TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/18 W254 2214273-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.03.2020
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Entscheidungsdatum

18.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W254 2214271-1/15E

W254 2214273-1/13E

W254 2214266-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geboren am XXXX , 2) XXXX , geboren am XXXX und 3) XXXX , geboren am XXXX , alle StA. SOMALIA, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, 1) vom 27.12.2018, Zl. XXXX , 2) vom 27.12.2018, Zl. XXXX , 3) vom 27.12.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 AsylG 2005 sowie XXXX und XXXX gemäß § 3 iVm §34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Es wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Beschwerdeführerin XXXX (BF1), eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am 11.08.2015 gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn XXXX ( BF2) den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

I.2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 12.08.2015 gab die BF1 zusammengefasst an, sie sei traditionell verheiratet und habe einen minderjährigen Sohn (BF2). Sie sei somalische Staatsangehörige, sunnitische Muslima, gehöre der Volksgruppe der Hawiye an und habe keine schulische oder berufliche Ausbildung.

Als Fluchtgrund gab sie an, dass ihre Eltern bereits verstorben seien und als arbeitslose Frau bei der Stiefmutter und Schwägerin gelebt habe. Diese hätten die BF1 jeden Tag geschlagen und misshandelt.

I.3. Mit Schreiben vom 26.04.2016 stellt XXXX (BF3), gesetzlich vertreten durch die Mutter (BF1), einen Antrag auf internationalen Schutz ohne eigene Gründe in das Verfahren einzubringen.

I.4. Am 19.02.2018 wurde die BF1 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (folgend "BFA" oder "belangte Behörde") niederschriftlich einvernommen. Die BF1 habe zwei minderjährige Söhne (BF2 und BF3), die sie in diesem Verfahren ebenfalls vertrete, aber keine eigenen Fluchtgründe haben würden. Der Vater von BF2 und BF3 und Ehemann von BF1 (traditionell verheiratet) sei in der Türkei. Die BF1 sei in XXXX /Somalia geboren und im Kindesalter nach Mogadischu gezogen, wo sie in unterschiedlichen Bezirken gelebt habe. Beide Elternteile seien bereits verstorben. Sie habe keine Schule besucht und immer zu Hause bei ihrer Stiefmutter im Haushalt gearbeitet. Sie gehöre dem Hauptclan der Hawiye, Sub Clan Habr Gedir, Sub Clan Saleban an und bekenne sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams. Die BF1 habe im März 2011 ihr Heimatland verlassen und bis 2015 in der Türkei gelebt. Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab sie an, dass sie als Mädchen misshandelt wurde und später verheiratet wurde. Sie sei vergewaltigt und geschlagen worden und weil sie nicht schwanger wurde, sei sie mit Feuer am Rücken, im Bauchbereich und im Genitalbereich gefoltert worden. Daraufhin habe sich die BF1 mit Unterstützung einer Tante scheiden lassen und sei in einen anderen Stadtteil von Mogadischu geflohen, wo sie später wieder geheiratet habe. Ihr Ehemann sei von ihrem Ex-Mann getötet worden.

I.5. Am 03.12.2018 erfolgte eine ergänzende Einvernahme vor dem BFA, bei der die BF1 angab, dass es ihren minderjährigen Kindern gut gehe, legte jedoch einen Kurzarztbrief vom 12.04.2018 mit der Diagnose Krampfanfall betreffend BF3 vor. BF2 und BF3 würden keine eigenen Fluchtgründe haben. Der Kindesvater sei in der Türkei aufhältig und die BF1 habe sich scheiden lassen (mündlich ausgesprochen), weil er eine andere Frau geheiratet habe. Zuletzt habe die BF1 im Mai 2018 mit dem Kindesvater Kontakt gehabt. Im Fall einer Rückkehr nach Somalia habe die BF1 Angst um ihr Leben. Schließlich legte die BF1 verschiedene Dokumente zur Integration, insbesondere Referenzschreiben und Kursbestätigungen vor.

I.6. Mit den angefochtenen Bescheiden des BFA wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), den Beschwerdeführern der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF1 ausschließlich familiäre Probleme in der Heimat genannt habe und eine landesweite Verfolgung oder eine konkrete Gefährdung oder Bedrohung in Somalia durch staatliche Organe oder Privatpersonen seien nicht feststellbar gewesen. Es sei festgestellt worden, dass im Falle einer Rückkehr die BF1 einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens - ob des Umstandes eine ledige, alleinstehende, junge Frau mit zwei minderjährigen Kindern zu sein - ausgesetzt sei. Es wurde ausgeführt, dass die BF1 gesamthaft betrachtet eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft ins Treffen führen habe können. Aufgrund des Familienstandes und den Umstand, dass die BF1 eine ledige, alleinerziehende Mutter von zwei minderjährigen Söhnen ist, sei im Falle einer Rückkehr nicht ausgeschlossen, dass sie in eine ausweglose Situation geraten würden. Demnach sei mangels zu erhoffender Unterstützung durch Angehörige oder Ausweichmöglichkeiten eine Rückkehr nicht möglich und zumutbar.

