Entscheidungsdatum
12.11.2019Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W215 1433876-3/13E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Republik Kasachstan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2016, Zahl 831385600-2398612, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkte I. und II. gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG, als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Republik Kasachstan gemäß
§ 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) auf Dauer für unzulässig erklärt.
III. XXXX wird gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, in Verbindung mit § 55 Abs. 2 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,
BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Asylverfahren:
Die minderjährige Beschwerdeführerin reiste im Jahr 2013 gemeinsam mit ihrem Vater, dessen Ehegattin, ihrem Bruder und zwei Halbgeschwistern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo ihr Vater für diese als gesetzlicher Vertreter am 04.02.2013 deren ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Familie der Beschwerdeführerin besteht aus ihrem Vater 1) XXXX , seiner zweiten Ehegattin 2) XXXX , ihrem volljährigen Bruder 3) XXXX , sowie ihren minderjährigen Halbgeschwistern 4) XXXX , 5) XXXX , sowie den in Österreich geborenen Halbgeschwistern 6) XXXX und 7)
XXXX . Die Asylverfahren der Familienmitglieder sind zu den Zahlen
1) W215 1433874-3, 2) W215 1433877-3,
3a) W215 1433875-3 und 3b) W215 1433875-4, 4) W215 1433879-3, 5) W215 1433878-3,
6) W215 2139184-1 und 7) W215 2196237-1 ebenfalls im Bundesverwaltungsgericht anhängig und werden ebenfalls mit Erkenntnissen vom heutigen Tag Zahlen 1) W215 1433874-3/18E,
2) W215 1433877-3/13E, 3a) W215 1433875-3/23E und 3b) W215 1433875-4/16E,
4) W215 1433879-3/9E, 5) W215 1433878-3/10E, 6) W215 2139184-1/10E und
7) W215 2196237-1/11E, entschieden.
Als Fluchtgrund gaben der Vater der Beschwerdeführerin und dessen zweite Ehegattin im ersten Asylverfahren zusammengefasst an, dass die zweite Ehegattin bei XXXX gearbeitet habe und während ihres XXXX gestohlen worden sei. Die Polizei habe sie in den folgenden Monaten mehrmals sehr lange einvernommen und sie der Tatbegehung beschuldigt. Aus diesem Grund sei die Familie geflüchtet. Für die Beschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.03.2013, Zahl 13 01.492-BAT, wurde der erste Antrag auf internationalen Schutz vom 04.02.2013 in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, in Spruchpunkt II. bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kasachstan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und die Beschwerdeführerin in Spruchpunkt III. des Bescheides gemäß
§ 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kasachstan ausgewiesen.
Eine gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.03.2013, Zahl 13 01.492-BAT eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 27.08.2013, Zahl D7 433876-1/2013/5E, gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 AsylG,
§ 8 Abs. 1 Z 1 AsylG und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.
2. Asylverfahren:
Nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens kam die Familie ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach, blieb illegal im Bundesgebiet und der Vater der minderjährigen Beschwerdeführerin brachte am 25.09.2013 gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz ein.
Im Rahmen der Erstbefragung am 25.09.2013 und den niederschriftlichen Befragungen im dem Bundesasylamt vom 09.10.2013 und 22.10.2013 wiederholten der Vater der Beschwerdeführerin und dessen Ehegattin die Fluchtgründe aus dem vorangegangenen Verfahren und brachten vor, dass die Ehegattin des Vaters von der Polizei wegen des Diebstahls XXXX gesucht werde. Sie würden nunmehr über neue Beweise zu verfügen, so hätten sie aus der Zeitung erfahren, dass ein Onkel der Beschwerdeführerin in der Republik Kasachstan in diesem Zusammenhang unschuldig zu sieben Jahren Haft verurteilt und ins Gefängnis gebracht worden sei. Für die Beschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe angegeben.
Der zweite Antrag auf internationalen Schutz wurden mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.12.2013, Zahl 13 13.856-EAST West, in Spruchpunkt I. gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die Beschwerdeführerin in Spruchpunkt II. des Bescheides gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Kasachstan Föderation" (Anmerkung: wörtliches Zitat) ausgewiesen.
Der dagegen erhobenen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wurde mit Beschluss vom 31.01.2014, Zahl W215 1433876-2/5Z, zunächst gemäß § 17 Abs. 1 Z 1 und
Abs. 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.02.2014, Zahl W215 1433876-2/6E, wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, der bekämpfte Bescheid wegen Ermittlungsmängeln behoben und an das (mit 01.01.2014 neu eingerichtete) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen.
Im fortgesetzten Verfahren wurden der Vater der Beschwerdeführerin und dessen Ehegattin neuerlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlichen zu den Fluchtgründen, den Lebensumständen in der Republik Kasachstan sowie zur Integration in Österreich befragt.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 12.10.2016, Zahl 831385600-2398612, den zweiten Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 25.09.2013 (Anmerkung: im Spruch steht "04.02.2013", gemeint wohl: 25.09.2013) hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß
§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kasachstan gemäß
§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). In Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Kasachstan zulässig ist. Es wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführerin gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III.).
Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2016, Zahl 831385600-2398612, erhob der Vater der Beschwerdeführerin fristgerecht gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
Die Beschwerdevorlage vom 08.11.2016 langte am 09.11.2016 im Bundesverwaltungsgericht ein.
Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom XXXX wurde mitgeteilt, dass der Vater der Beschwerdeführerin die Ausübung der Pflege und Erziehung betreffend die Beschwerdeführerin an XXXX abgibt.
Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 08.04.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt, zu der der Vater, zugleich als gesetzlicher Vertreter für die Beschwerdeführerin, mit seiner Ehegattin und ihrem volljährigen Bruder in Begleitung ihrer zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaterin erschienen. Weiters anwesend war ein Vertreter des ordnungsgemäß geladenen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Die Familienmitglieder der Beschwerdeführerin machten auf Befragen Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen und Fluchtgründen. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan, auf deren Einsichtnahme und Ausfolgung die Familie und ihre Vertreterin verzichteten.
