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E000 EU- Recht allgemein;Norm
11992E177 EGV Art177;Beachte
Besprechung in:Notariatszeitung 4/1999, S 100 - S 103;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. DDDr. Jahn, über die Beschwerde der M-GmbH in L, vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner, Rechtsanwälte in Linz, Landstraße 12, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. April 1997, Zl. GA 9-381/96, betreffend Gesellschaftsteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin (deren Firma vor dem Generalversammlungsbeschluß vom 18. Oktober 1995 "Ing. M, K & Co. GesellschaftmbH" lautete) schloß am 23. Dezember 1994 mit ihrer 100 %-Gesellschafterin, der M-Holding GmbH, den nachstehenden Gewinn- und Verlustausschließungsvertrag:
"Das Stammkapital der Firma Ing. M, K & Co. GmbH, W in Höhe von S 35.000.000,-- ist zu 100 % im Besitz der "M"-Holding GmbH. Die Ing. M, K & Co. GmbH ist in das Unternehmen der "M"-Holding GmbH, finanziell, organisatiorisch und wirtschaftlich eingegliedert und hat bei ihrer Geschäfts- und Betriebsführung ausschließlich nach den Weisungen der Firma "M"-Holding vorzugehen.
II.
Die Firma Ing. M, K & Co. GmbH, W ist verpflichtet, ihre Gewinne zur Gänze an "M"-Holding abzuführen und diese ist hingegen verpflichtet, der Ing. M, K & Co. GmbH, W allfällige Verluste zu ersetzen. Im Geschäftsjahr 1994 wird das Bilanzergebnis übernommen (Gewinn/Verlust 1994 zuzüglich Gewinnvortrag 1993).
III.
Das gegenständliche Vertragsverhältnis hat am 1.1.1994 begonnen. Es wird zunächst auf 5 Jahre abgeschlossen. Diese Vertragsdauer verlängert sich um jeweils ein weiteres Jahr, wenn nicht eine der beiden Gesellschaften spätestens bis zum 30.9. des Vertragsjahres erklärt, das Vertragsverhältnis nicht mehr fortsetzen zu wollen. Für die Rechtzeitigkeit dieser Erklärung gilt das Datum des Poststempels."
Mit vorläufigem Gesellschaftsteuerbescheid vom 12. Dezember 1995 setzte das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien (im folgenden kurz: Finanzamt) aufgrund der Gesellschaftsteuererklärung vom 5. Oktober 1995, in der für das Jahr 1994 als Leistung aufgrund des Ergebnisabführungsvertrages ein Betrag von S 86,153.383,41 genannt war, Gesellschaftsteuer in der Höhe von 1 % mit S 861.534,-- fest, wogegen die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 28. März 1990 in der Rechtssache C-38/88, Waldrich Siegen Werkzeugmaschinen GmbH gegen Finanzamt Hagen (Slg. 1990 I-1447 ff) mit der Begründung berief, im gegenständlichen Fall sei der Verlust für das Geschäftsjahr 1994 mit Generalversammlungsbeschluß vom 22. September 1995 festgestellt worden. Dieser Berufung angeschlossen war eine Ausfertigung des zitierten, auf schriftlichem Wege gefaßten Generalversammlungsbeschlusses vom 22. September 1995.
Gegen die daraufhin ergangene abweisliche Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes stellte die Beschwerdeführerin fristgerecht den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Die belangte Behörde erklärte den angefochtenen Bescheid für endgültig und wies die Berufung als unbegründet ab. Dabei vertrat sie die Rechtsauffassung, die Entlastung einer Tochtergesellschaft durch deren Mutter im Wege einer Verlustübernahme trete regelmäßig erst mit der Genehmigung der die Verlustübernahme beinhaltenden Bilanz der Tochtergesellschaft ein. Da das Jahresergebnis 1994 erst am 22. September 1995 genehmigt worden sei, sei auf den Sachverhalt das seit 1. Jänner 1995 geltende Gemeinschaftsrecht anzuwenden. Da jedoch der Ergebnisabführungsvertrag erst am 23. Dezember 1994 abgeschlossen worden sei, in diesem Zeitpunkt die Verluste aus dem Geschäftsjahr 1994 bereits entstanden gewesen seien und das Gesellschaftsvermögen schon geschmälert hätten, habe die nachfolgende Verlustübernahme eine Leistung iS des § 2 Z 2 KVG dargestellt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Gesellschaftsteuerfreiheit für den Verlustübernahmebetrag verletzt.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten und die von der Beschwerdeführerin erstattete Gegenschrift vor, in welcher die Abweisung der Beschwerde begehrt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Art. 4 Abs. 2 lit. b der Richtlinie des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (69/335/EWG) ABl.L 249, S 25 lautet:
"(2) Soweit sie am 1. Juli 1984 der Steuer zum Satz von 1 v.H. unterlagen, können die folgenden Vorgänge auch weiterhin der Gesellschaftsteuer unterworfen werden:
...
b)
die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern ihren Gegenwert in einer Änderung der Gesellschaftsrechte finden oder geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen; ..."
§ 2 KVG lautet auszugsweise:
"Der Gesellschaftsteuer unterliegen:
...
2.
Leistungen, die von den Gesellschaftern einer inländischen Kapitalgesellschaft aufgrund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden (Beispiele: weitere Einzahlungen, Nachschüsse). Der Leistung eines Gesellschafter steht es gleich, wenn die Gesellschaft mit eigenen Mitteln die Verpflichtung des Gesellschafters abdeckt;
..."
