TE Bvwg Beschluss 2020/3/25 W145 2178725-1

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Veröffentlicht am 25.03.2020
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Entscheidungsdatum

25.03.2020

Norm

ASVG §203
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W145 2178725-1/8E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela HUBER-HENSELER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , SVNR XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt XXXX , gegen den Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle Wien vom 02.11.2017, AZ: XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Absatz 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX , SVNR XXXX , (in Folge: Beschwerdeführer) erlitt am 12.06.2012 während seiner Tätigkeit als Tischler einen Arbeitsunfall. Der Beschwerdeführer stürzte aus ca. 3 m Höhe aus einem Staplerarbeitskorb. Hierbei zog er sich eine ausgedehnte Rissquetschwunde im Bereich des rechten Stirnpoles bis zur Schläfen- und Scheitelbeinregion, einen offenen Nasenbeinbruch, einen Bruch des Augenhöhlenbodens mit Fremdkörperverletzung im Bereich des Augenlides, einen Bruch der 6. Rippe links, eine traumatische Sprengung der Bandverbindung zwischen Speiche und Elle, eine Prellung des Kniegelenkes mit Zerrung des inneren Seitenbandes sowie einen Haarriss im Bereich des Kniescheibenknorpels innenseitig rechts zu.

2. Mit rechtskräftigem Bescheid vom 12.12.2012 wurde der gegenständliche Unfall als Arbeitsunfall gemäß § 175 Abs. 1 ASVG von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (in Folge: belangte Behörde) anerkannt und dem Beschwerdeführer die Zuerkennung einer vorläufigen Rente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 Prozent vom 01.12.2012 bis 31.05.2013 zugesprochen.

3. Mit rechtskräftigem Bescheid vom 07.11.2013 wurde der (Verschlechterungs-)Antrag des Beschwerdeführers vom 02.07.2013 auf Zuerkennung einer Versehrtenrente nach Gesamtvergütung wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 12.06.2012 gemäß § 203 ASVG abgewiesen, weil die Erwerbsfähigkeit durch die Folgen des Arbeitsunfalles nicht um mindestens 20 Prozent vermindert sei.

4. Mit Bescheid vom 20.05.2015 wurde der neuerliche (Verschlechterungs-)Antrag des Beschwerdeführers vom 17.01.2015 auf Zuerkennung einer Versehrtenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 12.06.2012 gemäß § 183 ASVG abgewiesen, da im Zustand der Unfallfolgen keine wesentlichen Änderungen eingetreten sind.

5. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer Klage beim zuständigen Landesgericht Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht ein. Mit Urteil vom 14.06.2016 zu GZ XXXX gab das Gericht der klagenden Partei Recht und entschied, dass die beklagte Partei schuldig sei, dem Kläger ab 17.01.2015 eine Versehrtenrente in Höhe von 25 Prozent der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 12.06.2012 zu bezahlen.

6. Gegen dieses Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht erhob die belangte Behörde Berufung, der vor dem OLG Wien mit Beschluss vom 20.12.2016, GZ XXXX , Folge gegeben wurde. Das angefochtene Urteil wurde aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

7. Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 30.05.2017 wurde das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 17.01.2015 eine Versehrtenrente in der Höhe von 25 Prozent der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 12.06.2012 zu bezahlen, abgewiesen.

8. Gegen dieses Urteil erhob nunmehr der Beschwerdeführer Berufung. Mit Urteil vom 07.12.2017, GZ XXXX , des Oberlandesgerichts Wien wurde der Berufung keine Folge gegeben.

9. In weiterer Folge stellte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 05.06.2017 den bei der belangten Behörde am 08.06.2017 eingelangten gegenständlichen Antrag gemäß § 101 ASVG auf Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes. Der Beschwerdeführer führt aus, dass sich zwar aufgrund der eingeholten HNO-ärztlichen und unfallchirurgischen Sachverständigengutachten keine wesentliche Änderung der Verhältnisse in Bezug auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit wie per 07.11.2013 bestimmt wurde, vorlägen, jedoch die ursprüngliche Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im ohrenärztlichen Gutachten vom 24.09.2013 explizit durch das Ergänzungsgutachten vom 13.03.2017 im Hinblick auf die damalige Evaluierung der Minderung der Erwerbsfähigkeit als unrichtig qualifiziert worden sei. Richtigerweise hätte bereits im Gutachten vom 24.09.2013 die behinderte Nasenatmung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10%, und nicht mit 5%, bewertet werden müssen. Der für die Anwendbarkeit des § 101 ASVG geforderte Irrtum über den Sachverhalt sei gegeben, da ein wesentlicher Sachverhaltsirrtum vorliege, da zum einen der von der belangten Behörde angenommene Sachverhalt über den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht mit der Wirklichkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vom 07.11.2013 übereinstimme und zum anderen der Sachverhaltsirrtum auch wesentlich sei, weil sich die erhöhte Minderung der Erwerbsfähigkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung per 07.11.2013 dahingehend ausgewirkt hätte, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25% gegeben gewesen wäre und sich damit ein Anspruch auf Dauerrente ergeben hätte.