Mit Schreiben vom 18.04.2019 nahm der Vater der Beschwerdeführerin zur aktuellen Lage in der Republik Kasachstan Stellung und führte aus, dass sich die Situation von Kindern insgesamt als prekär darstelle und hinsichtlich der Rückkehrentscheidung insbesondere auch das Kindeswohl besonders zu berücksichtigen sei. Besonders stelle sich hierbei die Situation der Beschwerdeführerin dar, die nicht mehr mit ihrem Vater, dessen Ehegattin und ihren restlichen minderjährigen Geschwistern in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Diese lebe mit dem Onkel in einem gemeinsamen Haushalt, dem von der zuständigen Behörde die Pflege und Erziehung übertragen worden sei. Hinsichtlich der Beschwerdeführerin sei daher gesondert zu prüfen, ob gegen diese eine Rückkehrentscheidung erlassen werden könne und ob sie gemeinsam mit ihrem Vater und dessen Ehegattin nach Kasachstan - ein Land, das ihr vollkommen fremd sei und in dem sie zu niemanden Anschluss außer ihrer Kernfamilie habe, mit der sie allerdings nicht mehr in gemeinsamen Haushalt lebe - abgeschoben werden könne.
Mit Schreiben vom 10.05.2019 wurde ein Gedächtnisprotokoll einer Betreuungsperson der Familie von der XXXX vorgelegt, aus denen die Gründe für die Übertragung der Pflege und Erziehung der Beschwerdeführerin zu entnehmen sind. So habe sich bereits seit längerem abgezeichnet, dass die Beschwerdeführerin nicht weiter bei ihrem Vater, dessen zweiter Ehegattin und deren gemeinsamen Kindern leben könne. In diesem Zusammenhang wurden weiters Schreiben von Lehrern der Beschwerdeführerin vorgelegt, in denen ihre familiären Probleme thematisiert wurden.
Mit Schreiben vom XXXX übermittelte die zuständige Bezirkshauptmannschaft dem Bundesverwaltungsgericht aufgrund der problematischen Familiensituation der Beschwerdeführerin einen Bericht, wonach die Beschwerdeführerin tätlichen Übergriffen und verbalen Verletzungen der zweiten Ehegattin ihres Vaters ausgesetzt gewesen sei. In einer Gesamtschau habe der Kinder- und Jugendhilfeträger eine Kindeswohlgefährdung bei der Beschwerdeführerin festgestellt und deshalb eine Maßnahme der vollen Erziehung begründet. Angesichts des beschriebenen Sachverhalts und der Kindeswohlgefährdung bei der Beschwerdeführerin sei aus Sicht des Kinder- und Jugendhilfeträgers bei einem negativen Bescheid im Asylverfahren eine Abschiebung der Beschwerdeführerin mit ihrer Familie nicht zumutbar. Beim obsorgeberechtigten Vater bestehe keine Problemeinsicht und er sei nicht in der Lage, die Beschwerdeführerin ausreichend zu schützen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1. Die minderjährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Republik Kasachstan, gehört der Volksgruppe der Kasachen an und ist muslimischen Glaubens. Ihre Muttersprache ist Kasachisch, sie spricht darüber hinaus auch Russisch und Deutsch.
Die Beschwerdeführerin ist die Tochter von 1) XXXX , und reiste gemeinsam mit dessen zweiter Ehegattin 2) XXXX , ihrem Bruder 3) XXXX , sowie ihren minderjährigen Halbgeschwistern 4) XXXX , und 5) XXXX nach Österreich ein. Die Asylverfahren ihres Vaters, dessen zweiter Ehegattin, ihres Bruders und ihrer vier Halbgeschwister (darunter der nach der Einreise in Österreich geborenen Halbschwester 5) XXXX , und des Halbbruders
7) XXXX , sind zu den Zahlen 1) W215 1433874-3,
2) W215 1433877-3, 3a) W215 1433875-3 und 3b) W215 1433875-4, 4) W215 1433879-3,
5) W215 1433878-3, 6) W215 2139184-1 und 7) W215 2196237-1 ebenfalls im Bundesverwaltungsgericht anhängig und werden mit Erkenntnissen vom heutigen Tag, Zahlen 1) W215 1433874-3/18E, 2) W215 1433877-3/13E, 3a) W215 1433875-3/23E und
3b) W215 1433875-4/16E, 4) W215 1433879-3/9E, 5) W215 1433878-3/10E,
6) W215 2139184-1/10E und 7) W215 2196237-1/11E, entschieden.
2. Es kann nicht festgestellt werden, dass die zweite Ehegattin des Vaters der Beschwerdeführerin in der Republik Kasachstan beschuldigt wurde, am Diebstahl XXXX beteiligt gewesen zu sein und deshalb einer Verfolgung durch die kasachische Polizei ausgesetzt war, weshalb die Familie das Land verlassen hat. Für die minderjährige Beschwerdeführerin wurden keine eigenen Verfolgungsgründe geltend gemacht. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin in der Republik Kasachstan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war oder sein wird.
3. Im gegenständlichen Verfahren können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Kasachstan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt sein würde. Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in die Republik Kasachstan in eine ihre Existenz gefährdende Notsituation geraten würde.
Der Vater der Beschwerdeführerin ist von Beruf XXXX und arbeitete bis zum Jahr XXXX . Danach war er bis zur Ausreise als XXXX tätig. Dessen Ehegattin schloss an der Universität ein Studium als XXXX ab. Sie arbeitete danach bis zu ihrer Ausreise als XXXX . Die Familie der Beschwerdeführerin bezog zudem staatliches Kindergeld und war immer in der Lage, den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Beschwerdeführerin besuchte in der Republik Kasachstan ab dem Jahr XXXX die Schule und befand sich zum Ausreisezeitpunkt in der XXXX . Sie lebte gemeinsam mit ihrem Vater, dessen zweiter Ehegattin, ihrem Bruder und zwei Halbgeschwistern in einer Eigentumswohnung.
Darüber hinaus halten sich zahlreiche weitere Verwandte der Beschwerdeführerin in der Republik Kasachstan auf, die die Familie der Beschwerdeführerin beim Aufbau einer Existenz unterstützen können und bei denen diese zumindest für die Anfangszeit auch Unterkunft finden kann.
4. Die unbescholtene Beschwerdeführerin reiste im Februar 2013 im Alter von XXXX Jahren in das Bundesgebiet ein. Sie hält sich seit ihrer ersten Asylantragstellung am 04.02.2013 durchgehend in Österreich auf und besuchte zunächst die XXXX , absolvierte anschließend die XXXX und ging danach in ein XXXX . Die nunmehr XXXX Beschwerdeführerin verbrachte bereits mehr als sechs Jahre im Bundesgebiet und nützte ihren Aufenthalt zur umfassenden Integration. Sie verfügt über einen großen Freundeskreis, zeigt im Schulleben eine gute Integration und hat nunmehr den konkreten Berufswunsch XXXX .
