Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers B***** J***** S*****, vertreten durch Mag. Johannes Rainer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Antragsgegnerin A***** P*****, vertreten durch Dr. Markus Purtscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Einräumung eines Notwegs, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 13. Juni 2019, GZ 51 R 32/19h-36, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Das Rekursgericht wies das Begehren des Antragstellers auf Einräumung eines Notwegs zugunsten seines Grundstücks auf dem Grundstück der Antragsgegnerin durch Erweiterung der einverleibten Dienstbarkeit ab, weil der Mangel der Wegverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Antragstellers zurückzuführen sei. Der Antragsteller habe trotz Vorhersehbarkeit der späteren Bauabsicht keine naheliegenden Erwägungen über das leicht ersichtliche eingeschränkte Wegerecht angestellt und nicht den Versuch unternommen, dem Wegemangel Abhilfe zu schaffen. Den Wert des Entscheidungsgegenstands bemaß das Rekursgericht mit 30.000 EUR übersteigend und den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für unzulässig.
Der Antragsteller macht in seinem außerordentlichen Revisionsrekurs, mit dem er die Einräumung des Notwegs im begehrten Umfang beantragt, Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend, zeigt jedoch keine erheblichen Rechtsfragen auf.
Rechtliche Beurteilung
1.1. Der Rechtsmittelwerber rügt die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts, das davon ausgehe, er habe bereits seit Ankauf des Grundstücks 2008 durch seine Gattin (die ihm das Grundstück 2010 schenkte) einen Bauentschluss gehabt haben müssen, obwohl das Erstgericht festgestellt habe, dass sich der Antragsteller im Jahr 2014, als er 70 Jahre alt geworden sei, entschlossen habe, ein Haus zu errichten.
1.2. Diese Feststellung wurde vom Rekursgericht übernommen. Das Rekursgericht erwog, dass die beabsichtigte Bauführung „nicht unvorhersehbar“ gewesen sei, was sich aus der Lage des Grundstücks im Bauland und der Bezahlung von „Baulandpreis“ dafür ergebe, sodass der Entschluss, im/für den eigenen Familienkreis zu bauen, „nicht gänzlich fern gelegen“ sei.
1.3. Grundsätzlich sind auch in der rechtlichen Beurteilung enthaltene, aber eindeutig dem Tatsachenbereich zuzuordnende Ausführungen als Tatsachenfeststellungen zu behandeln (dislozierte Feststellungen, RIS-Justiz RS0043110 [T2]).
1.4. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkte unrichtig wiedergegeben wird, nicht aber dann, wenn das Gericht auf Grund richtig dargestellter Beweisergebnisse zu Feststellungen oder rechtlichen Schlussfolgerungen in einer bestimmten Richtung gelangt (RS0043324). Aktenwidrigkeit liegt begrifflich nicht vor, wenn das Berufungsgericht keine eigenen Feststellungen getroffen, sondern ausschließlich diejenigen des Erstgerichtes übernommen hat (RS0043324 [T10]).
1.5. Bei den oben zitierten Ausführungen des Rekursgerichts handelt es sich um rechtliche Schlussfolgerungen und nicht um eine aktenwidrige Ergänzung des festgestellten Sachverhalts.
Der Rechtsmittelwerber hat somit keine Aktenwidrigkeit des Rekursgerichts aufgezeigt.
2.1. Gegenstand der Rechtsrüge ist die Frage, ob dem Antragsteller eine auffallende Sorglosigkeit iSd § 2 NotwegeG vorzuwerfen ist. Das grundsätzliche Bestehen eines Notwegebedarfs wurde vom Rekursgericht bejaht.
2.2. Die Bestimmungen des Notwegegesetzes sind nach ständiger Rechtsprechung restriktiv zu handhaben (RS0070966). Die Nachlässigkeit der Parteien soll durch dieses Gesetz nicht gefördert werden, lediglich der schuldlose und damit schutzwürdige Erwerber einer Liegenschaft soll geschützt werden (RS0071074).
2.3. Der Begriff der auffallenden Sorglosigkeit entspricht der groben Fahrlässigkeit iSd § 1324 ABGB (RS0071130). Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher Weise vernachlässigt wurde und dieser objektiv besonders schwerwiegende Sorgfaltsverstoß auch subjektiv vorzuwerfen ist (RS0071130 [T2]) Die Frage, ob der Mangel auf eine auffallende Sorglosigkeit zurückgeht, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0071136 [T2, T5, T7]; 5 Ob 93/18).
