TE Bvwg Beschluss 2019/4/23 W131 2131023-2

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Veröffentlicht am 23.04.2019
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Entscheidungsdatum

23.04.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §33 Abs1

Spruch

W131 2131023-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK über den Antrag der minderjährigen XXXX , geb XXXX , StA Afghanistan, gesetzlich vertreten durch die Mutter, XXXX , vom 18.05.2018 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

A)

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Familie der minderjährigen ledigen Antragstellerin (= ASt = Bf) reiste im Herbst 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Die ASt wurde am 26.04.2016 in Österreich geboren. Für die ASt wurde von ihrer Mutter als gesetzlicher Vertreterin am 11.05.2016 ebenfalls ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Mit Bescheid vom 30.06.2016 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (= belangte Behörde) aus, dass ihr Antrag auf internationalen Schutz "hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" (Spruchpunkt I.) und "gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG [...] hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf [ihren] Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen" wird (Spruchpunkt II.). Ferner sprach sie aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen "gemäß § 57 AsylG" nicht erteilt und "[g]emäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF", eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBI. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt wird, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist. Weiters legte sie gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III).

Gleichzeitig wurde der XXXX als Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem BVwG amtswegig zur Seite gestellt.

2. Gegen diesen Bescheid wurden von Vertretern des bevollmächtigten Vereins zwei Beschwerden (die wortident im Namen der gesamten Familie verfasst wurden) vorbereitet und vom vater bzw der Mutter der ASt unterschrieben, wobei eine am 13.07.2016 und eine am 25.07.2016 per Fax an die belangte Behörde übermittelt wurde. Beide langten fristgerecht bei der belangten Behörde ein. Aus dem Inhalt der Beschwerden ergab sich wahrscheinlich aus dem schlichten Wortlaut, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Abweisung der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten) nicht angefochten sein dürfte, sondern in erster Linie die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten angestrebt wird.

3. Nachdem es sich im vorliegenden Fall um ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG handelt, wurde nicht nur die Beschwerde der ASt samt dazugehörigen Verfahrensakten, sondern auch jene ihrer Familienangehörigen (Eltern und Schwestern) mit Schreiben der belangten Behörde vom 26.07.2016 übermittelt und wurden diese nach anderweitiger gerichtsabteilungsmäßiger Vorzuständigkeit schließlich der hier erkennenden Gerichtsabteilung zugewiesen. Das Beschwerdeverfahren der ASt wurde zur Zahl W131 2131023-1 protokolliert. Bereits im Vorlageschreiben teilte die belangte Behörde mit, dass sie auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung verzichtet.

4. Am 05.05.2017 fand vor dem BVwG eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, an der auch die ASt (sowie ihre übrigen Familienmitglieder) und eine Vertreterin einer Rechtsberatungsorganisation ( XXXX ) ebenfalls teilnahmen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde seitens der Familie vorgebracht, dass beim Verfassen der Beschwerde durch Vertreter des vormals bevollmächtigten Vereins XXXX weder ein Dolmetscher zur Verfügung gestanden, noch der Inhalt der Beschwerde mit ihnen besprochen worden sei. Man sei mit der Beschwerde nicht zufrieden gewesen. Die Beschwerde sei nicht im Sinne der Familie verfasst worden.

5. In weiterer Folge wurde gegen zwei Vertreter des vormals tätigen Rechtsberatungsvereins strafrechtliche Ermittlungen durchgeführt, wobei die Strafverfahren eingestellt wurden.

6. Mit Schreiben vom 18.05.2018, welches am selben Tag sowohl per E-Mail als auch per Fax an das BVwG übermittelt wurde, wurde durch eine neue rechtskundige Vertreterin ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und zugleich die - vorgebracht - versäumte Handlung (Beschwerde (auch) gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) nachgeholt.

7. Mit einem mit Juli 2017 datierten Schreiben legte die belangte Behörde die Beschwerde gegen den Bescheid betreffend den in Österreich nachgeborenen Bruder der Bf (= Nachgeborener) vor, in welcher eindeutig der Status des Asylberechtigten angestrebt wird, siehe dazu das Beschwerdeverfahren des BVwG W131 2163857-1.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

Ausdrücklich wird festgestellt, dass der am 17.05.2017 geborene Bruder der Bf, dieser mit der IFA - Zahl XXXX , zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung am 05.05.2017 bereits Nasciturus gemäß § 22 ABGB war.

Weiters wird festgestellt, dass die Familie der Bf den Iran Richtung Österreich verlassen haben und nicht nach Afghanistan zurückgekehrt sind, somit die Beziehungen der Familie der Bf zumindest aus vergleichbar schwerwiegenden Beziehungen iSd § 9 Abs 3 IPRG zu Afghanistan abgebrochen sind

2. Beweiswürdigung:

Der als Sachverhalt festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus den dem BVwG vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten der Bf und ihrer Familienangehörigen sowie den von der aktuellen Vertretung der Familie verfassten Schriftsätzen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

3.1. Allgemeine Ausführungen

Eingangs sei angemerkt, dass bei Versäumen der Beschwerdefrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung ist und nicht die §§ 71, 72 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (VwGH 28.09.2016, Ra 2016/16/0013). Der VwGH hat allerdings festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar sind (siehe etwa VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0086).

