TE Bvwg Beschluss 2020/3/23 W240 2190064-2

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Veröffentlicht am 23.03.2020
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Entscheidungsdatum

23.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §33

Spruch

W240 2190064-2/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Feichter über den Antrag von XXXX , Staatsangehörigkeit Somalia, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 19.06.2019 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.12.2017, Zl. 1108281805/160373893, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen:

A) Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird

stattgegeben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des BFA vom 21.12.2017, Zl. 1108281805/160373893, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Antragstellers vom 12.03.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Antragsteller der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und dem Antragsteller die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 21.12.2018 erteilt.

Der vorzitierte Bescheid wurde an die Postadresse in XXXX Wien des Antragstellers per RSa versandt und nach Zustellversuch am 27.12.2017 mit 28.12.2017 hinterlegt. Laut Rückschein wurde eine "Verständigung über die Hinterlegung" in die Abgabeeinrichtung eingelegt (vgl. AS 285). Nachdem der Antragsteller die Sendung nicht behoben hatte, wurde sie am 26.01.2019 wieder retour gesandt (vgl. AS 287).

Am 12.02.2018 langte beim BFA eine Anfrage des Antragstellers ein, in der er angab, am 19.12.2017 eine Einvernahme vor dem BFA gehabt zu haben und bis heute keinen Bescheid erhalten zu haben. Daher bitte er um Auskunft, wann er mit einem Bescheid rechnen könne.

Mit Antwortschreiben vom 13.02.2018 wurde dem Antragsteller vom BFA der Bescheid vom 21.12.2017 mitgeschickt und mitgeteilt, dass der Bescheid bereits am 27.12.2017 versucht worden war zuzustellen.

2. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des vorzitierten Bescheides des BFA wurde am 16.03.2018, von der ARGE-Rechtsberatung Diakonie Flüchtlingsdienst (in der Folge: ARGE), eingebracht. Ausgeführt wurde, dass dem Antragsteller der angefochtene Bescheid am 15.02.2018 durch Hinterlegung zugestellt worden sei und die Erhebung der Beschwerde daher binnen offener Frist erfolge. Der Beschwerde beigelegt waren diverse Unterlagen.

3. Mit Schreiben vom 19.03.2018, eingelangt beim BVwG am 22.03.2018, wurde die Beschwerde vom BFA vorgelegt.

4. Am 31.10.2018 langte beim BVwG ein Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes inkl. Integrationsnachweise und bereits vorgelegte medizinische Unterlagen ein.

5. Mit Verspätungsvorhalt vom 05.06.2019 wurde der Antragsteller vom BVwG aufgefordert schriftlich zur verspäteten Beschwerdeerhebung Stellung zu nehmen.

6. In der Stellungnahme, datiert mit 19.06.2019, die mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung verbunden wurde, wurde vorgebracht, dass der Antragsteller über den Zustellversuch am 27.12.2017 keine Verständigung über die Hinterlegung ("gelber Zettel") erhalten habe und daher nichts vom Zustellversuch gewusst habe. Da der Antragsteller nach der Einvernahme am 19.12.2017 über eine mögliche zeitnahe Entscheidung im Asylverfahren in Kenntnis gewesen sei, sei dem Antragsteller bewusst gewesen, wie wichtig die Zustellung von behördlichen Schriftstücken sei und er habe aus diesem Grund sein Postfach täglich und gewissenhaft kontrolliert. Dem Antragsteller könne daher kein Versehen oder gar Verschulden vorgeworfen werden. Zum Beweis dafür, dass der Antragsteller die Hinterlegungsanzeige nie erhalten habe, wurde beantragt, das BVwG möge den zuständigen Briefträger befragen.

7. Am 20.01.2020 fand eine öffentlich mündliche Verhandlung vor dem BVwG statt, in dieser wurde der Antragsteller sowie der zum Zeitpunkt des Zustellversuchs des Bescheides für die damalige Wohnadresse des Antragstellers zuständige Briefträger einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die vorgelegten Akten des Antragstellers sowie durch Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, in welcher der Antragsteller sowie der zum Zeitpunkt des Zustellversuchs des Bescheides für die damalige Wohnadresse des Antragstellers zuständige Briefträger einvernommen wurden.

Mit Bescheid des BFA vom 21.12.2017, Zl. 1108281805/160373893, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Antragstellers vom 12.03.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Antragsteller der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II) und dem Antragsteller die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 21.12.2018 erteilt.