Die Beschwerdeführerin war in Österreich zunächst gemeinsam mit ihrem Vater, dessen Ehegattin, ihrem Bruder und ihren Halbgeschwistern in einer Flüchtlingsunterkunft wohnhaft, wo sie von der Ehegattin des Vaters jedoch mit fortschreitendem Alter wiederholten tätlichen Übergriffen und verbalen Verletzungen ausgesetzt war. Beim Vater der Beschwerdeführerin besteht diesbezüglich keine Problemeinsicht. Angesichts der problematischen Familiensituation erfolgte am XXXX mit Einverständnis des Vaters der Beschwerdeführerin die Übergabe der Pflege und Erziehung durch die zuständige Bezirkshauptmannschaft an den in Österreich nach dem NAG aufenthaltsberechtigten Onkel XXXX . Die Beschwerdeführerin befindet sich seit XXXX im Rahmen einer freiwilligen Maßnahme der vollen Erziehung auf Grundlage einer Vereinbarung mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger bei ihrem Onkel und ihrer Tante XXXX in Pflege und Erziehung.
Während die Beschwerdeführerin zu ihrem Vater und dessen Ehegattin kein enges Verhältnis pflegt und seit mehreren Monaten mit ihnen nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt wohnt, führt die Beschwerdeführerin ein schützenswertes Familienleben mit ihrem Onkel und ihrer Tante, wo sie sich geborgen fühlt und altersadäquat entwickeln kann. Die Beschwerdeführerin hat keinen Kontakt mehr in ihr Herkunftsland und wäre bei einer Rückkehr gezwungen, wieder gemeinsam mit ihrem Vater und dessen Ehegattin in einem gemeinsamen Haushalt Unterkunft zu nehmen, wo ein Wiederauftreten der familiären Probleme wahrscheinlich ist.
Im selben Haushalt lebt auch noch der XXXX Bruder der Beschwerdeführerin, zwischen den Geschwistern können jedoch keine besonderen Abhängigkeiten erkannt werden, die über übliche familiäre Bindungen hinausgehen würden. Weiters ist zu berücksichtigen, dass der Bruder der Beschwerdeführerin im Rahmen seiner mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht die Absicht geäußert hat, demnächst auszuziehen.
5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin wird festgestellt:
Politische Lage
Kasachstan hatte im Juli 2018 mehr als 18,7 Millionen Einwohner (CIA Factbook last update 27.10.2019, abgefragt am 05.11.2019).
Kasachstan ist mit einer Fläche von 2.724.900 km² der neuntgrößte Staat der Erde. Kasachstan grenzt an China, Kirgisistan, Turkmenistan, Usbekistan und Russland (LIP Überblick Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).
Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew hat am 19.03.2019 in einer TV-Ansprache seinen Rücktritt vom Amt erklärt. Der heute 78-jährige war ab 1989 KP-Chef der Sowjetrepublik und wurde seit der Unabhängigkeit Kasachstans 1991 fünfmal zum Präsidenten gewählt. Seine Amtszeit sollte eigentlich erst 2020 auslaufen (Standard 20.03.2019). Übergangspräsident Kassym-Schomart Tokajew hat die Wahl zum Staatsoberhaupt am 09.06.2019 wie erwartet gewonnen (Standard 10.06.2019). Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen in Kasachstan verkündete die zentrale Wahlkommission am 09.06.2019 den Sieg von Interimspräsident Kasym-Schomart Tokajew. Tokajew, welcher nach dem Rücktritt des langjährigen Regierungschefs Nursultan Nasarbajew im März 2019 zum Übergangspräsident ernannt worden war, gewann mit 70,8% der Stimmen. Der Oppositionspolitiker und ehemalige Journalist, Amirschan Kosanow, lag mit 16% an zweiter Stelle. Der OSZE zufolge seien die Wahlen jedoch nicht frei und fair abgelaufen. Rund um die Wahl kam es zu zahlreichen Protesten in ganz Kasachstan. Es wurden hunderte Personen teils gewaltsam von kasachischen Sicherheitskräften festgenommen. Die Demonstranten hatten gegen die sozialen Missstände und Korruption protestiert. Insgesamt sollen Medienangaben zufolge 670 Personen inhaftiert worden sein, davon wurden 311 Inhaftierte bereits wieder freigelassen. Etwa 280 Personen erhielten Geldstrafen oder Verwarnungen (BAMF 17.06.2019).
Am 09.06.2019 gewann Amtsinhaber Tokajew bei einer offiziellen Wahlbeteiligung von 77% die Präsidentschaftswahlen mit 70,9% der abgegebenen Stimmen. Die Wahlen wurden in Nur-Sultan, Almaty und Schimkent von Protestdemonstrationen begleitet, bei denen nach Angaben des Innenministeriums 500 Personen festgenommen wurden. Am 10.06.2019 kam die Wahlbeobachtungsmission von OSZE/ODIHR in ihrem vorläufigen Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass die Präsidentschaftswahl technisch gut organisiert, aber durch einen Mangel an Beachtung fundamentaler Rechte, wie dem auf friedlichen Protest, und zahlreiche Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet war (ZA 28.06.2019).
Das unabhängige Kasachstan hatte sich 1993 seine erste - parlamentarische - Verfassung gegeben. Schon 1995 wurde sie ersetzt durch eine neue Konstitution, die orientiert an der französischen, einen starken Präsidenten etabliert. Durch mehrere Verfassungsänderungen wurden dessen Kompetenzen auf Kosten von Regierung und Parlament noch erweitert (Anfang 2017 erstmals in wenigen Punkten eingeschränkt). Der Präsident bestimmt die Richtlinien der Politik und hat weitgehende Rechte bei der Besetzung wichtiger Ämter. Er hat das Vorschlagsrecht für den Premier- und die wichtigsten Minister, und ernennt und entlässt die Regierung, wie auch die Akime (Gouverneure) der Gebiete des Landes. Der Präsident hat das Recht das Parlament aufzulösen und ist Oberbefehlshaber der Armee. Grundsätzlich besteht eine Begrenzung auf zwei Amtszeiten. Für den Präsidenten des unabhängigen Kasachstan gelten allerdings Sonderregelungen. Der Präsident wird vom Volk gewählt. Die Regierung ist dem Präsidenten gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig gegenüber dem Parlament. Ihre Struktur wird durch Neu- und Umverteilung von Aufgaben zwischen den Ressorts immer wieder verändert. Das Parlament besteht seit 1995 aus zwei Kammern:
dem Senat und der Madschilis. Der Senat hat 47 Sitze. 15 Senatoren werden direkt vom Präsidenten ernannt, 32 von den Volksvertretungen der Gebiete für sechs Jahre gewählt. Die Madschilis, das Unterhaus des Parlamentes, hat 107 Sitze. 98 Abgeordnete werden alle fünf Jahre nach Parteilisten von der Bevölkerung gewählt, neun Sitze von der Versammlung des Volkes Kasachstans, einer speziellen Vertretung der vielen Nationalitäten des Landes, besetzt. Nach der Verfassung haben beide Kammern des Parlaments einige gemeinsame Kompetenzen (z.B. Bestätigung von Verfassungsänderungen, Annahme des Haushalts), viele weitere sind getrennt. Faktisch folgen beide den Wünschen des Präsidenten. Schon nach den Buchstaben der Verfassung hat der Präsident weitgehende Vollmachten, de facto bestimmt er die Politik des Landes. Eine Teilung der Gewalten ist nicht gegeben. Kasachstan hat eine regionale Verwaltungsgliederung von der Sowjetunion geerbt. Nach mehreren Verwaltungsreformen und Zusammenlegungen hat das Land heute 14 Gebiete und drei Städte von republikweiter Bedeutung (Nur-Sultan [vormals Astana], Almaty, Schimkent). Bei der Größe des Landes unterscheiden sich die natürlichen wie sozioökonomischen Verhältnisse in den einzelnen Gebieten stark. Flächenmäßig am größten ist das Gebiet Karaganda (428.000 km²), die höchste Bevölkerungsdichte hat das Gebiet Turkestan (2.788.000 Einwohner, =19,5/km²). Den Gebieten steht ein vom Präsidenten eingesetzter Akim (Gouverneur) vor. Die Gebietsparlamente werden von der Bevölkerung gewählt (LIP Geschichte und Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).
