Entscheidungsdatum
24.01.2020Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G304 2226923-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Einzelrichterin in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die Anhaltung von XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, in Schubhaft zu Recht erkannt:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG, § 76 Abs. 2a FPG und § 76 Abs. 3 FPG idgF, wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA oder belangte Behörde) vom 10.09.2019 wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt.
2. Der BF befindet sich nunmehr seit 10.09.2019, 16:05 Uhr, in Schubhaft.
3. Am 23.12.2019 erfolgte seitens des BFA eine Aktenvorlage zur amtswegigen Schubhaftüberprüfung beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Im darauffolgenden Schubhaftüberprüfungsverfahren, Zl. G309 2226923-1, vor dem BVwG wurde im Rahmen eines mündlich verkündeten Erkenntnisses am 30.12.2019 festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
4. Am 22.01.2020 folgte darauf die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage zur amtswegigen Überprüfung der Anhaltung des BF in Schubhaft.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Algerien. Er ist im Bundesgebiet nicht nur unter der im Spruch angeführten, sondern auch unter einer Alias-Identität in Erscheinung getreten.
1.2. Der BF reiste am 29.05.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an demselben Tag einen Asylantrag. Am 04.11.2005 wurde dieser Antrag, rechtskräftig mit 30.03.2012, abgewiesen und gleichzeitig gegen den BF eine Ausweisung erlassen.
Im Februar 2005 wurde der BF wegen gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig strafrechtlich verurteilt.
Am 30.05.2005 wurde folglich gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahre befristetes bis 30.05.2015 gültiges Einreiseverbot erlassen.
Im April 2006 erfolgte eine neuerliche rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des BF - wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften - zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren.
Im Mai 2018 wurde der BF neuerlich wegen versuchten Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig strafrechtlich verurteilt.
1.3. Nach niederschriftlichen Einvernahmen des BF am 14.01.2019 und 15.01.2019 wurde am 15.01.2019, rechtskräftig mit 25.02.2019, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und ein auf die Dauer von fünf Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Algerien zulässig ist, und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Der BF ist seit Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung mit 15.01.2019 seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und illegal im Bundesgebiet verblieben.
Am 15.01.2019 wurde ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates (HRZ) für den BF eingeleitet.
Mit Mandatsbescheid des BFA vom 11.03.2019, dem BF zugestellt am 30.03.2019, wurde dem BF aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig in einer näher angeführten Betreuungseinrichtung Unterkunft zu nehmen. Dieser Verpflichtung hatte der BF binnen drei Tagen nachzukommen.
Der BF hat sich daraufhin zwar am 21.03.2019 in der ihm zugewiesenen Betreuungseinrichtung eingefunden, dieses Quartier jedoch am 07.05.2019 wieder unerlaubt verlassen, woraufhin er am 08.05.2019 an einem Bahnhof im Bundesgebiet von der Polizei aufgegriffen werden konnte.
Er wurde am 29.07.2019 von der Polizei festgenommen und am Tag seiner Festnahme niederschriftlich einvernommen, danach jedoch wieder entlassen, deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt keine Vorführungen zur algerischen Delegation möglich waren. Laut einer am 30.07.2019 an das BFA ergangenen Mitteilung war der BF vom ihm zugewiesenen Quartier bereits seit 25.07.2019 abgängig.
1.4. Nachdem am 16.08.2019 gegen den BF ein Festnahmeauftrag ergangen war, wurde der BF am 10.09.2019 festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum eingeliefert, und dann - nach Erlassung des Mandatsbescheides vom 10.09.2019, womit über den BF zwecks Sicherung der Abschiebung die Schubhaft verhängt wurde, am 10.09.2019, um 16:05 Uhr, von Verwaltungsverwahrungs- in Schubhaft genommen.
1.5. Mit Aktenvermerken vom 08.10.2019, 05.11.2019 und 03.12.2019 wurde seitens des BFA jeweils festgehalten, dass die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft weiterhin vorliegt.
1.6. Der BF wurde am 29.11.2019 der algerischen Delegation vorgeführt, woraufhin er als algerischer Staatsbürger identifiziert wurde. Abschließende Überprüfungen dazu in Algerien sind noch ausständig.
1.7. Am 23.12.2019 erfolgte seitens des BFA eine Aktenvorlage zur amtswegigen Schubhaftüberprüfung beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Im darauffolgenden Schubhaftüberprüfungsverfahren, Zl. G309 2226923-1, vor dem BVwG wurde im Rahmen eines mündlich verkündeten Erkenntnisses am 30.12.2019 festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
1.8. Mit verfahrensgegenständlicher Akten- bzw. Beschwerdevorlage vom 22.01.2020 teilte das BFA abschließend mit:
"Laut heutiger Sicht liegen die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Anhaltung in Schubhaft immer noch vor. Zusammengefasst ist festzuhalten, dass das Risiko, dass der BF untertaucht, bevor ein Heimreisezertifikat ausgestellt und er anschließend abgeschoben wird, als schlüssig anzusehen ist. Der Sicherungsbedarf ist auf jeden Fall weiterhin gegeben. Der BF ist nicht im Besitz eines gültigen Reisedokumentes, hat keine aufrechte Meldung oder kann einen Wohnsitz nennen. Er würde somit untertauchen und für die ha. Behörde nicht greifbar sein."
Es wurde um Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist, ersucht.
1.9. Fest steht, dass der BF in Österreich keine familiäre oder sonstige soziale Anbindung, keinen gesicherten Wohnsitz und keine Existenzmittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes hat.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt samt den vom BFA mit gegenständlicher Akten- bzw. Beschwerdevorlage bekannt gegebenen Informationen.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt A)
3.1. Zuständigkeit:
Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, idF BGBl. I Nr. 70/2015, lautet:
"§ 22a. (...)
