TE OGH 2020/5/11 4R47/20y

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Veröffentlicht am 11.05.2020
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Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoffmann als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Huber und den Senatspräsidenten Dr. Gosch als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) H***** T*****, geboren am 23.1.2014, vertreten durch ihre Eltern M***** und D***** T*****, 2.) M***** T*****, 3.) D***** T*****, vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei M*****, vertreten durch Dr. Klaus Perktold, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen a) hinsichtlich der Erstklägerin: EUR 115.295,24 s.A. und Feststellung (Gesamtstreitwert: EUR 125.295,24), b) hinsichtlich der Zweitklägerin: EUR 3.000,-- s.A. und c) hinsichtlich des Drittklägers: EUR 3.000,-- s.A., über den Rekurs der beitrittswerbenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Paul Bauer, Dr. Anton Triendl, Dr. Andreas Ruetz, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 16.3.2020, 41 Cg 87/19s-45, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Aus Anlass des Rekurses wird der angefochtene Beschluss als nichtig a u f g e h o b e n und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung über den Zurückweisungsantrag der beklagten Partei betreffend den Beitritt der Rekurswerberin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung z u r ü c k v e r w i e s e n .

Die Kosten des Rekursverfahrens haben die am Rekursverfahren beteiligten Parteien jeweils endgültig selbst zu tragen.

Begründung:

Text

Die Gemeinde M***** beauftragte die aus zwei Bauunternehmen bestehende A***** als Generalunternehmerin mit der Errichtung eines neuen Gemeindezentrums. Im Auftrag dieser A***** montierte die Beklagte im Februar 2017 insgesamt vier rahmenlose Glasdrehtüren im Zugangsbereich zu Räumlichkeiten, die die nunmehrige Rekurswerberin von der Gemeinde M***** in Bestand nahm, um dort einen Gastronomiebetrieb zu führen.

Am 18.9.2018 waren die Kläger als Gäste im Restaurant der Rekurswerberin. Beim Verlassen des Lokals fiel eine der von der Beklagten montierten Glastüren auf die Erstklägerin, die dadurch schwerst verletzt wurde.

Mit ihrer am 19.9.2019 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehren die Kläger von der Beklagten Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Unfall vom 18.9.2018. Sie brachten dazu vor, die Beklagte habe die Glastüre fehlerhaft montiert und somit rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Der zwischen der Beklagten und der A***** abgeschlossene Werkvertrag entfalte auch Schutzwirkungen zugunsten der Kläger als Gäste des dort situierten Gastronomiebetriebs.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wendete im Wesentlichen ein, sie habe weder rechtswidrig noch schuldhaft gehandelt. Die Glastüre sei von vier qualifizierten Mitarbeitern sach- und fachgerecht eingebaut worden. Im Übrigen sei die Beklagte nicht passiv legitimiert, weil die Kläger nicht vom Schutzbereich des von der Beklagten mit der A***** abgeschlossenen Werkvertrags erfasst seien. Die Kläger hätten einen deckungsgleichen vertraglichen Schadenersatzanspruch gegen die Nebenintervenientin und gegen die Gemeinde M*****.

In der Folge verkündeten die Kläger der Gemeinde M***** sowie der nunmehrigen Rekurswerberin den Streit und brachten dazu vor, dass sie dann, wenn sich das Gericht der Rechtsauffassung der Beklagten anschließen sollte oder im Verfahren herauskommen würde, dass die nunmehrige Rekurswerberin oder die Gemeinde M***** die Türe unrichtig eingestellt oder gewartet oder Wartungsintervalle nicht eingehalten hätten, sie einen Anspruch gegenüber der Rekurswerberin bzw der Gemeinde M***** hätten, weshalb sie genötigt wären, ihre Rechtsansprüche gegenüber diesen Parteien durchzusetzen.

Mit Schriftsatz vom 30.1.2020 erklärte die nunmehrige Rekurswerberin den Streitbeitritt auf Seiten der Kläger. Hinsichtlich ihres Beitrittsinteresses brachte sie vor, dass die Kläger im Falle eines Prozessverlusts ihr gegenüber Regressansprüche angedroht hätten. Aus dem Vertragsverhältnis zwischen den Klägern und ihr würden die Kläger im Falle der Nichtbeachtung allfälliger Wartungsintervalle Ersatzansprüche ihr gegenüber ableiten. Daher habe sie ein rechtliches Interesse am Obsiegen der Kläger in diesem Verfahren, um nicht einem allfälligen und nunmehr angedrohten Regress seitens der Kläger ausgesetzt zu werden.

