TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/27 95/21/0251

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Veröffentlicht am 27.03.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Robl,

Dr. Rosenmayr, Dr. Baur und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des A A, geboren 1963, vertreten durch Dr. Hermann Fromherz, Dr. Friedrich Fromherz und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwälte in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 3. März 1995, Zl. St 59/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 3. März 1995 wurde gemäß § 54 sowie § 37 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, daß der Beschwerdeführer im Irak gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak sei somit zulässig.

Nach Darstellung des Ablaufes des Verwaltungsverfahrens führte die belangte Behörde - zusammengefaßt - aus, es sei unglaubwürdig, daß der Beschwerdeführer im Irak einer Oppositionsgruppe (der "Schiiten-Partei Al-Dawa") angehöre, deren Mitglieder dort angeblich mit der Todesstrafe bedroht seien. Der Beschwerdeführer habe bei seiner Einvernahme durch die Asylbehörde am 10. November 1994 von dieser Mitgliedschaft nichts erwähnt und selbst in der fremdenpolizeilichen Vernehmung am 23. November 1994 ausdrücklich ausgeführt, während seines Aufenthaltes im Irak keinerlei

"oppositionelle Aktionen gemacht oder sich in dieser Art geäußert"

zu haben. Er habe angegeben, er sei einfach nicht mit dem Regime Saddam Husseins einverstanden gewesen und lehne dieses ab. Er habe, so heißt es in der Bescheidbegründung weiter, seit 1984/85 in Kuwait gearbeitet und problemlos mit seinem irakischen Reisepaß hin- und herreisen können. Er habe sich somit selbst (wie auch in den Schriftsätzen vom 16. und 17. November 1994, die er nach seinen Angaben "blanko" unterschrieben habe und die von ihm helfen wollenden "Privatpersonen" nachträglich ausgefüllt worden seien) als

"eher unpolitischen, lediglich mit dem Regime Saddam Husseins nicht zufriedenen Menschen dargestellt".

In der Niederschrift vom 23. November 1994 habe sich der Beschwerdeführer lediglich als Mitglied der "Partei des islamischen Staates" bezeichnet. Die belangte Behörde halte es daher für unglaubwürdig, daß der Beschwerdeführer aufgrund der behaupteten Zugehörigkeit zu einer im Irak verbotenen oppositionellen Gruppierung einer Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 2 FrG ausgesetzt sein würde.

Was die behauptete Gefährdung gemäß § 37 Abs. 1 FrG wegen seiner behaupteten Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehles im Jahr 1987 bzw. 1989 und der ihm daraus drohenden Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe anlange, sei dem Beschwerdeführer zu entgegnen, daß eine Vorladung zur Einberufung noch nicht mit einer solchen gleichzusetzen sei und "zum anderen jeder Aktualitätsbezug fehlt". Die Deserteuren im Irak drohenden Strafen "wie etwa das Abschneiden eines Ohres und die Brandmarkung durch ein Brandzeichen auf der Stirn" drohten lediglich solchen Militärangehörigen, die bereits zum Militärdienst eingezogen worden seien

(""Fahnenflüchtige", von denen in dem von Ihnen beigebrachten Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 22. Oktober 1994 die Rede ist").

Die belangte Behörde sei daher der Auffassung, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bestünden, die die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak als unzulässig erscheinen ließen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 54 Abs. 1 FrG hat auf Antrag eines Fremden die Behörde mit Bescheid festzustellen, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dieser Fremde in einem von ihm bezeichneten Staat gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht ist. Nach § 37 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß er Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Nach § 37 Abs. 2 FrG ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung eines Fremden in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Falle der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfaßten Staat, dort gegebenen Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 glaubhaft zu machen. Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. November 1997, Zl. 95/21/0425).

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Nach § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage übersichtlich zusammenzufassen. Der im § 45 Abs. 2 AVG zum Ausdruck kommende Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Diese Bestimmung hat nur zur Folge, daß - soferne in den besonderen Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen anderen, insbesondere auch keinen gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt insoweit nicht gebunden, als dieser in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, der Ergänzung bedarf oder bei seiner Ermittlung Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Schließlich unterliegt die Beweiswürdigung der Behörde auch der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes in der Richtung, ob sie alle zum Beweis oder zur Widerlegung strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt und bei Würdigung dieser Umstände (bzw. bei der Gewinnung ihrer Schlußfolgerungen) deren Gewicht nicht verkannt hat. Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes für die Beurteilung der Frage, ob Umstände in diesem Sinne objektiv geeignet (und daher zu berücksichtigen) sind, und ob ihr Gewicht (im Verhältnis zu anderen Sachverhaltselementen) verkannt wurde, sind die Gesetze der Logik und des allgemeinen menschlichen Erfahrungsgutes. Wenn es hingegen nachvollziehbare, mit den Denkgesetzen übereinstimmende Gründe für jede von mehreren in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten gibt, so hat die belangte Behörde nach freier Überzeugung auch zu entscheiden, welcher der in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten sie den Vorzug gibt, (und dies nachvollziehbar zu begründen), ohne daß ihr der Verwaltungsgerichtshof entgegentreten könnte. Welche Sachverhaltsversion im Sinne ihrer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit tatsächlich richtig ist, unterliegt insoweit nicht der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 4. September 1996, Zl. 95/21/0112).