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(...)."
Mit Vorlage des Verwaltungsaktes beim BVwG am 22.01.2020 gilt die gegenständliche Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen BF eingebracht. Das BVwG hat nunmehr festzustellen, ob zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
3.2. Relevante Rechtsvorschriften und Judikatur:
3.2.1. Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),
lautet:
"§ 76. (...).
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. (...),
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
(...).
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
(...);
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes."
Der mit "Dauer der Schubhaft" betitelte § 80 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG),
lautet:
"§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. (...);
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) (...).
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. (...),
3. (...), oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(...).
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(...)."
3.2.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist oder wenn die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-VO vorliegen (§ 76 Abs. 2 FPG). Dabei ist das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
"Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde" (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
"Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird" (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
3.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:
Mit Bescheid des BFA vom 10.09.2019 wurde zwecks Sicherung der Abschiebung über den BF die Schubhaft angeordnet. Der BF kam am 10.09.2019 um 16:05 Uhr dann tatsächlich - von Verwaltungsverwahrungshaft - in Schubhaft.
Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG darf die Schubhaft nur dann angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder, wie im gegenständlichen Fall, der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.
Mit Bescheid des BFA vom 15.01.2019, rechtskräftig mit 25.02.2019, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung und ein fünfjähriges Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der BF ist seiner seit durchsetzbarer aufenthaltsbeendender Maßnahme bestandenen Ausreiseverpflichtung jedoch nicht nachgekommen, sondern widerrechtlich weiterhin im Bundesgebiet verblieben.
Am 20.03.2019 wurde gegen den BF eine Wohnsitzauflage erlassen. Der BF hat sich daraufhin zwar am 21.03.2019 in der ihm zugewiesenen Betreuungseinrichtung eingefunden, dieses Quartier jedoch am 07.05.2019 wieder unerlaubt verlassen, woraufhin er am 08.05.2019 an einem Bahnhof im Bundesgebiet von der Polizei aufgegriffen werden konnte.
Der BF wurde nach Festnahme und niederschriftlicher Einvernahme vor dem BFA am 29.07.2019 wieder entlassen, deshalb, weil zu diesem Zeitpunkt keine Vorführungen zur algerischen Delegation möglich waren. Laut einer am 30.07.2019 an das BFA ergangenen Mitteilung war der BF bereits seit 25.07.2019 von der ihm zugewiesenen Betreuungseinrichtung abwesend.
Im gegenständlichen Fall sind jedenfalls die Fluchtgefahr - Tatbestände nach § 76 Abs. 3 Z. 3, 8, 9 FPG erfüllt,
? der Fluchtgefahr-Tatbestand nach § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG - wegen seit 15.01.2015 bestehender und seit 25.02.2019 rechtskräftiger aufenthaltsbeendender Maßnahme (Rückkehrentscheidung samt fünfjährigem Einreiseverbot),
? der Fluchtgefahr-Tatbestand nach § 76 Abs. 3 Z. 8 FPG - wegen Verletzung der Wohnsitzauflage, wonach er sich in einer bestimmten ihm zugewiesenen Betreuungseinrichtung aufzuhalten hatte, und
? der Fluchtgefahr-Tatbestand nach § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG - wegen fehlender familiärer und sozialer Bindungen, fehlender Existenzmittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes und keines gesicherten Wohnsitzes im Bundesgebiet.
Da aus seinem gesamten Verhalten im Bundesgebiet die Gefahr des Untertauchens erkennbar war, war die Verhängung der Schubhaft über den BF notwendig.
Ein gelinderes Mittel iSv § 77 FPG kam für den BF nicht in Betracht, da er aufgrund seines Verhaltens, die gegen ihn erlassene Wohnsitzauflage nicht eingehalten zu haben, unter Beweis gestellt hat, dass er nicht bereit bzw. willens ist, sich an einer bestimmten Adresse für die belangte Behörde bereitzuhalten, und deswegen auch eine in Österreich bei irgendwelchen Bezugspersonen vorhandene Unterkunftsmöglichkeit den BF nicht zum Aufenthalt dort verhalten könnte.
Die fortgesetzte Anhaltung des BF in Schubhaft ist auch nach § 76 Abs. 2a FPG verhältnismäßig, weil vom BF, der in Österreich über keine Existenzmittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes verfügt und von dem nach seinen im Bundesgebiet mit Urteil von Mai 2018 rechtskräftig strafrechtlich verurteilten Vermögensstraftaten auch aktuell eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit (dem rechtskräftigen Einreiseverbot vom 25.02.2019 folgend nach § 53 Abs. 2 Z. 6 FPG) ausgeht und das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des BF überwiegt.
Das BFA ist - wie aus der Akten- bzw. Beschwerdevoralge hervorgehend - zuversichtlich, alsbald ein HRZ für den BF zu erlangen, konnte doch kürzlich seitens der algerischen Delegation, welcher der BF am 29.01.2019 vorgeführt wurde, der BF als algerischer Staatsbürger identifiziert werden, und sind nur noch abschließende Prüfungen dazu in Algerien ausständig.
Im gegenständlichen Fall ist jedenfalls davon auszugehen, dass für den seit 10.09.2019, 16:05 Uhr, demnach seit rund vier Monaten in Schubhaft befindlichen BF zeitnah bzw. innerhalb der gesetzlich höchstzulässigen Schubhaftdauer ein HRZ erlangt werden kann.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da im gegenständlichen Fall der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde eindeutig geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
3.5. Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Fluchtgefahr, Interessenabwägung, öffentliche Interessen, Schubhaft,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G304.2226923.2.00Zuletzt aktualisiert am
22.05.2020