TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/2 96/20/0325

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Veröffentlicht am 02.04.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1968 §1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des E Y in Wien, geboren am 1. Februar 1966, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landhausgasse 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. März 1996, Zl. 4.332.982/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der am 14. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist war, beantragte am 18. Dezember 1991 Asyl.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 15. März 1996 stellte die belangte Behörde gemäß dem Asylgesetz (1968) fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

Nach Darstellung der Rechtslage führte die belangte Behörde aus, daß die vom Beschwerdeführer im Verfahren gemachten Angaben unglaubwürdig seien. Als glaubwürdig könnten Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich darstelle. Ebenso wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erschienen und wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringe. Die erkennende Behörde könne daher einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache und wenn diese wahrscheinlich und damit einleuchtend erschienen. Der Beschwerdeführer habe anläßlich seiner erstinstanzlichen Befragung lediglich angegeben, daß er die "PKK" unterstützt habe. Bei seiner ergänzenden Einvernahme habe er dann ausgeführt, daß er die Leute von der "PKK" und der "DEV-SOL" unterstützt habe. Angesichts dieser Steigerung in seinem Vorbringen sei davon auszugehen, daß sein gesamtes Vorbringen nicht der Wahrheit entspreche. Ein weiteres Indiz für seine Unglaubwürdigkeit seien seine unschlüssigen Ausführungen bezüglich der Erlangung der Information über die Fahndung nach seiner Person. So habe der Beschwerdeführer in erster Instanz erklärt, er habe im Dezember 1991 von einem befreundeten Soldaten erfahren, daß ihn die Polizei in Tunceli, Pülümür, Bingöl und Erzincan suche. Bei seiner ergänzenden Befragung habe er in Widerspruch dazu angegeben, er habe bereits im Juni 1991 von Soldaten erfahren, daß man nach ihm fahnde. Der Beschwerdeführer sei daher auch aufgrund seiner divergierenden Angaben unglaubwürdig. Ein weiteres Indiz für seine Unglaubwürdigkeit seien seine

"fabulierten Ausführungen bezüglich des Ermittlungsauftrages und des Haftbefehles".

Dem Beschwerdeführer sei nämlich von der Behörde erster Instanz vorgehalten worden, daß es nicht logisch sei, wenn die Soldaten innerhalb von zwei Tagen nicht versucht hätten, einen vorliegenden Haftbefehl zu vollziehen. Dazu habe der Beschwerdeführer angegeben, die Soldaten würden zwei Tage ermitteln und erst danach die Festnahme durchführen. Dem Beschwerdeführer sei daraufhin vorgehalten worden, daß seine Aussage nicht schlüssig sei. In einer solchen Weise würde weder die Exekutive noch das Militär vorgehen. Eine von der Behörde angeordnete Festnahme sei nämlich sofort zu vollziehen und nicht erst nach einem Ermessenszeitraum der mit der Vollziehung betrauten Beamten oder Soldaten. Der Beschwerdeführer habe lapidar ausgeführt, er könne sich dies nur so erklären, daß ein Soldat, der als Schreibkraft eingesetzt gewesen sei, sich mit der Vorlage des Auftrages Zeit gelassen habe.

Die Behörde führte weiters aus:

"Da Sie bezüglich des Haftbefehles und auch des Ermittlungsbefehles trotz eingehendster Befragung kein ausreichendes Tatsachensubstrat vorzubringen vermochten, ist Ihrem gesamten Vorbringen und auch der Ablichtung des von Ihnen vorgelegten Schriftstückes vom 06.06.1991 die Glaubwürdigkeit zu versagen."

Ein weiteres Indiz für die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sei sein Verbleib in der Türkei. Der Beschwerdeführer sei nach Verlassen des Dorfes fünf Monate in Istanbul gewesen und habe dort in einer Bäckerei gearbeitet. Es sei der belangten Behörde nicht plausibel, daß jemand, der angeblich seitens der Behörden gesucht werde, nicht unmittelbar nach Bekanntwerden dieses Umstandes das Land verlasse.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist festzuhalten, daß infolge der im angefochtenen Bescheid zutreffend erfolgten Anwendung des Asylgesetzes 1968 kein Fall des Außerkrafttretens gemäß § 44 Abs. 2 Asylgesetz 1997 vorliegt.

Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren eine im Akt aufliegende Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Staatssicherheitsgerichtes in Erzincan vorgelegt, wonach unter anderem auch der Beschwerdeführer der Hilfestellung für und Komplizenschaft mit der illegalen Organisation PKK beschuldigt wird. Nach Inhalt dieser Anklageschrift, die mit 6. Juni 1991 datiert ist, sei der Beschwerdeführer "derzeit auf der Flucht".

Die belangte Behörde hat dazu ausgeführt, daß diesem "Schriftstück vom 6. Juni 1991 die Glaubwürdigkeit zu versagen" sei, weil der Beschwerdeführer "bezüglich des Haftbefehles und auch des Ermittlungsbefehles trotz eingehendster Befragung kein ausreichendes Tatsachensubstrat vorzubringen vermochte". Die belangte Behörde hat also die vorgelegte Anklageschrift nicht als eine Fälschung angesehen, jedoch den Standpunkt vertreten, das vorgelegte "Schriftstück" sei deshalb nicht als Beweismittel geeignet, weil der Beschwerdeführer kein dieser Anklageschrift zugrundeliegendes "ausreichendes Tatsachensubstrat" vorgebracht habe. Der Beschwerdeführer hat aber bereits anläßlich seiner erstinstanzlichen Einvernahme als wesentlichen Fluchtgrund angegeben, daß er von der Polizei in den in der Anklageschrift angeführten "Ausnahmeprovinzen" gesucht werde. Ihm sei vorgeworfen worden, daß er die "Terroristen" unterstütze. Unter "Terroristen" verstehe er Angehörige der PKK, welche er schon seit mehreren Jahren mit Lebensmitteln unterstützt habe. Damit hat aber der Beschwerdeführer bereits bei seiner ersten Einvernahme einen Sachverhalt geschildert, auf welchen der Inhalt der vorgelegten Anklageschrift Bezug nimmt.

Richtig ist allerdings, daß der Beschwerdeführer anläßlich seiner Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 9. März 1992 erklärte, ihm habe "im Dezember 1991 ein befreundeter Soldat von der Militärstation in K gesprächsweise erzählt", daß er in den angeführten Unruheprovinzen gesucht werde.

Anläßlich seiner ergänzenden Einvernahme ca. dreieinhalb Jahre später hatte der Beschwerdeführer davon gesprochen, daß er "im Juni 1991" von befreundeten Soldaten der Militärstation K über den Umstand einer Fahndung nach ihm informiert worden sei. Zu seiner Verhaftung sei es jedoch nicht gekommen, weil ein Soldat der örtlichen Militärstation, der den Befehl gesehen habe, ihn gewarnt hätte. Dieser Soldat sei zu ihm ins Haus gekommen, welches sich nicht weit vom Militärstützpunkt entfernt befinde. Er sei dann zwei Tage später nach Istanbul gefahren, wo er bis zu seiner Abreise bei einem Freund geblieben sei.

