TE Lvwg Erkenntnis 2020/4/6 LVwG-2020/45/0223-1

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Veröffentlicht am 06.04.2020
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Entscheidungsdatum

06.04.2020

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art137
B-VG Art139
AVG §6 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Stemmer über die Beschwerde der Frau AA, vertreten durch ihren Sachwalter BB, vertreten durch Rechtsanwalt CC, Adresse 1, Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z vom 25.11.2019, Zl ***, betreffend eine Angelegenheit nach dem Tiroler Rehabilitationsgesetz bzw nunmehr dem Tiroler Teilhabegesetz,

zu Recht:

1.       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Z vom 25.11.2019, Zl ***, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 14.05.2019 auf Rückerstattung des Kostenbeitrages aus Vermögen in der Höhe von Euro 37.913,79 gemäß § 6 Abs 1 AVG mangels Zuständigkeit zurückgewiesen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, dass es keine rechtliche Grundlage für eine Rückabwicklung bzw Rückzahlung des von der Beschwerdeführerin bereits 2016 geleisteten Kostenbeitrages gebe und sich folglich auch weder eine Zuständigkeit der belangten Behörde noch einer anderen Behörde für den gegenständlichen Antrag ergebe. Ein Vorgehen nach § 6 AVG sei daher nicht in Betracht gekommen und sei über den Antrag abzusprechen und dieser mangels Zuständigkeit zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Sachwalter, fristgerecht Beschwerde und führte darin aus, dass sich aufgrund der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 28.11.2018, V 69/2018-11, ergebe, dass die der damaligen Zahlungsvorschreibung nach § 20 TRG zugrunde liegende Richtlinie gesetzwidrig sei, woraus sich aber auch ergebe, dass die vorgenommene Zahlungsvorschreibung gesetzwidrig gewesen und unrechtmäßig erfolgt sei. Zusammengefasst sei in dieser Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes erkannt worden, dass eine Richtlinie an sich nicht Bescheidgrundlage sein könne, sondern nur ein Gesetz oder eine Verordnung. Im Rahmen der maßgeblichen alten Rechtslage, welche dem zitierten Bescheid zugrunde liege, gebe es keine Verordnungsermächtigung und sei die Richtlinie eben nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden. Zudem erweise sich – entgegen der vertretenen Ansicht der belangten Behörde – ein Antrag auf Rückerstattung sehr wohl als zulässig. Es wohne dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit inne, dass eine im Verwaltungswege per Bescheid vorgeschriebene Zahlung auch im Verwaltungswege wieder zurückgefordert werden könne, wenn sich wie gegenständlich im Nachhinein herausstelle, dass die entsprechende verwaltungsrechtliche Vorschreibung zu Unrecht erfolgt sei bzw ohne rechtsstaatlich gedeckte Normierung auf Basis von Gesetz oder Verordnung. Alles andere würde als staatliche Willkür zu bewerten sein und folglich als Verletzung des Grundrechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz. Darüber hinaus wäre bei Vorliegen einer derartigen Situation auch das Menschenrecht auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK verletzt, was hiermit ebenfalls geltend gemacht werde. Die Beschwerdeführerin beantragte, der Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben und die antragsgemäße Rückerstattung in der Höhe von Euro 37.913,79 auszusprechen.

Zur Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes wurde Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den verwaltungsbehördlichen Akt sowie in den Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte bereits gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG abgesehen werden. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Von der Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung kann gemäß § 24 Abs 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrages abgesehen werden, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Für das Landesverwaltungsgericht steht der Sachverhalt aufgrund der vorliegenden Aktenlage fest und wurde dieser auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Im gegenständlichen Verfahren war zudem ausschließlich eine Rechtsfrage zu klären. Vor diesem Hintergrund kann das Landesverwaltungsgericht auch unter dem Gesichtspunkt des Art 6 EMRK auf die Durchführung der Verhandlung verzichten (vgl VwGH 22.06.2017, Ra 2017/11/0077 mwN).

