Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien zu FN * eingetragenen M* GmbH mit dem Sitz in Wien, über den Revisionsrekurs der Gesellschaft, vertreten durch Köhler & Szakasits, öffentliche Notare in Tulln, diese vertreten durch Schima Mayer Starlinger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. Jänner 2020, GZ 6 R 381/19x-9, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 19. November 2019, GZ 71 Fr 20160/19h-6, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Zu FN * ist im Firmenbuch des Erstgerichts seit 4. 5. 2019 die M* GmbH mit einem Stammkapital von 35.000 EUR eingetragen. Bei der Gründung der Gesellschaft wurde die Gründungsprivilegierung nach § 10b GmbHG in Anspruch genommen. Alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter ist Dr. D* G* mit einer Stammeinlage von 35.000 EUR und einer voll eingezahlten gründungsprivilegierten Stammeinlage von 10.000 EUR.
Am 30. 10. 2019 beantragte der Geschäftsführer die Eintragung einer Erhöhung des Stammkapitals von 35.000 EUR auf 50.000 EUR und des weiteren Gesellschafters G* F* mit einer zur Gänze als gründungsprivilegiert ausgewiesenen, voll eingezahlten Stammeinlage von 15.000 EUR. Bei diesem Gesellschafter seien die Stammeinlage mit 15.000 EUR, die gründungsprivilegierte Stammeinlage mit 15.000 EUR sowie die darauf geleistete Einzahlung von 15.000 EUR einzutragen. Mit Generalversammlungsbeschluss vom 23. 10. 2019 sei beschlossen worden, das Stammkapital der Gesellschaft von 35.000 EUR um 15.000 EUR auf 50.000 EUR zu erhöhen und zur Übernahme dieser Kapitalerhöhung Herrn G* F* zuzulassen. Dieser habe den Kapitalerhöhungsbetrag von 15.000 EUR mit Übernahms- und Beitrittsklärung vom selben Tag zu einem Übernahmspreis von 300.000 EUR übernommen. Der bisherige Alleingesellschafter habe auf das ihm zustehende Bezugsrecht verzichtet. Der Kapitalerhöhungsbetrag sei bar eingezahlt und befinde sich in der freien Verfügung der Geschäftsführung. Mit dem Antrag wurde das dem Antragsvorbringen entsprechende Generalversammlungsprotokoll der Gesellschaft vorgelegt.
Das Erstgericht wies das Eintragungsbegehren ab. Die Schaffung von neuen, gründungsprivilegierten Stammeinlagen anlässlich einer Kapitalerhöhung sei nicht möglich, da § 10b GmbHG bestimme, dass die gründungsprivilegierten Stammeinlagen im Gesellschaftsvertrag (anlässlich der Gründung und nicht bei einer Kapitalerhöhung) festzusetzen seien.
Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts und ließ den Revisionsrekurs zu. Es vertrat zusammengefasst die Auffassung, die nachträgliche Schaffung gründungsprivilegierter Stammeinlagen sei ebenso unzulässig wie das Nebeneinander von Gesellschaftern mit gründungsprivilegierten und nicht gründungsprivilegierten Stammeinlagen in einer gründungsprivilegierten GmbH. Deshalb komme eine Übernahme von Stammeinlagen im Zuge einer Kapitalerhöhung durch einen Dritten im Stadium der Gründungsprivilegierung nicht in Betracht. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Frage der Zulässigkeit einer Kapitalerhöhung im Stadium der Gründungsprivilegierung oberstgerichtlicher Klärung bedürfe.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Gesellschaft mit dem (im Sinne von § 20 Abs 2 FBG umgedeuteten) Antrag, dem Erstgericht die Eintragung der beantragten Kapitalerhöhung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, § 10b GmbHG als Norm über die Gründungsprivilegierung sage nichts über Vorgänge nach der Gründung, also auch nichts über später im Weg der Kapitalerhöhung hinzutretende Gesellschafter aus. Die Regeln über die Kapitalerhöhung (§ 52 f GmbHG) verwiesen nicht auf § 10b GmbHG (§ 52 Abs 6 GmbHG). Es sei nicht einzusehen, warum Gesellschaftern, die die Gründungsprivilegierung in Anspruch nehmen wollten, verwehrt sein sollte, später einen finanzkräftigen neuen Gesellschafter im Weg der Kapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss aufzunehmen.