Wenn auch diese Aussagen teilweise von den Angaben anläßlich der erstinstanzlichen Einvernahme abweichen, so unterscheiden sie sich doch hinsichtlich des den Kern der Anklageschrift bildenden Vorwurfes der Unterstützung von PKK-Angehörigen nicht. Allerdings besteht insoferne tatsächlich ein erheblicher Widerspruch zwischen den Angaben des Beschwerdeführers bei seiner ergänzenden Einvernahme und der Aussage anläßlich seiner Erstbefragung, als er bei seiner Erstaussage angab, er sei im "Dezember 1991" nach Istanbul gefahren und habe dort nur einmal genächtigt, in der Folge sei er dann mit Hilfe eines Schleppers ins Ausland geflüchtet. Dagegen brachte der Beschwerdeführer bei seiner ergänzenden Einvernahme vor, er habe sich nach seiner Übersiedlung nach Istanbul im Juni 1991 dort für die Dauer von ca. fünf Monaten aufgehalten, wo er in einer Bäckerei eines Verwandten gearbeitet habe. Nun ist aber die belangte Behörde bei ihrer Argumentation selbst davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer noch längere Zeit in Istanbul geblieben sei, woraus sie auch die Unglaubwürdigkeit seiner behaupteten Verfolgung in seinem Heimatland abgeleitet hat (arg.: "ein weiteres Indiz für Ihre Unglaubwürdigkeit ist Ihr weiterer Verbleib in der Türkei, ..."). Die belangte Behörde hat somit weder eine inländische Fluchtalternative für den Beschwerdeführer in Istanbul angenommen noch ist sie davon ausgegangen, daß mangels eines zeitlichen Konnexes die vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe nicht mehr asylrelevant sein könnten, sondern sie hat ausgehend von dem von ihr angenommenen Faktum, daß der Beschwerdeführer noch mehrere Monate in Istanbul geblieben sei, auf die Unglaubwürdigkeit seiner Behauptungen geschlossen, er werde wegen Unterstützung von PKK-Aktivisten in der Türkei verfolgt. Damit hat sie sich aber bei der Darstellung der Widersprüche in der Aussage des Beschwerdeführers selbst in einen erheblichen Widerspruch verstrickt, wenn sie dem Beschwerdeführer zunächst vorwarf, er habe hinsichtlich der Darstellung seiner Übersiedlung nach Istanbul betreffend den Zeitpunkt Juni 1991 nicht die Wahrheit gesagt, weil er anläßlich seiner Erstbefragung von dem Bekanntwerden seiner Verfolgung im Dezember 1991 und der darauffolgenden Fahrt nach Istanbul gesprochen habe. Wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vorwirft, er habe bei seiner Ersteinvernahme nichts davon erwähnt, daß er nicht nur PKK-Aktivisten sondern auch "DEV-SOL"-Anhänger mit Nahrungsmittel unterstützt habe, so ist ihr entgegenzuhalten, daß sie selbst das Protokoll der Ersteinvernahme offensichtlich als nicht ausreichend erachtete, da sie die Ergänzung seiner Einvernahme anordnete. Die Schilderungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der von ihm vermuteten Vorgangsweise von türkischen Sicherheitskräften bei der Ausforschung und Verhaftung von PKK-Sympathisanten können dem Beschwerdeführer nicht als gegen seine Glaubwürdigkeit sprechend entgegengehalten werden, weil der Beschwerdeführer keinen Einblick in die innere Organisation und die Vorgangsweise der türkischen Sicherheitskräfte in einer bestimmten Region haben mußte. Der Beschwerdeführer hat seine diesbezüglichen Erklärungen ohnehin nur als von ihm angestellte Vermutungen dargestellt sowie auf behauptete Schilderungen eines befreundeten Soldaten gestützt. Abgesehen davon, daß die von der Behörde aus der eigenen Behördenstruktur übernommene Feststellung, Exekutivorgane würden die ihnen aufgetragenen Befehle sofort ausführen, nicht ohne weiteres auf die durch Ausnahmezustände und kriegerische Unruhen charakterisierten Gebiete in anderen Ländern übertragen werden können, kann allein aus dem Umstand, daß ein Festnahmeauftrag nicht innerhalb einer Zeit von zwei Tagen ausgeführt wird, noch nicht auf die Unglaubwürdigkeit des Vorliegens eines solchen Auftrages geschlossen werden.

Im Ergebnis hat zwar die belangte Behörde zu Recht Widersprüche in der Aussage des Beschwerdeführers aufgezeigt, sie ist jedoch trotz des maßgeblichen Widerspruches hinsichtlich des Zeitpunktes, wann der Beschwerdeführer von dem Verdacht der türkischen Behörden gegen ihn wegen Unterstützung von PKK-Leuten sowie dem darauf basierenden Ausforschungsauftrag erfahren hat und wann er aus seiner Heimatprovinz nach Istanbul übersiedelt war, selbst davon ausgegangen, daß dies bereits im Juni 1991 war. Damit ist aber der vorgelegte Haftbefehl mit dem wesentlichen Kern der Schilderung des Beschwerdeführers betreffend seine Flucht im Juni 1991 aus seinem Heimatort nach Istanbul in Einklang zu bringen. Demnach durfte sich die belangte Behörde nicht damit begnügen, von der "Unglaubwürdigkeit des Schriftstückes vom 6.6.1991" mangels "ausreichenden Tatsachensubstrates" auszugehen. Sie hätte sich vielmehr damit auseinandersetzen müssen, ob es sich bei der vorgelegten Anklageschrift um eine Fälschung handelt oder aber ob tatsächlich von den türkischen Behörden auf Grundlage dieser Anklageschrift die Einleitung eines Gerichtsverfahrens beabsichtigt ist.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996200325.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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