Kasachstan erlangte seine Unabhängigkeit im Dezember 1991. Das Land ist eine Republik mit starker Stellung des Präsidenten. Das Parlament hat zwei Kammern: den Senat (Oberhaus) mit 47 Sitzen, Mazhilis (Unterhaus) mit 107 Sitzen. Dominante politische Kraft ist die Partei "Nur Otan" ("Licht des Vaterlands"). Bei den Unterhauswahlen im Jahr 2016 erhielt sie 82% der Stimmen. Die vorgezogenen Präsidentenwahlen am 09.06.2016 gewann der bisherige Senatspräsident Kassim-Schomart Tokajew mit ca. 71% der Stimmen. Tokajew knüpft an die Politik seines Vorgängers an und treibt ein umfangreiches Reformprogramm voran (AA politisches Porträt Stand 02.10.2019, abgefragt am 04.11.2019).
Kasachstan ist auch aktives Mitglied in einer Vielzahl internationaler Organisationen wie der UN und ihren Unterorganisationen, (seit 01.01.2017 mit einem nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat), der ECO, der OSCE (Vorsitz 2010) und der OIC (Vorsitz 2011). Nach langjährigen Verhandlungen wurde Kasachstan am 30.11.2015 Mitglied der WTO. Im eurasischen Raum gehört es folgenden Bündnissen an: GUS, Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Collective Security Treaty Organization (CSTO), Eurasian Economic Union (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).
Russland spielt in der kasachstanischen Außenpolitik eine ganz besondere Rolle; zwar hat es im bilateralen Verhältnis immer wieder kleinere Probleme gegeben, die kasachstanische Elite ist aber grundsätzlich Russland freundlich. Die Vorgänge in der Ukraine seit dem Frühjahr 2014 stellen aber ganz neue Herausforderungen. Kasachstan sieht sich jetzt nicht mehr nur mit Überlegungen einzelner russischer Nationalisten über eine ethnische oder historische Zugehörigkeit seines Nordens zur Russischen Föderation konfrontiert, sondern das Beispiel der Annexion der Krim und Äußerungen des russischen Präsidenten werden in Kasachstan ebenfalls als Gefahr für seine territoriale Integrität und Staatlichkeit wahrgenommen - und als Problem für die bewährte Multi-Vektoren-Politik. Die noch aus der Sowjetzeit stammenden und seither an die Russische Föderation verpachteten militärischen Testgelände in der kasachischen Steppe werden nach und nach geschlossen. Manche Beobachter sehen das Kaspische Meer als Zone einer neuen militärischen Konkurrenz beider Staaten, bzw. befürchten eine Militarisierung des Gewässers, andere befürchten im Gegenteil mangelnden Schutz vor Terroranschlägen auf die Erdölförderanlagen. Das Ergebnis der bisherigen Verhandlungen über den Status des Gewässers wurde im Vorfeld ebenfalls widersprüchlich eingeschätzt, das Ergebnis wird als enttäuschend bewertet. Auch grundsätzlich wird der russische Einfluss in Kasachstan recht unterschiedlich bewertet:
tendenziell hoch, vor allem, aber nicht nur, auf die Russen des Landes oder aber (bedauerlicherweise) schwindend. Kasachstans Mitgliedschaft in der vom russischen Präsidenten Putin initiierten Eurasischen Wirtschaftsunion als Nachfolger der Zollunion wurde vorab in der kasachstanischen Öffentlichkeit kritisch bewertet, (die breite Bevölkerung soll aber trotz vieler Probleme hinter diesem Schritt stehen. Beobachter sehen eine wachsende Unabhängigkeit der kasachstanischen Außenpolitik gegenüber russischen Positionen und darüber hinaus (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).
(CIA, Central Intelligence Agency, The World Factbook, Kazakhstan, last update 27.10.2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/kz.html
Standard, Parlamentschef als neuer Präsident von Kasachstan vereidigt, 20.03.2019,
https://derstandard.at/2000099815065/Kasachstans-PraesidentNasarbajew-kuendigt-nach-knapp-28-Jahren-Ruecktritt-an,
LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Überblick, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/ueberblick
AA, Auswärtiges Amt, Kasachstan, politisches Porträt, Stand 02.10.2019, abgefragt am 04.11.2019, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kasachstan-node/politisches-portrait/206674
Der Standard, Tokajew bleibt Präsident, 10.06.2019, https://www.derstandard.at/story/2000104613705/hunderte-festnahmen-bei-wahl-protesten-in-kasachstan
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 17.06.2019,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2010680/Deutschland___Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_17.06.2019_%28deutsch%29.pdf
ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 135, 28.06.2019,
http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen135.pdf
LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/geschichte-staat)
Sicherheitslage
Am 12.06.2019 wird berichtet, dass im aktuellen Index des Globalen Friedens Kasachstan unter 163 Ländern den 64. Platz einnimmt und demnach das friedlichste Land Zentralasiens ist (ZA 28.06.2019).
Die Sicherheitslage in Kasachstan kann im Vergleich zu den Nachbarländern als stabil bezeichnet werden (BMEIA Stand 05.11.2019).