Hierzu wurde erwogen:
1. Norm:
Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13) wurde die mit „Gründungsprivilegierung“ überschriebene Bestimmung des § 10b GmbHG eingeführt, der lautet wie folgt:
„(1) Im Gesellschaftsvertrag, nicht jedoch durch eine Abänderung des Gesellschaftsvertrags (§ 49), kann vorgesehen werden, dass die Gesellschaft die Gründungsprivilegierung nach Maßgabe der folgenden Absätze in Anspruch nimmt.
(2) Im Gesellschaftsvertrag ist für jeden Gesellschafter auch die Höhe seiner gründungsprivilegierten Stammeinlage festzusetzen, die nicht höher als die jeweils übernommene Stammeinlage sein darf. Die Summe der gründungsprivilegierten Stammeinlagen muss mindestens 10 000 Euro betragen.
(3) Auf die gründungsprivilegierten Stammeinlagen müssen abweichend von § 10 Abs. 1 insgesamt mindestens 5 000 Euro bar eingezahlt werden. Sacheinlagen sind ausgeschlossen.
(4) Während aufrechter Gründungsprivilegierung sind die Gesellschafter abweichend von § 63 Abs. 1 nur insoweit zu weiteren Einzahlungen auf die von ihnen übernommenen Stammeinlagen verpflichtet, als die bereits geleisteten Einzahlungen hinter den gründungsprivilegierten Stammeinlagen zurückbleiben. Dies gilt auch für den Fall, dass während aufrechter Gründungsprivilegierung ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird.
(5) Die Gründungsprivilegierung gemäß Abs. 2 bis 4 kann durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags beendet werden, wobei vor Anmeldung der Änderung zum Firmenbuch (§ 51) die Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs. 1 zu erfüllen sind. Ansonsten endet die Gründungsprivilegierung spätestens zehn Jahre nach der Eintragung der Gesellschaft im Firmenbuch. Die Eintragungen betreffend die Gründungsprivilegierung im Firmenbuch (§ 5 Z 2a und 6 FBG) können erst entfallen, wenn zuvor die Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs. 1 erfüllt wurden.“
2. Grundlagen:
2.1. Die Besonderheit einer gründungsprivilegierten GmbH besteht darin, dass die Stammeinlagen der einzelnen Gesellschafter in einen gründungsprivilegierten und einen nicht gründungsprivilegierten Teil aufgeteilt werden und während aufrechter Gründungsprivilegierung von den Gesellschaftern nur Leistungen auf gründungsprivilegierte Stammeinlagen eingefordert werden können (vgl Walch, ecolex 2014, 335; derselbe, NZ 2018, 178). Der Vorteil der Gründungsprivilegierung besteht – anders als nach dem GesRÄG 2013 – nicht in einer Herabsetzung des Mindeststammkapitals, sondern in einer Reduzierung des Risikokapitals, das von den Gesellschaftern innerhalb der ersten zehn Jahre ab Gründung der Gesellschaft eingesetzt werden muss, um in den Genuss des Haftungsprivilegs einer GmbH zu kommen. Der Gesetzgeber kommt Neugründungen damit insoweit entgegen, als die Gesellschafter zunächst nur 10.000 EUR an (auch im Fall einer Insolvenz) einforderbaren Stammeinlagen übernehmen und davon vorläufig nur 5.000 EUR bar geleistet werden müssen. Die Kapitalaufbringung im Sinne des § 10 Abs 1 GmbHG muss erst später nachgeholt werden (Schopper/Walch, NZ 2014, 186).