Mit Urteil vom 28. März 1990 in der Rechtssache C-38/88, Waldrich Siegen Werkzeugmaschinen GmbH gegen Finanzamt Hagen (Slg. 1990 I-1447 ff Rn 12) hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) u.a. folgendes ausgesprochen:
"Das Gesellschaftsvermögen umfaßt alle Wirtschaftsgüter, die die Gesellschafter zu einem gemeinsamen Ganzen vereinigt haben, einschließlich ihres Zuwachses. Erzielt eine Gesellschaft Gewinne und stellt sie diese in ihre Rücklagen ein, so erhöht sie dadurch ihr Gesellschaftsvermögen. Dagegen vermindert sich das Gesellschaftsvermögen einer Gesellschaft, wenn sie mit Verlust abschließt.
Wenn also eine Gesellschaft mit Verlust abgeschlossen hat und einer ihrer Gesellschafter sich zur Übernahme dieses Verlustes bereiterklärt, so erbringt er dadurch eine Leistung, durch die das Gesellschaftsvermögen erhöht wird. Er bringt dieses nämlich wieder auf einen Stand, den es vor dem Eintritt des Verlustes erreicht hatte. Anders verhält es sich, wenn der Gesellschafter Verluste aufgrund einer Verpflichtung übernimmt, die er schon vor deren Eintritt eingegangen war. Eine solche Verpflichtung bedeutet, daß sich künftige Verluste der Gesellschaft nicht auf den Umfang ihres Gesellschaftsvermögens auswirken werden."
Davon ausgehend beantwortete der EuGH die an ihn gerichtete Frage dahin, daß die Übernahme von Verlusten einer Gesellschaft durch einen Gesellschafter im Rahmen eines Ergebnisabführungsvertrages, der vor Feststellung dieser Verluste geschlossen worden ist, das Gesellschaftsvermögen dieser Gesellschaft nicht im Sinne von Art. 4 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital erhöht.
Gemäß § 221 Abs. 1 HGB haben die gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft in den ersten fünf Monaten des Geschäftsjahres für das vorangegangene Geschäftsjahr den um den Anhang erweiterten Jahresabschluß sowie einen Lagebericht aufzustellen und den Mitgliedern des Aufsichtsrates vorzulegen.
Gemäß § 35 Abs. 1 Z 1 GmbHG unterliegt der Beschlußfassung durch die Gesellschafter u.a. die Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses. Der Beschluß ist in den ersten acht Monaten jedes Geschäftsjahres für das abgelaufene Geschäftsjahr zu fassen.
Eine spätere Beschlußfassung macht den Gesellschafterbeschluß allerdings weder nichtig noch anfechtbar (vgl. Reich-Rohrwig, GmbH-Recht2 I. Rz 3/201 sowie 3/225). Ein anderes Organ als die Generalversammlung kann für die Feststellung des Jahresabschlusses nicht zuständig gemacht werden (§ 35 Abs. 2 GmbHG; Reich-Rohrwig a.a.O. Rz 3/223 sowie Nowotny in Straube, HGB II Rz 5 zu § 222 HGB).
Der Jahresabschluß besteht u.a. aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung (Nowotny a.a.O. Rz 16 zu § 222 HGB). Nach § 224 Abs. 3 A IV HGB ist der Bilanzverlust in der Bilanz auszuweisen; gemäß § 231 Abs. 2 Z 29 bzw. Abs. 3 Z 28 HGB auch in der Gewinn- und Verlustrechnung. Inhalt des Postens Bilanzverlust ist das Ergebnis aus den Positionen gemäß § 231 Abs. 2 Z 22 HGB (Jahresüberschuß/Jahresfehlbetrag) zuzüglich der Rücklagenauflösungen und eines etwaigen Gewinnvortrages sowie abzüglich der Rücklagendotierungen und eines etwaigen Verlustvortrages (Gassner-Göth in Straube a.a.O. Rz 60 zu § 231 HGB).
Der Jahresabschluß hat gemäß § 222 Abs. 2 HGB ein möglichst getreues Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln.
Daraus folgt für den Beschwerdefall, daß der Verlust betreffend das Geschäftsjahr 1994 erst im Wege des mit Gesellschafterbeschluß vom 22. September 1995 festgestellten Jahresabschlusses festgestellt wurde. Damit hat sich aber dieser Verlust aufgrund des schon vorher (nämlich am 23. Dezember 1994) geschlossenen Ergebnisabführungsvertrages auf das Vermögen der Beschwerdeführerin iS der oben wiedergegebenen Rechtsauffassung des EuGH nicht mehr schmälernd ausgewirkt. Da es nach der ausdrücklichen Aussage des zitierten Urteils des EuGH auf die Feststellung des Verlustes im Rahmen des Jahresabschlusses - und nicht, wie die belangte Behörde vermeint, auf die "Entstehung" des Verlustes - ankommt, erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Mit Rücksicht auf die durch die angeführte Judikatur des EuGH bereits eindeutig klargestellte Rechtslage konnte eine neuerliche Antragstellung auf Vorabentscheidung unterbleiben (vgl. dazu K.D. Borchardt in Lenz, EG-Vertrag, Kommentar Rz 30 zu Art. 177 EGV unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 6. Dezember 1982, 283/81 in der Rechtssache C.I.L.F.I.T., Slg 1982, 3415/3429).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft Stempelgebühr für überflüssigerweise vorgelegte Beilagen.
Gerichtsentscheidung
EuGH 61988J0038 Waldrich Siegen VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997160213.X00Im RIS seit
19.02.2002Zuletzt aktualisiert am
17.04.2013