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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §71Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, in der Revisionssache des X Y in Z, vertreten durch MMag. Martina Windbichler, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 88/2-4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. November 2019, W168 1437491- 3/4E, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21. Dezember 2018 wurde dem Revisionswerber, einem afghanischen Staatsangehörigen, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 18. Mai 2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt, der Antrag des Revisionswerber vom 7. Mai 2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt. 2 Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2019 beantragte der Revisionswerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 21. Dezember 2018 und beantragte, dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Zugleich erhob er Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 21. Dezember 2018.
3 Den Wiedereinsetzungsantrag begründet er damit, dass er Ende Dezember 2018 auf Urlaub gefahren sei, um einen Freund in Azu besuchen, und dort mehrere Wochen geblieben sei. Der Bescheid des BFA vom 21. Dezember 2018 sei am 31. Dezember 2018 nach einem erfolglosen Zustellversuch (an seinem Hauptwohnsitz in Z) durch den Zustelldienst hinterlegt worden. Der Revisionswerber habe sich aufgrund seines Urlaubes nicht an seinem Hauptwohnsitz in Z befunden und habe nichts von der Hinterlegung gewusst. Auch sein Mitbewohner sei auf Urlaub gewesen. Dieser habe am 21. Jänner 2019 ein Foto der Hinterlegungsverständigung gemacht und dem Revisionswerber übermittelt. Der Revisionswerber habe somit an diesem Tag von der Hinterlegung des Bescheides erfahren. Er sei sofort nach Hause gefahren und habe noch am selben Tag den Bescheid abgeholt. Er sei aufgrund seiner Rechtsunkundigkeit davon ausgegangen, dass die vierwöchige Beschwerdefrist erst mit Erhalt des Bescheides, somit am 21. Jänner 2019 zu laufen begonnen habe. Diese Unkenntnis beruhe nicht auf einem Verschulden, das einen minderen Grad des Versehens überschreite und sei daher zur Begründung einer Wiedereinsetzung geeignet. Erst am 29. Jänner 2019 sei der Revisionswerber durch eine Rechtsberatungsorganisation darüber aufgeklärt worden, dass die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit 28. Jänner 2019 verstrichen sei. Damit sei das unabwendbare Ereignis, das den Revisionswerber an der Einhaltung der Frist gehindert habe, weggefallen, sodass der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig sei.
4 Mit Bescheid vom 19. Februar 2019 wies das BFA den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 8. Februar 2019 "gemäß § 71 Abs.1 AVG" ab und erkannte "gemäß § 71 Abs. 6 AVG" dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 8. Februar 2019 die aufschiebende Wirkung zu.
5 Die gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags erhobene Beschwerde des Revisionswerbers vom 15. März 2019 legte das BFA dem BVwG am 20. März 2019 gemäß § 14 Abs. 2 VwGVG vor. Hingegen wurde die (zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag erhobene) Beschwerde vom 8. Februar 2019 gegen den Bescheid des BFA vom 21. Dezember 2018 nach der Aktenlage bislang nicht behandelt.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. November 2019 wies das BVwG die gegen den Bescheid des BFA vom 19. Februar 2019 erhobene Beschwerde "gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG" als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
7 Begründend stellt es fest, dass der Revisionswerber nicht glaubhaft und nachvollziehbar belegt ein unvorhergesehenes Ereignis vorgebracht habe, welches eine durchschnittlich sorgfältige Person daran hindern hätte können, rechtzeitig Beschwerde zu erheben. Sämtliche Elemente zur Beurteilung des Sachverhaltes ergäben sich aus dem Verwaltungsakt, sodass die Aufnahme weiterer Beweise nicht erforderlich sei. Aus den weiteren Erwägungen des BVwG im Erkenntnis ergibt sich, dass es - auch unter Zugrundelegung des Vorbringens des Revisionswerbers im Wiedereinsetzungsantrag - ein grobes Verschulden des Revisionswerbers an der Fristversäumnis annimmt, insbesondere darin, nicht schon im Zeitraum 21. Jänner 2019 bis zum 28. Jänner 2019 eine Rechtsberatung aufgesucht oder ohne eine solche eine Beschwerde erhoben zu haben.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit zunächst ein Abweichen des BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an die Begründung eines Erkenntnisses vorbringt. Soweit das BVwG von der Aktenlage ausgehe, so stelle die Hinterlegung des Bescheides trotz Ortsabwesenheit einen Zustellmangel dar, der nach § 7 ZustG erst mit dem tatsächlichen Zukommen heile. Ausgehend davon sei die Beschwerde gegen den Bescheid vom 21. Dezember 2018 - ungeachtet des Wiedereinsetzungsantrags - rechtzeitig gewesen. Überdies sei dem Revisionswerber keine auffallende Sorglosigkeit vorzuwerfen, wenn er nach Behebung des Schriftstücks "sofort in der darauffolgenden Woche" Rechtsberatung gesucht habe.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 12 Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass sowohl das BFA als auch das BVwG und die Revision sich jeweils auf § 71 AVG als einschlägige Rechtsvorschrift beziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Versäumen der Beschwerdefrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch allein § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung und nicht die §§ 71, 72 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt. Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings in seiner Rechtsprechung auch bereits festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar sind (vgl. jeweils VwGH 30.5.2017, Ra 2017/19/0113, mwN). Die bloße Fehlbezeichnung der angewendeten Rechtsvorschrift ist daher im vorliegenden Fall im Ergebnis unerheblich.