Der vorzitierte Bescheid wurde dem Antragsteller per RSa an eine Postadresse in XXXX Wien versandt und nach Zustellversuch am 27.12.2017 mit 28.12.2017 hinterlegt. Laut Rückschein wurde eine "Verständigung über die Hinterlegung" in die Abgabeeinrichtung eingelegt (vgl. AS 285). Nachdem der Antragsteller die Sendung nicht behoben hatte, wurde sie am 26.01.2019 retour gesandt (vgl. AS 287).

Mit Verspätungsvorhalt vom 05.06.2019 wurde der Antragsteller vom BVwG aufgefordert schriftlich zur verspäteten Beschwerdeerhebung Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme, datiert mit 19.06.2019, wurde mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung verbunden.

Der Antragsteller wohnte zum Zeitpunkt des Zustellversuchs mit vier anderen Personen in einem Zimmer in einem Flüchtlingsheim. Neben dem Antragsteller hatten noch fünf andere Leute Zugang zum Schlüssel zum Postkasten des Antragstellers. Der Postkasten wurde täglich zumindest vom Betreuer als auch vom Antragsteller kontrolliert. Da der Hinterlegungszettel aufgrund nicht weiter feststellbarer Gründe offensichtlich verlorenging, erhielt der Antragsteller keine Kenntnis vom Zustellversuch des Bescheides am 27.12.2017 und von der Hinterlegung am 28.12.2017.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher stattzugeben.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung machte der Beschwerdeführer ebenso wie der einvernommene Briefträger als Zeuge einen persönlich glaubwürdigen Eindruck.

Dass der Bescheid tatsächlich durch Hinterlegung zugestellt worden ist, folgt aus den im Verwaltungsakt einliegenden Beweismitteln (AS 285 und AS 287) und wird vom Antragsteller auch nicht bestritten.

Davon ist die Frage zu unterscheiden, ob der Antragsteller von diesem Zustellvorgang auch Kenntnis erlangt hat. Es erscheint durchaus möglich, dass die Hinterlegungsanzeige von einem Mitbewohner irrtümlich entfernt oder sonst abhandengekommen ist und der Antragsteller somit keine Möglichkeit hatte, von der Zustellung Kenntnis zu erlangen, zumal der Antragsteller in einer Unterkunft mit mehreren Parteien wohnte und glaubhaft machen konnte, dass er des Öfteren im Postkasten Nachschau hielt. Zudem konnte der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung glaubhaft darlegen, dass er auch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Briefsortierer sorgfältig mit Briefen umgeht und sich deren Bedeutsamkeit bewusst ist. Die Ausführungen in Bezug auf die nachträgliche Kenntniserlangung von der verspäteten Beschwerdeerhebung und seine daraufhin gesetzten Schritte erscheinen dem Grunde nach nachvollziehbar und machte der Antragsteller einen persönlich glaubhaften Eindruck im Rahmen der Beschwerdeverhandlung. Es lag keine bewusste und grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht des Antragstellers vor.

Wie bereits ausgeführt, ist es jedoch durchaus möglich und lebensnahe, dass die Hinterlegungsanzeige im konkreten Fall abhandengekommen ist und der Antragsteller keine Kenntnis von der Zustellung seines verfahrensabschließenden Bescheides erlangt hat.

Der Antragsteller hat somit glaubhaft gemacht, dass der Grund, weshalb er vom Zustellvorgang zunächst keine Kenntnis erlangt hat, nicht der Umstand war, dass er etwa auffallend sorglos gehandelt hat oder er die nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Die dem Antragsteller zuzurechnende verspätete Einbringung seiner Beschwerde gegen die Entscheidung der Behörde in der Hauptsache war nicht als ein über einen geringgradigen Sorgfaltsfehler hinausgehendes Verschulden zu qualifizieren. Der Beschwerdeführer hat unmittelbar nach Kenntnisnahme der verspäteten Beschwerdeerhebung, nämlich nach dem am 05.06.2019 zugestellten Verspätungsvorhalt, fristgerecht gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung am 19.06.2019 gestellt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Im vorliegenden Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A)

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

§ 33 VwGVG lautet auszugsweise:

(1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) (...)

(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. (...)

(4) (...)

(4a) (...)

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt.

Ein Ereignis ist dann "unvorhergesehen", wenn die Partei es nicht einberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte. Es ist "unabwendbar", wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht verhindern konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen, haben. An rechtskundige Parteienvertreter ist hierbei ein strengerer Maßstab anzulegen als an am Verfahren beteiligte rechtsunkundige Parteien. Die Einhaltung von (Rechtsmittel)Fristen erfordert von der Partei und ihrem Vertreter größtmögliche Sorgfalt. Dabei muss sich nach ständiger Rechtsprechung der Vertretene das Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen (VwGH 26.2.2014, 2012/13/0051) (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, Praxiskommentar zum VwGVG und VwGG², § 33, E 18).

