TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/25 G308 2209117-1

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Veröffentlicht am 25.03.2020
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Entscheidungsdatum

25.03.2020

Norm

ASVG §4 Abs1 Z1
ASVG §4 Abs2
ASVG §410
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

G308 2209117-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus SINGER, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse vom 29.03.2018, Zahl: XXXX, wegen Feststellung der Versicherungspflicht, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse (im Folgenden: belangte Behörde) vom 29.03.2018, Zahl: XXXX, wurde gemäß § 410 Abs. 1 Z 2 iVm §§ 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG festgestellt, dass

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XXXX(geb. am XXXX) von 01.06.2017 bis zumindest 02.10.2017,

-

XXXX (geb. am XXXX) von 01.06.2017 bis zumindest 02.10.2017,

-

XXXX(geb. XXXX) von 01.06.2017 bis zumindest 02.10.2017,

-

XXXX(geb. XXXX) von 01.06.2017 bis zumindest 02.10.2017, und

-

XXXX (geb. XXXX) von 05.06.2017 bis zumindest 02.10.2017

aufgrund ihrer dienstnehmerhaften Tätigkeiten als Bauarbeiter für den Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht unterlagen.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 17.04.2018, am 03.05.2018 bei der belangten Behörde einlangend, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den angefochtenen Bescheid aufheben und feststellen, dass keine dem ASVG und AlVG unterliegenden Dienstverhältnisse vorlagen.

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 18.06.2018 richtete diese eine Anfrage an den zuständigen slowakischen Sozialversicherungsträger mit dem Ersuchen um Mitteilung ob für die gegenständlichen fraglichen Dienstnehmer tatsächlich A1-Formulare betreffend Entsendung für Selbstständige in den Zeiträumen 01.06.2017 (bzw. 05.06.2017) bis 02.10.2017 ausgestellt wurden. Darüber hinaus wurde die Übermittlung allfällig ausgestellter A1-Formulare an die belangte Behörde erbeten.

4. Am 27.06.2018 langten bei der belangten Behörde die slowakischen A1-Formulare für alle fünf fraglichen Dienstnehmer seitens der slowakischen Sozialversicherung ein. Darüber hinaus wurde von dieser mit Schreiben vom 21.06.2018 die Ausstellung der A1-Formulare noch einmal schriftlich bestätigt.

Die belangte Behörde veranlasste eine Übersetzung des Begleitschreibens bzw. der Bestätigung vom 21.06.2018 ins Deutsche und liegt diese auch im Verwaltungsakt ein.

5. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde zur Entscheidung vorgelegt und langten am 08.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Die belangte Behörde gab in ihrem Vorlagebericht vom 31.10.2018 den Sachverhalt, ihre Bescheidbegründung sowie das Beschwerdevorbringen zusammengefasst wieder und nahm dazu Stellung. Die belangte Behörde beantragte, die Beschwerde abzuweisen.

6. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 13.11.2018 wurde dem BF der Vorlagebericht der belangten Behörde vom 31.10.2018 zu Parteiengehör und zur Stellungnahme binnen einer Frist von drei Wochen übermittelt.

Eine Stellungnahme langte bis dato nicht beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Am 27.09.2018 und am 02.10.2018 fand auf der vom BF auf seiner Liegenschaft in XXXX, betriebenen Baustelle bezüglich des Baus seines Einfamilienhauses eine Kontrolle durch Organe der Finanzpolizei statt. Es wurden dabei

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XXXX (geb. am XXXX)

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XXXX(geb. am XXXX)

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XXXX (geb. XXXX)

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XXXX (geb. XXXX)

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XXXX(geb. XXXX)

auf der Baustelle arbeitend angetroffen. Seitens der Finanzpolizei wurde das Ausfüllen von Personenblättern in jeweils slowakischer Sprache veranlasst. Weiters wurden die betroffenen Arbeiter von der Finanzpolizei unter Heranziehung eines Slowakisch-Dolmetschers jeweils am 02.10.2017 niederschriftlich einvernommen. Am 09.11.2017 wurde seitens der Finanzpolizei ein Strafantrag an die zuständige Bezirkshauptmannschaft wegen Übertretung des § 33 Abs. 1 ASVG iVm § 111 ASVG gestellt (vgl aktenkundiger Strafantrag vom 09.11.2017 samt Beilagen, darunter Niederschriften und Personenblätter).

