Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Kläger 1. K***** W*****, 2. M***** W*****, vertreten durch Mag. Markus Adam, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Beklagte J***** R*****, vertreten durch Mag. Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über den Rekurs der Kläger gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 6. März 2019, GZ 39 R 289/18s-24, womit die Berufung der Kläger und die Berufungsbeantwortung der Beklagten gegen das Teilurteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. September 2018, GZ 45 C 142/18v-20, zurückgewiesen wurden, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur Entscheidung über die Berufung der Kläger an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Die Kläger als Vermieter kündigten den Bestandvertrag mit der Beklagten als Wohnungsmieterin, gestützt auf die Kündigungsgründe nach § 30 Abs 2 Z 1 und Z 3 zweiter Fall MRG. Das Erstgericht bewilligte die gerichtliche Aufkündigung und unterbrach sodann – nach Erhebung von Einwendungen durch die Beklagte – das Verfahren (nur) hinsichtlich des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 1 MRG bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines Außerstreitverfahrens über die Betriebskostenabrechnung. Zur Klärung der Frage, ob der streitgegenständliche Betrag unberichtigterweise aushafte, sei zunächst die Frage zu klären, ob die Betriebs- und Liftkosten gegenüber der Beklagten ordnungsgemäß verzeichnet und vorgeschrieben worden seien. Das Beweisverfahren zum Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG könne unabhängig von der zu klärenden Frage des grob verschuldeten Mietzinsrückstands durchgeführt werden, sodass das Verfahren nur teilweise zu unterbrechen sei. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.
Das Erstgericht hob in der Folge die Aufkündigung betreffend den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG (unleidliches Verhalten) mittels Teilurteils auf und wies das Räumungsbegehren insoweit ab.
Das Berufungsgericht wies die dagegen von den Klägern erhobene Berufung ebenso wie die Berufungsbeantwortung der Beklagten zurück. Die Rechtskraft der Entscheidung in diesem Verfahren beschränke sich darauf, ob die Aufkündigung rechtswirksam sei. Allfällige Ausführungen in den Entscheidungsgründen, ob und welche Kündigungsgründe im Sinne des § 30 MRG vorlägen, seien nicht der Rechtskraft fähig. Daher sei keine „Teilunterbrechung“ möglich. Da der Unterbrechungsbeschluss allerdings in Rechtskraft erwachsen sei, habe er – entgegen seinem gesetzwidrigen Wortlaut – bewirkt, dass das gesamte Verfahren unterbrochen sei. Das Teilurteil des Erstgerichts hätte während der (mangels eines Wiederaufnahmebeschlusses weiterhin bestehenden) Fortdauer der Unterbrechungswirkung wirksam nur durch eine Berufung bekämpft werden können, in welcher dieser Fehler als Beschwerdegrund geltend gemacht worden wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall gewesen, weshalb sowohl die Berufung als auch die Berufungsbeantwortung als infolge der Unterbrechungswirkung unwirksame Prozesshandlungen zurückzuweisen seien.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Kläger mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung in der Sache aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Rekurs ist zulässig, zumal gegen einen Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung zurückweist, ein Rekurs ohne Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts zulässig ist (RS0043893 [T7]). Das Rekursverfahren ist zweiseitig (RS0098745 [T21]), die Beklagte hat aber keine Rekursbeantwortung erstattet.
2. Der Rekurs ist auch berechtigt:
2.1. Wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, welches Gegenstand eines anderen anhängigen gerichtlichen Verfahrens ist, kann das Gericht gemäß § 190 Abs 1 ZPO anordnen, dass das Verfahren auf so lange Zeit unterbrochen wird, bis in Ansehung dieses Rechtsverhältnisses eine rechtskräftige Entscheidung vorliegt.
2.2. Der Regelung des § 190 ZPO liegt ein verfahrensökonomischer Gedanke zugrunde, der darauf abstellt, dass die Entscheidung der präjudiziellen Vorfrage in einem anderen Verfahren als Hauptfrage bei Parteienidentität nach der Rechtskraftlehre Bindungswirkung im Folgeprozess hat (vgl Höllwerth in Fasching/Konecny³ II/3 § 190 ZPO Rz 2).
2.3. Die Unterbrechung des Rechtsstreits (über eine Mietzinsklage) ist nur gerechtfertigt, soweit die Entscheidung von einer im MSch-Verfahren zu entscheidenden Vorfrage abhängt; in diesem Sinn ist auch eine Teilunterbrechung zulässig (RS0074285).
2.4. Zu 2 Ob 606/92 bejahte der Oberste Gerichtshof eine Teilunterbrechung eines Kündigungsverfahrens, ebenfalls gestützt auf die Kündigungsgründe nach Z 1 und Z 3 des § 30 Abs 2 MRG, unter Bezugnahme auf ein kumulativ auf verschiedene Klagegründe gestütztes Begehren. Der 2. Senat bezog sich auf die Entscheidung 8 Ob 543/87 = SZ 60/151, in der bereits ausgeführt worden war, dass eine kumulierte Klagenhäufung dann vorliegt, wenn ein einheitliches Leistungsbegehren gestellt wird, das auf verschiedenen Sachverhaltsbehauptungen gründet. Es bestehen keine Bedenken dagegen, die eingetretene Unterbrechung des Rechtsstreits hinsichtlich des einen geltend gemachten Klagegrundes festzustellen und den Rechtsstreit, soweit das Begehren auf den anderen Klagsgrund gestützt wird, fortzusetzen (RS0037814).
3.1. Im vorliegenden Fall liegt ein unangefochtener Beschluss über eine Teilunterbrechung vor, der sich explizit nur auf den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 1 MRG bezieht. Die Rechtskraft des Unterbrechungsbeschlusses erstreckt sich daher nur auf den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 1 MRG (Mietzinsrückstand). Die Berufung der Kläger gegen das Teilurteil über den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG (unleidliches Verhalten) war somit keine von der Unterbrechung erfasste unwirksame Prozesshandlung (ebenso wenig wie die Berufungsbeantwortung der Beklagten).
3.2. Dem Rekurs der Kläger ist daher Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Rechtssache zur Entscheidung über die Berufung der Kläger an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
4. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1 und 52 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E128164European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00157.19W.0330.000Im RIS seit
22.05.2020Zuletzt aktualisiert am
24.09.2020