I.7. Gegen Spruchpunkt I. der genannten Bescheide erhoben die BF vertreten durch den VMÖ fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es wurde das bisherige Vorbringen der BF aufrechtgehalten, zudem sei die Würdigung des Fluchtvorbringens der belangten Behörde nicht nachvollziehbar gewesen. Die belangte Behörde habe die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen sowie den fehlenden staatlichen Schutz und den Umstand, dass es sich bei der BF1 um eine unbeschnittene Frau handle außer Acht gelassen.

I.8. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Parteien mitgeteilt, dass es beabsichtigt das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 12.01.2018 (mit der letzten Kurzinformation vom 17.09.2018/ Beilage I.), Focus Somalia, Clans und Minderheiten des Schweizer Staatssekretariats für Migration vom 31.05.2017 (Beilage II.), Home office, Somalia: women fearing gender based harm amd violence vom 02.08.2016 (Beilage III.) und der Lifos Bericht, Somalia: Die Position der Frauen im Clansystem vom 27.04.2018 (Beilage IV.) seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es wurde mitgeteilt, dass entweder eine schriftliche Stellungnahme oder eine mündliche Stellungnahme in der Verhandlung zu diesen Länderberichten möglich ist.

I.9. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 17.09.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Somalisch und im Beisein der Rechtsvertretung der Beschwerdeführer eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Darin wurde die BF1 ausführlich zu ihren Fluchtgründen, den persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zur Situation im Fall der Rückkehr befragt.

Die erkennende Richterin brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zusätzlich zu den bereits genannten Länderinformationen (Beilagen I. bis IV.) eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Somalia, geschiedene Frau mit Kindern, Zwangsrekrutierungen durch Al Shabaab vom 25.01.2016 (Beilage V.) und eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Somalia, IFA Mogadischu, Frauen vom 09.01.2014 (Beilage VI.) ein, welche zum Akt genommen wurden. Den BF wurde eine Stellungnahmefrist von vier Wochen eingeräumt.

I.10. Am 27.09.2019 langte eine Stellungnahme der BF zu den in der Verhandlung thematisierten Länderberichten am Bundesverwaltungsgericht ein, in welcher vor allem auf die wesentliche Bedeutung, dass es sich bei der BF1 um eine alleinerziehende bzw. alleinstehende Frau handle, eingegangen wurde. Beigelegt war ein ärztliches Attest vom 24.09.2019, aus dem hervorgeht, dass bei der BF1 keine Genitalverstümmelung durchgeführt worden sei.

I.11. Am 03.01.2020 wurde den Parteien das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia mit einer Gesamtaktualisierung am 17.09.2019 zum Parteiengehör übermittelt. Den BF wurde eine Stellungnahmefrist von vier Wochen eingeräumt. Mit Schreiben vom 15.01.2020 langte eine Stellungnahme der BF zu dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation am Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:

-

der Akt der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde,

-

die den BF mit der Ladung genannten und die in der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichte, welche im Verfahrensgang beschrieben sind,

-

der Inhalt der mündlichen Verhandlung am 17.09.2019,

-

sämtliche vorgelegte Beweismittel und Stellungnahmen und

-

Einsichten in den Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).

II.1.1. Zur Person der BF1 und ihren Fluchtgründen:

Die BF1, eine weibliche somalische Staatsangehörige, gehört dem Clan der Hawiye, Subclan Habr Gedir, Subsubclan Saleban an und bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Sie verfügt über keine schulische oder berufliche Ausbildung. Ihre Muttersprache ist Somalisch, zudem spricht sie Arabisch. Sie hat Somalia im März 2011 verlassen und ist in die Türkei gereist, wo sie bis zum Jahre 2015 gelebt hat. Sie hat keinen Kontakt zu Familienangehörigen in Somalia.

Die BF1 stellte gemeinsam mit ihrem Sohn (BF2) am 11.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, nach der Geburt ihres zweiten Kindes (BF3) stellte sie auch für diesen einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin hat zwei Kinder und ist geschieden. Sie ist eine alleinerziehende und alleinstehende Frau. Bei der BF1 wurde keine rituelle Beschneidung/Genitalverstümmelung durchgeführt. Die Beschwerdeführerin ist gesund und strafrechtlich unbescholten. Die BF1 ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Die BF1 ist in Mareerey geboren und in Mogadischu aufgewachsen. Ihre Eltern sind bereits verstorben als sie ein Kind war und sie lebte und arbeitete im Haus ihrer Stiefmutter und zeitweise bei ihrer Schwägerin. Dort war sie physischen und psychischen Misshandlungen ausgesetzt.

Die BF1 hat keine Familienangehörigen oder konkrete Bezugspersonen in Somalia, zu denen sie zurückkehren könnte. Die BF hat somit kein verlässliches stabiles familiäres Netzwerk in Somalia, das ihr ausreichenden Schutz bieten würde. Es steht ihr auch kein Schutz durch männliche Verwandte, auf staatlicher Seite oder durch schutzfähige Clans zur Verfügung. Die BF1 hat somit keinen männlichen Schutz.