2.4. Der Rechtssatz, dass der Ankauf eines Grundstücks ohne Verbindung zum öffentlichen Wegenetz noch keine auffallende Sorglosigkeit begründe, entspricht in dieser Allgemeinheit nicht mehr dem Stand der Judikatur (vgl 5 Ob 1/04i). Vielmehr schließt der Erwerb einer Liegenschaft ohne ausreichende Anbindung an das öffentliche Wegenetz allein die Einräumung oder Erweiterung eines Notwegs nur dann aus, wenn besondere Umstände auf eine auffallende Sorglosigkeit des Erwerbers schließen lassen. Dies gilt auch dann, wenn die Liegenschaft bereits beim Erwerbsvorgang als Bauland gewidmet war (RS0118155).
2.5. Der Erwerb einer Liegenschaft ohne vorherige Erkundigungen indiziert das Vorliegen einer auffallenden Sorglosigkeit. Auffallende Sorglosigkeit liegt dann vor, wenn der Erwerber durch die Erkundigungen eine an die Stelle der Begründung eines Notwegs tretende zumutbare Alternative zur Herstellung der die ordentliche Bewirtschaftung oder Benützung seiner Liegenschaft erst ermöglichenden Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz hätte in Erfahrung bringen können (vgl RS0118156).
3.1. Auffallende Sorglosigkeit ist ua dann gegeben, wenn ein tatsächlich eingetretener Wegebedarf in seiner Art, seinem Ausmaß und seiner Intensität bei einer früheren vertraglichen Gestaltung der die notleidenden Liegenschaften treffenden Rechtsbeziehungen leicht vorhersehbar war (zB keine leichte Vorhersehbarkeit bei nach dem Erwerb erfolgte Umwidmung in Bauland, RS0071130 [T6]).
3.2. Diesen Grundsätzen der Rechtsprechung folgend hat das Rekursgericht vertretbar auffallende Sorglosigkeit deshalb angenommen, weil das Grundstück schon im Zeitpunkt des Erwerbs (durch die Gattin des Antragstellers) als Bauland gewidmet war, hiefür Baulandpreis bezahlt wurde, und durch den Ankauf die Bebauung durch andere verhindert werden sollte, was einen späteren Bauentschluss nicht unvorhersehbar mache; hinzu komme die Textierung des Kaufvertrags, wonach das notleidende Grundstück nicht an das öffentliche Wegenetz angeschlossen ist, sowie die Ersichtlichkeit des bestehenden eingeschränkten Wegerechts im Grundbuch. Auch lasse das nunmehrige Scheitern der Vergleichsgespräche mit der Antragsgegnerin im Rahmen der geplanten Bauführung nicht zwingend darauf schließen, dass schon bei Erwerb der Liegenschaft kein unbeschränktes Wegerecht eingeräumt worden wäre, zumal – wie aus den Erwägungen des Erstgerichts abzuleiten sei – etwa für ein Einfamilienhaus einen Einigung durchaus erreichbar hätte sein können, sodass das völlige Scheitern der nunmehrigen Vergleichsverhandlungen mit der Antragsgegnerin für ein schon geplantes Mehrparteienhaus nicht aussagekräftig sei und die früher (bereits anlässlich des Erwerbs durch die Gattin des Antragstellers im Jahr 2008) unterlassenen Bemühungen nicht zu ersetzen vermögen. Aus dem Vorbringen des Antragstellers ergibt sich nicht stichhaltig, dass sich die Situation anlässlich seines Erwerbs im Jahr 2010 anders dargestellt hat.
3.3. Der Einwand des Rechtsmittelwerbers, dass Judikatur, welche der Fallgruppe der Selbstvorsorge zuzuordnen sei, nicht einschlägig sei, ist schon deshalb nicht von Relevanz, weil den Grundeigentümer die Verpflichtung zur Selbstvorsorge für eine hinreichende Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz zu jedem Zeitpunkt trifft, daher auch im Zeitpunkt des Grundstückerwerbs (vgl 1 Ob 122/08k).
Die Entscheidung des Rekursgerichts steht somit im Einklang mit der höchstgerichtlichen Judikatur zur auffallenden Sorglosigkeit im Notwegerecht.
Textnummer
E128117European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00182.19X.0330.000Im RIS seit
19.05.2020Zuletzt aktualisiert am
24.09.2020