Entscheidungsdatum
10.09.2019Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W208 2199482-1/10E
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 01.07.2019 MÜNDLICH VERKÜNDETEN Beschlusses
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit AFGHANISTAN, vertreten durch XXXX , dieser vertreten durch ARGE RECHTSBERATUNG DIAKONIE UND VOLKSHILFE, gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL, Regionaldirektion Kärnten vom 30.05.2018, Zl. 1093263702-151662152, beschlossen:
A)
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach schlepperunterstützter und unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 31.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG) gestellt.
2. Am 31.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Befragung statt, bei der er in der Sprache Farsi zum Fluchtweg und Fluchtgrund befragt wurde.
3. Bei der Einvernahme des BF am 09.02.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) kamen der Behörde Zweifel an der Prozessfähigkeit des BF. Aufgrund einer vorgebrachten möglichen medizinischen Beeinträchtigung des BF wurde eine Aufforderung zur medizinischen Untersuchung sowie die Übermittlung der aktuellen Befundlage durch seinen behandelnden Arzt mit der Frist von 14 Tagen festgelegt und dem BF ein entsprechendes Parteiengehör ausgehändigt.
4. Am 13.03.2018 wurde ein fachärztlicher neurologischer Befundbericht erstattet, wonach beim BF der Verdacht auf eine funktionelle Gedächtnisstörung bestehen würde. In einer weiteren fachärztlichen psychiatrischen Stellungnahme vom 03.04.2018 wurde überdies ausgeführt, dass die Errichtung einer Sachwalterschaft (nunmehr: Erwachsenenvertretung) für den BF für dringend erforderlich gehalten werde.
5. Daraufhin regte das BFA am 06.04.2018 die Bestellung eines Erwachsenenvertreters beim Bezirksgericht XXXX (im Folgenden: BG) an.
6. Das BFA hat mit dem im Spruch angeführten Bescheid vom 30.05.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem BF gemäß § 8 Abs 1 iVm § 34 Abs 3 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 29.05.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid wurde dem BF am 04.06.2018 zugestellt.
7. Mit Beschluss des BG vom 19.06.2018 (ON 5) wurde XXXX , XXXX , zum Verfahrenssachwalter und einstweiligen Sachwalter (nunmehr: Erwachsenenvertreter) gemäß § 120 AußStrG für die Vertretung des BF für das Ermittlungsverfahren des BFA bzw. bis zur Beendigung des Asylverfahrens bestellt.
8. Gegen den im Spruch angeführten Bescheid wurde von der gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG dem BF zur Seite gestellten und im Spruch genannten Rechtsberatungsorganisation (Vollmacht und Zustellvollmacht vom 13.06.2018) am 22.06.2018 beim BFA Beschwerde eingebracht.
9. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 26.06.2018 vom BFA vorgelegt.
10. Mit Beschluss des BG vom 10.08.2018 (Beilage 1/VHS) wurde die begründete einstweilige gerichtliche Erwachsenenvertretung eingestellt. Begründend wurde darin im Wesentlichen ausgeführt, dass nach Zuerkennnung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den BF, die Aufrechterhaltung des gegenständlichen Verfahrens nicht notwendig sei und keine weiteren Vertretungshandlungen vorliegen würden, welche durch einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter wahrgenommen werden müssten.
11. Mit Ladungen vom 27.03.2019 wurde vom BVwG eine Verhandlung in der Sache anberaumt und der BF darauf hingewiesen, welche aktuellen Länderinformationen in das Verfahren eingebracht und falls nicht bekannt angefordert werden oder Akteneinsicht genommen und eine Stellungnahme abgegeben werden kann.
12. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 01.07.2019 eine öffentliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein, seines Bruders (W208 2199487-1) und seiner Nichte (W208 2199485-1), sowie einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi und seiner bevollmächtigten Vertretung persönlich teilnahm, zu den Fluchtgründen und zur Person befragt wurde, sowie Stellung nehmen konnte.
Mit Beschluss des BG vom 09.05.2019 (Beilage 2/VHS) wurde der oben genannte Erwachsenenvertreter gemäß § 119 AußStrG zum Rechtsbeistand in dem Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters geprüft wird, bestellt und gemäß § 120 AußStrG zum einstweiligen Erwachsenenvertreter für die Vertretung des BF im Verfahren zur Verlängerung seines Aufenthaltstitels bestellt.