2.2. Will die Gesellschaft eine Gründungsprivilegierung nach § 10b GmbHG in Anspruch nehmen, ist im Gesellschaftsvertrag für jeden Gesellschafter neben der übernommenen Stammeinlage auch die Höhe seiner gründungsprivilegierten Stammeinlage festzusetzen und damit der Kapitalbetrag festzulegen, auf den die Haftung des Gesellschafters für die ersten zehn Jahre beschränkt ist. Da es sich nach dem Willen des Gesetzgebers um Erleichterungen für die Startphase handelt, müssen die betreffenden Regelungen schon in der ursprünglichen Fassung des Gesellschaftsvertrags enthalten sein (ErläutRV 24 BlgNR 25. GP, 27 f). Nach Eintragung der Gesellschaft im Firmenbuch steht den Gesellschaftern keine Gründungsprivilegierung mehr offen. Es können nachträglich keine gründungsprivilegierten Stammeinlagen mehr geschaffen werden.
2.3. Nach überwiegender Ansicht im Schrifttum kann das Stammkapital bei Inanspruchnahme der Gründungsprivilegierung auch höher als mit dem in § 6 GmbHG vorgesehenen Mindeststammkapital angesetzt werden (Bachner, RdW 2014, 115; Rauter, JAP 2013/2014, 234; Schörghofer/Krausler, GesRZ 2014, 169; Hartlieb/Saurer/Zollner, Die gründungsprivilegierte GmbH, SWK-Spezial [2014], 20 [21]; A. Winkler/M. Winkler in FAH, GmbHG § 10b Rz 9; Walch, ecolex 2014, 335 [337], der dagegen allerdings rechtspolitische Bedenken vorbringt; kritisch auch Moser, GES 2014, 104, wonach das Gründungsprivileg teleologisch nur GmbH mit dem Mindestkapital von 35.000 EUR offen stehen sollte; ebenso van Husen in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG § 10b Rz 135, 219 ff).
Der erkennende Senat schließt sich der herrschenden Ansicht an: Das Gesetz verbietet die Gründung einer gründungsprivilegierten GmbH mit einem höheren Stammkapital als dem Mindeststammkapital von 35.000 EUR (§ 6 Abs 1 GmbHG) nicht. Teleologische Gesichtspunkte sprechen nicht gegen eine solche Möglichkeit: Anfangs finanzschwache Gesellschafter könnten etwa anstreben, den Geschäftsumfang des von ihnen geplanten Unternehmens so (erfolgreich) auszuweiten, dass ihnen innerhalb der zehnjährigen Frist des § 10b Abs 5 GmbHG nicht nur die erforderliche Aufbringung der Mittel zur Beendigung der Gründungsprivilegierung möglich sein, sondern das Unternehmen auch höhere Eigenmittel als das Mindeststammkapital erfordern werde. Auch Gläubigerschutzerwägungen sprechen nicht dagegen, bietet doch ein höheres Stammkapital den Gläubigern einen größeren Haftungsfonds (vgl RS0105518).
2.4. Die Höhe der gründungsprivilegierten Stammeinlage kann für jeden Gesellschafter unterschiedlich festgelegt werden; gleiches gilt für das Verhältnis zwischen der gründungsprivilegierten und der übernommenen Stammeinlage. Aus der gesetzlichen Anordnung, dass eine gründungsprivilegierte Stammeinlage nicht höher als die jeweils übernommene Stammeinlage sein darf (§ 10b Abs 2 Satz 1 GmbHG) ergibt sich, dass die gründungsprivilegierte Stammeinlage eines Gesellschafters auch gleich hoch sein kann wie die gesamte von ihm übernommene Stammeinlage. Im Ergebnis besteht für einen solchen Gesellschafter damit de facto keine Privilegierung, da die gesamte Stammeinlage einforderbar ist. Trotzdem ist auch in diesem Fall sowohl die gründungsprivilegierte als auch die (betraglich idente) übernommene Stammeinlage in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen (§ 10b Abs 2 GmbHG) und auch in das Firmenbuch einzutragen (vgl § 5 Z 6 FBG; Schörghofer/Krausler, GesRZ 2014, 168 [169]; Bachner, RdW 2014, 116; Hartlieb/Saurer/Zollner, Die gründungsprivilegierte GmbH, SWK-Spezial [2014], 20 [23]; Walch, ecolex 2014, 335).