II.      Sachverhalt:

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.08.2013, Zl ***, wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 20 Abs 1 TRG ein einmaliger Kostenbeitrag aus Vermögen für ihre Unterbringung in einer näher angeführten Tagesstätte der DD für den Zeitraum vom 01.10.2012 bis 30.09.2015 in der Höhe von Euro 42.913,79 vorgeschrieben. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Berufungsbescheid der Tiroler Landesregierung vom 13.12.2013, Zl ***, als unbegründet abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 06. Juni 2014, B 278/2014-6, wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. In der Folge wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 08. Oktober 2014, Zl Ro 2014/10/0092-5, das Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof eingestellt.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.02.2016, Zl ***, wurde der vorgeschriebene Kostenbeitrag für den Zeitraum vom 01.10.2012 bis 30.09.2015 auf Euro 37.913,79 reduziert. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen. In der Folge hat die Beschwerdeführerin im Jahr 2016 diesen Kostenbeitrag zur Gänze geleistet.

Am 14.05.2019 stellte die Beschwerdeführerin den nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag auf Rückerstattung des geleisteten Kostenbeitrages in der Höhe von Euro 37.913,79. Sie berief sich dabei auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 28.11.2018, V 69/2018-11, nach der die § 20 TRG zugrunde liegende Richtlinie mangels ordnungsgemäßer Kundmachung gesetzwidrig sei. In der Folge erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit dem dieser Antrag gemäß § 6 Abs 1 AVG mangels Zuständigkeit zurückgewiesen wurde.

III.     Beweiswürdigung:

Dieser Sachverhalt ergibt sich in unzweifelhafter Weise aus der dem Landesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage und ist im Übrigen nicht strittig.

IV.      Rechtslage:

Die im gegenständlichen Verfahren relevanten Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl Nr 1/1930 idF BGBl I Nr 114/2013 lauten wie folgt:

„Artikel 137

Der Verfassungsgerichtshof erkennt über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, die Länder, die Gemeinden und die Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

Artikel 139

(1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen

1.   auf Antrag eines Gerichtes;

2.   von Amts wegen, wenn er die Verordnung in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte;

3.   auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist;

4.   auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels;

5.   einer Bundesbehörde auch auf Antrag einer Landesregierung oder der Volksanwaltschaft;

6.   einer Landesbehörde auch auf Antrag der Bundesregierung oder, wenn landesverfassungsgesetzlich die Volksanwaltschaft auch für den Bereich der Verwaltung des betreffenden Landes für zuständig erklärt wurde, der Volksanwaltschaft oder einer Einrichtung gemäß Art. 148i Abs. 2;

7.   einer Aufsichtsbehörde nach Art. 119a Abs. 6 auch auf Antrag der Gemeinde, deren Verordnung aufgehoben wurde.

Auf Anträge gemäß Z 3 und 4 ist Art. 89 Abs. 3 sinngemäß anzuwenden.

(1a) Wenn dies zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht erforderlich ist, kann die Stellung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 4 durch Bundesgesetz für unzulässig erklärt werden. Durch Bundesgesetz ist zu bestimmen, welche Wirkung ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 4 hat.

(1b) Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 3 oder 4 bis zur Verhandlung durch Beschluss ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

(2) Wird in einer beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Rechtssache, in der der Verfassungsgerichtshof eine Verordnung anzuwenden hat, die Partei klaglos gestellt, so ist ein bereits eingeleitetes Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Verordnung dennoch fortzusetzen.

(3) Der Verfassungsgerichtshof darf eine Verordnung nur insoweit als gesetzwidrig aufheben, als ihre Aufhebung ausdrücklich beantragt wurde oder als er sie in der bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte. Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch zur Auffassung, dass die ganze Verordnung

1. der gesetzlichen Grundlage entbehrt,

2. von einer unzuständigen Behörde erlassen wurde oder

3. in gesetzwidriger Weise kundgemacht wurde,

so hat er die ganze Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben. Dies gilt nicht, wenn die Aufhebung der ganzen Verordnung offensichtlich den rechtlichen Interessen der Partei zuwiderläuft, die einen Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 oder 4 gestellt hat oder deren Rechtssache Anlass für die amtswegige Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens gegeben hat.