2. Mit Schreiben des slowakischen Sozialversicherungsträgers vom 21.06.2018 wurde die Ausstellung von "A1-Formularen" für alle gegenständlich betroffenen Arbeiter jeweils für den Zeitraum 01.06.2017 (hinsichtlich XXXX von 05.06.2017) bis jeweils 02.10.2017 gemäß Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der Fassung der jeweils gültigen Änderung und Ergänzung als selbstständig tätige Personen im Gebiet eines anderen EU-Mitgliedsstaates bestätigt (vgl aktenkundiges Schreiben vom 21.06.2018 samt Übersetzung).

Es sind nachfolgende slowakische A1-Entsendebestätigungen aktenkundig:

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für XXXX (geb. am XXXX) im Zeitraum von 01.06.2017 bis 31.12.2017 und eine Tätigkeit in XXXX/Österreich, von der slowakischen Sozialversicherung bestätigt am 12.06.2017;

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für XXXX (geb. am XXXX) im Zeitraum von 01.06.2017 bis 31.12.2017 und eine Tätigkeit in XXXX/Österreich, von der slowakischen Sozialversicherung bestätigt am 06.06.2017;

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für XXXX (geb. XXXX) im Zeitraum von 01.06.2017 bis 31.12.2017 und eine Tätigkeit in XXXX/Österreich, von der slowakischen Sozialversicherung bestätigt am 07.06.2017;

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für XXXX(geb. XXXX) im Zeitraum von 01.06.2017 bis 31.12.2017 und eine Tätigkeit in XXXX/Österreich, von der slowakischen Sozialversicherung bestätigt am 27.11.2017;

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für XXXX(geb. XXXX) im Zeitraum von 05.06.2017 bis 31.12.2017 und eine Tätigkeit in XXXX/Österreich, von der slowakischen Sozialversicherung bestätigt am 12.06.2017;

Es wird daher festgestellt, dass alle im gegenständlichen Fall betroffenen Arbeiter über ein von der slowakischen Sozialversicherung bestätigtes A1-Entsendeformular für den relevanten Zeitraum und somit über einen Sozialversicherungsanspruch verfügten.

Ein Hinweis auf eine betrügerische Erwirkung der Bescheinigungen liegt nicht vor. Die belangte Behörde hat - sofern aus dem Akteninhalt ersichtlich - im Zuge ihrer Korrespondenz mit dem slowakischen Sozialversicherungsträger auch keine derartigen Bedenken geäußert oder den slowakischen Sozialversicherungsträger zur erneuten Überprüfung der A1-Bescheinigungen angeregt.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde sowie des vorliegenden Gerichtsakts des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Die vom Bundesverwaltungsgericht gegenständlich konkret getroffenen Feststellungen wurden weder seitens der belangten Behörde noch seitens des Beschwerdeführers bestritten. Sie ergeben sich aus dem im Verwaltungs-/Gerichtsakt einliegenden Unterlagen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Anzuwendendes Recht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg. cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit iSd. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 ASVG sind in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung aufgrund dieses Bundesgesetzes die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigten Dienstnehmer versichert (vollversichert), wenn die betreffende Beschäftigung weder gemäß §§ 5 und 6 von der Vollversicherung ausgenommen ist, noch nach § 7 nur eine Teilversicherung begründet.

Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer iSd Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; hierzu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbstständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen. Als Dienstnehmer gelten jedenfalls Personen, die mit Dienstleistungsscheck nach dem Dienstleistungsscheckgesetz (DLSG), BGBl. I Nr. 45/2015, entlohnt werden. Als Dienstnehmer gilt jedenfalls auch, wer nach § 47 Abs. 1 iVm Abs. 2 EStG 1988 lohnsteuerpflichtig ist, es sei denn, es handelt sich m Bezieher von Einkünften nach § 25 Abs. 1 Z 4 lit. a oder b EStG 1988 (Z 1) oder Bezieher von Einkünften nach § 25 Abs. 1 Z 4 lit. c EStG 1988, die in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehen (Z 2) oder Bezieher/innen von Geld- oder Sachleistungen nach dem Freiwilligengesetz.