2.5. Zur Frage, ob Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Gründungsprivilegierung nach § 10b GmbHG ist, dass jeder Gründungsgesellschafter eine gründungsprivilegierte Stammeinlage übernimmt, liegen unterschiedliche Ansichten im Schrifttum vor: Unter anderem unter Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut (§ 10b Abs 2 GmbHG: „für jeden Gesellschafter“) bejahen dies einige Autoren (U. Torggler in U. Torggler, GmbHG § 10b Rz 5; Walch, ecolex 2014, 335; derselbe, NZ 2018, 179 bei FN 145; Birnbauer, ÖRPfl 2015/2, 32). Verneint wird dies von Zollner in Gruber/Harrer, GmbHG2 § 10b Rz 16, 22; Hartlieb/Saurer/Zollner, Die gründungsprivilegierte GmbH, SWK-Spezial (2014), 20 (21 f), und im Ergebnis wohl auch von Schopper/Walch, NZ 2014, 186 (187).
Diese Frage ist nicht entscheidungsrelevant, weil es hier nur einen – gründungsprivilegierten – Gründungsgesellschafter gibt. Die Klärung dieser Frage hat insofern auch nur theoretische Bedeutung, als – wie unter Punkt 2.4. ausgeführt – ein Gesellschafter zumindest de facto die Gründungsprivilegierung nicht in Anspruch nehmen muss.
3. Kapitalerhöhung während aufrechter Gründungsprivilegierung:
3.1. Rechtsprechung:
Der Oberste Gerichtshof musste dazu bisher nicht Stellung nehmen. In der nicht einschlägigen Entscheidung 6 Ob 194/17y hat der Senat unter Bezugnahme auf van Husen (aaO Rz 219 ff) lediglich angemerkt, dass eine Kapitalerhöhung im Stadium der Gründungsprivilegierung Probleme aufwirft.
Die Praxis der Firmenbuchgerichte erster Instanz ist uneinheitlich (vgl Steinhart, RdW 2017, 77 FN 1).
3.2. Lehre:
Im Schrifttum bejaht die Mehrzahl der Autoren die Möglichkeit der Kapitalerhöhung (vgl Schopper/Walch, NZ 2014, 186 [193]; Straube in FS Reich-Rohrwig [2014] 223 [232]; Rauter, JAP 2013/2014, 233 [236]; U. Torggler in U. Torggler, GmbHG § 10b Rz 16; Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, WK GmbHG § 52 Rz 3; Steinhart, RdW 2017, 77; Walch, NZ 2018, 161 [178 f] mwN). Begründet wird dies, soweit dazu Aussagen überhaupt vorliegen, damit, dass dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, dass eine Kapitalerhöhung unzulässig sei (Rauter, Walch).
Tendenziell ablehnend ist – soweit zu sehen – nur van Husen in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, § 10b Rz 219 ff, wonach eine Kapitalerhöhung während aufrechter Gründungsprivilegierung zu einem Spannungsfeld mit dem Konzept der gründungsprivilegierten GmbH führe (Rz 224). Es sprächen wohl gute Gründe für eine Beendigung der Gründungsprivilegierung vor Durchführung einer Kapitalerhöhung (Rz 225).
Von den Befürwortern der Möglichkeit der Kapitalerhöhung wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass im Zuge einer Kapitalerhöhung keine gründungsprivilegierten Stammeinlagen mehr übernommen werden können, da dies eine nachträgliche Inanspruchnahme einer Gründungsprivilegierung darstellte, die nach § 10b Abs 1 GmbHG untersagt sei (Schopper/Walch, NZ 2014, 186 [193]; Steinhart, RdW 2017, 77 [78]; Walch, NZ 2018, 161 [179]; aA offenbar Rauter, JAP 2013/2014, 236; U. Torggler in U. Torggler, GmbHG § 10b Rz 16).
