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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art144 Abs1 / BescheidLeitsatz
Zurückweisung einer Beschwerde gegen einen Bescheid betreffend die Zuerkennung von Pflegegeld aufgrund fehlenden Aufhebungsbegehrens und mangels Trennbarkeit des angefochtenen BescheidesSpruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. Der Absatz 4 im §4 BundespflegegeldG (BPGG), BGBl. 110/1993, hatte idF vor der Novelle BGBl. 131/1995 folgenden Wortlaut:
"(4) Ab 1. Juli 1993 besteht ein Rechtsanspruch auf das Pflegegeld in Höhe der Stufen 1 und 2, ab dem 1. Jänner 1997 auch auf das Pflegegeld in Höhe der Stufen 3 bis 7; in der Zeit ab 1. Juli 1993 bis zum 31. Dezember 1996 ist bei Vorliegen der Voraussetzungen der Differenzbetrag zwischen der Stufe 2 und einer höheren Stufe vom zuständigen Sozialversicherungsträger oder vom Bund (Entscheidungsträger gemäß §22) als Träger von Privatrechten zu gewähren. Ein Rechtsanspruch auf diesen Differenzbetrag besteht nicht. Im übrigen sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auf den Differenzbetrag zwischen der Stufe 2 und einer höheren Stufe des Pflegegeldes mit der Maßgabe anzuwenden, daß keine Bescheide, sondern lediglich Mitteilungen zu ergehen haben und der Rechtsweg ausgeschlossen ist."
Die Novelle BGBl. 131/1995 beseitigte §4 Abs4 aus dem Rechtsbestand und traf folgende Übergangsregelung:
"Artikel II
(1) Allen Verfahren in bezug auf Pflegegeld in Höhe der Stufen 3 bis 7 sind für die Zeit bis zum 30. Juni 1995 die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen des Bundespflegegeldgesetzes, BGBl. Nr. 110/1993, zugrunde zu legen. Der Rechtsweg ist in bezug auf Pflegegeld in Höhe der Stufen 3 bis 7 für die Zeit vor dem 1. Juli 1995 ausgeschlossen.
(2) Wurde in der Zeit vom 1. Juli 1994 bis 30. Juni 1995 mittels Mitteilung ein Pflegegeld in Höhe der Stufen 3 bis 6 gewährt, ist §25 Abs2 des Bundespflegegeldgesetzes nicht anzuwenden."
Die hier in Betracht zu ziehenden Bestimmungen dieser Novelle traten mit 1. Juli 1995 in Kraft.
II. 1. Mit der ausdrücklich als Bescheid bezeichneten, in Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung ("Belehrung über das Klagerecht") gegliederten schriftlichen Erledigung der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 6. September 1995 wurde der nunmehrigen Beschwerdeführerin auf ihren Antrag mit Wirksamkeit ab 1. April 1995 unter Berufung auf §§3, 4, 9 und 12 des BundespflegegeldG "in der geltenden Fassung" (das ist hinsichtlich des von 1. April 1995 bis 30. Juni 1995 gewährten Pflegegeldes die Fassung BGBl. 27/1994, hinsichtlich des ab 1. Juli 1995 gewährten BGBl. 131/1995) Pflegegeld in Höhe der Pflegestufe 4 zuerkannt und die gewährte Leistung (unter teilweiser Ruhendstellung für die Zeit eines Krankenhausaufenthaltes) betragsmäßig festgesetzt. In der Rechtsmittelbelehrung wird auf das Recht hingewiesen, gegen den Bescheid innerhalb von drei Monaten ab Zustellung beim sodann bezeichneten Sozialgericht Klage zu erheben und weiters angeführt, daß über die Pflegestufe 2 des gewährten Pflegegeldes hinaus für die Zeit vor dem 1. Juli 1995 ein Rechtsmittel nicht zulässig sei.
2. Die vorliegende Beschwerde nach Art144 B-VG - in welcher im wesentlichen die Verfassungsmäßigkeit des §4 Abs4 BPGG idF BGBl. 27/1994 behauptet wird - bekämpft diesen Bescheid - wie in der Anfechtungserklärung ausgeführt wird - "insoferne", als "damit nicht ein Pflegegeld einer höheren Stufe als der Stufe 4 gewährt wurde und ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid als unzulässig erklärt wird"; sie enthält weiters den als Anregung zu wertenden Antrag, bestimmte Stellen des BPGG als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Die belangte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten erstattete eine Gegenschrift, in der sie insbesondere die Zulässigkeit der Beschwerde mit der Begründung bestreitet, sie habe nur hinsichtlich der Zuerkennung von Pflegegeld der Pflegestufe 2 einen Bescheid erlassen, wogegen die Gewährung des Differenzbetrages in Höhe des Unterschiedes zwischen Stufe 2 und Stufe 4 im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erfolgt sei. Die bescheidmäßige Zuerkennung der Pflegestufe 2 könne aber nicht beim Verfassungsgerichtshof, sondern nur vor den - sukzessiv zuständigen - Arbeits- und Sozialgerichten bekämpft werden; auch zur Überprüfung der den Differenzbetrag betreffenden "Mitteilung" sei der Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG nicht zuständig.