Wie der VwGH in ständiger Rechtsprechung auch ausgeführt hat, ist die Zulässigkeit der Wiedereinsetzung in das Verfahren nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers gesteckt ist. Der behauptete Wiedereinsetzungsgrund muss daher bereits im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand glaubhaft gemacht werden (VwGH 07.08.1992, 92/14/0033; 11.07.2000, 2000/16/0311). Trotz des im Verwaltungsverfahren herrschenden Grundsatzes der amtswegigen Ermittlung der materiellen Wahrheit die Pflicht sind somit im Wiedereinsetzungsantrag neben den Angaben zur Rechtzeitigkeit die Gründe anzuführen, auf die er sich stützt, und ist ihr Vorliegen glaubhaft zu machen (VwGH 19.06.1990, 90/04/0101). Die Behörde ist auf Grund der Antragsbedürftigkeit des Verfahrens ausschließlich an die vom Wiedereinsetzungswerber (rechtzeitig) vorgebrachten tatsächlichen Gründe gebunden. Es ist ihr verwehrt, von sich aus weitere Gesichtspunkte in die Prüfung mit einzubeziehen (VwGH 14.12.1995, 95/19/0622; siehe auch Hengstschläger/Leeb, AVG § 71 Rz 115).

Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes. Ein solcher ist gegeben, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Nach den ErläutRV zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 33 (2009 BlgNR 24. GP, 8), hat die Behörde über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist die Bestimmungen des AVG anzuwenden, während sich § 33 VwGVG auf jene Verfahren bezieht, die von den Verwaltungsgerichten geführt werden. Die Behörde hätte daher gegenständlich das AVG anzuwenden gehabt, zumal das Beschwerdeverfahren eine versäumte Prozesshandlung (Beschwerdeeinbringung) betrifft, die bei einer Verwaltungsbehörde (und nicht beim Verwaltungsgericht) zu setzen war und die Wiedereinsetzungsanträge schon bei der Behörde gestellt wurden (a.A. VwGH 28.09.2016, Ro 2016/16/0013-3).

Da die Bestimmungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG entsprechen, finden die zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze und Judikatur auf § 33 VwGVG Anwendung.

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ereignis unabwendbar ist, kommt es nach der Rechtsprechung (VwGH 24.01.1996, 94/12/0179) auf objektive Umstände an; nämlich darauf, ob das Ereignis auch von einem Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann. Ob ein Ereignis unvorhergesehen ist, hängt demgegenüber nach der Rechtsprechung nicht von einer objektiven Durchschnittsbetrachtung, sondern vom konkreten Ablauf der Geschehnisse ab. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es von der Partei tatsächlich nicht einberechnet wurde und mit zumutbarer Vorsicht auch nicht vorhergesehen werden konnte (VwGH 03.04.2001, 2000/08/0214).

Ein Verschulden der Partei hindert die Wiedereinsetzung nur dann nicht, wenn es sich dabei lediglich um einen minderen Grad des Versehens handelt. Wie der VwGH wiederholt ausgesprochen hat, liegt ein "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wurde, der gelegentlich auch einem sorgfältig handelnden Menschen widerfahren kann. Der Wiedereinsetzungswerber (bzw. der ihm zurechenbare Rechtsvertreter) darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, das heißt, die im Verkehr mit Gerichten und Verwaltungsbehörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei berufliche Parteienvertreter sicherlich einen strengeren Sorgfaltsmaßstab zu beachten haben (vgl. die Erkenntnisse des VwGH 29.11.1994, 94/05/0318, VwGH 15.12.1995, 95/17/0469 und VwGH 23.05.2001, 99/06/0039).

