Entscheidungsdatum
11.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W136 2199111-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2018, Zl. 1105435908-160230456, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.09.2019, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 13.02.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am folgenden Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass es in seiner Heimatregion Bombenanschläge sowie Selbstmordattentate geben würde und es nicht mehr sicher sei. Er sei mit seiner Familie in den Iran geflüchtet, aber wieder nach Afghanistan abgeschoben worden. Deshalb habe er es nun alleine versucht. Er könnte in Afghanistan nicht bleiben. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen teilte er mit, dass er vor den Taliban Angst habe. Konkrete Hinweise auf eine ihm in der Heimat drohende unmenschliche Behandlung oder Strafe bzw. die Todesstrafe verneinte er.
Am 09.06.2016 wurde der Beschwerdeführer durch eine Verfahrensanordnung gemäß §°29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 über das Führen von Konsultationen mit Kroatien informiert. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.06.2016, Zl. 1105435908/160230456, wurde der Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 61 Abs. 1 Z 1 FPG als unzulässig zurückgewiesen und die Abschiebung nach Kroatien für zulässig erklärt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.07.2016, W 185 2129352-1/3E, wurde seiner rechtzeitigen Beschwerde stattgegeben und der bekämpfte Bescheid gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG behoben.
Nach der Zulassung seines Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 12.04.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass seine Frau drei bis vier Affären gehabt habe. Eine Beziehung habe sie mit einem Ortspolizisten und eine weitere mit XXXX , dem Sohn von XXXX gehabt, der Verbindungen zu hohen Gerichten gehabt und alle Taliban gekannt habe. Wenn seine Frau diesen Personen etwas gesagt hätte, hätten die ihn umgebracht. Er habe sich deswegen auch nicht scheiden lassen können. Sein Schwager hätte seine Ehefrau wegen der Ehre und auch die Taliban hätten sie getötet. Außerdem würde er befürchten, dass die Taliban von den in seinem Besitz befindlichen Fotos von XXXX erfahren und dass XXXX ihn deshalb aus Angst mit dem Leben bedrohen könnte. Er sei auch im Bundesgebiet bedroht worden. Jene Person, welche ihn in der Heimat bedroht habe, sei in Österreich. Es würde sich um XXXX , den Bruder seiner Frau handeln. Dem Beschwerdeführer wurden seine Angaben zu seinen Fluchtgründen im Rahmen der Erstbefragung und seine beiden Vorbringen vorgehalten, wonach in seinem Heimatdorf weder Telefon noch Internet funktionieren bzw. dass sich außer seinem Cousin keine Angehörigen im Bundesgebiet aufhalten würden, welche seinen Aussagen widersprechen, dass seine Frau Sexkontakte über Telefon und Internet gehabt haben und sein Schwager, der ihn bedroht habe, nunmehr in Österreich sein soll. Dazu gab er an, er habe nicht gesagt, dass es in seinem Dorf kein Internet oder Telefon geben, sondern dass alles langsamer funktionieren würde. Und den Schwager habe er nicht erwähnt, weil dieser nicht zu seiner Familie gehören würde. Die Frage, ob er an einem anderen Ort in seiner Heimat leben könnte, verneinte er und erklärte, dass er sogar in Europa bedroht worden sei. Er sei im Bundesgebiet mit dem Tod bedroht und von der Polizei mit der Aufforderung weggeschickt worden, mit einem Dolmetscher wieder zu kommen. Wie er danach mit seinem Chef gesprochen habe, habe dieser ihn damit beruhigt, dass ihm in Europa niemand etwas tun würde bzw. könnte. Darauf hingewiesen, dass sein Cousin als Dolmetsch fungieren hätte können, teilte er mit, dass er nicht weggeschickt worden, sondern selbst gegangen sei. Sein Cousin würde arbeiten und keine Zeit für ihn haben. Und die Caritas und sein Betreuer hätten ihm nicht helfen können. Seine Beraterin habe ihm vielmehr gesagt, dass er sich in Europa keine Sorgen machen müsste, dass die Polizei in der Nähe und er in Sicherheit sei. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen verwies er darauf, dass er mit dem Tod bedroht worden sei und alles erzählt habe. Befragt, weswegen seine Angehörigen nach wie vor in der Heimat leben könnten, erwiderte er, dass es sein persönliches Problem sei und die Familie nichts damit zu tun hätte. Darauf hingewiesen, dass seine Familie im selben Dort wohnen würde, wie seine Exfrau und seine Mutter diese beim Ehebruch ertappt habe, antwortete er, dass seine Familie auch bedroht worden sei, dass die Nachbarn aber verhindert hätten, dass seinen Angehörigen etwas geschieht, weil sie nichts damit zu tun hätten.