10. Mit Bescheid vom 02.11.2017 lehnte die belangte Behörde den Antrag vom 08.06.2017 auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass § 101 ASVG keine Handhabe biete, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich im Nachhinein neuerlich aufzurollen. Eine Änderung der Beurteilung hinsichtlich der Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund genauerer Messtechnik begründe auf jeden Fall keinen wesentlichen Sachverhaltsirrtum.

11. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Der Beschwerdeführer führte in der Beschwerde an, dass die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im ohrenärztlichen Gutachten Dris A XXXX vom 24.09.2013 durch das Ergänzungsgutachten des Prim. Univ. Prof. Dr. med. W XXXX vom 13.03.2017 im Hinblick auf die damalige Evaluierung der Minderung der Erwerbsfähigkeit als unrichtig und sohin nicht lege artis qualifiziert worden sei. Eine objektive Beurteilung der Nasenatmungsbehinderung habe in diesem Gutachten nicht stattgefunden. In dem Gutachten vom 22.09.2015 sei eine objektive Untersuchung der Nasenatmung durchgeführt worden, die eine höhergradige Obstruktion (Behinderung) der Nasenatmung zeige, was mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10% bemessen worden sei. Richtigerweise hätte bereits im Gutachten vom 24.09.2013 die behinderte Nasenatmung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10% bewertet werden müssen. Es sei ein wesentlicher Sachverhaltsirrtum vorgelegen, weil der von der belangten Behörde angenommene Sachverhalt über den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit habe nicht mit der Wirklichkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung übereingestimmt. Der Sachverhaltsirrtum sei zudem wesentlich gewesen, da sich die erhöhte Minderung der Erwerbsfähigkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 07.11.2013 dahingehende ausgewirkt hätte, dass eine Minderung im Ausmaß von 25 % bestanden habe. Daraus ergebe sich ein Anspruch auf Dauerrente.

12. Mit Replik vom 01.12.2017 beantragte die belangte Behörde die Abweisung der Beschwerde und führte aus, dass das Gutachten Dris A

XXXX vom 25.09.2013 vollständig, nachvollziehbar und lege artis erstellt wurde. Er habe aufgrund einer vollständig vorgenommenen Sachverhaltsdarstellung und der vorgenommenen Befundung die richtige Schlussfolgerung aus dem Befund mit Verbindung mit seinem Fachwissen gezogen. Der Gutachter habe auch eine persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers vorgenommen.

Nach ständiger Rechtsprechung liege ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt nur dann vor, wenn der Sozialversicherungsträger unbewusst Sachverhaltsmerkmale angenommen habe, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmen. § 101 ASVG biete keine Handhabe dafür, jede Fehleinschätzung im Tatsachenbereich insbesondere auch die Beweiswürdigung im Nachhinein neuerlich aufzurollen. Eine andere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch einen anderen Sachverständigen stelle keinen wesentlichen Irrtum im Sinne des § 101 ASVG dar. Ein wesentlicher Irrtum liege auch nicht vor, wenn sich nachträglich herausstelle, dass eine Einschränkung größer ist als ursprünglich aufgrund vertretbarer medizinischer Diagnosen angenommen worden sei. Derartige Einschätzungen könnten im Wege des § 101 ASVG nicht revidiert werden, wenn die Leistungsfeststellung auf einer medizinisch ausgewogenen und vertretbaren Bewertung der Unfallfolgen beruhe. Abweichungen von Einschätzungsvorstellungen würden keine taugliche Grundlage dafür bilden, medizinisch vertretbare Einschätzungen der Unfallfolgen nachträglich zu revidieren.