3.3. Stellungnahme:
§ 10b GmbHG normiert kein Verbot einer Kapitalerhöhung für eine gründungsprivilegierte GmbH, sodass die Annahme der Unzulässigkeit einer Kapitalerhöhung in diesem Stadium eine entsprechende teleologische Reduktion der §§ 52 f GmbHG erforderte. Dafür liegen nach Ansicht des Senats die Voraussetzungen nicht vor, wobei im Folgenden zwischen Kapitalerhöhungen mit neu hinzutretenden Gesellschaftern (vorliegender Fall) und solchen bloß mit den bisherigen Gesellschaftern zu unterscheiden ist.
3.3.1. Kapitalerhöhung mit Hinzutreten neuer Gesellschafter:
Zunächst spricht nichts dagegen, Gesellschaftern, die die Gründungsprivilegierung in Anspruch genommen haben, zu ermöglichen, später einen (finanzkräftigen) neuen Gesellschafter im Weg der Kapitalerhöhung in die Gesellschaft aufzunehmen (so auch Steinhart, RdW 2017, 77 [79]). Dies ergibt sich schon aus der Abdingbarkeit des Bezugsrechts der Gesellschafter (§ 52 Abs 3 GmbHG).
Aus Wortlaut und Systematik des § 10b GmbHG ergeben sich keine Hindernisse für eine Kapitalerhöhung: Aus dem Wort „Gründungsprivilegierung“ in der Überschrift und im Text von § 10b GmbHG sowie der Regelung, dass sie nur am Anfang, also nicht durch Änderung des Gesellschaftsvertrags, in Anspruch genommen werden kann (§ 10b Abs 1 GmbHG), ist zwar zu folgern, dass später im Wege der Kapitalerhöhung hinzutretende Gesellschafter eine Gründungsprivilegierung nicht in Anspruch nehmen können. Aus § 10b Abs 2 GmbHG wonach (bei der Gründung [Abs 1]) für jeden Gesellschafter die Höhe seiner gründungsprivilegierten Stammeinlage festzusetzen ist, folgt jedoch nicht, dass auch später, also nach der Gründung hinzutretende Gesellschafter eine gründungsprivilegierte Stammeinlage übernehmen müssten (was sie – wie
ausgeführt – auch nicht könnten). Die Ansicht, einer gründungsprivilegierten GmbH könnten ausschließlich Gesellschafter mit einer (auch) gründungsprivilegierten Stammeinlage angehören, kann sich somit nicht auf das Gesetz stützen. Es ist auch kein Grund ersichtlich, warum durch späteren Hinzutritt weiterer Gesellschafter in einer GmbH gründungsprivilegierte und nicht gründungsprivilegierte Gesellschafter nicht nebeneinander bestehen können sollten. Diese Auslegung wird dadurch gestützt, dass in den Regeln über die Kapitalerhöhung zwar auf die sinngemäße Anwendung der §§ 6, 6a, 10 und 10a GmbHG, aber gerade nicht auch des § 10b GmbHG verwiesen wird (§ 52 Abs 6 GmbHG).
Schopper/Walch, NZ 2014, 186 (193) schlagen vor, auch für einen hinzutretenden Gesellschafter im Firmenbuch eine gründungsprivilegierte Stammeinlage (die gleich hoch wie die übernommene Stammeinlage sei) einzutragen. Fehlte die Eintragung, entstünde nach Ansicht der Autoren für Dritte der Eindruck, dass es sich bei der übernommenen Stammeinlage um eine nicht-einforderbare Stammeinlage handle.
Dieser Ansicht ist nicht zu folgen: Wie erwähnt, kann ein später hinzutretender Gesellschafter eine Gründungsprivilegierung nicht in Anspruch nehmen und demnach auch keine gründungsprivilegierte Stammeinlage übernehmen. Es verbietet sich somit eine entsprechende Eintragung im Firmenbuch (so auch Steinhart, RdW 2017, 77 [79]). Die Gefahr, die vom hinzutretenden Gesellschafter übernommene Stammeinlage für eine nichteinforderbare zu halten, besteht nicht, weil es für einen hinzutretenden Gesellschafter eben keine gründungsprivilegierte und somit auch keine nicht-einforderbare Stammeinlage geben kann. Die Tatsache, dass es sich bei diesem Gesellschafter um keinen Gründungsgesellschafter handelt, ist ohne Weiteres aus dem Firmenbuch ersichtlich. Für einen hinzutretenden Gesellschafter sind somit lediglich die übernommene Stammeinlage und die darauf geleisteten Einzahlungen einzutragen.