Im Falle einer Rückkehr nach Somalia besteht für die BF1 als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der alleinstehenden Frauen, für die ein hohes Risiko besteht, als IDP in entsprechenden Lagern Opfer (auch) geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden, eine aktuelle und maßgebliche Verfolgungsgefahr. Die BF1 kann weder von staatlicher Seite noch von männlicher Verwandtschaft entsprechende Hilfe und Schutz erwarten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 in Somalia zwangsverheiratet wurde. Ebenfalls kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 in Somalia nach einer Scheidung von der Zwangsheirat freiwillig einen anderen Mann geheiratet hat, der von ihrem Ex-Mann getötet wurde.

II.1.2. Zu den Personen des BF2 und BF3:

Der BF2 ist der Sohn der BF1 und kam am 03.08.2014 in der Türkei zur Welt. Er reiste gemeinsam mit seiner Mutter in Österreich ein und es wurde für ihn ebenfalls am 11.08.2015 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der BF3 ist der jüngere Sohn der BF1 und kam am 11.04.2016 in Österreich zur Welt. Für ihn wurde durch seine Mutter am 26.04.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Vater von BF2 und BF3 lebt in der Türkei, ist bereits mit einer anderen Frau verheiratet und es besteht kein regelmäßiger Kontakt.

II.1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten rezipiert.

II.1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Somalia vom 17.09.2019

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und - in noch stärkerem Ausmaß - in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Süd-/Zentralsomalia

Die Sicherheitslage bleibt volatil (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). Al Shabaab bleibt auch weiterhin die größte Quelle von Unsicherheit in Somalia (SRSG 3.1.2019, S.3; vgl. SEMG 9.11.2018, S.4; UNSC 21.12.2018, S.3). Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (LWJ 8.1.2019). Al Shabaab hat sich ihre operative Stärke und ihre Fähigkeiten bewahrt (UNSC 21.12.2018, S.3; vgl. NLMBZ 3.2019, S.20), führt weiterhin Angriffe auf Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze - z.B. Restaurants und Hotels - durch (UNSC 15.8.2019, Abs.13; vgl. AA 17.9.2019). [...]

Im März und April 2019 kam es zu einem signifikanten Anstieg an Angriffen in Mogadischu. Es kommt weiterhin zu Anschlägen mit improvisierten Sprengsätzen, Mörserangriffen und gezielten Attentaten. Alleine im März 2019 wurden 77 Anschläge mit Sprengsätzen verzeichnet - die höchste Zahl seit 2016. Der Großteil dieser Anschläge betraf Mogadischu, Lower Shabelle, Lower Juba und Gedo (UNSC 15.5.2019, Abs.12f). Ähnliches gilt für den Monat Ramadan (5.5.-3.6.); danach ging die Zahl an Vorfällen zurück (UNSC 15.8.2019, Abs.14). Von Gewalt durch al Shabaab am meisten betroffen sind Mogadischu, Lower und Middle Shabelle; Jubaland, Bay und Hiiraan sind zu einem geringeren Ausmaß betroffen (UNSC 21.12.2018, S.4).

Al Shabaab hat auch die Angriffe mit Mörsern verstärkt. Dabei ist eine zunehmende Treffsicherheit zu verzeichnen. Außerdem führt die Gruppe weiterhin (sporadisch) komplexe Angriffe durch (UNSC 15.5.2019, Abs.14f). [...]

Al Shabaab kontrolliert große Teile des ländlichen Raumes in Süd-/Zentralsomalia und bedroht dort die Städte (LWJ 8.1.2019). Außerdem kontrolliert al Shabaab wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Regierungskontrolle Blockaden aufrecht (HRW 17.1.2019).

[...]

Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur durch al Shabaab führten 2018 zu hunderten zivilen Todesopfern und Verletzten (HRW 17.1.2019). Allerdings sind Zivilisten nicht das Primärziel (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LWJ 9.11.2018), wiewohl sie als Kollateralschaden in Kauf genommen werden (NLMBZ 3.2019, S.12; vgl. LI 28.6.2019, S.8). So wurde z.B. als Grund für einen Angriff auf das Sahafi Hotel in Mogadischu am 9.11.2018 von al Shabaab angegeben, dass dort Offiziere und Regierungsvertreter wohnen würden (LWJ 9.11.2018). Der Umstand, dass bei al Shabaab willkürliche Angriffe gegen Zivilisten nicht vorgesehen sind, unterscheidet die Methoden der Gruppe von jenen anderer Terroristen (z.B. Boko Haram) (NLMBZ 3.2019, S.12).

Im Zeitraum Jänner-September 2018 sind in Somalia bei Sprengstoffanschlägen mindestens 280 Menschen ums Leben gekommen, 220 wurden verletzt. 43% der Opfer waren Zivilisten; hauptsächlich betroffen waren die Regionen Lower Shabelle und Benadir/Mogadischu (USDOS 13.3.2019, S.13).

Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2018 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Sub-Clans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2018 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle betroffen (USDOS 13.3.2019, S.2/11f). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer - generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter - Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8).

Mogadischu bleibt weiterhin unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 8.2019; vgl. BMLV 3.9.2019). Die vormals für Verbesserungen in der Sicherheitslage verantwortliche Mogadishu Stabilization Mission (MSM) (UNSC 5.9.2017, Abs.11) wurde nunmehr deaktiviert. Ihre Aufgaben wurden erst an die 14th October Brigade übertragen, mittlerweile aber von der wesentlich verstärkten Polizei übernommen. Letztere wird von Armee, AMISOM und Polizeikontingenten von AMISOM unterstützt (BMLV 3.9.2019). Nach wie vor reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte aber nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 3.9.2019).

Für al Shabaab bietet die Stadt schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S.23). Diesbezüglich ist es der Regierung nicht gelungen, eine erfolgreiche Strategie zur Bekämpfung von al Shabaab in der Stadt umzusetzen. Die Gruppe ist in der Lage, in weiten Teilen des Stadtgebiets Anschläge durchzuführen (LIFOS 3.7.2019, S.42). [...]

Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Andererseits fühlen sich die Menschen von der Regierung nicht adäquat geschützt (LIFOS 3.7.2019, S.25). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (NLMBZ 3.2019, S.23; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S.42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein (LIFOS 3.7.2019, S.25/42; vgl. NLMBZ 3.2019, S.23) und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S.25).

Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S.25f). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische (BMLV 3.9.2019). Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. So sind z.B. jene Teile, in welche Rückkehrer siedeln (u.a. IDP-Lager) besser vor al Shabaab geschützt. IDP-Lager stellen für die Gruppe kein Ziel dar (NLMBZ 3.2019, S.24). Jedenfalls ist al Shabaab nahezu im gesamten Stadtgebiet in der Lage, verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (BMLV 3.9.2019).

Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen. Auch Dayniile ist stärker betroffen. Gebiete, die weiter als 10 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegen, werden teilweise von al Shabaab kontrolliert. Vor allem Dayniile, Yaqshiid und Heliwaa werden als unsichere Gebiete erachtet (LIFOS 3.7.2019, S.25f).

[...]

Rechtsschutz/Justizwesen

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen:

traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v.a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017, S.31; vgl. BS 2018, S.18; USDOS 13.3.2019, S.8; NLMBZ 3.2019, S.38). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 5.6.2019b, F1; NLMBZ 3.2019, S.38).

In Süd-/Zentralsomalia und in Puntland sind die Grundsätze der Gewaltenteilung in der Verfassung niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 4.3.2019, S.6; vgl. USDOS 13.3.2019, S.8). Eine landesweite Rechtsstaatlichkeit ist nicht festzustellen (BS 2018, S.18). [...]

Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2018, S.18). Die traditionelle Justiz dient im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten. Sie wird oft herangezogen, da sie zu schnellen Entscheidungen führt (USDOS 13.3.2019, S.9). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung - z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern - angewendet (SEM 31.5.2017, S.34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, S.100; vgl. EASO 2.2016, S.27). Es kommt also auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz sogar auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, S.7). Ca. 90% aller Rechtsstreitigkeiten werden über traditionelle Konfliktlösungsmechanismen ausgetragen (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Ein Beispiel dafür ist etwa die Zahlung von Kompensationsgeld an Familien von bei Demonstrationen in Baidoa im Dezember 2018 durch Sicherheitskräfte getöteten Personen (UNSC 15.5.2019, Abs.4). [...]

Der Ausdruck "Clan-Schutz" bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, S.33). Der Clan-Schutz funktioniert generell - aber nicht immer - besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clan-Mechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, S.36). Denn in erster Linie wird ein Tod nicht durch einen Rachemord ausgeglichen, sondern durch die Zahlung von Blutgeld (diya, mag) kompensiert (GIGA 3.7.2018).

Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, S.8), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM 31.5.2017, S.35). Staatlicher Schutz ist im Falle von Clan-Konflikten von geringer Relevanz, die "Regelung" wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen (ÖB 9.2016, S.11).

Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, S.3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, S.35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 13.3.2019, S.9), und dass die traditionellen Mechanismen nicht auf schriftlich festgelegten Regeln beruhen (UNHRC 6.9.2017, Abs.60).

Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, S.32).

Familien- und Standesangelegenheiten (Heirat, Scheidung, Erbschaft) werden im Rahmen der Scharia abgehandelt. Allerdings sind Schariagerichte oftmals von Clans beeinflusst (BS 2016, S.13). Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia führte dazu, dass die Scharia auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, S.34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt (BS 2018, S.18).

In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe abgelehnt (AA 4.3.2019, S.23). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, S.33) bzw. ist letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2018, S.19). Außerdem gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 13.3.2019, S.10). Der Clan-Schutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, S.33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, S.3).

Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, S.4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2018, S.19). Angeklagte vor einem Schariagericht haben kein Recht auf Verteidigung, Zeugen oder einen Anwalt (USDOS 13.3.2019, S.10). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 4.3.2019, S.12; vgl. SEMG 9.11.2018, S.38; TIND 15.1.2019; BS 2018, S.19). Al Shabaab inhaftiert Personen für Vergehen wie Rauchen; unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Musikhören; Fußballschauen oder -spielen; das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 13.3.2019, S.5). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt (LI 20.12.2017, S.3) - was v.a. in Städten und größeren Dörfern der Fall ist (LI 21.5.2019a, S.3). In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, S.3). [...]

Sicherheitsbehörden

Die somalischen Sicherheitskräfte befinden sich nach wie vor im Aufbau. Polizei und Armee sind nicht in der Lage, bei einem Rückzug der AMISOM deren Aufgaben zu übernehmen (BFA 8.2017, S.6/11). Der Bundesregierung ist es nicht gelungen, das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen (BS 2018, S.7), die Regierung ist nach wie vor auf den Schutz durch AMISOM angewiesen (BS 2018, S.39). Zudem hat al Shabaab Polizei und Armee infiltriert und korrumpiert (LIFOS 3.7.2019, S.42).

Es mangelt an effektiver Kontrolle ziviler Behörden über die Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019, S.1/6). Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte entziehen sich oftmals der zivilen Kontrolle. Dies gilt insbesondere für die National Intelligence and Security Agency (NISA), aber auch für die Polizeikräfte. Gleichzeitig bekennt sich die Regierung zu ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen (AA 4.3.2019, S.8/18). Die justizielle Verantwortlichkeit einzelner Mitglieder der Sicherheitsorgane ist zumeist schwach bis inexistent (AA 4.3.2019, S.7). Denn auch wenn manchen Angehörigen der Sicherheitskräfte vor Militärgerichten der Prozess gemacht wird, herrscht eine Kultur der Straflosigkeit (USDOS 13.3.2019, S.6).

Die Polizei untersteht einer Mischung von lokalen und regionalen Verwaltungen und der Bundesregierung (USDOS 13.3.2019. S.6; vgl. BFA 8.2017, S.12f). Die nationale Polizei untersteht dem Ministerium für Innere Sicherheit. Die von regionalen Behörden geführten Polizeikräfte unterstehen den jeweiligen regionalen Innen- oder Sicherheitsministerien. Die Bundespolizei ist in allen 17 Bezirken Mogadischus präsent (USDOS 13.3.2019. S.6f). Generell ist die Polizei außerhalb von Mogadischu nur eingeschränkt präsent (NLMBZ 3.2019, S.34).

Die Polizei ist generell nicht effektiv, es mangelt an Ausrüstung und Ausbildung. Es gibt auch Berichte über Korruption (USDOS 13.3.2019, S.6; vgl. NLMBZ 3.2019, S.34) und Infiltration durch al Shabaab (LIFOS 3.7.2019. S.42). Im Fall einer kriminalitätsbedingten Notlage fehlen weitgehend funktionierende staatliche Stellen, die Hilfe leisten könnten (AA 17.9.2019). Die Polizei verfügt zwar über einige Kapazitäten, hat aber auch Probleme, sich an den Menschenrechten zu orientieren. Die Bezahlung von Polizisten erfolgt meist nur unregelmäßig, die Korruption ist hoch. Dass die Bevölkerung die Polizei nicht unbedingt als eine Kraft erachtet, welche sie schützt, scheint sich in manchen größeren Städten langsam zu ändern. Dort wurden Polizeikräfte lokal - und die lokale Clandynamik berücksichtigend - rekrutiert. Das hat zu Verbesserungen geführt. Dies betrifft etwa Kismayo, Jowhar oder Belet Weyne (BFA 8.2017, S.13; vgl. BMLV 3.9.2019).

Das Verteidigungsministerium ist für die Kontrolle der somalischen Armee verantwortlich. Dabei bleibt die ausgeübte Kontrolle dürftig, hat sich aber mit Hilfe internationaler Partner etwas verbessert. Letzteres gilt etwa für die Kräfte im Großraum Mogadischu, Lower Shabelle, in der Region Bay bis Baidoa und nördlich bis Jowhar (USDOS 13.3.2019, S.7). Die Armee gilt als chaotischer Zusammenschluss zahlreicher bewaffneter Gruppen, es mangelt an einheitlichen Führungsstrukturen. Fußtruppen sind oft eher gegenüber dem Clan loyal als gegenüber der Regierung. Die meisten Bataillone sind entlang von Clans organisiert, es kommt mitunter zu Rivalitäten zwischen einzelnen Bataillonen (Williams, S.18ff). [...] Der Armee mangelt es an Ausbildung und Ausrüstung, Korruption ist verbreitet (LIFOS 3.7.2019, S.22). [...]