Den Dienstnehmern stehen im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen gemäß § 4 Abs. 4 ASVG (ausgenommen jene in § 4 Abs. 4 Z 2 lit. a bis d. ASVG) gleich, die sich auf Grund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichten und zwar für einen Dienstgeber im Rahmen seines Geschäftsbetriebes, seiner Gewerbeberechtigung, seiner berufsrechtlichen Befugnis (Unternehmen, Betrieb usw.) oder seines statutenmäßigen Wirkungsbereiches (Vereinsziel, usw.), mit Ausnahme der bäuerlichen Nachbarschaftshilfe (Z 1), für eine Gebietskörperschaft oder eine sonstige juristische Person des öffentlichen Rechts bzw. die von ihnen verwalteten Betriebe, Anstalten, Stiftungen oder Fonds (im Rahmen einer Teilrechtsfähigkeit), wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im Wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen.

Gemäß § 35 Abs. 1 ASVG gilt als Dienstgeber derjenige, für dessen Rechnung der Betrieb (die Verwaltung, die Hauswirtschaft, die Tätigkeit) geführt wird, in dem der Dienstnehmer (Lehrling) in einem Beschäftigungs(Lehr)verhältnis steht, auch wenn der Dienstgeber den Dienstnehmer durch Mittelspersonen in Dienst genommen hat oder ihn ganz oder teilweise auf Leistungen Dritter an Stelle des Entgelts verweist.

Im konkreten Fall ergibt sich:

Die belangte Behörde ist der Ansicht, dass die fünf im Zuge der Kontrolle durch die Finanzpolizei auf der Baustelle arbeitend angetroffenen Arbeiter nicht selbstständig auf Werkvertragsbasis tätig waren, sondern ihnen tatsächlich Dienstnehmereigenschaft iSd § 4 Abs. 2 ASVG zukommt, sodass sie im festgestellten Zeitraum der Vollversicherung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung (sowie auch der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG) unterliegen.

Hinsichtlich aller fünf Arbeiter liegen jedoch slowakische A1-Formulare für eine selbständige Tätigkeit in Österreich im relevanten Zeitraum vor.

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat in seiner Entscheidung vom 10.10.2018, Ra 2016/08/0176, bei einem gleichgelagerten Sachverhalt (konkret betreffend die Verhängung eines Beitragszuschlages, wobei hier das Bestehen der Versicherungspflicht eine notwendige Vorfrage bildet) ausgeführt [Hervorhebungen nicht im Original, Anm.]:

"[...]

7 Die revisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der Revision insbesondere vor, das Bundesverwaltungsgericht habe verkannt, dass für die betroffenen Dienstnehmer A1-Bescheinigungen vorgelegt worden seien.

8 Damit wird insoweit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgeworfen, als das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bindungswirkung derartiger Bescheinigungen abgewichen ist.

9 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat im Urteil vom 6.9.2018, C-527/16, in Beantwortung eines Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichtshofes klargestellt, dass eine vom zuständigen Träger eines Mitgliedstaats aufgrund von Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ausgestellte A1-Bescheinigung nicht nur für die Träger des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, sondern auch für die Gerichte dieses Mitgliedstaats verbindlich ist.