3.3.2. Kapitalerhöhung ohne Hinzutreten neuer Gesellschafter:
In diesem Fall ist ein Bedürfnis nach Durchführung einer Kapitalerhöhung während der Gründungsprivilegierung weniger stark ausgeprägt, weil den Gesellschaftern, die der Gesellschaft weiteres Eigenkapital zuwenden wollen, die Möglichkeit offensteht, diese Mittel, soweit erforderlich, zunächst einmal zur Erfüllung der Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs 1 GmbHG zu verwenden und dadurch die Gründungsprivilegierung gemäß § 10b Abs 5 GmbHG zu beenden (so auch Walch, NZ 2018, 161 [178]).
Auch hier ist jedoch der Fall denkbar, dass sich von mehreren gründungsprivilegierten Gesellschaftern nicht alle bei einer Kapitalerhöhung beteiligen wollen oder können, was – wie ausgeführt – vom Gesetzgeber grundsätzlich gebilligt wird (§ 52 Abs 3 GmbHG; vgl Walch, NZ 2018, 161 [178]). Dabei entsteht aber das Problem, dass im Zuge der Kapitalerhöhung die Gründungsprivilegierung nicht beendet werden kann, weil dies gemäß § 10b Abs 5 GmbHG die Erfüllung der Mindesteinzahlungserfordernisse durch alle Gesellschafter voraussetzte. Für diese Konstellation hat Walch (aaO 179) vorgeschlagen, dass im Zuge der Kapitalerhöhung bei einem Altgesellschafter auch der Betrag seiner gründungsprivilegierten Stammeinlage im Ausmaß der neu übernommenen Stammeinlage erhöht werden muss. Auf diese Rechtsansicht ist im vorliegenden Verfahren jedoch nicht abschließend einzugehen, weil hier eine derartige Konstellation nicht zu beurteilen ist.
4. Die vorstehenden Ausführungen werden wie folgt zusammengefasst:
4.1. Bei einer iSv § 10b GmbHG gründungsprivilegierten GmbH kann das Stammkapital auch höher als das Mindeststammkapital von 35.000 EUR (§ 6 Abs 1 GmbHG) sein.
4.2. Eine GmbH kann auch während aufrechter Gründungsprivilegierung eine Kapitalerhöhung durchführen.
Bei einem im Zuge einer Kapitalerhöhung neu hinzutretenden Gesellschafter sind nur der Betrag der übernommenen Stammeinlage und die darauf zu leistenden Einzahlungen zu beschließen. Ein solcher Gesellschafter kann keine gründungsprivilegierte Stammeinlage übernehmen, eine solche ist im Firmenbuch auch nicht einzutragen. In einer GmbH können im Gefolge einer Kapitalerhöhung auch während aufrechter Gründungsprivilegierung Gesellschafter mit gründungsprivilegierter Stammeinlage und Gesellschafter ohne solche nebeneinander bestehen.
5. Vorliegender Fall:
Der an der Kapitalerhöhung beteiligte Neugesellschafter hat nicht nur eine Stammeinlage, sondern auch eine gründungsprivilegierte Stammeinlage übernommen. Daran ändert nichts, dass die gründungsprivilegierte Stammeinlage gleich hoch wie die Stammeinlage ist. Da nach dem unter 3.3.1. Gesagten bei einem nach Gründung hinzutretenden Gesellschafter die Übernahme einer gründungsprivilegierten Stammeinlage unzulässig ist, haben die Vorinstanzen das Eintragungsbegehren im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Textnummer
E128165European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:E128165Im RIS seit
22.05.2020Zuletzt aktualisiert am
25.02.2022