Mit Schreiben vom 28.06.2019 gab der Erwachsenenvertreter die Bevollmächtigung der im Spruch genannten Rechtsberatungsorganisation zur Vertretung des BF im Beschwerde- und auch im weiteren Rechtsmittelverfahren bekannt (vgl Beilage 3/VHS).
Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsschrift wurde dem BFA übermittelt.
Nach Schluss der Verhandlung wurde der gegenständliche Beschluss verkündet.
13. Mit Schriftsatz vom 17.07.2019 wurde ein Antrag auf schriftliche Ausfertigung vom Vertreter des BF gestellt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen
Am 06.04.2018 regte das BFA die Bestellung eines Erwachsenenvertreters für den BF beim BG an.
Der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 30.05.2018 wurde dem BF am 04.06.2018 zugestellt.
Die Bevollmächtigung der Rechtsberatung erfolgte mit Vollmacht vom 13.06.2018, ohne dass dem BF bewusst war, dass er einen - hinsichtlich Spruchpunkt 1. - negativen Bescheid bekommen hatte und ohne dass er wusste, was das bedeutet.
Am 19.06.2018 wurde für den BF ein Erwachsenvertreter zur Vertretung im Ermittlungsverfahren des BFA bzw. bis zur Beendigung des Asylverfahrens bestellt.
Festgestellt wird, dass der BF zum Zeitpunkt der Zustellung des oben genannten Bescheides am 04.06.2018 nicht prozessfähig war.
2. Beweiswürdigung:
Da aus dem, dem Beschluss vom 19.06.2018 zugrundeliegenden neurologischen und psychiatrischen Befundberichten hervorgeht, dass der BF seit seiner Kindheit an einem "anamnestisch eingeschränkten Neuzeitgedächtnis" (Befundbericht vom 13.03.2018; AS 85), an einer "psychischen Störung aufgrund einer Funktionseinschränkung des Gehirns F06.8, leichter mittelgradiger Intelligenzminderung F70/F71, Kombinierter Störung schulischer Fertigkeiten leidet und angeführt
ist, dass sich die Defizite " ... auf fast alle Lebens- und
Funktionsbereiche, wie etwa Kognition, exekutive Funktionen, Tagesplanung, Zusammenhängen, Rechnen, Schreiben und Lesen ..."
beziehen (Fachärztliche Stellungnahme vom 03.04.2018; AS 95), geht das BVwG davon aus, dass der BF bereits zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides (04.06.2018), zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung (13.06.2018) und zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung (22.06.2018) nicht prozessfähig iSd § 9 AVG war und nach wie vor ist.
Dass der BF zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides der belangten Behörde nicht in der Lage war, Bedeutung und Tragweite eines Verwaltungsverfahrens und der sich in diesem ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen und daher nicht prozessfähig war, ergibt sich aus dem fachärztlichen neurologischen Befundbericht vom 13.03.2018, der fachärztlichen psychiatrischen Stellungnahme vom 03.04.2018 sowie aus dem daraus resultierenden Beschluss des BG vom 19.06.2018.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Zuständigkeit und dem Verfahren
Gemäß § 6 BVwGG liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu Spruchteil A)
3.2. Zur Zurückweisung
3.2.1. Die Zulässigkeit einer Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG setzt einen tauglichen Anfechtungsgegenstand, somit die wirksame Erlassung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde, voraus.
Die - an den BF als Zustellungsempfänger verfügte - Zustellung des Bescheides vom 30.05.2018 an den BF wäre nur dann rechtswirksam, wenn der BF im Zeitpunkt der Zustellung prozessfähig gewesen wäre.
Gemäß § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten, insoweit sie in Frage steht, von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Es gilt der Grundsatz, dass die Rechtsfähigkeit, die Parteifähigkeit und die Handlungsfähigkeit die Prozessfähigkeit begründen (vgl VwGH 25.05.1993, 90/04/0223). Die Handlungsfähigkeit ist die Fähigkeit durch Willenserklärung gegenüber der Behörde Rechtsfolgen auszulösen (vgl VwGH 30.03.1993, 92/08/0183).