Im vorliegenden Fall liege kein wesentlicher Sachverhaltsirrtum vor. Es sei unerheblich, wenn der Gerichtssachverständige Dr. W XXXX angebe, dass er auch damals die behinderte Nasenatmung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10% und die Sensibilitätsstörung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 5% bewertet hätte, weil dies bloß eine geänderte Schlussfolgerung aus der unveränderten Befundlage darstelle.

13. Mit Replik vom 12.12.2017 führte der Beschwerdeführer unter Zitierung von relevanter Stellen aus dem Gutachten Dris W XXXX aus, dass es sich bei dem von Dr. A XXXX gezogenen Folgeschluss um eine unvertretbare Anamnese handle. Es sei darauf zu verweisen, dass zwar von Dr. A XXXX die Verwachsung des Septums mit der lateralen Nasewand festgestellt worden sei, jedoch der Befundschluss gezogen worden sei, dass dennoch die Nasenatmung frei sei. Dieser Folgeschluss sei nicht lege artis. Dr. W XXXX habe in der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2016 ausgeführt, dass im Zuge der Erstuntersuchung von Dr. A XXXX keine Rhinomanometrie durchgeführt worden sei, ansonsten hätte bereits bei der Erstbegutachtung eine Obstruktion der Nasenwand festgestellt werden müssen. In dem Unterlassen der Durchführung der Rhinomanometrie sei sohin eine nicht lege artis durchgeführte Untersuchung des Beschwerdeführers zu erkennen. Das Nichterkennen und das Nichtbewerten der Behinderung der Nasenatmung stelle eine nicht vertretbare medizinische Einschätzung dar und sohin seien die Normvorgaben bezüglich eines wesentlichen Sachverhaltsirrtums zu Lasten des Sozialversicherungsträger gegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. EinzelrichterInnenzuständigkeit

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. In Ermangelung einer entsprechenden Anordnung der Senatszuständigkeit im § 414 Absatz 2 ASVG liegt EinzelrichterInnenzuständigkeit vor.

2. Anzuwendendes Verfahrensrecht

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Absatz 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Absatz 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- und Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3. Entscheidungsbefugnis

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Bescheidbeschwerden in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Ziffer 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Ziffer 2).

§ 28 Absatz 3 Ziffer 2 VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Absatz 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung - d.h. im Tatsachenbereich - zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vergleiche VwGH 19.01.2009, 2008/07/0168; VwGH 23.05.1985, 84/08/0085; sowie Lehofer, die Grenzen der Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht, ÖJZ [2014], S 705f).

Gemäß § 31 Absatz 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

4. Zu A) Behebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung:

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

4.1. Die maßgebliche Bestimmung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG)

Gemäß § 203 Abs. 1 ASVG besteht ein Anspruch auf Versehrtenrente, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus um mindestens 20 v.H. vermindert ist; die Versehrtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 v.H.

Ergibt sich nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist gemäß § 101 ASVG mit Wirkung vom Tag der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand widerherzustellen.

Ein Irrtum über den Sachverhalt liegt vor, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten. Auch in Tatfragen, deren Beantwortung einem Sachverständigen überlassen bleiben müssen, kann ein Irrtum vorliegen, etwa wenn der Sachverständige bei Erstellung von Befund und Gutachten eine gesicherte Erkenntnis seines Faches bzw. die Regeln seiner Wissenschaft nicht beachtet hat.

4.2. Das von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt durchgeführte Ermittlungsverfahren ist in wesentlichen Punkten mangelhaft.

Im Beschwerdefall ist strittig, ob die belangte Behörde im Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 7.11.2013 einem wesentlichen Sachverhaltsirrtum unterlegen ist.

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt hat zur Beurteilung der Frage nach dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit folgende Gutachten herangezogen:

1. ein unfallchirurgisches Gutachten, welches eine Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit (im unfallchirurgischen Bereich) von 10% feststellt und

2. das ohrenfachärztliche Gutachten vom 24.09.2013 von Dr. A XXXX , das von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 5% ausgeht.

Ein Gesamtgutachten über den Gesamtgrad der Behinderung wurde nicht eingeholt.

Im Zuge des Verfahrens vor dem Landesgericht Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht wurde ein HNO-ärztliches Sachverständigengutachten von Dr. W XXXX eingeholt, in dem ein Gesamtgrad der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 15% angenommen wird.