Die politische und soziale Lage kann als stabil bezeichnet werden. Lokal begrenzte gewaltsame Demonstrationen können aber vorkommen, vor allem im Westen des Landes, wo sich die Erdölfelder befinden. Meiden Sie im ganzen Land Kundgebungen jeder Art. Die kasachischen Behörden machen auf das Risiko terroristischer Akte aufmerksam. Anfang Juni 2016 wurden bei Angriffen mit Schusswaffen in Aktobe mehrere Personen verletzt oder getötet (EDA gültig am 06.11.2019).
Seit 2014 spürt das Land eine in diesem Ausmaß unerwartete Wirtschaftskrise, ausgelöst durch die Probleme der russischen Wirtschaft und den global sinkenden Ölpreis. Als Reaktion wurde im November 2014 die Strategie Nurly Zhol (Heller Weg) verkündet, die vor allem mit Infrastrukturmaßnahmen die Wirtschaft ankurbeln wollte, natürlich sind aber auch Sparmaßnahmen - bis hin zu den Brotpreisen - erforderlich. Nach seiner Wiederwahl verkündete Nasarbajew im Mai 2015 einen Plan der 100 (Reform)Schritte in fünf Bereichen: Bildung eines effektiven Staatsapparates, Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit, Förderung von Industrialisierung und Wirtschaftswachstum, Entwicklung von nationaler Identität und Einigkeit sowie Erhöhung der Rechenschaft der Regierung. Die derzeitigen innen- wie außenpolitischen Herausforderungen sind gewaltig, die Ereignisse des Frühjahrs 2016 müssen die Führung beunruhigen. Die Bevölkerung, die lange erstaunlich gelassen auf die Krise und ihre Folgen reagiert hatte, ging, ausgelöst durch das Projekt eines neuen Landgesetzes, erstmals in relativ großer Zahl und in diversen Provinzstädten auf die Straße. Der Staat reagierte wie gewohnt mit Verhaftungen, Beschuldigungen und harten Urteilen, sah sich aber auch gezwungen, das Gesetzesprojekt einzufrieren. Unmittelbar nachdem so die Ruhe wieder hergestellt war, fanden in Aktobe im Westen Kasachstans, wo auch die Proteste gegen das Gesetz ihren Ausgang genommen hatten, zeitgleich mehrere Terroranschläge statt. Die Regierung wurde offensichtlich völlig von den Ereignissen überrascht und macht eine größere salafistische Terrorzelle dafür verantwortlich. Auch wenn offiziell versichert wird, man habe die Lage im Griff, bleibt die Situation im Westen - und vermutlich auch in der Führung des Landes - angespannt. Dies umso mehr, als am 18.07.2016 die innere Ruhe schon wieder erschüttert wurde als ein offenbar islamistischer Einzeltäter mit krimineller Vergangenheit bewaffnet eine Polizeistation in Almaty stürmte und fünf Menschen tötete. Schon im Herbst 2016 wurden die Tatverdächtigen zu harten Strafen verurteilt: Im Falle der Anschläge von Aktobe wurden Freiheitsstrafen von bis zu 25 Jahren wegen Terrorismus verkündet, der Attentäter von Almaty wurde wegen Terrorismus sogar zum Tode verurteilt. Da in Kasachstan ein Moratorium für die Todesstrafe gilt, wird die Strafe wohl in lebenslänglich umgewandelt. Doch fordern derzeit mehrere Politiker und Juristen den Vollzug der Todesstrafe im Falle von Terrorismus. Das Jahr 2017 hat keine neuen islamistischen Anschläge gebracht, aber Arbeiter haben an mehreren Orten versucht, mit Streiks ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen - und wurden dafür juristisch belangt. Sicherheitspolitische Maßnahmen wie auch die sozioökonomische und geopolitische Lage des Landes zu Beginn des Jahres 2018 werden leicht skeptisch und als im Wartestand vor zu erwartenden größeren Veränderungen nach dem Ende der Ära Nasarbajew gesehen. Im Sommer 2018 war die Ermordung eines prominenten Sportlers Anlass über die Schlagkraft der Polizei und notwendige Reformen nachzudenken (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).
Auch in Kasachstan gibt es vereinzelte terroristische Angriffe, zuletzt im Sommer 2016 auf ein Waffengeschäft in Aktöbe und auf eine Polizeistation in Almaty. In Almaty und der Hauptstadt Nur-Sultan (ehem. Astana) müssen Sie mit der üblichen Großstadtkriminalität wie Taschendiebstahl, Raub, Trickbetrügerei, Freikauf aus angeblichen Polizeikontrollen rechnen (AA Reise- und Sicherheitshinweise unverändert gültig seit 23.08.2019, Stand 05.11.2019).
(BMEIA, Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres, Republik Kasachstan, unverändert gültig seit 29.10.2018, Stand 05.11.2019, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/kasachstan
EDA, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten, Reisehinweise für Kasachstan publiziert am 29.03.2019, gültig am 06.11.2019, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/kasachstan/reisehinweise-fuerkasachstan.html
LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/geschichte-staat
AA, Auswärtiges Amt, Kasachstan, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 23.08.2019, Stand 05.11.2019, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kasachstan-node/kasachstansicherheit/206342
ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 135, 28.06.2019,
http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen135.pdf)
Justiz
Die Gesetze sehen keine unabhängige Justiz vor. Die Exekutive beschränkte stark die richterliche Unabhängigkeit. Staatsanwälte genossen eine quasi-richterliche Rolle und haben die Befugnisse gerichtliche Entscheidungen auszusetzen. Korruption war in allen Ebenen der Gerichtsverfahren offensichtlich. Obwohl Richter zu den bestbezahlten Beamten gehörten, behaupteten Rechtsanwälte und Menschenrechtsbeobachter, dass Richter, Staatsanwälte und andere Behördenmitarbeiter Bestechungsgelder, im Gegenzug für günstige Urteile, in vielen Straf- und Zivilverfahren annahmen. Richter wurden für Verstöße gegen die Gerichtsethik bestraft. Laut offiziellen Statistiken wurden in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 zwei Richter wegen Korruptionsstraftaten verurteilt. Am 13.06.2018 verurteilte das Gericht in Shymkent einen Richter des Makhta-Aral Bezirksgerichtes, Herrn Abay Niazbekov, wegen Annahme von Bestechungsgeld und verurteilte ihn zu 4,5 Jahren Freiheitsstrafe und einem lebenslangen Arbeitsverbot in Regierungseinrichtungen sowie staatseigenen Unternehmen. Am 30.01.2018 erwischten Behörden Niazbekov als er Bestechungsgeld in der Höhe von 500.000 Tenge (1.360 US-Dollar) in seinem Büro annahm (USDOS 13.03.2019).