3.2. Gemäß § 33 Abs 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zu Last liegt, hindert die Bewilligung zur Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist im Fall des § 33 Abs 1 VwGVG bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 33 Abs 3 VwGVG). Nach § 33 Abs 4 VwGVG hat bis zur Vorlage die Behörde über den Antrag mit Bescheid, ab Vorlage der Beschwerde das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden.

3.3. Anwendung im konkreten Fall unter Bedachtnahnme auf § 16 Abs 3

BFA-VG

Grundvoraussetzung für eine Wiedereinsetzung ist die Versäumung einer verfahrensrechtlichen Frist wie eben der Bescheidbeschwerdefrist.

Gemäß § 16 Abs 3 BFA - VG ist jedenfalls auch seit BGBl I 2016/17 bis heute idF BGBl I 2018/56 vorgesehen, dass eine rechtzeitige Beschwerde in einem Familienverfahren insb gemäß § 34 AsylG auch nur für einen Familienangehörigen gleichfalls als Beschwerde für alle anderen Familienangehörigen gilt.

Die gegenständliche Bf und Wiedereinsetzungsantragstellerin ist gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrem Vater und weiteren Geschwistern beschwerdeführend in einem Familienverfahren iSd § 34 AsylG, wobei die Bf als Minderjährige gemäß § 34 Abs 6 AsylG mittelbar über ihre Eltern jedenfalls in den Anwendungsbereich des § 34 Abs 3 BFA - VG fällt, soweit es um das Beschwerdeverfahren des Nachgeborenen geht.

Der Nachgeborene wiederum hat nach dem § 34 AsylG wiederum das Recht, dass sich Gründe, die einen Status gemäß § 3 AsylG für seine Schwester und (hier) Bf begründen, sich über § 34 AsylG im Wege seiner Eltern letztlich auch zu seinen Gunsten auswirken.

Da gegenständlich für das Personalstatut des Nachgeborenen § 9 Abs 3 IPRG zu berücksichtigen ist, dass dieser als in Österreich im Kreis seiner Familie Nachgeborener keine Beziehungen zu Afghanistan hat, sondern diese Beziehungen durch die Flucht seiner Eltern und Geschwister aus vergleichbar iSd § 9 Abs 3 IPRG schwerwiegenden Gründen abgebrochen sind, erscheint gegenständlich zusätzlich § 22 ABGB gemäß IPRG einschlägig.

Der Nachgeborene hatte damit bereits als Nasciturus gemäß § 22 ABGB nach dem § 34 AsylG bzw dem § 16 Abs 3 BFA-VG wiederum das Recht, dass sich Gründe, die einen Status gemäß § 3 AsylG für seine Schwester und (hier) Bf begründen, sich über § 34 AsylG im Wege seiner Eltern auch zu seinen Gunsten auswirken. Über die Wertungen des § 22 ABGB erscheint es sachlich, das Regelungssystem aus § 16 Abs 3 BFA - VG und § 34 AsylG auch auf das Verhältnis zwischen der gegenständlichen Bf letztlich (über die geneinsamen Eltern) zum Nachgeborenen anzuwenden.

Da damit die Beschwerde des Nachgeborenen bewirkt, dass (über die Eltern auch der Bf) die Beschwerde der Bf gemäß § 3 AsylG letztlich als rechtzeitig zu beurteilen ist, wurde im Lichte des § 16 Abs 3 BFA - VG keine Bescheidbeschwerdefrist versäumt und erscheint die Beschwerde auch der Bf als rechzeitig.

Mangels Fristversäumung war daher zurückzuweisen.

3.4. Bei diesem Verfahrensstand brauchte nicht mehr ermittelt und erörtert werden, inwieweit der Bf allenfalls mangels relevanten Verschuldens allenfalls Wiedereinsetzung zu gewähren gewesen wäre; bzw inwieweit der ursprüngliche Beschwerdewortlaut dennoch zumindest verbesserbar auch als Beschwerde gemäß § 3 AsylG zu werten gewesen sein könnte.

B) Zur Revisionszulassung

3.5. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision war gegenständlich zuzulassen, weil keine senatsübergreifend verfestigte Rsp des VwGH vorliegt, nach welcher der Rechtsmittelautomatismus - wohl gemäß dem Gesetzeswortlaut - des § 16 Abs 3 BFA-VG greift, wenn im Zeitraum einer für Eltern und minderjährigen Geschwister erhobenen und noch unerledigten Bescheidbeschwerde ein Kind bzw Bruder gemäß § 22 ABGB bereits bedingt rechtsfähig ist, wobei der § 22 ABGB auf Grund des IPR - Prinzips der stärksten Beziehung jedenfalls einschlägig erscheint, und in diesem Zeitraum (der noch offenen Bescheidbeschwerden) auch nachgeboren wird; und für diesen Nasciturus bzw Nachgeborenen jedenfalls rechtzeitig Bescheidbeschwerde (auch im Umfang des § 3 AsylG) erhoben wird.

Schlagworte

Familienverfahren, Minderjährigkeit, Rechtzeitigkeit, Revision
zulässig, Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W131.2131023.2.00

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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