(4) Ist die Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten und wurde das Verfahren von Amts wegen eingeleitet oder der Antrag von einem Gericht oder von einer Person gestellt, die durch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, ob die Verordnung gesetzwidrig war. Abs. 3 gilt sinngemäß.

(5) Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem eine Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben wird, verpflichtet die zuständige oberste Behörde des Bundes oder des Landes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung. Dies gilt sinngemäß für den Fall eines Ausspruches gemäß Abs. 4. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft, wenn nicht der Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten eine Frist bestimmt, die sechs Monate, wenn aber gesetzliche Vorkehrungen erforderlich sind, 18 Monate nicht überschreiten darf.

(6) Ist eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass eine Verordnung gesetzwidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.

(7) Für Rechtssachen, die zur Stellung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 4 Anlass gegeben haben, ist durch Bundesgesetz zu bestimmen, dass das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem die Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben wird, eine neuerliche Entscheidung dieser Rechtssache ermöglicht. Dies gilt sinngemäß für den Fall eines Ausspruches gemäß Abs. 4.“

V.       Erwägungen:

Eingangs ist festzuhalten, dass Sache des angefochtenen Bescheides die Zurückweisung des Antrages der Beschwerdeführerin vom 14.05.2019 war. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen hat, ist in jenen Fällen, in denen die Behörde einen Antrag zurückgewiesen hat, "Sache" eines Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Dem Verwaltungsgericht ist es demnach verwehrt, über diesen Rahmen hinaus in einer Entscheidung über die "Hauptsache" vorzugehen, weil dadurch der sachlichen Prüfung des gestellten Antrages und damit den Parteien eine Instanz genommen würde (vgl. VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002; VwGH 17.12.2019, Ra 2017/04/0141). Somit war Sache des gegenständlichen Verfahrens allein die Frage nach der Rechtmäßigkeit der spruchgemäßen Zurückweisung. Eine darüber hinausgehende Kompetenz – insbesondere hinsichtlich einer meritorischen Entscheidung, die die Beschwerdeführerin beantragt hat – steht dem Landesverwaltungsgericht nicht zu.

Die belangte Behörde hat die angefochtene Zurückweisung auf ihre mangelnde Zuständigkeit gestützt. Dem gegenüber hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass eine im Verwaltungsbereich vorgeschriebene Zahlung auch im Verwaltungswege wieder zurückgefordert werden könne. Mit diesem Vorbringen dringt sie nicht durch. In einem ähnlich gelagerten Fall betreffend Rückerstattung von verwaltungsbehördlich vorgeschriebenen Kosten hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen: Eine Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden zur Entscheidung über die Rückerstattung von Kosten für die Entfernung und Aufbewahrung eines Kraftfahrzeuges - seien diese Kosten überhaupt ohne Erlassung eines Kostenvorschreibungsbescheides oder auf Grund eines Kostenvorschreibungsbescheides, der später aufgehoben wurde, bezahlt worden - besteht daher nicht. Da die Vorschreibung von Kosten für die Entfernung und Aufbewahrung eines Kraftfahrzeuges ihren Ursprung im öffentlichen Recht hat, ist auch eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die Rückforderung solcher allenfalls zu Unrecht eingehobener Kosten nicht gegeben. Rückforderungsansprüche zu Unrecht eingehobener Kosten für die Entfernung und Aufbewahrung eines Kraftfahrzeuges gem § 89a Abs 7 StVO können daher nur mit Klage gem Art 137 B-VG beim VfGH geltend gemacht werden (vgl VwGH 23.12.1987, 85/18/0085). Da die belangte Behörde somit zu Recht den verfahrensgegenständlichen Antrag mangels Zuständigkeit zurückgewiesen hat, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Im Übrigen stützt die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Antrag auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 28.11.2018, V 69/2018-11. In dieser hat der Verfassungsgerichtshof – über amtswegige Einleitung eines Verordnungsprüfungsverfahrens – ausgesprochen, dass die als Rechtsverordnung zu qualifizierende "Richtlinie des Landes Tirol für Kostenbeiträge für ambulante und stationäre Leistungen der Behindertenhilfe" (Kostenbeitragsrichtlinie), Beschluss der Tiroler Landesregierung vom 19.05.2015, kundgemacht auf der Website des Landes Tirol, mangels Verlautbarung im Landesgesetzblatt zur Gänze gesetzwidrig war. Gleichzeitig wurde die Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

