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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz, die Hofrätin Mag. Schindler sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des N K, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2019, W279 1424122-2/3E, betreffend Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sowie rechtlich davon abhängende Aussprüche nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 5. August 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit dem am 24. April 2014 mündlich verkündeten und mit 22. Mai 2014 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wurde dem Revisionswerber gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung mit Gültigkeit bis zum 24. April 2015 erteilt.
3 In seiner Begründung stellte das Bundesverwaltungsgericht darauf ab, dass die Heimatprovinz des Revisionswerbers zu den am meisten gefährdeten Gegenden Afghanistans gehöre. Infolge "der Bedrohung durch die innerstaatliche Konfliktsituation" sei dort eine "Gefährdung von Leib und Leben für ihn als Zivilperson" nicht auszuschließen. Aufgrund des festgestellten Sachverhalts ergebe sich, dass eine Rückkehr des Revisionswerbers in die Herkunftsprovinz Nangarhar zu einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2 und Art. 3 EMRK führen werde. Es sei dem Revisionswerber wegen der Versorgungslage in Kabul und des Fehlens für ihn dort notwendiger Kontakte nicht zumutbar, eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch zu nehmen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er dort "im Hinblick auf Wohnung, Arbeit, Essen etc. ebenfalls" in eine hoffnungslose Lage geraten werde.
4 Über Antrag des Revisionswerbers verlängerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 13. April 2015 die Gültigkeit der befristeten Aufenthaltsberechtigung bis 24. April 2017.
5 Im Jahr 2016 zog das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Erwägung, ein Verfahren zur Aberkennung des dem Revisionswerber gewährten Status des subsidiär Schutzberechtigten einzuleiten, weil sich aufgrund von Angaben in zwischenzeitig zur Familienzusammenführung gestellten Anträgen zum einen Zweifel an der Identität des Revisionswerbers ergeben hatten. Zum anderen erachtete die Behörde Hinweise dafür als gegeben, dass sich der Revisionswerber im August 2015 in seinem Heimatstaat aufgehalten hätte.
6 Am 26. März 2017 beantragte der Revisionswerber beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die weitere Verlängerung der ihm erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung. Dies wurde ihm von der Behörde mit Bescheid vom 21. April 2017 gewährt und die Gültigkeit der befristeten Aufenthaltsberechtigung bis 24. April 2019 festgelegt.
7 Am 27. Juni 2017 wurde der Revisionswerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum im Juni 2016 hervorgekommenen Verdacht, er habe sich im August 2015 in seinem Heimatland aufgehalten, vernommen. Der Revisionswerber bestritt dies.
8 Mit Aktenvermerk vom 27. Juni 2017 hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass nach "Klärung des Sachverhaltes in der Einvernahme" vom 27. Juni 2017 "keine näheren Hinweise auf einen Aberkennungsgrund" vorlägen.
9 Am 18. März 2019 brachte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf Verlängerung der ihm erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung ein.
10 In der Folge leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (neuerlich) ein Verfahren zur Aberkennung des dem Revisionswerber zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten ein, wobei die Behörde im Verwaltungsakt festhielt, dass wegen geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz "nicht bzw. nicht mehr" vorlägen. Der Revisionswerber wurde in diesem Verfahren am 29. April 2019 von der Behörde vernommen. 11 Mit Bescheid vom 16. Oktober 2019 wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der dem Revisionswerber im Jahr 2014 vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen. Weiters sprach die Behörde aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
12 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (ohne Durchführung der beantragten Verhandlung) mit Erkenntnis vom 17. Dezember 2019 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
13 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht - zusammengefasst und soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, der Revisionswerber befinde sich nicht mehr in der gleichen vulnerablen Lage wie zum Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Er sei älter, erfahrener und selbständiger geworden. Er habe "ergänzende (Aus-)Bildungsschritte unternommen", Berufserfahrung (als Küchenhilfe in einem China-Restaurant) gesammelt und diverse Kontakte geknüpft. Dem gesunden Revisionswerber, der im erwerbsfähigen Alter sei, sei die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zumutbar. Er befinde sich nunmehr im Vergleich zum Zeitpunkt der am 22. Mai 2014 erfolgten Erlassung des (ihm den Status als subsidiär Schutzberechtigten zuerkennenden) Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts in einer anderen Situation (insoweit ist zur Klarstellung festzuhalten, dass nach den in den vorgelegten Verfahrensakten erliegenden Schriftstücken dieses Erkenntnis durch mündliche Verkündung am 24. April 2014 erlassen worden und die Zustellung einer Ausfertigung dieses Erkenntnisses an den Revisionswerber am 27. Mai 2014 und an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23. Mai 2014 erfolgt war). Die nunmehr festgestellten Umstände führten dazu, dass jene Annahmen, "von denen der den subsidiären Schutz zuerkennende Bescheid ausgegangen" sei, nicht mehr "in gleicher Weise" zuträfen. Die für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes "damals ausschlaggebende Tatsache (insb. fehlendes soziales Netz in Afghanistan und mangelnde Berufserfahrung)" könne nicht mehr "aufrechterhalten werden".