Clans und Bevölkerungsstruktur

Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 4.3.2019, S.9). Weder das traditionelle Recht (Xeer) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S.42). Im Xeer sind Minderheiten insofern benachteiligt, als dass große Clans Kompensationszahlungen eher durchsetzen können (NLMBZ 3.2019, S.38). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S.11). [...]

In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen (AA 4.3.2019, S.12). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85% der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 13.3.2019, S.33). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6% bis hin zu 33%. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 3.2019, S.42; vgl. SEM, 31.5.2017, S.12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 4.3.2019, S.12; vgl. SEM 31.5.2017, S.5). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S.5).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017, S.8). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 5.3.2019b). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8). Es gibt keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S.9).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

* Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

* Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

* Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

* Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

* Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen (SEM 31.5.2017, S.55; vgl. AA 5.3.2019b).

Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil-Mirifle stellen je ca. 20-25% der Bevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 5.3.2019b). Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S.25).

Relevante Bevölkerungsgruppen - Frauen

Die Verfassung verbietet die Diskriminierung von Frauen (USDOS 13.3.2019, S.30). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 4.3.2019, S.14). Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet (LIFOS 16.4.2019, S.10). Sie genießen nicht die gleichen Rechte wie Männer und werden systematisch benachteiligt. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung. Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 13.3.2019, S.30f). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen. Entsprechend gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z.B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland (AA 4.3.2019, S.14f).

Es finden sich politische Ansätze, mit denen mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau angestrebt wird (AA 4.3.2019, S.14f). Im Mai 2016 war der National Gender Policy Plan verabschiedet worden, um Frauen in die Bereiche Politik, Wirtschaft und Bildung besser einzubinden. Daraufhin hat der Somali Religious Council die Regierung öffentlich davor gewarnt, sich derart für Frauen einzusetzen. Auch die vorgesehene 30%-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wurde als gefährlich bezeichnet (USDOS 13.3.2019, S.30). Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019, S.3). Da Frauen in den Jahren des Krieges zu den eigentlichen Brotverdienern der Familie geworden sind, ist es zudem üblich, in Städten wie Mogadischu oder Hargeysa Kleinhändlerinnen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (TE 11.3.2019; vgl. LIFOS 16.4.2019, S.11; FIS 5.10.2018, S.24).

Eigentlich wären für das Parlament 30% der Sitze für Frauen vorgesehen. Aktuell sind es 24% (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. FH 5.6.2019b, B4) im Unterhaus und 23% im Oberhaus (NLMBZ 3.2019, S.43). Damit liegt Somalia aber über dem weltweiten Durchschnitt (SRSG 13.9.2018, S.1). Außerdem sind vier von 26 Bundesministern weiblich. Im Ältestenrat von Puntland war noch nie eine Frau vertreten, im 66-sitzigen Repräsentantenhaus sind es zwei, es gibt eine Ministerin (USDOS 13.3.2019, S.26).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen laut Verfassung verboten ist (USDOS 13.3.2019, S.29), bleiben häusliche (USDOS 13.3.2019, S.29; vgl. AA 4.3.2019, S.14; FIS 5.10.2018, S.33) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Bezüglich Gewalt in der Ehe - darunter auch Vergewaltigung - gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 13.3.2019, S.29).

Sexuelle Gewalt ist v.a. für weibliche IDPs eine Gefahr (FH 5.6.2019b, G3; vgl. USDOS 13.3.2019, S.29). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen, NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 13.3.2019, S.29). Die Vergewaltiger sind u.a. Regierungssoldaten, Milizionäre, uniformierte Männer (USDOS 13.3.2019, S.29; vgl. HRW 17.1.2019) und Angehörige der al Shabaab (FIS 5.10.2018, S.32).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage und staatlicher Schutz:

Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 4.3.2019, S.14), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 13.3.2019, S.29). Ein neues, progressives "Sexual Offences Bill" wurde im Mai 2018 von der Regierung verabschiedet, allerdings danach vom Parlament noch nicht beschlossen (HRW 17.1.2019; vgl. NLMBZ 3.2019, S.45; ICG 27.6.2019, S.3). Das Gesetz steht weiterhin in der Kritik - v.a. seitens religiöser Führer (UNSC 21.12.2018, S.14).

Die Regierung tut wenig, um sich des Problems der sexuellen Gewalt anzunehmen (ICG 27.6.2019, S.3). Bestehende Gesetze werden nicht effektiv durchgesetzt (USDOS 13.3.2019, S.29). Es gibt de facto keinen Rechtsschutz gegen Vergewaltigung (FIS 5.10.2018, S.32). Generell herrscht Straflosigkeit (USDOS 13.3.2019, S.29; vgl. TE 11.3.2019), Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind rar (AA 4.3.2019, S.14). Dabei werden Vergewaltigungen ohnehin nur selten der formellen Justiz zugeführt (USDOS 13.3.2019, S.29), denn sexuelle Gewalt ist ein Tabu-Thema, weswegen viele Opfer nicht darüber sprechen (DI 6.2019, S.9). Außerdem leiden Vergewaltigungsopfer an Stigmatisierung (USDOS 13.3.2019, S.29; vgl. FIS 5.10.2018, S.33). Meldet eine Person sexuelle Gewalt, dann ist es wahrscheinlicher, dass diese Person wegen Verleumdung verhaftet wird, als dass der eigentliche Täter belangt wird (NLMBZ 3.2019, S.45). Opfer, die sich an Behörden wenden, werden oft angefeindet; in manchen Fällen sogar getötet (TE 11.3.2019). Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 13.3.2019, S.29).