Die Beschwerdeführerin beantragte nunmehr gestützt auf diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom November 2018 die Rückerstattung ihres 2016 bezahlten Kostenersatzes. Mit diesem Vorbringen würde sie nicht durchdringen. Art 139 Abs 6 B-VG normiert wie folgt: „Ist eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass eine Verordnung gesetzwidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.“

Daraus ergibt sich, dass auf der Grundlage des Art 139 Abs 6 B-VG die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes betreffend die Aufhebung einer Verordnung grundsätzlich für die Zukunft wirkt, wobei der Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten der Norm darüber hinaus noch eine Frist von bis zu 18 Monaten setzen kann. Eine Rückwirkung tritt als Ausnahme von diesem Grundsatz nur für den "Anlassfall" ein.

Der vom Verfassungsgesetzgeber mit der Novelle BGBl Nr 302/1975 aus der früheren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes übernommene Begriff des Anlassfalles ist zunächst (VfSlg 8234/1978) auf jene Fälle beschränkt verstanden worden, die tatsächlich zur Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens geführt haben. Zwecks Loslösung von "Zufälligkeiten des Geschäftsganges und insbesondere von der Menge und Art der anfallenden Rechtssachen, also ausschließlich von Umständen im Schoße des Gerichtshofes selbst," hat ihn der Verfassungsgerichtshof jedoch später dahin ausgelegt, dass er alle im Zeitpunkt der Ausschreibung der Verhandlung anhängig gewordenen Fälle erfasst (VfSlg 10.067/1984); nach Eröffnung der Möglichkeit (durch die Änderung des Verfassungsgerichtshofgesetzes im Gefolge der B-VG-Novelle 1984), auch im Normenprüfungsverfahren von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, hat er schließlich der Ausschreibung der Verhandlung den Beginn der nichtöffentlichen Beratung gleichgesetzt (VfSlg 10.616/1985). In seinem Erkenntnis VfSlg 17.687/2005 hat der Verfassungsgerichtshof - in teilweiser Abkehr von seiner Vorjudikatur - entschieden, diese Gleichstellung in jenen Fällen nicht (mehr) vorzunehmen, in denen der ein Verwaltungsverfahren einleitende Antrag erst nach Bekanntmachung des Prüfungsbeschlusses gestellt wurde, mag auch die Beschwerde gegen den letztinstanzlichen Bescheid dann noch vor dem Beginn der Beratung beim Verfassungsgerichtshof eingelangt sein (vgl zum Ganzen - neben den unter Rz 12 genannten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs - auch etwa VwGH vom 31. Jänner 2007, 2006/08/0348, vom 9. September 2015, 2013/03/0120, und vom 20. Dezember 2016, Ro 2015/03/0020).