14 Die Erhebung einer Revision sei - so das Bundesverwaltungsgericht abschließend - nicht zulässig, weil es sich bei seiner Entscheidung auf die - im Rahmen der jeweiligen Erwägungen zitierte - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe stützen können.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht und nach Einleitung des Vorverfahrens - es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet - erwogen:
16 Die Revision erweist sich aufgrund des zu ihrer Zulässigkeit - unter dem Aspekt des Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - geltend gemachten Vorbringens, wonach beim (im Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten 30-jährigen) Revisionswerber keine nachhaltigen und wesentlichen Veränderungen in seiner persönlichen Situation, die die Aberkennung des ihm zuerkannten Schutzstatus rechtfertige, eingetreten seien, als zulässig und auch berechtigt.
17 Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht oder nicht mehr vorliegen. 18 Wie zuvor schon das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl begründete das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten damit, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorlägen und stützte demnach die Aberkennung auf den zweiten Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.
19 Wie sich aus der oben (auszugsweise) wiedergegebenen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt, vertrat es die Auffassung, es habe bei der Prüfung, ob sich die Umstände derart geändert hätten, sodass die Aberkennung des subsidiären Schutzes auszusprechen sei, ausschließlich einen Vergleich der aktuellen Situation mit jener Situation vorzunehmen, wie sie sich zum Zeitpunkt der Entscheidung, mit der dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war, dargeboten hatte. Den zwischenzeitig - und zuletzt mit Bescheid vom 21. April 2017 - erfolgten Verlängerungen der befristeten Aufenthaltsberechtigung schenkte das Verwaltungsgericht hingegen ebenso wenig Beachtung, wie dem Umstand, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bereits zuvor ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet, aber am 27. Juni 2017 mit der Begründung wieder eingestellt hatte, dass "keine Hinweise auf einen Aberkennungsgrund" vorlägen. 20 Die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Rechtsansicht, die Änderung der Umstände sei ausschließlich im Vergleich mit der - hier: im Jahr 2014 erfolgten - Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, mit der dem Revisionswerber der Status des subsidiärer Schutzberechtigten zuerkannt worden war, zu beurteilen, stellt sich indes in jenem Fall, in dem zwischenzeitig die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung erfolgt ist, als nicht dem Gesetz entsprechend dar (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Es kann zudem bei der Beurteilung, ob Gründe vorhanden sind, die die Aberkennung rechtfertigen, nicht ausgeklammert bleiben, dass - wie hier - zwischenzeitig ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt wurde, nach der zuletzt erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung dieses Verfahren aber trotz weitergehender Erhebungen, ob Gründe für die Aberkennung gegeben seien, wieder eingestellt wurde, weil solche Gründe als nicht gegeben angesehen wurden.
21 Schon dies führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung, sodass auf das übrige in der Revision enthaltene Vorbringen nicht mehr einzugehen war.
22 Sohin war das angefochtene Erkenntnis - zur Gänze, weil die Abweisung der Beschwerde betreffend die übrigen von der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtlich abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verliert - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
23 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4, Z 5 und Z 6 VwGG abgesehen werden.
24 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 8. April 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200052.L00Im RIS seit
09.06.2020Zuletzt aktualisiert am
09.06.2020