Mit Schriftsatz vom 3.3.2020 beantragte die Beklagte die Zurückweisung des Streitbeitritts, weil die Nebenintervenientin kein materielles Streitinteresse habe. Durch die Streitverkündung hätten die Kläger versucht, die Tatsache zu korrigieren, dass sie die falsche Partei in Anspruch genommen hätten. Regressansprüche der Kläger gegenüber der nunmehrigen Rekurswerberin gebe es nicht, sondern vielmehr bestehe der Hauptanspruch gegenüber dieser. Die Beitrittswerberin habe lediglich ein wirtschaftliches Interesse am Obsiegen der Kläger.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Streitbeitritt der nunmehrigen Rekurswerberin kostenpflichtig zurück. Es begründete seine Entscheidung dahingehend, dass die Beitrittswerberin lediglich ein wirtschaftliches Interesse am Obsiegen der Kläger dargetan habe, nicht jedoch ein rechtliches Interesse.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der fristgerechte Rekurs der Beitrittswerberin, der im Antrag mündet, in Stattgebung des Rekurses den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass der Beitritt der Nebenintervenientin auf Seiten der Kläger zugelassen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Aus Anlass des Rekurses war der angefochtene Beschluss als nichtig aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 18 Abs 2 ZPO ist über den von einer der Prozessparteien gestellten Antrag auf Zurückweisung des Nebenintervenienten nach vorhergehender mündlicher Verhandlung zwischen dem Bestreitenden und dem Intervenienten durch Beschluss zu entscheiden. Das Gesetz sieht also zwingend die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über den Zurückweisungsantrag einer Partei betreffend die Streitbeitrittserklärung eines Dritten vor (siehe dazu auch 5 Ob 245/10f = ecolex 2012/54 sowie 1 Ob 264/72 = SZ 45/141). Überall dort, wo das Gesetz eine mündliche Verhandlung zwingend vorschreibt, bedeutet die gesetzwidrige Hinderung einer Partei, daran teilzunehmen, oder die unterlassene Durchführung der mündlichen Verhandlung den in § 477 Abs 1 Z 4 ZPO normierten Nichtigkeitsgrund. Die Wahrung der Verhandlungsform steht unter Nichtigkeitssanktion, weil das Gesetz hier zwingend eine mündliche Verhandlung vorschreibt (RIS-Justiz RS0115767).

Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO ist von Amts wegen wahrzunehmen (4 Ob 116/10b mwN). Ein - wie hier - erfolgter Verzicht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist aufgrund der im Gesetz vorgesehenen zwingenden Durchführung einer mündlichen Verhandlung über einen Zurückweisungsantrag wirkungslos, zumal es sich beim Verhandlungsgrundsatz um einen tragenden Prozessgrundsatz der österreichischen Zivilprozessordnung handelt, der der Parteiendisposition entzogen ist. Es mag nun durchaus sein, dass die Bestimmung des § 18 Abs 2 ZPO seit BGBl I 2015/94, womit die Bestimmung, wonach über Prozesseinreden zwingend nach mündlicher Verhandlung zu entscheiden ist, insoweit abgeändert wurde, dass eine mündliche Verhandlung nur mehr anzuberaumen ist, wenn das Gericht dies im einzelnen Fall für erforderlich hält, nicht mehr „zeitgemäß“ ist, allerdings liegt es am Gesetzgeber, das Erfordernis der mündlichen Verhandlung über einen Zurückweisungsantrag hinsichtlich einer Nebenintervention entsprechend neu zu regeln.

Der angefochtene Beschluss musste daher aus Anlass des Rekurses als nichtig aufgehoben werden und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgetragen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 51 ZPO, wonach die Kosten des Rechtsmittelverfahrens von jeder Partei selbst zu tragen sind, wenn keiner Partei ein Verschulden an der Nichtigkeit der Entscheidung vorgeworfen werden kann.

Textnummer

EI0100077

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0819:2020:00400R00047.20Y.0511.000

Im RIS seit

22.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.05.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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