10 Der EuGH hat in seinem Urteil vom 6.2.2018, C-359/16, zwar - noch zu E 101-Bescheinigungen nach der Verordnung (EG) Nr. 1408/71 - auch ausgeführt, dass sich Rechtsunterworfene nicht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf diese Bindungswirkung berufen können, wobei sich ein Betrug in Bezug auf die Ausstellung der Bescheinigungen in objektiver Hinsicht aus der Nichterfüllung der rechtlichen Voraussetzungen und in subjektiver Hinsicht aus der Absicht, diese Voraussetzungen zu umgehen, ergibt. Demnach kann sich die betrügerische Erwirkung einer Bescheinigung in einer willentlichen Handlung - wie der unzutreffenden Darstellung der tatsächlichen Situation des entsandten Arbeitnehmers oder des entsendenden Unternehmens - oder einer willentlichen Unterlassung - wie dem Verschweigen einer relevanten Information - bestehen, die in Umgehungsabsicht erfolgt (vgl. Rn. 53 des Urteils). Aber nur dann, wenn der ausstellende Träger nach Vorlage entsprechender Beweise nicht innerhalb angemessener Frist eine erneute Überprüfung vornimmt, kann ein nationales Gericht des Beschäftigungsstaates die betreffenden Bescheinigungen - nach Durchführung eines Verfahrens gegen die Person, die verdächtigt wird, entsandte Arbeitnehmer unter Verwendung von betrügerisch erlangten Bescheinigungen eingesetzt zu haben - außer Acht lassen (vgl. Rn. 54 bis 56 und sowie 60 und 61 des Urteils). Diese Rechtsprechung ist auf die A1- Bescheinigungen nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu übertragen (vgl. den Hinweis im Urteil des EuGH 6.9.2018, C- 527/16, Rn. 46, auf das Urteil C-359/16).

11 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass A1-Bescheinigungen für die betreffenden Dienstnehmer vorgelegt worden seien, dass es sich bei dem entsendenden Unternehmen aber um ein Scheinunternehmen gehandelt habe. Damit würden die rechtlichen Voraussetzungen für eine Pflichtversicherung in der Slowakei gemäß Art. 12 Abs. 1 der VO 883/2004 mangels dort entfalteter Tätigkeit des Dienstgebers und damit auch die Voraussetzungen für die Ausstellung einer A1- Bescheinigung nicht vorliegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber nicht festgestellt - und es gibt dafür nach der Aktenlage auch keine Anhaltspunkte -, dass der slowakische Träger mit diesem Sachverhalt konfrontiert und um die Überprüfung der Bescheinigungen ersucht worden wäre oder sie etwa von sich aus zurückgezogen hätte. Bei dieser Ausgangslage war weiterhin von der Bindungswirkung der A1-Bescheinigungen auszugehen, deren Echtheit im bisherigen Verfahren nicht in Frage gestellt wurde. Sie standen daher dem Eintritt einer Pflichtversicherung der betreffenden Dienstnehmer in Österreich und damit auch der Annahme einer Meldepflichtverletzung durch die Dienstgeberin entgegen.

12 Da das Bundesverwaltungsgericht dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

[...]"

Auch im gegenständlichen Fall konnte seitens des erkennenden Gerichtes nicht festgestellt werden bzw. ergab sich auch aus der Aktenlage kein Anhaltspunkt dafür, dass der slowakische Krankenversicherungsträger in betrügerischer Absicht zur Ausstellung der A1-Bestätigungen veranlasst worden wäre. Auch ergibt sich nicht, dass die belangte Behörde davon ausgegangen wäre und wurde diesbezüglich jedenfalls gegenüber dem slowakischen Sozialversicherungsträger auch nicht hingewiesen.

Das erkennende Gericht geht gegenständlich somit von einer geltenden Bindungswirkung hinsichtlich der vorliegenden A1-Bestätigungen aus, sodass diese dem Eintritt einer Pflichtversicherung der gegenständlich betroffenen Arbeiter in Österreich entgegensteht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 3 hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.

Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Gemäß Abs. 5 kann das Verwaltungsgericht von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Der für diesen Fall maßgebliche Sachverhalt konnte als durch die Aktenlage hinreichend geklärt erachtet werden. Darüber hinaus wurde im Sinne des Beschwerdeführers entschieden, der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Es lagen keine noch zu klärenden Tatsachenfragen in konkreter und substanziierter Weise vor und war auch keine komplexe Rechtsfrage zu lösen (VwGH 31.07.2007, GZ 2005/05/0080). Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH vertritt eine eindeutige und einheitliche Rechtsprechung, weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Bindungswirkung, Dienstnehmereigenschaft, EU-Entsendebestätigung,
Mitgliedstaat, Pflichtversicherung, VwGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G308.2209117.1.00

Zuletzt aktualisiert am

19.05.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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