So hat sich aufgrund von Anarchie und Gesetzlosigkeit seit 1991 eine Kultur der Gewalt etabliert, in welcher Männer Frauen ungestraft vergewaltigen können (TE 11.3.2019). Es mangelt an staatlicher Autorität, wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe ist - insbesondere in IDP-Lagern - bisher nicht gewährleistet. Frauen und Mädchen bleiben daher den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 4.3.2019, S.14).

Werden Vergewaltigungsfälle bekannt, dann greifen Clanälteste auf Xeer zurück; d.h., dass der Täter Kompensation bezahlen muss, oder dass das Opfer gezwungen wird, den Täter zu ehelichen (TE 11.3.2019; vgl. USDOS 13.3.2019, S.29). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen keinen Schutz. Wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, dann wird zwar die Familie des Opfers finanziell kompensiert, der Täter aber nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S.49).

Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Positiv zu erwähnen ist, dass die Bundesregierung und Regionalbehörden Maßnahmen getroffen und Gesetze verbessert haben, um die Strafverfolgung bei Fällen sexueller Gewalt zu stärken (HRW 17.1.2019). Außerdem kommt es zu Ausbildungsmaßnahmen. So wurden etwa dutzende Soldaten und Polizisten in Baidoa, Belet Weyne und Kismayo hinsichtlich konfliktbezogener sexueller Gewalt und den damit verbundenen Menschenrechten weitergebildet; ähnliches ist für Mogadischu geplant (AMISOM 3.3.2019). Auch für Polizisten und Polizistinnen gibt es derartige Ausbildungen (UNSOM 3.2019, S.2). Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 13.3.2019, S.29).

Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Für Opfer sexueller Gewalt gibt es von UN-Agenturen oder nationalen und internationalen NGOs organisierte Zufluchtsstätten. Angeboten werden medizinische und psychosoziale Unterstützung, Rechtsberatung und materielle Unterstützung sowie Schutzunterkünfte (UNFPA 8.2018, S.2).

Ein Beispiel für eine NGO, die Zuflucht, Unterkunft und andere Unterstützung für Opfer anbietet, ist das Elman Peace and Human Rights Center über die Aktion "Sister Somalia". Die NGO Safe Somali Women and Children betreibt ein Krisenzentrum für Opfer sexueller Gewalt (NLMBZ 3.2019, S.45).

Frauen - al Shabaab: In den von ihr kontrollierten Gebieten gelingt es al Shabaab, Frauen und Mädchen ein gewisses Maß an physischem Schutz zukommen zu lassen. Die Gruppe interveniert z.B. in Fällen häuslicher Gewalt (ICG 27.6.2019, S.2/6). Es sind Fälle bekannt, wo sich vergewaltigte Frauen an Gerichte der al Shabaab gewendet haben (FIS 5.10.2018, S.33). Al Shabaab hat Vergewaltiger - mitunter zum Tode - verurteilt (USDOS 13.3.2019, S.14; vgl. ICG 27.6.2019, S.6). Dies ist auch ein Grund dafür, warum es in den Gebieten der al Shabaab nur vergleichsweise selten zu Vergewaltigungen kommt (ICG 27.6.2019, S.6; vgl. DI 6.2019, S.9).

Berichte legen nahe, dass sexualisierte Gewalt von al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 4.3.2019, S.14). Es kommt zu Zwangsehen (USDOS 13.3.2019, S.30), die diesbezügliche Zahl hat in jüngerer Vergangenheit zugenommen (DI 6.2019, S.9). Solche Zwangsehen gibt es nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (USDOS 13.3.2019, S.32). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS 3.2017, S.19/25). Nach anderen Angaben werden die meisten Ehen mit Mitgliedern der al Shabaab freiwillig eingegangen (ICG 27.6.2019, S.8; vgl. DIS 3.2017, S.19), auch wenn der Einfluss von Eltern und Clan sowie das geringe Alter bei der Eheschließung nicht geringgeschätzt werden dürfen. Eine solche Ehe bietet der Ehefrau und ihrer Familie ein gewisses Maß an finanzieller Stabilität, selbst Witwen beziehen eine Rente (ICG 27.6.2019, S.8). Demgegenüber stehen Berichte, wonach viele Eltern ihre Töchter in Städte gebracht haben, um sie vor dem Zugriff durch al Shabaab in Sicherheit zu bringen (DI 6.2019, S.9).