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.04.2018, durch Hinterlegung zugestellt am 03.05.2018, wurde der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, stellte die Identität des Beschwerdeführers fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, eine lebensnahe und glaubhafte Fluchtgeschichte vorzubringen. Er habe lediglich unglaubhafte und - wie bereits beweiswürdigend festgestellt - gesteigerte Schutzbehauptungen als Fluchtgründe angeführt. Den wiederholten Aufforderungen, seine Fluchtgründe konkret, im Detail und unter Angabe der genauen Umstände wiederzugeben, sei er in keinster Weise nachgekommen. Er sei vielmehr bei seinen vagen, widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Angaben geblieben und habe letztlich versucht, diese noch zu steigern. So sei absolut nicht nachvollziehbar, wie seine vermeintliche Ehefrau übers Internet sexuelle - außereheliche - Beziehungen anknüpfen sollte, wenn in seinem Heimatdorf weder Internet noch Telefon funktionieren würden. So hätte der Beschwerdeführer nämlich nur über seinen Bruder Kontakt in die Heimat gehabt, der zuvor nach Kabul kommen habe müssen. Dies würde sich aber auch auf die telefonische Scheidung von seiner Ehefrau niederschlagen. Ebenso sei es vollkommen lebensfremd, dass ihm wegen des Ehebruchs seiner Ehefrau eine Verfolgung durch die Taliban drohen würde, zumal eher das Gegenteil zu erwarten sei, nämlich eine Verfolgung der ehebrechenden Frau. Ferner sei es nicht nachvollziehbar, wie seine gesamte Familie (unter den behaupteten Umständen) im gleichen Dorf weiterleben könnte, in dem auch seine vermeintliche Exfrau mit deren Familie lebt. Zusammengefasst würde die Behörde daher zum Schluss kommen, dass er in seinem Verfahren erheblich konstruieren und manipulieren würde, dass seine Angaben absolut lebensfremd sowie nicht nachvollziehbar und demgemäß vollkommen unglaubhaft seien. Davon abgesehen könnten keinerlei Anhaltspunkte gefunden werden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Verfolgungsgefährdung iSd. Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Er sei ein gesunder, junger und arbeitsfähiger Mann, der in seiner Heimat als Landwirt und Schneider gearbeitet habe und in der Lage gewesen sei, in der Heimat sein Auslangen zu finden. Ferner würde seine Familie über landwirtschaftliche Grundstücke mit Ernteerträgen verfügen, sodass diese ihm Unterstützung zukommen lassen könnte.
Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 26.04.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnen Betreuung als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht eine Beschwerde erhoben, welche am 01.06.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde im Zuge einer Wiederholung des Sachverhalts bzw. seines bisherigen Fluchtvorbringens im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer Verfolgung aufgrund einer ihm von den Taliban unterstellten verwestlichten und oppositionellen politischen Gesinnung sowie aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Personen, die gegen die vorherrschenden sozialen und religiösen Normen in Afghanistan verstoßen, drohen würde, sobald die Taliban von der außerehelichen Beziehungen seiner Exfrau erfahren und bemerken, dass er darüber Bescheid gewusst und auch Nacktfotos von einem Liebhaber seiner Exfrau habe. Aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage sei auch nicht davon auszugehen, dass von den staatlichen Stellen in Afghanistan Schutz geboten werden könnte. Davon abgesehen wäre der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat nicht in der Lage seinen Lebensunterhalt auf sich alleine gestellt zu bestreiten, sodass die Gefahr bestehen würde, dass er in eine ausweglose Lage gerät. Er könnte nämlich nicht auf eine finanzielle Unterstützung durch seine Verwandten zählen. Außerdem würde für ihn das reale Risiko einer Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK bestehen, zumal die Sicherheitslage im gesamten afghanischen Staatsgebiet den auszugsweise angeführten Berichten und Entscheidungen des BVwG zufolge überaus prekär und angespannt sei. Es wäre ihm daher zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen.