III. Die Beschwerde erweist sich
bereits deshalb als nicht zulässig, weil sie keinen Antrag auf (zumindest teilweise) Aufhebung des von ihr angefochtenen Bescheides enthält und daher mit dem Mangel eines zufolge §15 Abs2 VerfGG erforderlichen bestimmten Begehrens belastet ist. Das Fehlen eines solchen Antrages ist nach der ständigen, auch hier beizubehaltenden Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 13532/1993 mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorjudikatur) nicht als bloßes Formgebrechen, sondern als ein inhaltlicher, keiner Verbesserung zugänglicher Mangel der Beschwerde zu beurteilen, der zu ihrer Zurückweisung führt.
IV. Die Beschwerde erweist sich aber auch aus einem weiteren Grund als unzulässig.
1. Der Verfassungsgerichtshof hegt an der Bescheidqualität der bekämpften Erledigung der Pensionsversicherungsanstalt auch insofern keine Zweifel, als jene den (überhaupt nicht ausgewiesenen) Differenzbetrag des Pflegegeldes zwischen den Stufen 2 und 4 im Zeitraum zwischen 1. April und (einschließlich) 30. Juni 1995 zum Gegenstand hat.
Ob ein - abstrakt als Behörde zu qualifizierendes - Verwaltungsorgan hoheitliche Befugnisse durch Erlassung eines Bescheides in Anspruch genommen hat, ist - wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat - sowohl an der Form als auch am Inhalt des Verwaltungsaktes zu messen und festzustellen; selbst wenn die Behörde bei Erlassung des Verwaltungsaktes zu Unrecht ihre Befugnis zu hoheitlichem Handeln angenommen hätte, könnte dieses rechtswidrige Verhalten die Qualifikation des Verwaltungsaktes als Hoheitsakt nicht verhindern (s. VfSlg. 12574/1990). Umfaßt die Erledigung eines Verwaltungsorgans - wie hier - sowohl in Ansehung des für ein hoheitliches Handeln typischen Sprachgebrauchs die Inanspruchnahme hoheitlicher Befugnisse insgesamt ("Zur Pension gebührt ein Pflegegeld in Höhe der Pflegestufe 4.") als auch sämtliche Bescheidmerkmale der §§58ff AVG, ist sie insbesondere auch ausdrücklich als Bescheid bezeichnet, so kommt ihr ohne Zweifel auch in jenem Bereich Bescheidcharakter zu, in dem von Gesetzes wegen bloß eine privatrechtliche Willenserklärung abzugeben wäre. Für diese Ansicht spricht im vorliegenden Fall nicht zuletzt der Umstand, daß die belangte Behörde eine Trennung der von ihr gewährten Pflegegeldleistungen in solche bis zur Stufe 2 einerseits und darüber (bis Stufe 4) andererseits nicht vornahm (zu diesem Fragenbereich s. H. Fink, Die sukzessive Zuständigkeit im Verfahren in Sozialrechtssachen (1995), S. 274f.). Aus diesem Grund fällt auch der in der Rechtsmittelbelehrung enthaltene Hinweis auf die beschränkte Rechtsverfolgungsmöglichkeit für die Zeit vor dem 1. Juli 1995 nicht ins Gewicht.
2. Die Beschwerdeführerin ficht den vorliegenden Bescheid - wie schon erwähnt wurde - nicht zur Gänze an, sondern nur "insoferne", als ihr "damit nicht ein Pflegegeld einer höheren Stufe als der Stufe 4 gewährt wurde und ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid als unzulässig erklärt wird". Mit dieser Anfechtungserklärung bringt sie in eindeutiger Weise ihren Willen zum Ausdruck, daß die Beschwerde nicht zur Aufhebung der durch den Bescheid eingeräumten Begünstigung führen soll, sowie daß sie sich (offenkundig im Hinblick auf die ab 1. Juli 1995 gesetzlich eingeräumte Anrufbarkeit des Sozialgerichtes) gegen den Bescheid nur insoweit wendet, als dieser über den Zeitraum bis einschließlich 30. Juni 1995 abspricht.
Der dieser Anfechtungserklärung offenbar zugrundeliegenden Rechtsauffassung über die Trennbarkeit des Spruchs in einen begünstigenden und einen abweisenden Teil ist nur insoweit beizupflichten, als ein Ausspruch über die Zuerkennung von Pflegegeld der Pflegestufe 4 implizit auch die Aussage enthält, daß Pflegegeld einer höheren Pflegestufe nicht gebührt. Die undifferenzierte Zuerkennung von Pflegegeld einer bestimmten Pflegestufe stellt sich jedoch als eine untrennbare Einheit dar; sie kann also nicht in zwei getrennt aufhebbare Spruch- und Bescheidteile aufgelöst werden.
Da einerseits ein unselbständiger Teil eines Bescheides beim Verfassungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann, der Gerichtshof sich aber andererseits nicht für befugt hält, über die ausdrückliche und eindeutige Anfechtungserklärung der Beschwerdeführerin hinauszugehen, liegt somit ein weiterer Umstand vor, welcher der meritorischen Erledigung der Beschwerde entgegensteht und ebenfalls zu ihrer Zurückweisung führt.
V. Dieser Beschluß wurde gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefaßt.
Schlagworte
Behinderte, Pflegegeld, Bescheid Trennbarkeit, Bescheidbegriff, VfGH / FormerfordernisseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B3188.1995Dokumentnummer
JFT_10039381_95B03188_00