In einem Ergänzungsgutachten führte der Sachverständige (Dr. W XXXX) zur Diskrepanz der Einschätzung von 5% in dem Gutachten Dris A XXXX und 15% in seinem eigenen Gutachten Folgendes aus:

"Die Diskrepanz in der Einschätzung der M.d.E (5 bzw. 15%) ist folgendermaßen zu erklären: Eine unfallkausale M.d.E. von 5% wurde offensichtlich im Gutachten Dris A XXXX vom 24. September 2013 für die Sensibilitätsstörung im Gesichtsbereich rechts veranschlagt. Dies findet auch in meinem Gutachten vom 22. September 2015 dieselbe Einschätzung.

Eine objektive Beurteilung der Nasenatmungsbehinderung durch die Verwachsung der Nasenscheidewand links mit der lateralen Nasenwand links, wie sie im Gutachten Dris A XXXX ebenfalls beschrieben ist, hat in diesem Gutachten nicht stattgefunden. Es wird lediglich beschrieben, dass die Nasenatmung frei sei. In meinem Gutachten vom 22. September 2015 wurde eine objektive Untersuchung der Nasenatmung durchgeführt, welche eine höhergradige Obstruktion (Behinderung) der Nasenatmung zeigte, was mit einer M.d.E von 10% bemessen wird.

Insgesamt ist bei einem Vergleich mit dem Gutachten vom 24.09.2013 keine wesentliche Änderung eingetreten. Richtigerweise hätte bereits damals die behinderte Nasenatmung mit einer zusätzlichen M.d.E. von 10% bewertet werden müssen."

In dem nunmehr gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 02.11.2017 führte die belangte Behörde begründend aus, dass eine Änderung der Beurteilung hinsichtlich der Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund genauerer Messtechnik auf jeden Fall keinen wesentlichen Sachverhaltsirrtum begründe. Der Beschwerdeführer entgegnet jedoch, dass das Gutachten von Dr. A XXXX nicht lege artis durchgeführt worden wäre, da er es unterlassen habe, den Beschwerdeführer einer Rhinomanometrie zu unterziehen, bei welcher er auf jeden Fall zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 15% gekommen wäre.

Bei der Bescheiderlassung hat es die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt unterlassen sich mit diesen beiden Gutachten auseinanderzusetzen. Dr. W XXXX hat in seinem Gutachten aufgeworfen, dass der Ursprungsgutachter Dr. A XXXX , der im Zuge des chefärztlichen Dienstes beigezogen wurde, die vorzunehmende Untersuchung (Rhinomanometrie) nicht durchgeführt habe, mit welcher die behinderte Nasenatmung erkannt worden wäre. Aus dem Gutachten Dris A XXXX ist nicht zu erkennen, ob er diese Untersuchung tatsächlich durchgeführt hat oder nicht. Dr. A XXXX wurde das Gutachten Dris W XXXX auch nicht zur Stellungnahme vorgelegt.

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt hat es auch unterlassen ein abschließendes Gesamtgutachten über die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit einzuholen.

Um zu beurteilen, ob ein Irrtum über den Sachverhalt vorliegt, ist es notwendig zu wissen, ob Dr. A XXXX es tatsächlich unterlassen hat, eine Rhinomanometrie durchzuführen, ob die Untersuchung ohne Rhinomanometrie durch Dr. A XXXX lege artis ist, bzw. ob man tatsächlich bei Durchführung Untersuchung mit Rhinomanometrie zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 15% gekommen wäre. Wenn tatsächlich schon im Zeitpunkt der Bescheiderlassung eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 15% im hno-ärztlichen Bereich vorgelegen hätte, muss weiters geklärt werden, ob sich dadurch eine Änderung des Gesamtgrades der Minderung der Erwerbsfähigkeit ergeben hätte. Dieser ist durch einen medizinischen Sachverständigen in einem Gesamtgutachten darzulegen.

Dem erkennenden Gericht ist bewusst, dass gemäß § 3 Abs. 1 Einschätzungsverordnung bei Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander maßgebend sind. Die einzelnen Werte sind jedoch nicht einfach zu addieren.

Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt wird im fortgesetzten Verfahren ein Gesamtgutachten über die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers, basierend auf dessen persönlicher Untersuchung, einzuholen und dieses bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Die Vornahme der angeführten Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht selbst verbietet sich unter Effizienzgesichtspunkten, zumal diese grundsätzlich von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt durchzuführen sind und diese über einen eigenen ärztlichen Dienst und Amtssachverständigen verfügt.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt zurückzuverweisen.

5. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Absatz 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Gutachten, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Minderung der Erwerbsfähigkeit,
Versehrtenrente

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W145.2178725.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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