Al Shabaab schränkt die Freiheit und die Möglichkeiten von Frauen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle signifikant ein (TE 11.3.2019). Die Anwendung einer extremen Form der Scharia resultiert in einer entsprechend weitergehenden Diskriminierung von Frauen (AA 4.3.2019, S.14f). Diese werden etwa insofern stärker exkludiert, als ihre Beteiligung an ökonomischen Aktivitäten als unislamisch erachtet wird (USDOS 13.3.2019, S.30f). Nach anderen Angaben hat al Shabaab einen pragmatischen Zugang. Da immer mehr Familien vom Einkommen der Frauen abhängig sind, tendiert die Gruppe dazu, sie ihren wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen zu lassen. Und dies, obwohl Frauen nominell das Verlassen des eigenen Hauses nur unter Begleitung eines männlichen Verwandten (mahram) erlaubt ist (ICG 27.6.2019, S.11).

Bei Eheschließungen gilt das Scharia-Recht. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016, S.11; vgl. LI 14.6.2018, S.16/18f). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, S.7). Eine Ehe gilt erst dann als rechtskräftig, wenn sie vollzogen worden ist. Von daher gibt es zwar die Möglichkeit, einen Ehevertrag durch einen Stellvertreter abzuschließen; jedoch wird der Vertrag erst bei "Konsumation" (=Geschlechtsverkehr) formell rechtsgültig (LI 14.6.2018, S.16).

Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, S.38). Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (LI 14.6.2018, S.8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. "nobler" Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, S.26f).

Ehe-Alter / Kinderehe: Gemäß somalischem Zivilrecht ist für eine Eheschließung ein Mindestalter von 15 Jahren vorgesehen. Eine geplante Anhebung auf 18 Jahre scheitert bisher an der Geistlichkeit (ICG 27.6.2019, S.8). Scharia und Tradition nehmen eine Heiratsfähigkeit bei Erreichen der Pubertät an (LI 14.6.2018, S.7). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen (USDOS 13.3.2019, S.32). Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet (USDOS 13.3.2019, S.32; vgl. FH 5.6.2019b, G3) - gerade in ärmeren, ländlichen Gebieten (ICG 27.6.2019, S.8; vgl. FIS 5.10.2018, S.27; vgl. LI 14.6.2018, S.7). Oft werden Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren verheiratet, wobei die Eheschließung von den Eltern schon sehr früh vereinbart wird. Die eigentliche Hochzeit erfolgt, wenn das Mädchen die Pubertät erreicht (FIS 5.10.2018, S.27). Bei einer Umfrage im Jahr 2017 gaben ca. 60% der Befragten an, dass eine Eheschließung für Mädchen unter 18 Jahren kein Problem ist (AV 2017, S.33).

Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe ist fließend. Bei ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (LI 14.6.2018, S.9f). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 4.3.2019, S.14f). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S.10). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es kein Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr (USDOS 13.3.2019, S.32). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition. Vielmehr können jene, die mit traditionellen Normen brechen, den Schutz und die Unterstützung durch Familie und Clan verlieren (LI 14.6.2018, S.10).

Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (LI 14.6.2018, S.9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S.11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S.11; vgl. LI 14.6.2018, S.8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu - freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen - Liebesehen kommt (LI 14.6.2018, S.8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Zusätzlich gibt es auch die Tradition der "runaway marriages", bei welcher die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (FIS 5.10.2018, S.26f). Diese Art der Eheschließung ist in den vergangenen Jahren immer verbreiteter in Anspruch genommen worden (LI 14.6.2018, S.11). Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80% der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden (FIS 5.10.2018, S.26f).

Durch eine Scheidung wird eine Frau nicht stigmatisiert, und Scheidungen sind in Somalia nicht unüblich (LI 14.6.2018, S.18f; vgl. FIS 5.10.2018, S.27f). Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist (LI 14.6.2018, S.18). Die Zahlen geschiedener Frauen und von Wiederverheirateten sind gestiegen. Bei einer Scheidung bleiben die Kinder üblicherweise bei der Frau, diese kann wieder heiraten oder die Kinder alleine großziehen. Um unterstützt zu werden, zieht die Geschiedene aber meist mit den Kindern zu ihren Eltern oder zu Verwandten (FIS 5.10.2018, S.27f). Bei der Auswahl eines Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung (LI 14.6.2018, S.19). Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (ICG 27.6.2019, S.9).

In Somalia gibt es keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer akzeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben - z.B. Geburt eines unehelichen Kindes (LI 14.6.2018, S.10). Ein uneheliches Kind wird allerdings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (FIS 5.10.2018, S.27; vgl. LIFOS 1.6.2017, S.8ff).

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

In Somalia herrschen zwei Formen von FGM (auf Somali: "Gudniinka" - Beschneidung): Einerseits die am meisten übliche sog. Pharaonische Beschneidung (gudniinka fircoonige), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht. Andererseits die Sunna (gudniinka sunna), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S.13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II umfasst (AV 2017, S.29). Die Sunna wird unterteilt in die sog. große Sunna (sunna kabir) und die kleine Sunna (sunna saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S.14f). De facto kann unter dem Begriff "Sunna" jede

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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