhalb der Grenzen Afghanistans (ICG 9.10.2017).

Die Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgisistan ist umstritten (GOV.UK 13.3.2018). Nur etwa 50 Prozent der etwa 970 Kilometer langen Grenze zwischen den beiden Staaten sind eindeutig festgelegt (KAS 1.2014; vgl. TA+ 4.4.2018). Seit Anfang 2014 ist es im Grenzgebiet zwischen Tadschikistan und Kirgisistan wiederholt zu bewaffneten Auseinandersetzungen teilweise mit Todesopfern gekommen (AA 3.4.2018b). Insbesondere in der Nähe der Enklave Vorukh kommt es gelegentlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen lokalem Ausmaßes (GOV.UK 13.3.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.4.2018b): Tadschikistan: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/TadschikistanSicherheit.html, Zugriff 30.5.2018

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bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (Deutschland) (11.2.2018): Konfliktporträt: Tadschikistan, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54708/tadschikistan, Zugriff 23.5.2018

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BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): Tajikistan Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427443/488354_en.pdf, Zugriff 24.5.2018

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GOV.UK (13.3.2018): Foreign travel advice Tajikistan - Safety and security,

https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/tajikistan/safety-and-security, Zugriff 30.5.2018

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ICG - International Crisis Group (9.10.2017): The Rising Risks of Misrule in Tajikistan,

https://www.crisisgroup.org/europe-central-asia/central-asia/tajikistan/86-rising-risks-misrule-tajikistan, Zugriff 30.5.2018

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KAS - Konrad Adenauer Stiftung (1.2014): Gefecht im Ferganatal Tadschikistan und Kirgisistan streiten um Grenzverlauf, http://www.kas.de/wf/doc/kas_36643-1522-1-30.pdf?140122165515, Zugriff 30.5.2018

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Standard, der (29.9.2015): Tadschikistan verbietet islamische Oppositionspartei,

http://derstandard.at/2000022978892/Tadschikistan-verbietet-islamische-Oppositionspartei, Zugriff 23.5.2018

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TA+ - Media Group Tajikistan Asia-Plus (4.4.2018): Tajik border guards prevent mas brawl between residents of Tajik and Kyrgyz border villages, one border guard slightly injured, https://news.tj/en/news/tajikistan/incidents/20180404/tajik-border-guards-prevent-mas-brawl-between-residents-of-tajik-and-kyrgyz-border-villages-one-border-guard-slightly-injured, Zugriff 30.5.2018

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USDOS (19.7.2017): Country Report on Terrorism 2016 - Chapter 2 - Tajikistan, https://www.ecoi.net/en/document/1404730.html, Zugriff 30.5.2018

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Obgleich das Gesetz eine unabhängige Gerichtsbarkeit vorsieht, übt die Exekutive Druck auf Staatsanwälte, Verteidiger und Richter aus. Korruption und Ineffizienz stellen erhebliche Probleme dar (USDOS 20.4.2018, vgl. BTI 2018). Der Staatspräsident kontrolliert die Justiz durch sein verfassungsmäßiges Prärogativ und kann Richter und den Generalstaatsanwalt ernennen oder entlassen. Die Gerichte werden zudem durch die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft beeinflusst. Die Staatsanwaltschaft rangiert über den Gerichten, was den Einfluss und die politische Macht betrifft. In politisch heiklen Fällen urteilen die Richter gemäß den Anweisungen mächtiger Offizieller aus der Präsidialverwaltung oder dem Sicherheitsdienst (BTI 2018). Niedrige Gehälter für Richter und Staatsanwälte führen dazu, dass Bestechung weit verbreitet ist (USDOS 20.4.2018).

Für Angeklagte gilt in der Praxis nicht die Unschuldsvermutung, denn die Gerichte befinden fast alle Angeklagten für schuldig. Im Allgemeinen erlauben die Gerichte den Angeklagten zeitgerecht einen Anwalt zu konsultieren, doch wird ihnen das Recht auf einen Verteidiger während der Untersuchungshaft bzw. der Zeit der Ermittlungen oft vorenthalten, insbesondere in politisch heiklen Fällen. Angeklagte und Nichtregierungsorganisationen beklagen, dass die Regierung manchmal einen Pflichtverteidiger ernennt, um zu verhindern, dass der Angeklagte einen Rechtsbeistand nach eigener freier Wahl bekommt. Angeklagte und Verteidiger haben das Recht, alle behördlichen Beweismittel einzusehen und die Zeugen damit zu konfrontieren bzw. diese zu befragen. Die Gerichte verleihen jedoch den Aussagen der Staatsanwaltschaft weit mehr Bedeutung als jenen der Verteidigung. Obschon alle Prozesse öffentlich sind, sieht das Gesetz die Möglichkeit von Geheimprozessen vor, wenn die nationale Sicherheit betroffen ist. Vertretern der Zivilgesellschaft wird der Zugang zu Gerichtsprozessen gegen hochrangige Persönlichkeiten verwehrt, weil diese Prozesse durch die Regierung als geheim eingestuft werden (USDOS 25.6.2015).

