TE Vfgh Erkenntnis 2020/3/5 E1688/2019

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Veröffentlicht am 05.03.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
BFA-VG §18 Abs5
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung mangels Durchführung der gesetzlich gebotenen Interessenabwägung mit dem Privat- und Familienleben

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.       Der Beschwerdeführer stammt aus Serbien und ist in aufrechter Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Dieser Ehe entstammen drei Kinder. Eines der drei Kinder ist noch minderjährig. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner Kernfamilie im gemeinsamen Haushalt.

2.       Der Beschwerdeführer befindet sich seit 1991 – mit teilweisen Unterbrechungen seines Aufenthaltes – in Österreich. Erst 2004 wurde der Aufenthalt des Beschwerdeführers legalisiert. Während des zuvor illegalen Aufenthaltes wurden gegen den Beschwerdeführer wiederholt Ausweisungen erlassen und die Schubhaft verhängt. Ab 2004 war er im Besitz eines Aufenthaltstitels, zunächst in Form einer Erstniederlassungsbewilligung; in weiterer Folge erfolgte ein Wechsel auf den Aufenthaltstitel "Familienangehöriger". Der zuletzt erteilte Aufenthaltstitel endete am 21. Februar 2016. Seither hält sich der Beschwerdeführer rechtswidrig im Bundesgebiet auf. Im Juli 2016 wurde der Beschwerdeführer durch das Landesgericht für Strafsachen Wien rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 3 Jahren wegen Schlepperei gemäß §114 FPG verurteilt. Er wurde im April 2018 unbedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen.

3.       Auf Grund der Verurteilung wurde gegen den Beschwerdeführer ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung eingeleitet, jedoch wieder eingestellt, weil aus damaliger rechtlicher Sicht keine Maßnahmen hinsichtlich §9 Abs4 BFA-VG möglich waren. Der im Anschluss daran gestellte Verlängerungsantrag auf Aufenthalt wurde von der zuständigen Behörde als Erstantrag qualifiziert, abgewiesen und erwuchs nach der Bestätigung durch das Rechtsmittelgericht in Rechtskraft.

4.       Im September 2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und ihm mitgeteilt, dass eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen werden würden. Der Beschwerdeführer stellte in weiterer Folge einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art8 EMRK gemäß §55 AsylG 2005. Der Antrag des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21. Februar 2019 abgewiesen, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß §46 FPG nach Serbien zulässig sei; weiters wurde gemäß §18 Abs1 Z6 BFA-VG einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß §53 Abs1 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot erlassen.

5.       Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte unter einem, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Teilerkenntnis vom 3. April 2019 den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurückgewiesen und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt. Eine Entscheidung im Hinblick auf die weiteren – in der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochtenen – Spruchpunkte des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist bis dato noch nicht ergangen.

6.       In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973), auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) und auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und auf ein faires Verfahren (Art47 Abs2 GRC) geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Der Beschwerdeführer bringt vor, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht ausreichend mit seinem Familienleben, insbesondere nicht mit der Beziehung zu seinem minderjährigen Kind, auseinandersetze. Daraus resultiere eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat-und Familienlebens gemäß Art8 EMRK. Das völlige Außer-Acht-Lassen jeglicher Ermittlungstätigkeit bzw die mangelnden Feststellungen zum Familienleben des Beschwerdeführers seien willkürlich und würden ihn in seinem Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzen. Mangels Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei es dem Beschwerdeführer verwehrt gewesen, konkrete Ausführungen zur Intensität seines Familienlebens zu tätigen, weshalb die angefochtene Entscheidung gegen Art47 Abs2 GRC verstoße.

7.       Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und die Gerichtsakten vorgelegt. Weder das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch das Bundesverwaltungsgericht haben eine Äußerung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof erstattet.

II.      Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1.       Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

2.       Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3.       Ein solcher, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:

3.1.    §18 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I 87/2012 idF BGBl I 56/2018, lautet:

"Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde

§18. (1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn

1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§19) stammt,

2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt,

3. der Asylwerber das Bundesamt durch falsche Angaben oder Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder seine Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht hat,

4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,

5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,

6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder

7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.

Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt, so ist Abs2 auf diese Fälle nicht anwendbar. Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung.

(2) Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist vom Bundesamt abzuerkennen, wenn

1. die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist,

2. der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist oder

3. Fluchtgefahr besteht.

(3) Bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

(4) Der Beschwerde gegen eine Ausweisung gemäß §66 FPG darf die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt werden.

(5) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK, Art8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. §38 VwGG gilt.

(6) Ein Ablauf der Frist nach Abs5 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.

(7) Die §§13 Abs2 bis 5 und 22 VwGVG sind in den Fällen der Abs1 bis 6 nicht anwendbar."

3.2.    In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Erkenntnisses gibt das Bundesverwaltungsgericht den Verfahrensgang wieder und legt seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:

"Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 05.07.2016, rechtskräftig am 05.07.2016, wegen des Verbrechens der Schlepperei zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Gattin und die drei Kinder sind österreichische Staatsangehörige, ein Kind ist minderjährig. Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt über keinen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet."

In der Begründung der angefochtenen Entscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht nach Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmung des §18 Abs2 Z1 BFA-VG im Rahmen der rechtlichen Bewertung zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung Folgendes aus:

"Der Beschwerdeführer führte die ihm zur Last gelegten Schleppungen im Zeitraum von Juli bis Ende August 2015 durch. Er sah sich offenbar während dieses Zeitraumes nicht veranlasst, sein Verhalten zu überdenken und von weiteren Schleppungen Abstand zu nehmen. Vor diesem Hintergrund ist die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich.

Der Beschwerde ist im Ergebnis derzeit – vorbehaltlich allfälliger anderer Verfügungen zu einem späteren Zeitpunkt – die aufschiebende Wirkung nicht zuzuerkennen."

3.3.    Das Bundesverwaltungsgericht führt bei seiner Entscheidung zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung keine nach Art8 EMRK (vgl §18  Abs5 BFA-VG) gebotene Interessenabwägung durch, sondern stellt auf das bloße Vorliegen der Voraussetzungen ab (vgl zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nach §18 Abs5 BFA-VG – auch im Hinblick auf Art13 EMRK und Art47 GRC – VfSlg 20.105/2016; VwGH 13.9.2016, Fr 2016/01/0014; 28.4.2015, Ra 2014/18/0146).

Das Bundesverwaltungsgericht ist damit gesetzlos vorgegangen, es hat die Rechtslage verkannt und dadurch den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt (vgl VfSlg 12.173/1989, 14.206/1995, 15.650/1999, 20.105/2016 mwN).

III.    Ergebnis

1.       Der Beschwerdeführer ist somit durch die die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß §18 Abs2 Z1 BFA-VG betreffende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) untereinander verletzt worden.

2.       Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben.

3.       Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

4.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88a Abs1 iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

Schlagworte

Wirkung aufschiebende, Privat- und Familienleben, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1688.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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