Höchstes Organ der Judikative ist das Oberste Gericht. Nachdem die Finanzkrise 2008 noch ohne größere Erschütterungen bewältigt werden konnte, wurde das verbreitete Bild vom stabilen Kasachstan 2011 erstmals erschüttert. Zum einen gab es mehrere kleinere islamistisch-terroristische Anschläge, bis dahin hatte man das Land als von Islamismus nicht bedroht betrachtet. Zum anderen wurde ein monatelanger Streik von Erdölarbeitern in der Stadt Schanaosen im Gebiet Mangistau am Kaspischen Meer gewaltsam beendet, nachdem man fast neun Monate lang versucht hatte, das Problem auszusitzen, statt es zu lösen. Ablauf und Verantwortlichkeiten sind nach wie vor unklar, klar ist, dass Sicherheitskräfte am 16.12.2011 unerwartet gegen die auf dem Hauptplatz der Stadt versammelten Streikenden und ihre Angehörigen losgingen, Schüsse fielen und mehrere Menschen zu Tode kamen. Eine Aufarbeitung der tragischen Ereignisse ist nach wie vor nicht möglich. Die Führung des Landes reagierte auf diese Ereignisse mit Maßnahmen, die zu einer erheblichen Verschärfung des innenpolitischen Klimas führten. Die gerichtliche Aufarbeitung der Vorgänge wirkte einseitig. Oppositionspolitiker, Journalisten sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie auch der bekannte Theatermacher Bulat Atabajew, die sich im Fall Schanaosen engagiert hatten, wurden verhaftet und strafrechtlich verfolgt. Ob sich die sozioökonomischen Ursachen der Unruhen vor Ort zum Besseren verändert haben, ist umstritten. Gesamtstaatlich reagierte die Führung des Landes, Präsident Nasarbajew, auf diese Herausforderungen mit neuen Programmen und Gesetzen, am bekanntesten die Strategie 2050. 2013 wurde ein neues Anti-Terror-Gesetz, gefolgt von einer Anti-Terror-Strategie, verabschiedet, gefolgt von einem kostenintensiven Programm zur Bekämpfung des religiösen Extremismus und Terrorismus im März 2018. Verschärfungen des Strafrechts beunruhigen Menschenrechtler, weil sie die Grundrechte verletzt und die Tätigkeit von NGOs bedroht sehen. Mehrere politisch motivierte Prozesse unter dem Schlagwort religiöser Extremismus im Jahr 2018 geben zu großer Sorge Anlass (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).
Militärgerichte sind für zivile Angeklagte in jenen Fällen, die in Zusammenhang mit Militärangehörigen stehen, zuständig. Militärgerichte verwenden dasselbe Strafgesetzbuch wie Zivilgerichte (USDOS 13.03.2019).
Am 25.04.2019 hat der Senat fünf Richter des Obersten Gerichtes entlassen, meldet Tengrinews (ZA 28.06.2019).
(USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm
LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/geschichte-staat
ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 135, 28.06.2019,
http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen135.pdf)
Sicherheitsbehörden
Das Innenministerium beaufsichtigt die nationale Polizei, die vor allem für die nationale Sicherheit verantwortlich ist, inklusive Strafverfolgung, Verbrechensverhinderung, Verwaltungsübertretungen und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Die Behörde für Angelegenheiten des öffentlichen Dienstes und Antikorruption hat Kompetenzen in den Bereichen Verwaltungs- und Strafrechtsverfolgung. Das Komitee für nationale Sicherheit (KNB) spielt eine wichtige Rolle in den Bereichen Grenzsicherheit, innere und äußere Sicherheit, Antiterrorkampf sowie bei der Ausforschung und dem Verbot von illegalen oder nicht registrierten Gruppen, wie z. B. extremistische und militärische Gruppierungen, politische Parteien, religiöse Gruppierungen und Gewerkschaften. Im Juli 2017 hat der Präsident Gesetzesänderungen zur Reform der Strafverfolgungsbehörden unterzeichnet, darunter eine Ermächtigung des KNB zur Untersuchung von Korruption bei Offizieren des Geheimdienstes, im Antikorruptionsbüro und beim Militär. Der KNB, Syrbar (Auslandsgeheimdienst) und die Finanz- und Antikorruptionspolizei berichten direkt dem Präsidenten. Viele Regierungsminister unterhielten Internetforen, in denen Bürger Beschwerden einbringen können. Obwohl die Regierung einiges unternahm Beamte zu verfolgen die Missbrauch begingen, existiert immer noch Straflosigkeit, besonders wenn es um Korruption geht oder die Betroffenen persönliche Beziehungen zu Regierungsmitarbeitern pflegen. Eine Person, die als Tatverdächtiger festgenommen wurde, wird zur Vernehmung in eine Polizeidienststelle gebracht. Vor der Vernehmung sollte der Beschuldigte die Möglichkeit haben, sich mit einem Anwalt zu treffen. Sollte innerhalb von 48 Stunden nach einer Verhaftung die Verwaltung der Haftanstalt keine gerichtliche Zustimmung zur Festnahme erwirkt haben, sollte der Festgenommene unverzüglich freilassen werden. Der für den Fall zuständigen Beamten und der Staatsanwalt sind davon in Kenntnis zu setzen. Die Dauer der Untersuchungshaft kann in einer Vielzahlt von Fällen auf 72 Stunden ausgedehnt werden, dazu zählen schwere oder terroristische Straftaten, Bandenkriminalität, Drogenhandel, Sexualdelikte begangen an Minderjährigen und andere. Der Generalstaatsanwalt berichtete, dass durch die Änderungen der Strafprozessordnung im Dezember 2017 die Anzahl der Haftgründe und die Dauer der Untersuchungshaft von 72 auf 48 Stunden reduziert wurden sowie die Zahl der festgenommenen Verdächtigen um 1.500 sank. 83 Prozent der Inhaftierten bleiben nicht länger als 48 Stunden in Gewahrsam. Staatsanwälte berichteten von sechs Fällen willkürlicher Verhaftungen und Inhaftierungen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 (USDOS 13.03.2019).
(USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm)
Folter und unmenschliche Behandlung
Das Gesetz verbietet Folter; dennoch sollen Polizei- und Gefängnisbeamte Häftlinge gefoltert und missbraucht haben. Menschenrechtsaktivisten behaupteten, dass die innerstaatliche rechtliche Definition von Folter nicht mit der Definition von Folter in der UN-Konvention gegen Folter übereinstimmt. Der Nationale Präventivmechanismus (NPM) gegen Folter trat 2014 in Kraft, als der Premierminister Regeln unterzeichnete, welche die Überwachung der Institutionen ermöglichen. Die NPM gehört zum Büro Ombudsmanns für Menschenrechte und ist daher nicht unabhängig von der Regierung. Der Ombudsmann für Menschenrechte berichtete, dass er 135 Beschwerden über Folter, Gewalt und andere grausame und erniedrigende Behandlung und Strafe im Jahr 2017 erhielt. In seinem Bericht von April 2018, Berichtzeitraum Tätigkeit im Jahr 2017, berichtete der NPM, dass es trotz einiger Fortschritte, schwerwiegende Probleme mit Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen sowie in Haftanstalten für vorübergehende Anhaltungen gab. In seinem offiziellen Bericht wies der Generalstaatsanwalt auf 103 Fälle von Folter in den ersten sieben Monaten des Jahres hin, von denen16 Fälle untersucht und an Gerichte weitergeleitet wurden (USDOS 13.03.2019).
Laut den Angaben einer Koalition von im Menschenrechtsbereich tätigen NGOs am 26.06.2019, darunter die Helsinki-Stiftung für Menschenrechte, gab es 2018 in Kasachstan insgesamt 143 gemeldete Vorwürfe wegen Folter und anderer Formen von Misshandlungen im Strafvollzug. Am 18.07.2019 ernannte Präsident Tokajew Arudschan Sain, Gründerin und Direktorin der Stiftung Barmherzigkeit, zur neuen Ombudsfrau für die Angelegenheiten und Rechte von Kindern (ZA 26.07.2019).
Präsident Tokajew ordnete Ermittlungen zu Folter im Gefängnis in Saretschnoje an, nachdem ein Video erschien das mutmaßliche Folter in der Haftanstalt zeigt (EurasiaNet 01.08.2019).
Der stellvertretende Direktor sowie vier Wachleute der Haftanstalt der kasachischen Stadt Zarechny nahe Almaty wurden im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Videos im Internet, welches die Folter eines Gefängnisinsassen durch mehrere Wärter zeigt, verhaftet. Seit langem kritisieren Menschenrechtsorganisationen die Haftbedingungen in kasachischen Gefängnissen, in denen es aufgrund der schwierigen Bedingungen in den letzten Jahren zu zahlreichen Gefängnisaufständen kam (BAMF 05.08.2019).
(USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm
ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 136, 26.07.2019,
http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen136.pdf
EurasiaNet, Kasachstan, Tokajews Kommentare zu Folter könnten ein Signal für eine neue politische Richtung sein, 01.08.2019, https://eurasianet.org/kazakhstan-tokayev-remarks-on-torture-may-signal-new-policy-direction
BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 05.08.2019,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2014113/Deutschland___Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_05.08.2019_%28deutsch%29.pdf)
Korruption
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor. Die Regierung hat das Gesetz nicht effektiv umgesetzt und Beamte wenden häufig ungestraft korrupte Praktiken an. Das Innenministerium, die Behörde für Angelegenheiten des öffentlichen Dienstes und Antikorruption, der KNB und die Disziplinarkommission für den öffentlichen Dienst sind für Korruptionsbekämpfung zuständig. Der KNB untersucht Korruptionsstraftaten die von Mitarbeitern der Sondereinheiten, des Antikorruptionsbüros und des Militärs begangen wurden. Laut offiziellen Statistiken wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres 2018 1.024 Delikte in Zusammenhang mit Korruption registriert. Die häufigsten Straftaten waren Bestechung (52 Prozent), Unterschlagung (21 Prozent) und Machtmissbrauch (17 Prozent). Die Regierung beschuldigte 663 Beamte der Korruption und 1.370 Fälle wurden an Gerichte weitergeleitet. Das Gesetz schreibt Behördenmitarbeitern, Bewerbern für Staatsposten und aus dem Staatsdienst Entlassenen vor, ihre Einkünfte und Vermögenswerte im In- und Ausland jährlich den Steuerbehörden bekannt zu geben. Die gleichen Anforderungen gelten für deren Ehegatten, unterhaltsberechtigte und volljährige Kinder. Ähnliche Vorschriften bestehen für Abgeordnete und Richter. Steuererklärungen sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Das Gesetz sieht bei Nichteinhaltung der Vorschriften Verwaltungsstrafen vor (USDOS 13.03.2019).
Im Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International lag die Republik Kasachstan auf Platz 122 von 180 bewerteten Ländern (TI Index 2017); im Index 2018 auf Platz 124 von 180 (TI Index 2018).
Am 19.06.2019 ratifiziert das Parlament ein Gesetz, nach dem Vorgesetzte in Zukunft für die Korruption ihrer Untergebenen verantwortlich gemacht werden können (ZA 28.06.2019).
Am 10.07.2019 verurteilt ein Gericht in Nur-Sultan die ehemalige stellvertretende Bildungs- und Wissenschaftsministerin Elmira Surchanberdijewa, die Anfang Juni festgenommen worden war, wegen Korruption während ihrer Amtszeit zu einer Strafzahlung von 6,3 Millionen Tenge (16.000 US-Dollar) und einem lebenslangen Arbeitsverbot für den öffentlichen Dienst und staatliche Unternehmen. Am 15.07.2019 verurteilt ein Gericht im Gebiet Akmola fünf hochrangige Polizeibeamte zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und 11 Jahren wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung. Die Beamten sollen über mehrere Jahre systematisch Bestechungsgelder von illegalen Goldsuchern angenommen haben (ZA 26.07.2019).