Mit Schreiben vom 08.06.2018 wurde seitens des Beschwerdeführers eine Beschwerdeergänzung eingebracht. Darin wurde im Wesentlichen auf die Unstimmigkeiten bezüglich der Internet- und Telefonverbindung in seinem Heimatdorf, insbesondere im Zusammenhang mit der behaupteten telefonischen Scheidung von seiner Frau und auf Abweichungen beim Geburtsdatum seines Sohnes eingegangen bzw. wurde zu den Vorwürfen der Behörde in Hinblick auf sein Fluchtvorbringen zusammenfassend vorgebracht, dass es sich nach dem vorgelegten Jetverlauf bei der virtuellen Konversation zwischen seiner Exfrau und deren Liebhaber um eine Art von "Sex übers Internet" gehandelt habe und dass sie zwar "Fake-Namen" verwendet hätten, jedoch sei ihr diese Unterhaltung eindeutig zuordenbar, weil es sich um ihr Handy handeln würde. Hinsichtlich der bereits angeführten Bedrohungen gegenüber seiner Familie seien weitergehende Schritte und Konsequenzen nur durch das Einschreiten von Nachbarn verhindert worden. Außerdem würde sich die Verfolgung in erster Linie gegen den Beschwerdeführer richten, der im Besitz der Nacktfotos und Jetverläufe sei. Auch die seitens der Behörde für unglaubwürdig gehaltenen Drohungen des Bruders seiner Exfrau könnte er durch Tonbandaufnahmen belegen. Zusammengefasst habe der Beschwerdeführer ein stringentes und nachvollziehbares Vorbringen erstattet und könnten die seitens der Behörde aufgegriffenen vermeintlichen Widersprüche bei objektiver Betrachtung entweder als bloße Scheinbegründungen gewertet oder leicht aufgeklärt werden, wozu die gegenständliche Beschwerdeergänzung dienen würde.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 21.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Mit Schreiben vom 28.08.2019 wurden der Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.09.2019 geladen.
Am 23.09.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari mit der beschwerdeführenden Partei und deren Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die beschwerdeführende Partei im Detail zu ihren Fluchtgründen befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom 13.02.2016, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.09.2019, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er stammt aus XXXX , Distrikt Jalrez, der Provinz Wardak. Seine Muttersprache ist Farsi und er spricht noch Dari.
Er ist geschieden, hat zwei Söhne, ist arbeitsfähig und leidet an keinen schweren bzw. lebensbedrohlichen Erkrankungen. In seiner Heimat leben zumindest noch seine Eltern sowie ein Bruder. Weiters leben noch ein Onkel väter- und ein Onkel mütterlicherseits in seiner Heimat. Auch wenn aktuell kein regelmäßiger Kontakt besteht, ist es nicht völlig auszuschließen, dass er im Rahmen seiner Rückkehr zu seinen Verwandten wieder Kontakt erhalten und schließlich Unterstützung finden wird.
Es ist - aufgrund der Erfahrungen aus zahlreichen Einvernahmen von afghanischen Staatsbürgern - eine gerichtsnotorische Tatsache, dass afghanische Familien wegen der schwachen staatlichen Sozialstrukturen in der Regel mehrere Kinder haben und enge Beziehungen zu ihrer erweiterten Großfamilie pflegen auf deren Netzwerk sie auch angewiesen sind.
Der Beschwerdeführer kann auf das soziale Netzwerk seiner Familie vor Ort und auf die Unterstützung der Großfamilie (Onkel/Tanten und deren Nachkommen in der Heimatprovinz) bzw. seiner Freunde zurückgreifen, die ihn aufgrund der modernen Kommunikationsmittel und des Bankwesens finanziell und mit ihren Kontakten auch aus der Ferne unterstützen können.
In Österreich hat der Beschwerdeführer keine besonderen verwandtschaftlichen oder sozialen Anknüpfungspunkte. Zu seinem im Bundesgebiet lebenden Cousin besteht kein intensiver Kontakt. Er ist nicht fortlaufend berufstätig, lebt von der Grundversorgung und verfügt lediglich über einfache Deutschkenntnisse. Sein Freundeskreis besteht hauptsächlich aus Personen mit Migrationshintergrund bzw. erst kurzzeitigen Freundschaften (vgl. VH vom 23.09.2019: "Ich habe B1 gelernt, aber ich habe nicht viel[e] Kontakt mit Leuten.").