Aus Art 139 Abs 6 B-VG ergibt sich weiters, dass der Verfassungsgerichtshof aussprechen kann, dass eine von ihm aufgehobene Norm - über den Anlassfall im engeren Sinn hinausgehend - auch auf frühere Sachverhalte nicht mehr anzuwenden ist. Der Verfassungsgerichtshof kann also der Aufhebung Rückwirkung beilegen. Die diesbezügliche Befugnis ist weder zeitlich noch personell begrenzt: So hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg 8.233/1978 die Anwendung des aufgehobenen Gesetzes auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände ausgeschlossen, im Erkenntnis VfSlg 11.918/1988 die Anlassfallwirkung auf beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerdesachen ausgedehnt (ebenso im Erkenntnis VfSlg 19.887/2014). Im Fall des Erkenntnisses VfSlg 11.190/1986 wurde die Anlassfallwirkung darüber hinaus auch auf die Rechtssachen ausgedehnt, in denen zu einem bestimmten Stichtag bei den Behörden Berufungsverfahren anhängig waren, mit dem Erkenntnis VfSlg 14.723/1997 wiederum die Wirkung der Aufhebung auch auf bereits rechtskräftig entschiedene Fälle ausgedehnt. Wird ein derartiger Ausspruch vom Verfassungsgerichtshof aber nicht getroffen und handelt es sich nicht um einen (Quasi-)Anlassfall, ist die aufgehobene Norm auf vor der Aufhebung verwirklichte Sachverhalte weiterhin anzuwenden. Diese bleibt also zur Gänze anwendbar und wird vielmehr "verfassungsrechtlich unangreifbar" bzw "immunisiert". Die Einleitung eines weiteren Verordnungs- bzw Gesetzesprüfungsverfahrens und eine – neuerliche - Aufhebung etwa aufgrund anderer Bedenken kommt nicht in Betracht (vgl etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs VfSlg 8277/1978, 12.564/1990, 13.297/1992, 14.136/1995, 15.978/2000 und 17.687/2005; vgl ferner VwGH vom 29. November 2005, 2004/12/0130, und vom 17. Dezember 2009, 2009/07/0168). Nichts entscheidend anderes gilt dann, wenn nicht die Aufhebung einer rechtswidrigen generellen Norm erfolgt ist, sondern ein Ausspruch nach Art 139 Abs 4 B-VG. Die betreffende, als verfassungs- bzw gesetzwidrig erkannte Norm ist zwar im Anlassfall nicht anzuwenden, auf sonstige früher verwirklichte Sachverhalte hingegen schon (vgl etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs VfSlg 12.564 und VfSlg 14.136, sowie VwGH vom 14. Dezember 2007, 2007/02/0341, vom 12. September 2007, 2007/04/0024, vom 18. Dezember 2003, 2003/06/0132); (vgl VwGH 01.03.2017, Ro 2015/03/0022, Rz 23-26).

Da der Verfassungsgerichtshof mit der von der Beschwerdeführerin angeführten Entscheidung vom 28.11.2018 zwar festgestellt hat, dass die Verordnung gesetzwidrig war, darüber hinaus aber im Sinne der obenstehenden Ausführungen keine weiteren Aussprüche zur Ausdehnung der Anlassfallwirkung getätigt hat, ist die aufgehobene Norm auf vor der Aufhebung verwirklichte Sachverhalte weiterhin anzuwenden und wird diese – wie der Verfassungsgerichtshof ausgeführt hat – vielmehr "verfassungsrechtlich unangreifbar" bzw "immunisiert“.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Hinweis:

Die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer ordentlichen bzw außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist - sofern die ordnungsgemäße Zustellung dieser Entscheidung bis zum 30.  April 2020 erfolgt - gemäß § 1 Abs 1 in Verbindung mit § 6 Abs 2 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG), BGBl I Nr 16/2020 idF BGBl I Nr 24/2020, bis zum Ablauf des 30. April 2020 unterbrochen. Sie beginnt mit 1. Mai 2020 neu zu laufen.

Der Bundeskanzler ist allerdings ermächtigt, durch Verordnung die angeordnete allgemeine Unterbrechung von Fristen zu verlängern oder zu verkürzen, soweit dies zur Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Stemmer

(Richterin)

Schlagworte

Rückforderungsansprüche;
Klage gem Art 137 B-VG;
Anlasswirkung;

Anmerkung

Mit Beschluss vom 09.12.2020, Z E 1736/2020-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 06.04.2020, Z LVwG-2020/45/0223-1, erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.45.0223.1

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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