Behauptet ein Wiedereinsetzungswerber, von einem ihn betreffenden Schriftstück oder einer Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt zu haben, hat er detaillierte sachverhaltsbezogene Vorbringen darüber zu machen, was er üblicherweise unternimmt, um dies zu vermeiden (VwGH 21.12.1999, 97/19/0217; VwGH 04.02.2000, 97/19/1484; VwGH 02.10.2000, 98/19/0198). Das alleinige Vorbringen, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben, reicht demzufolge nicht aus (VwGH 21.11.2001, 2001/08/0011). Es sind vielmehr jene Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich des Wiedereinsetzungswerbers darzulegen, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, dass dieser von einem in seine Gewahrsame gelangten Poststück aus bestimmten, keine auffallende Sorglosigkeit begründenden Umständen keine Kenntnis erlangen konnte (VwGH 20.01.1998, 97/08/0545). Insbesondere können hier Angaben darüber, wer die Entleerung derselben Hausbrieffachanlage besorgte bzw. wie oft eine solche Entleerung erfolgte, notwendig sein (VwGH 21.12.1999, 97/19/0217; VwGH 04.02.2000, 97/19/1484; VwGH 02.10. 2000, 98/19/0198, siehe Hengstschläger/Leeb, AVG § 71, Rz 122, Stand 01.04.2009, rdb.at).

Der Antrag ist zusammengefasst damit begründet, dass der Antragsteller keine Kenntnis von der Zustellung des sein Asylverfahren beendenden Bescheides erlangt hat, da er keine Kenntnis von einer Hinterlegungsanzeige erhalten hat, die es ihm ermöglicht hätte, die Sendung zu beheben.

Festzuhalten ist vorweg, dass im vorliegenden Fall die Frist zur Erhebung der Beschwerde versäumt wurde und der Antragsteller dadurch einen Rechtsnachteil erlitt.

Wie aus den Feststelllungen und der korrespondierenden Beweiswürdigung ersichtlich, liegt es aber durchaus im Bereich des Möglichen und entspricht es auch der Lebenserfahrung, dass eine ursprünglich korrekt hinterlassene Hinterlegungsanzeige abhandengekommen ist, bevor der betreffende Adressat davon Kenntnis erlangt.

Der Antragsteller hat somit glaubhaft gemacht, dass er angesichts fehlender Kenntnis über den Zustellvorgang durch ein unvorhergesehenes Ereignis an der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 21.12.2017 gehindert gewesen ist. Wie bereits beweiswürdigend ausgeführt erscheint es durchaus möglich, dass die Hinterlegungsanzeige von einem Mitbewohner irrtümlich entfernt oder sonst abhandengekommen ist und der Antragsteller somit keine Möglichkeit hatte, von der Zustellung Kenntnis zu erlangen, zumal der Antragsteller in einer Unterkunft mit mehreren Parteien wohnte und glaubhaft machen konnte, dass er des Öfteren im Postkasten Nachschau hielt. Zudem konnte der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung glaubhaft darlegen, dass er auch im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Briefsortierer sorgfältig mit Briefen umgeht und sich deren Bedeutsamkeit bewusst ist. Die Ausführungen in Bezug auf die nachträgliche Kenntniserlangung, dass die erhobene Beschwerde verspätet ist, und seine daraufhin gesetzten Schritte erscheinen dem Grunde nach nachvollziehbar und machte der Antragsteller einen persönlich glaubhaften Eindruck im Rahmen der Beschwerdeverhandlung. Es lag keine bewusste und grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht des Antragstellers vor.

Eine restlose Klärung des Sachverhalts rund zwei Jahre nach den gegenständlichen Vorfällen wird nicht erlangt werden können, zumal der Antragsteller auch in einer Unterkunft mit mehreren, wechselnden Bewohnern aufhältig war.

Die dem Antragsteller zuzurechnende verspätete Einbringung seiner Beschwerde gegen die Entscheidung der Behörde in der Hauptsache war nicht als ein über einen geringgradigen Sorgfaltsfehler hinausgehendes Verschulden zu qualifizieren.

Nach der Rechtsprechung des VwGH kann ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden nicht angenommen werden, wenn die Partei trotz täglicher sorgfältiger Entleerung des Hausbrieffaches während des gesamten Hinterlegungszeitraums keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden hat (vgl. VwGH 06.05.1997, 97/08/0022; VwGH 21.12.1999, 97/19/0217; VwGH 04.02.02000, 97/19/1484). Da dies im gegenständlichen Fall zutrifft, handelt es sich nach Beurteilung durch das BVwG bei dem vom BF ins Treffen geführten Vorbringen um ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, durch welches sie an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen waren und an dem ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Daher war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist) stattzugeben.

Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren gemäß § 33 Abs. 5 VwGVG in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

Das Verfahren betreffend den Antrag auf internationalen Schutz des Antragstellers befindet sich somit im Stande der offenen Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des BFA vom 21.12.2017 und wird vom Bundesverwaltungsgericht fortgeführt werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Fristversäumung, Glaubhaftmachung, Verschulden, Verspätung,
Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W240.2190064.2.00

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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