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan Verfolgung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf Grund seiner ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. wegen seiner politischen Gesinnung durch den afghanischen Staat bzw. durch den jeweiligen Machthaber (insbesondere durch die Taliban) oder irgendwelche Privatpersonen (Liebhaber seiner geschiedenen Ehefrau bzw. deren Bruder) im Herkunftsgebiet droht.
Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat würde er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29. Juni 2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wird auszugsweise wie folgt angeführt:
Allgemeine Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil. Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen.
Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen.
Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu.
Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen. Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder.
Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten.
Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.
Balkh
Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf
1.382.155 geschätzt. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana (Provinzhauptstadt Faryab) und Pul-e-Khumri (Provinzhauptstadt Baghlan); sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.
Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren. Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren.
Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.
Im Zeitraum 11. Jänner 2017 bis 30. April 2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.
Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1. Jänner 2017 bis 15. Juli 2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16. Juli 2017 bis 31. Jänner 2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert.
(Maidan) Wardak
Die Provinz Wardak, auch bekannt als Maidan Wardak, grenzt im Norden an Parwan und Bamyan, im Osten an Kabul und Logar und im Süden und Westen an Ghazni. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Chak-e-Wardak, Daimir Dad, Hissa-e-awali Behsud, Jaghatu, Jalrez, Markaz-e-Behsud, Maidan Shahr, Nerkh, Sayyid Abad (CSO 2019; vgl. IEC 2018w, UNOCHA 4.2014w, NPS o.D., OPr 1.2.2017). Die Provinzhauptstadt ist Maidan Shahr, die sich etwa 40 Kilometer südwestlich von Kabul befindet (WP 26.10.2016; vgl. OPr 1.2.2017).
Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Wardak für den Zeitraum 2019-20 auf 648.866 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara (OPr 1.2.2017; vgl. NPS o.D.).
Wardak ist aufgrund seiner strategischen Position - unter anderem kreuzen hier die Autobahn Richtung Westen und Osten, sowie Norden und Süden - und der Nähe zu Kabul eine bedeutsame Provinz (ARN 23.6.2019). Die Autobahn Kabul-Kandahar durchquert die Distrikte Maidan Shahr, Narkh und Saydabad (UNOCHA 4.2014w). Im Juni 2019 kündigte der afghanische Transportminister an, dass ein Stück der Straße nun asphaltiert würde (AN 30.6.2019). Eine Provinzstraße führt von Maidan Shahr nach Bamyan durch die Distrikte Jalrez, Hesa-e Awal-e Behsud, Markaz-e Behsud und den Haji-gak-Pass (UNOCHA 4.2014w). Die Taliban sind entlang dieser Straße präsent, dort kam es in der Vergangenheit zu Fällen von Erschießungen oder Entführungen von Passagieren (DA 11.6.2019; vgl. RY 2.6.2019; NYT 18.8.2018; WZ 4.1.2018), das Sammeln von "ushr" (eine prozentuelle Steuer - Anm.) (PAJ 5.11.2018). In gewissen Distrikten - wie z.B. Sayyid Abad und Daimir Dad - sollen die Taliban Posten auf der Autobahn aufgestellt haben (UNSG 7.12.2018; vgl. PAJ 27.10.2018; AP 7.10.2018; UNAMA 11.2018). Im Rahmen der Parlamentswahlen im Oktober 2018 sollen die Taliban in Maidan Wardak zudem Straßensperren errichtet haben, um die Bewohner vom Wählen abzuhalten (UNAMA 11.2018).
Laut dem UNODC Opium Survey 2018 hat die Provinz Wardak seit 2013 den Status "schlafmohnfrei" (UNDOC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Die Sicherheitslage in der Provinz Maidan Wardak hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Aufständische der Taliban sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten aus (KP 19.7.2019; vgl. KP 2.7.2019; DA 11.6.2019; KP 22.4.2019; KP 30.12.2018).
In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Wardak in der Verantwortung des 203. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. KP 4.7.2019), das der Task Force Southeast unter der Leitung von US-Truppen untersteht (USDOD 6.2019).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz (Maidan) Wardak gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 224 zivile Opfer (88 Tote und 136 Verletzte) in der Provinz Wardak. Dies entspricht einer Steigerung von 170% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Selbstmordanschlägen und Sprengstoffanschlägen (UNAMA 24.2.2019).