Auf dem Boden dieser Rechtslage ist die Beweiswürdigung der belangten Behörde insoweit unbedenklich, als sie zu der Auffassung gelangte, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft dargetan, daß er wegen der Zugehörigkeit zu einer im Irak verbotenen politischen Gruppierung (der Schiiten-Partei "Al-Dawa") im Sinne des § 37 Abs. 1 und 2 FrG gefährdet bzw. bedroht sei. Bereits im Bescheid der Behörde erster Instanz vom 13. Februar 1995 wurde dem Beschwerdeführer insoweit die Glaubwürdigkeit abgesprochen und darauf verwiesen, daß er bei seiner Einvernahme durch die Asylbehörde am 10. November 1994 keinerlei Erwähnungen dahingehend gemacht habe, einer derartigen verbotenen politischen Partei im Irak angehört zu haben. Der Beschwerdeführer hat zwar sowohl bei seiner fremdenpolizeilichen Einvernahme am 11. November 1994 als auch am 23. November 1994 erklärt, Mitglied der Partei "des islamischen Staates" zu sein, doch im Verwaltungsverfahren nicht behauptet, insbesondere auch nicht in der Berufung gegen den Bescheid der Behörde erster Instanz, daß es sich bei der "Partei des islamischen Staates" und der in den Schriftsätzen angeführten "Schiiten-Partei Al-Dawa" um die idente politische Gruppierung handle. Dies wird erstmals in der vorliegenden Beschwerde vorgebracht, was eine gemäß § 41 VwGG unzulässige Neuerung darstellt. Es ist vielmehr festzuhalten, daß sich der Beschwerdeführer in seiner Berufung gegen den Bescheid der Behörde erster Instanz vom 13. Februar 1995 inhaltlich mit der ihm abgesprochenen Unglaubwürdigkeit bezüglich seiner Zugehörigkeit zu dieser angeführten "Schiiten-Partei Al-Dawa" nicht weiter auseinandergesetzt, sondern konkret nur die ihm von der Behörde erster Instanz auch abgesprochene Gefährdung im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG wegen des von ihm behaupteten Umstandes, sich dem Militärdienst entzogen zu haben, bestritt. Vor dem Hintergrund der weiteren Angaben des Beschwerdeführers, daß er politisch "nicht richtig aktiv gewesen" sei und mit seinem irakischen Reisepaß bis zu seiner nicht mehr erfolgten Rückkehr in den Irak aufgrund seiner angegebenen Vorladung zwecks Zustellung eines Einberufungsbefehles "problemlos hin- und herreisen" habe können, kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie eine Bedrohung bzw. Gefährdung des Beschwerdeführers wegen der Zugehörigkeit zu der "Schiiten-Partei Al-Dawa" als nicht bescheinigt annahm. Dies, zumal der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der vorliegenden Beschwerde jemals behauptet hat, es sei den staatlichen Organen des Irak überhaupt die behauptete Zugehörigkeit zu einer verbotenen politischen Partei im Irak jemals bekannt geworden.

Im übrigen entspricht allerdings der vorliegende Bescheid nicht den oben angeführten, für eine mängelfreie Begründung wesentlichen Verfahrensgrundsätzen. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer nämlich nicht ausdrücklich die Glaubwürdigkeit hinsichtlich seiner weiters aufgestellten Behauptung, es sei im Jahr 1987 bzw. einige Zeit danach neuerlich versucht worden, ihn zur Aushändigung eines Einberufungsbefehles zum irakischen Militär behördlich vorzuladen, abgesprochen. Die belangte Behörde ging erkennbar davon aus, daß Deserteuren im Irak Strafen, "wie etwa das Abschneiden eines Ohres und die Brandmarkung durch ein Brandzeichen auf der Stirn, drohen", jedoch nahm die belangte Behörde aufgrund einer nicht nachvollziehbaren Beweiswürdigung - die diesbezüglichen Beweisquellen bleiben völlig im Dunkeln - an, daß "lediglich solche Militärangehörige, die bereits zum Militärdienst eingezogen wurden", derart im Sinne des § 37 Abs. 1 FrG gefährdet wären. Zutreffend zeigt hier die Beschwerde auf, daß nicht ersichtlich ist, warum diese Gefahr nicht auch für Personen gelten soll, die sich dem Militärdienst durch Nichtbefolgung einer Ladung zur Aushändigung des Einberufungsbefehls entzogen haben. Diesbezüglich hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren eine Ablichtung der Entschließung des Europäischen Parlamentes vom 15. Dezember 1994 vorgelegt, wonach

"unter Hinweis auf den am 25. August 1994 verabschiedeten Erlaß Nr. 115 des revolutionären Kommandorates Iraks, mit dem die Amputation der Ohren für alle Deserteure und alle Personen, die sich dem Militärdienst entziehen sowie für alle diejenigen vorgeschrieben wird, die einer sich dem Militärdienst entziehenden Person bzw. einem Deserteur Unterschlupf gewähren". (Unterstreichung nicht im Original)

Demgemäß war der Bescheid insoweit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, weil unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens und der Aktenlage nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei ihrer Vermeidung zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1995210251.X00

Im RIS seit

20.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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