13 Das BVwG hat den Antrag erkennbar unter Zugrundelegung des Sachverhaltsvorbringens des Revisionswerbers beurteilt. Die Revision weist jedoch zutreffend darauf hin, dass bei Zugrundelegung des Vorbringens des Revisionswerbers von der Rechtzeitigkeit seiner Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 21. Dezember 2018 auszugehen ist.
14 Demnach sei der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Hinterlegung des Bescheides am 31. Dezember 2018 für mehrere Wochen von der Abgabestelle urlaubsbedingt abwesend gewesen und erst am 21. Jänner 2019 zurückgekehrt, nachdem er am selben Tag vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt habe. Den Bescheid habe er am Tag seiner Rückkehr erhalten.
15 Nach § 17 Abs. 1 ZustG ist Voraussetzung für eine Hinterlegung, dass der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Nach Abs. 3 ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Abs. 3 vierter Satz regelt schließlich, dass hinterlegte Dokumente nicht als zugestellt gelten, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte. 16 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die durch den dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung nicht durch die Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirkt, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. "Rechtzeitig" im Sinne des § 17 Abs. 3 vierter Satz ZustG ist demnach dahingehend zu verstehen, dass dem Empfänger noch jener Zeitraum für ein Rechtsmittel zur Verfügung steht, der ihm auch im Falle einer vom Gesetz tolerierten Ersatzzustellung üblicherweise zur Verfügung gestanden wäre. Wenn daher der Empfänger durch den Zustellvorgang nicht erst später die Möglichkeit erlangt hat, in den Besitz der Sendung zu kommen, als dies bei einem großen Teil der Bevölkerung infolge ihrer Berufstätigkeit der Fall gewesen wäre, so muss die Zustellung durch Hinterlegung als ordnungsgemäß angesehen werden (vgl. VwGH 22.12.2016, Ra 2016/16/0094, mwN und Beispielen aus der Judikatur). Dies trifft bei einer abwesenheitsbedingten Möglichkeit zur Kenntnisnahme nach erst mehr als zwei Wochen (womit überdies der weit überwiegende Teil der vierwöchigen Beschwerdefrist bereits verstrichen gewesen wäre) nicht zu.
17 Überlegungen dazu, ob die Rückkehr des Revisionswerbers noch innerhalb der Abholfrist erfolgte, oder ob - etwa angesichts der Dauer der Abwesenheit - die Hinterlegung überhaupt zulässig war, erübrigen sich. In allen diesen Fällen kann die Zustellung nämlich frühestens mit dem 21. Jänner 2019 (allenfalls durch tatsächliches Zukommen des Dokuments im Sinne einer Heilung von Zustellmängeln nach § 7 ZustG) als bewirkt gelten. Zum Zeitpunkt der Einbringung der mit dem Wiedereinsetzungsantrag vom 8. Februar 2019 verbundenen Beschwerde war die vierwöchige Beschwerdefrist damit noch offen.
18 Die Versäumung der Frist ist - auch nach § 33 VwGVG - Voraussetzung für einen Antrag auf Bewilligung einer Wiedereinsetzung (vgl. VwGH 7.3.2016, Ra 2015/02/0233, mwN). Dass der (mangels Fristversäumung unzulässige) Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen - und nicht zurückgewiesen - wurde, verletzt den Revisionswerber jedoch nicht in seinen Rechten (VwGH 28.5.2013, 2011/05/0076, mwN).
19 Auf die zur Begründung der Zulässigkeit der Revision aufgeworfene Frage, ob das BVwG von einem schweren Verschulden des Revisionswerbers an der - vermeintlichen - Versäumung der Frist ausgehen durfte, kommt es daher im Ergebnis nicht an. 20 Die vom Revisionswerber als Revisionspunkt angeführte behauptete Verletzung im Recht auf inhaltliche Entscheidung über sein Rechtsmittel gegen die Aberkennung des subsidiären Schutzes und Abweisung des Antrags auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung kann nicht durch die hier allein verfahrensgegenständliche Wiedereinsetzungsentscheidung erfolgt sein. Die bloße Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags entbindet nämlich nicht davon, auch über die zugleich erhobene Beschwerde (beispielsweise durch Zurückweisung wegen Verspätung) zu entscheiden.
21 Vielmehr werden im Zuge der noch ausstehenden Behandlung der Beschwerde vom 8. Februar 2019 gegen den Bescheid des BFA vom 21. Dezember 2018 auf Grund des substantiierten Vorbringens des Revisionswerbers zu seiner behaupteten Ortsabwesenheit geeignete Feststellungen zum Zustellvorgang zu treffen sein, auf deren Basis die Rechtzeitigkeit der Beschwerde zu beurteilen, und diese allenfalls auch inhaltlich zu behandeln sein wird.
22 Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG, von der das Ergebnis der hier gegenständlichen Revision abhängen würde, war diese hingegen ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 21. April 2020
Schlagworte
Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140023.L00Im RIS seit
09.06.2020Zuletzt aktualisiert am
09.06.2020