(TI, Transparency International, Corruption Perceptions Index 2017, http://www.transparency.org/country/KAZ
TI, Transparency International, Corruption Perceptions Index 2018, http://www.transparency.org/country/KAZ
USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm
ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 135, 28.06.2019,
http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen135.pdf
ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 136, 26.07.2019,
http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen136.pdf)
Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Eine Reihe von nationalen und internationalen Menschenrechtsgruppen konnten, mit einem gewissen Grad an Freiheit, Fälle von Menschenrechtsverletzungen untersuchen und ihre Ergebnisse veröffentlichen; dennoch gibt es immer noch einige Beschränkungen bezüglich der Aktivitäten von Menschenrechts-NGOs. Internationale und örtliche Menschenrechtsgruppen berichteten, dass die Regierung NGO-Aktivitäten überwacht, wenn es um sensible Themen und ausgeübten Schikanen geht, einschließlich Polizeibesuchen in und Überwachung von NGO Büros, sowie deren Mitarbeitern und ihren Familienangehörigen. Behördenmitarbeiter sind oft nicht kooperativ oder reagierten nicht auf deren Anliegen. Da vom Außenministerium geleitetet Beratungsgremium (Consultative Advisory Body, CAB) für Dialog über Demokratie, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Gesetzgebung setzte seine Arbeit im Lauf des Jahres fort. Das CAB umfasst neben Ministerien und wichtigen internationalen und inländischen NGOs auch Beobachter internationaler Organisationen. Die "NGO-Community" äußerte sich generell positiv in Bezug auf die Arbeit von CAB, und gab an, dass diese Plattform eine bessere Kommunikation mit der Regierung zu besorgniserregenden Themen ermöglicht. Dennoch konnten sich die Regierung und die NGOs nicht auf Empfehlungen zu Themen einigen, welche von der Regierung als sensibel erachten wurden und einige Bedenken im Bereich der Menschenreche durften nicht zur Diskussion gestellt werden. NGOs berichteten, dass Regierungsstellen einige Empfehlungen annahmen, wobei diese Empfehlungen, laut NGOs, eher technisch als substantiell waren. Das Kazakhstan International Bureau for Human Rights and Rule of Law (KIBHR), Kadyr Kassiyet, das Legal Media Center und PRI gehören zu den am aktivsten in Erscheinung tretenden Menschenrechts-NGOs. Einige NGOs haben gelegentliche Schwierigkeiten beim Erlangen von Büroflächen und technischen Hilfsmitteln. Regierungschefs beteiligten sich, regelmäßig unter Einbeziehung von NGOs, an Gesprächen am runden Tisch und Veranstaltungen zum Thema Demokratie und Menschenrechte (USDOS 13.03.2019).
(USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm)
Menschenrechte
Obwohl Menschenrechtsorganisationen die Situation in Kasachstan nicht nur wegen der Einschränkungen der Pressefreiheit und den Zuständen in der Erdölindustrie schon lange kritisiert hatten, wurde das Land am 12.11.2012 von der UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit für die Zeit von 2013-15 in den UN-Menschenrechtsrat gewählt. Die Menschenrechtssituation hat sich seither nicht verbessert, AI erhebt schwere Vorwürfe gegen Sicherheitsorgane - bis hin zu Folter. Organisatoren von Streiks und Demonstrationen werden unnachgiebig verfolgt (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).
Am 14.03.2019 verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution, in der Kasachstan aufgefordert wird, Menschenrechte zu respektieren, Menschenrechtsverletzungen und allen Formen der politischen Unterdrückung ein Ende zu setzen und politische Gefangene freizulassen (ZA 26.04.2019).
(ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 134, 26.04.2019,
http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen134.pdf
LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/geschichte-staat)
Vereins- und Versammlungsfreiheit, Medien
Die Gesetze sehen beschränkte Vereinsfreiheit vor, aber es gibt erheblichen Einschränkungen dieses Rechts. NGOs berichteten über einigen Schwierigkeiten bei der Registrierung öffentlicher Vereinigungen. Laut Regierungsangaben waren diese Schwierigkeiten auf Unstimmigkeiten in den eingereichten Unterlagen zurückzuführen (USDOS 13.03.2019).
Nach offiziellen Angaben gab es 2016 in Kasachstan 2.673 Massenmedien (Zeitungen und Zeitschriften, Radio- und Fernsehsender, Informationsagenturen, Internetmedien). 27% davon erscheinen auf Kasachisch, fast 39% auf Russisch, 27% in beiden Sprachen. Daneben gibt es auch Medien in mehreren Minderheitensprachen. Dennoch hat Kasachstan kein stark entwickeltes oder gar buntes Medienspektrum. Die Masse der Printmedien ist nur von lokaler oder regionaler Bedeutung, erscheint in geringer Auflage und ist von noch geringerem journalistischem Niveau. Selbst die großen, bekannteren Tages- und Wochenzeitungen sind in Almaty und Nur-Sultan [vormals Astana] nur an bestimmten Kiosken zu kaufen und haben eine relativ kleine Leserschaft. Die Meinungs- und Pressefreiheit wird seit 2012 zunehmend durch staatliche Eingriffe eingeschränkt, seit Frühjahr 2014 auch die Gesetzgebung verschärft. Kritische Zeitungen werden mit Steuerprozessen überzogen oder zu ruinösen Entschädigungszahlungen verurteilt, Websites blockiert; kritische Journalisten nicht nur mit Worten, sondern auch Schlägen eingeschüchtert und strafrechtlich verfolgt. Die wichtigsten einheimischen Fernsehsender sind Chabar, Kazakh TV, KTK, 7. Kanal und Kazakstan. Medien aus der Russischen Föderation sind verbreitet und ihnen wird von vielen Nutzern höhere Glaubwürdigkeit zugesprochen. Ihre große Verbreitung und Wirkung wird allerdings zunehmend kritisch gesehen. Noch ist nicht abzusehen, ob die Schließung von gleich 88 ausländischen TV- und Radiosendern am August 2018 in diesem Zusammenhang steht und endgültig ist (LIP Geschichte und Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).
Am 19.07.2019 verklagte Innenminister Kaschkar Dschuschunaliew die Zeitung Asia Plus wegen Beleidigung und Ehrverletzung, nachdem diese einen Beitrag mit der Überschrift "Ist Kaschkar eine Ratte?" veröffentlicht hatte (ZA 26.07.2019).
Bei Demonstrationen in Nur-Sultan [vormals Astana] und Almaty wurden am 27.02.2019 Medienberichten zufolge einige Demonstranten von kasachischen Sicherheitskräften festgenommen. Einige Demonstranten forderten den Rücktritt des Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Die Protestierenden warfen der kasachischen Regierung vor, die Bedürfnisse und Forderungen der einfachen Leute zu ignorieren. Seit Wochen kommt es in ganz Kasachstan immer wieder zu kleineren Prosteten, die sich gegen die schlechten Lebensbedingungen richten. Auslöser für die Proteste war der Tod von fünf Kindern, die durch ein Feuer im Haus ihrer Familie umgekommen waren. Beide Eltern hatten während der Nacht arbeiten müssen, um die Familie zu ernähren. In der südwestlichen Stadt Schangaösen wurden am 27.02.2019 zwei Journalisten von der Polizei verhaftet und befragt, als sie über einen Prostest der lokalen Bevölkerung berichten wollten (BAMF 04.03.2019).
Laut dem kasachischen Innenministerium sollen am 06.07.2019 bei Protesten in Nur-Sultan und Almaty sowie in weiteren kleineren Städten circa 100 Personen von kasachischen Sicherheitskräften teilweise gewaltsam festgenommen worden sein. Die meisten der verhafteten Personen wurden kurz danach wieder freigelassen. Dem Innenminis