In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen (z.B. KP 9.8.2019; KP 6.8.2019; KP 19.7.2019; KP 2.7.2019; KP 20.6.2019;
XI 29.5.2019; KP 21.5.2019; KP 22.4.2019; BN 28.5.2019; AJ 10.3.2019; PAJ 23.1.2019; KP 30.12.2018; ARU 11.10.2018; AT 9.10.2018; TN 26.9.2018). Dabei werden manchmal Aufständische getötet (z.B. KP 6.8.2019; KP 2.7.2019; KP 20.6.2019; XI 29.5.2019; KP 21.5.2019; KP 22.4.2019; BN 28.5.2019) und manchmal Gefangene der Taliban befreit (AN 20.6.2019).
Die Taliban griffen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte an und es kam zu Gefechten mit den Regierungstruppen, was zu Opfern unter den Sicherheitskräften und den Aufständischen führte (z.B. FRP 29.7.2019; ARN 23.6.2019; AN 29.5.2019; TN 9.9.2018; KP 20.10.2018; KP 30.12.2018). Der prominenteste Angriff war eine Autobombe der Taliban auf eine Basis des NDS in der Nähe der Provinzhauptstadt (NYT 21.1.2019; vgl. GN 21.1.2019).
Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen auch Zivilisten zu Schaden (z.B. BAMF 15.7.2019; AJ 10.3.2019; PN 9.3.2019; PAJ 23.1.2019; TN 21.1.2019; PAJ 27.10.2018; RFE/RL 27.10.2018; AT 9.10.2018; TN 26.9.2018; PAJ 24.9.2018; PAJ 7.9.2018).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 3.199 Vertriebene aus der Provinz Wardak, von denen die meisten in der Provinz selbst und die übrigen in die benachbarten Provinzen Kabul und Ghazni vertrieben wurden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 945 Binnenvertriebene aus Wardak, die sich größtenteils in der Provinz selbst, sowie in geringerem Ausmaß in Kabul (35) niederließen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 2.205 Binnenvertriebene, welche sich in Wardak niederließen und vor allem aus der Provinz selbst (2.156), sowie aus Kandahar (49) stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 910 konfliktbedingt in die Provinz Wardak vertriebene Personen, die allesamt aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Taliban
Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF- Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).
Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).
Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US- amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens- Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).
Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).
Kabul
Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan. im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman. an Nangarhar im Südosten. an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar. Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).
Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).
In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen. Tadschiken. Hazara. Usbeken. Turkmenen. Belutschen. Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an. dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten. Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).
Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage
Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:
Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).
Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.
Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul
Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul
Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).
Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).
Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).
Tadschiken
Die Dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte (CRS 12.1.2015; vgl. LIP 5.2018); und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Sie machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (LIP 5.2018). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan bilden Tadschiken in weiten Teilen Afghanistans ethnische Inseln. namentlich in den größeren Städten:
In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (LIP 5.2018). Aus historischer Perspektive identifizierten sich Sprecher des Dari-Persischen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien. etwa Siedlungsgebiet oder Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel käboli (aus Kabul). heräti (aus Herat). mazäri (aus Mazar-e Scharif). panjsheri (aus Pajshir) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name täjik (Tadschike) bezeichnete traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Der Hauptführer der "Nordallianz". einer politisch-militärischen Koalition. ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist (CRS 12.1.2015). Trotz seiner gemischten Abstammung. sehen ihn die Menschen als Tadschiken an (BBC 29.9.2014). Auch er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike. da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud. war (CRS 12.1.2015). Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015); ein Amt, das speziell geschaffen wurde und ihm die Rolle eines Premierministers zuweist (BBC 29.2.2014).
Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
Rückkehr
Als Rückkehrer werden jene afghanischen Staatsbürger bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghanen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012 bis 2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt.
Die Anzahl der Rückkehrer hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21. März 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.
Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort
Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen.
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer für maximal zwei Wochen untergebracht werden.
Unterstützung durch die afghanische Regierung
Hilfeleistungen für Rückkehrer durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak- Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind.
Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.
Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer
Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten.
Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.
Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten.
Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte.
Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, welche den Parteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgehalten und denen im Zuge dessen nicht substantiiert entgegengetreten wurde, stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.
2.2. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers sowie auf die von ihm im Verfahren vorgelegten Dokumente (insbesondere afghanischer Reisepass). Die Identität wurde auch bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt. Die Feststellungen zur Fluchtroute gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.
Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bzw. im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entspre-chende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.3.1999, 98/20/0559). Dabei bedarf es zunächst einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive be-wusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegrün-det und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers - unter Berück-sichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; die-ses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.
Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer nach seiner Erstbefragung in einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen. Der aufgrund dieser Befragungen festgestellte Sachverhalt und die Beweiswürdigung finden ihren Niederschlag im angefochtenen Bescheid. In Anbetracht des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens sowie angesichts der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem ergänzenden Vorbringen des Beschwerdeführers, hat dieses auch keine Bedenken gegen die (in der Bescheidbegründung zum Ausdruck kommende) Annahme der belangten Behörde, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keine gezielte konkrete Verfolgung droht:
Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung bzw. Verfolgungsgefährdung durch Angehörige der Taliban und durch den namentlich bekannten Liebhaber seiner geschiedenen Frau bzw. deren Schwager in der Heimat, konnte letztlich nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verfahren nämlich keine nachvollziehbaren Gründe für seine Befürchtungen vorgebracht oder eigene Erlebnisse bzw. Erfahrungen geschildert, welche seine Ängste überzeugend untermauern. Er hat vor der belangten Behörde hauptsächlich Vermutungen geäußert (vgl. EV vom 12.04.2018: "Wenn ich etwas zu meiner Frau gesagt hätte, hätte sie das den Personen gesagt und die hätten mich umgebracht. [...] Der Bruder von meiner Ehefrau hätte meine Frau auch wegen der Ehre getötet, auch die Taliban hätten meine Frau getötet. [...] wenn ich etwas gesagt hätte, hätte der Bruder meiner Frau mich umgebracht, auch der Vater von XXXX war mit den Taliban zusammen, ich wäre umgebracht worden.") und letztlich keine konkreten Vorfälle geschildert, welche ein besonderes Interesse an seiner Person nahelegen würden. Vielmehr hat der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung ausschließlich von der angespannten Sicherheitslage (Bombenanschläge und Selbstmordattentate) in seiner Heimat und hinsichtlich seiner Rückkehrbefürchtungen lediglich allgemein von Ängsten vor den Taliban gesprochen. Auch wenn die Befragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes grundsätzlich nicht der Erhebung des Fluchtgrunds dient, sollte dieser doch in aller Kürze festgehalten sein. Erst im Zuge der Einvernahme hat er von drei bis vier Affären seiner Ehegattin berichtet, welche seiner Ansicht nach eine Verfolgung durch den näher genannten Liebhaber bzw. durch die Taliban auslösen könnten (vgl. EV vom 12.04.2018: "Ich befürchte, dass weil ich Fotos von XXXX habe, dass die Taliban davon erfahren könnten und dass XXXX daher Angst hat und darum mich mit dem Leben bedroht."), zu welchen diese Person gute Verbindungen haben würde. Als Grund dafür hat er insbesondere den Umstand genannt, dass er durch das Handy seiner Exfrau u.a. Nacktfotos des Liebhabers bzw. den gesamten SMS/Mailverkehr zwischen beiden haben und dass ihr Geliebter deshalb befürchten würde, dass die Taliban bzw. andere Personen davon erfahren könnten. Ferner hat er die Befürchtung geäußert, dass die Taliban, aber auch sein Schwager seine (geschiedene) Ehefrau der Ehre wegen töten würden. Aus diesem Grund habe er seine Frau bezüglich der Affären nicht ansprechen und sich auch nicht scheiden lassen können (vgl. EV vom 12.04.2018: "In Afghanistan konnte ich nichts sagen, wenn ich etwas gesagt hätte, hätte der Bruder meiner Frau mich umgebracht, auch der Vater von XXXX war mit den Taliban zusammen, ich wäre umgebracht worden."). Vor diesem Hintergrund ist unverständlich, wieso ihn sein Schwager dennoch bedroht oder verfolgt haben soll, obwohl er über die Affären seiner Exfrau letztlich kein Wort verloren und sich erst im Bundesgebiet zur Scheidung durchgerungen hat (vgl. VH vom 23.09.2019: "Mein Schwager hat mich per Telefon bedroht. [...] Auch hier hat er mich angerufen und mir gedroht [...]."). Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat er seine Verfolgungsbefürchtungen in erster Linie auf den Liebhaber seiner Exfrau gestützt und ausgeführt, dass XXXX nicht gewollt hätte, dass der Beschwerdeführer wichtige Informationen über ihn an die Behörde