Aufgrund der starken Einflussnahme der Politik auf die Justiz, den geheimen und intransparenten Verfahren gegen politische Gegner und der sehr selektiven Justiz, stufte Freedom House 2017 die Bewertung Tadschikistans in Bezug auf die Unabhängigkeit und das Funktionieren der Justiz auf 7,0 herab (2014: 6,25; 2015: 6,50; 2016: 6,75; 2017:

7,0; 2018: 7,0). Auf einer Skala von 1 bis 7 entspricht die Bewertung 1 die höchste Ebene demokratischen Fortschritts und 7 den niedrigsten (FH 11.4.2018).

Aufgrund von Änderungen im Gesetz für Rechtsanwälte mussten alle Anwälte bis Juni 2016 eine Prüfung ablegen, um ihre Lizenz zu erneuern. Da viele Anwälte nicht in der Lage waren, diese Prüfung rechtzeitig abzulegen, sank die Zahl der Strafverteidiger im Land von ca. 2.000 auf 532 (USDOS 20.4.2018; vgl. FH 11.4.2018: von 1.500 auf 600 im Mai 2017). Eine förmliche Verweigerung des Rechtsschutzes ist nicht bekannt. De-facto wird der Rechtsschutz für politische Straftäter dadurch eingeschränkt, dass ihre Prozesse hinter verschlossenen Türen stattfinden und Rechtsanwälte wegen der ihnen selbst drohenden Gefahren immer weniger bereit sind, politisch heikle Fälle zu übernehmen (AA 20.10.2017). Seit 2014 wurden sieben Menschenrechtsanwälte verhaftet und zwei von ihnen, die Mitglieder der "Gruppe 24" verteidigten, in nicht öffentlichen Verfahren zu 21 bzw. 23 Jahren Haft verurteilt (FH 11.4.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (20.10.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan (Stand: Juni 2017), https://www.ecoi.net/en/file/local/1419912/4598_1514382414_auswaertiges-amt-bericht-tadschikistan-stand-juni-2017-20-10-2017.pdf, Zugriff 23.5.2018

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BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): Tajikistan Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427443/488354_en.pdf, Zugriff 24.5.2018

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FH - Freedom House (11.4.2018): Nations in Transit 2018 - Tajikistan, https://www.ecoi.net/en/document/1429180.html, Zugriff 24.3.2018

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USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Tajikistan, https://www.ecoi.net/en/document/1430381.html, Zugriff 24.5.2018

4. Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist vorrangig für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig und kontrolliert die Polizei. Die Drogenkontrollbehörde, die Antikorruptionsbehörde, die staatliche Steuer- sowie die Zollbehörden können spezifischen Straftaten nachgehen und berichten dem Präsidenten. Das Staatskomitee für Nationale Sicherheit ist für den Nachrichtendienst verantwortlich, kontrolliert den Grenzschutz und untersucht Fälle von vermeintlichen extremistischen Aktivitäten im politischen oder religiösen Bereich, sowie Fälle von Menschenschmuggel und politisch sensible Fälle. Die Generalstaatsanwaltschaft beaufsichtigt die strafrechtlichen Untersuchungen der zuständigen Behörden. Es kommt zu beträchtlichen Überlappungen bei der Zuständigkeit. Die Gesetzesvollzugsbehörden fügen sich jedoch dem Staatskomitee für Nationale Sicherheit. Die Vollzugsbehörden sind in der Bekämpfung der organisierten Kriminalität nicht effizient, da kriminelle Banden über Beziehungen zu hohen Regierungskreisen und Sicherheitsbehörden verfügen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 20.10.2017).

Straffreiheit der Behörden stellt ein gravierendes Problem dar. Während die Behörden begrenzte Schritte gegen Straftäter unternehmen, gibt es weiterhin Berichte von Folter und Misshandlungen von Häftlingen. Die Kultur der Straflosigkeit und der Korruption schwächen die Ermittlungen und die Strafverfolgung (BTI 2018, vgl. USDOS 20.4.2018).

Die Polizei kann eine Person zwölf Stunden lang festhalten, bevor die Behörden Strafanklage erheben. Wenn letzteres nicht geschieht, muss die Person freigelassen werden. Allerdings informiert die Polizei die Festgenommenen oft nicht über die konkreten Vorwürfe. Falls die Polizei Strafanzeige erhebt, kann eine Person bis zu 72 Stunden festgehalten werden, bevor die Polizei die Anzeige einem Richter zwecks Einvernahme unterbreiten muss (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2018a): Tadschikistan, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tadschikistan-node/-/206886, Zugriff 23.5.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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