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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend eine Staatsangehörige von Marokko; Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch eine Richterin des Bundesverwaltungsgericht betreffend eine befürchtete ZwangsverheiratungSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, Angehöriger der Volksgruppe der Pashtunen und sunnitischer Moslem.
1.1. Er stellte am 14. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt aus, er habe für einen
Kulturverein namens "Jamme Madani" gearbeitet und sei dort Mitglied gewesen. Er habe immer den Verein über Ungereimtheiten informiert und habe so Probleme mit den Taliban bekommen. Als er von den Taliban deswegen mit dem Umbringen bedroht worden sei, habe er sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) präzisierte der Beschwerdeführer sein Vorbringen dahingehend, dass er Mitglied einer Organisation namens "Majma" sei, unter der sich der Verein "Jaamehe Madani" für Menschenrechte einsetze. Bei diesem Verein sei auch angezeigt worden, dass der Beschwerdeführer von seinem Onkel väterlicherseits bedroht worden sei, weil ihn dieser zwangsverheiraten habe wollen. Der Onkel väterlicherseits habe ihn während des Opferfestes festgenommen, drei Tage eingesperrt und geschlagen, dann sei er jedoch von einem Onkel mütterlicherseits befreit worden.
2. Mit Bescheid vom 15. Jänner 2016 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
3. Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31. Mai 2019 – mit Erkenntnis vom 8. Juli 2019 als unbegründet ab, wobei die Entscheidung durch eine Richterin weiblichen Geschlechts erfolgte.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
II. Rechtslage
1. §20 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, lautet:
"Einvernahmen von Opfern bei Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung
§20. (1) Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung (Art1 Abschnitt A Z2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, ist er von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
(2) Für Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt Abs1 nur, wenn der Asylwerber den Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung bereits vor dem Bundesamt oder in der Beschwerde behauptet hat. Diesfalls ist eine Verhandlung von einem Einzelrichter desselben Geschlechts oder einem aus Richtern desselben Geschlechts bestehenden Senat durchzuführen. Ein Verlangen nach Abs1 ist spätestens gleichzeitig mit der Beschwerde zu stellen.
(4) Wenn der betroffene Asylwerber dies wünscht, ist die Öffentlichkeit von der Verhandlung eines Senates oder Kammersenates auszuschließen. Von dieser Möglichkeit ist er nachweislich in Kenntnis zu setzen. Im Übrigen gilt §25
Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl I Nr 33/2013."
2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes für das Geschäftsverteilungsjahr vom 1. Februar 2019 bis 31. Jänner 2020 (im Folgenden: GV 2019) lauten auszugsweise:
"1. TEIL:
ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN
[…]
2. Abschnitt:
Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichtes
[…]
§6. Unzuständigkeit
(1) Eine Richterin oder ein Richter ist im Sinne dieser Geschäftsverteilung unzuständig, wenn
1. der zugehörigen Gerichtsabteilung die Rechtssache auf Grund gesetzlicher Bestimmungen nicht zugewiesen hätte werden dürfen;
[…]
4. sie oder er wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß §20 AsylG 2005 für die betreffende Rechtssache nicht zuständig ist;
5. der zugehörigen Gerichtsabteilung die Rechtssache nach den Bestimmungen der jeweils bei der Zuweisung geltenden Geschäftsverteilung nicht zugewiesen hätte werden dürfen (zB wegen Annexität).
(2) Setzt die Richterin oder der Richter, deren/dessen Gerichtsabteilung die Rechtssache zugewiesen worden ist, einen außenwirksamen Akt oder erhebt sie oder er nicht rechtzeitig eine Unzuständigkeitsanzeige, so wird diese Richterin oder dieser Richter für die betreffende Rechtssache zuständig, sofern keine Unzuständigkeit iSd. Abs1 Z1, 2 oder 4 vorliegt. Besteht eine Zuweisungssperre, so wird sie oder er erst mit ihrem Wegfall zuständig. Die Übermittlung einer Mitteilung an das BFA hinsichtlich des Einlangens einer Beschwerde nach §16 Abs4 und §22 BFA-VG stellt keinen außenwirksamen Akt im Sinne dieser
Geschäftsverteilung dar. Innerhalb der Zuweisungsgruppe SUB stellen Ermittlungstätigkeiten bis zur Dauer von acht Wochen keinen außenwirksamen Akt im Sinne dieser Geschäftsverteilung dar.
(3) Ist eine Richterin oder ein Richter als Einzelrichter/-in oder als Vorsitzende/Vorsitzender eines Senates in einer Rechtssache wegen eines behaupteten Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung gemäß §20 AsylG 2005 unzuständig und wird aus diesem Grund diese Rechtssache erneut zugewiesen, so verliert sie oder er damit gleichzeitig auch die Zuständigkeit für alle Rechtssachen, die zu dieser Rechtssache annex sind oder zu denen diese Rechtssache annex ist.
(4) […]
[…]
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes unter anderem dann verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002).
Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Gründet ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung, bestimmt §20 AsylG 2005 in Abs1 das Gebot der Einvernahme durch Organwalter desselben Geschlechts vor der Verwaltungsbehörde und in Abs2 das Gebot der Verhandlung (und demzufolge auch Entscheidung) vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Richter desselben Geschlechts. Davon kann nach dem insoweit klaren Gesetzeswortlaut nur abgegangen wer-den, wenn die Partei ausdrücklich anderes verlangt, und zwar vor der Verwaltungsbehörde die Einvernahme durch Organwalter des anderen Geschlechts und vor dem Bundesverwaltungsgericht die Führung der Verhandlung durch Richter des anderen Geschlechts (vgl VfSlg 20.260/2018 und bereits VfGH 25.11.2013, U1121/2012 ua).
2.2. Der Beschwerdeführer hat in seiner Einvernahme vor dem BFA sowie in seiner Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht als Fluchtgrund vorgebracht, dass ihm in seinem Herkunftsland Afghanistan eine Zwangsverheiratung durch den Onkel drohe. Er hat damit einen drohenden Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Sinne des §20 Abs2 AsylG 2005 behauptet (vgl zB VfGH 18.9.2015, E1003/2014).
2.3. Indem das Bundesverwaltungsgericht die vorliegende Rechtssache durch eine Richterin weiblichen Geschlechts sowohl verhandelt als auch entschieden hat, obwohl §20 Abs2 AsylG 2005 im vorliegenden Fall anzuwenden war, hat es den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl VfSlg 20.260/2018 und 19.671/2012).
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z4 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Verhandlung mündliche, Gericht Zusammensetzung, Rückkehrentscheidung, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E3107.2019Zuletzt aktualisiert am
19.05.2020