Für die prozessuale Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (zuletzt VwGH 28.04.2016, Ra 2014/20/0139, siehe auch VwGH 20.02.2002, 2001/08/0192).
Das Fehlen der Prozessfähigkeit nach § 9 AVG ist als Vorfrage in jeder Lage des Verfahrens und von Amts wegen wahrzunehmen. Hat die Behörde hinsichtlich des Vorliegens der Prozessfähigkeit einer Partei Bedenken, so hat sie die Frage - idR durch Einholung eines Sachverständigengutachtens - von Amts wegen zu prüfen. Bei Bestätigung der Bedenken hat die Behörde nach § 11 AVG vorzugehen, das heißt die Bestellung eines Sachwalters beim zuständigen (Pflegschafts-)Gericht zu veranlassen (vgl zu allem die hg Erkenntnisse vom 28. April 2016, Ra 2014/20/0139, mwN, und vom 6. Juli 2015, Ra 2014/02/0095). Gemäß § 17 VwGVG 2014 iVm §§ 9, 11 AVG gelten diese Ausführungen auch für das BVwG (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).
Die Sachwalterbestellung wirkt insofern konstitutiv, als ab ihrer Wirksamkeit die Prozessfähigkeit und Handlungsfähigkeit der besachwalterten Person im dort umschriebenen Ausmaß keinesfalls mehr gegeben ist (VwGH 16.11.2012, 2012/02/0198).
War die Partei schon bei Zustellung des verwaltungsbehördlichen Bescheids prozessunfähig, führt dies zur Unwirksamkeit der verfahrensrechtlichen Akte der Behörde (hier des Bescheides vom 30.05.2018) Schon aus diesem Grund hat das BVwG nicht über die ihm vorliegende Beschwerde zu entscheiden, sondern ist diese (als unzulässig) zurückzuweisen (VwGH 20.12.2016, Ra 2015/01/0162).
3.2.2. Im vorliegenden Fall war der BF - wie oben festgestellt und in der Beweiswürdigung ausgeführt - zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides der belangten Behörde nicht in der Lage, Bedeutung und Tragweite eines Verwaltungsverfahrens und der sich in diesem ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen und daher nicht prozessfähig.
Die an ihn erfolgte Zustellung des verfahrensgegenständlichen Bescheides war deswegen aufgrund der bei ihm zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegenen Prozessfähigkeit rechtsunwirksam. Dies hat zur Folge, dass der Bescheid rechtlich nicht existent geworden ist.
Da der Bescheid vom 30.05.2018 nicht rechtwirksam erlassen wurde, richtet sich Beschwerde vom 22.06.2018 somit gegen eine Erledigung, die kein tauglicher Anfechtungsgegenstand für eine Beschwerde ist, und ist deshalb wegen Unzuständigkeit des BVwG als unzulässig zurückzuweisen.
Dass die gerichtliche Erwachsenenvertretung in der Folge mit Beschluss vom 10.08.2018 - weil sowohl das BG als auch der Erwachsenenvertreter fälschlich angenommen haben, das Verfahren sei rechtskräftig beendet - aufgehoben wurde, ändert nichts an der oa. Tatsache, der festgestellten Prozessunfähigkeit zum Zustellungszeitpunkt.
Die neuerliche Bestellung eines Erwachsenvertreters mit Beschluss des BG vom 09.05.2019 und die nunmehrige nachträgliche Genehmigung der Bevollmächtigung und der Beschwerde durch den Erwachsenenvertreter kann die mangelhafte Prozessfähigkeit zum Zustellzeitpunkt an den BF nicht sanieren.
Der Antrag des BF ist nach dieser Entscheidung wieder als offen zu betrachten und wird unter Beiziehung des Erwachsenenvertreters bzw dem von diesem bevollmächtigten Vertreter eine Neubeurteilung der Lage des BF (allenfalls unter Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens) zu treffen sein.
3.3.3. Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B):
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auf die oa Judikatur des VwGH wird hingewiesen.
Schlagworte
Erwachsenenvertreter, Prozessfähigkeit, RechtswidrigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W208.2199482.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.05.2020